Abschnitt 1

Rheinsberg


Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802


Graf und Gräfin La Roche-Aymon


Es ward immer stiller in Rheinsberg. Von 1796 ab scheint der Kreis nur noch aus vier Personen bestanden zu haben: aus dem Hofmarschall oder Kammerherrn Grafen Röder, aus dem Adjutanten Graf La Roche-Aymon, aus dem Kammerrat Lebeauld und aus dem Baurat Steinert. Die beiden Wreechs waren tot, Knesebeck lebte noch, tat aber keinen Dienst mehr. Kaphengst jagte, spielte, schwur und grollte, daß der Gunst des Prinzen der goldene Boden ausgeschlagen war.

Kein Wunder, daß der alternde Prinz (er war siebzig geworden) von Alleinsein und Stille gelegentlich mehr besaß, als ihm lieb war, und unter dem Druck einer gewissen Vereinsamung eifrig dahin strebte, die wenigen ihm treu Verbliebenen für den Rest seiner Tage festzuhalten. Er wollte nicht unter Fremden sterben.

Baurat Steinert war ein Gegenstand seines besondern Vertrauens. Noch wenige Tage vor seinem (des Prinzen) Tode, als sie die Pyramide besuchten, in der er beigesetzt zu werden wünschte, sagte er lächelnd zu dem vielbewährten Diener: »Stellt mich so, Steinert, daß ich nach dem Schloß hinüberblicke, und sagt's auch den Leuten, daß ich so stehe. Das wird manchen in heilsamer Furcht halten.«

Lebeauld – Le Beauldt de Nans, wie er in andern Büchern genannt und geschrieben wird – war eigentlich Secretair des Prinzen, erfreute sich aber des Titels eines Kammerrats oder conseiller des chambres. Zur Belohnung für langjährige Dienstleistungen, aber zugleich auch in dem Bestreben, ihn auf die Weise zu fesseln, empfing er seitens des Prinzen zwei der zum Amte Rheinsberg gehörigen Erbzinsgüter: Schlaborn und Warenthin, die noch geraume Zeit hindurch in Händen der Lebeauldschen Familie verblieben. Erst seit 1850 sind sie zurückgekauft und wieder königlicher Besitz.

Steinert und Lebeauld waren bewährte Diener des Prinzen, aber doch nichts weiter; der Freund seiner letzten Jahre war der Graf La Roche-Aymon.

Bei der Geschichte dieses Mannes, »die den Roman auf seinem eignen Felde schlägt«, werden wir zum Schluß noch einige Zeit zu verweilen haben.

Antoine-Charles-Étienne-Paul Graf La Roche-Aymon war 1775 geboren. 1792, siebzehn Jahr alt, verließ er mit andern Émigrés sein Vaterland und trat als Volontair in das Condésche Corps, nach einer andern Version, die sich auf Mitteilung von Personen stützt, die den Grafen noch persönlich gekannt haben, in die neapolitanische Armee. Gleichviel, 1794 erschien ein junger, sechs Fuß hoher Offizier von dunkelstem Kolorit und dürftigster Kleidung in Rheinsberg und gab bei »Demoiselle Aurore«, jener schon genannten Schauspielerin des prinzlichen Hoftheaters, einen Empfehlungsbrief ab. Der Brief enthielt die Bitte, den Überbringer, den jungen Grafen La Roche-Aymon, bei günstiger Gelegenheit in die Nähe des Prinzen zu bringen. Demoiselle Aurore war echte Französin, lebhaft und gutherzig, dabei Royalistin und zu Abenteuern geneigt; sie bestritt also eine passende Equipierung aus eignen Mitteln, und vor Ablauf einer Woche war der Graf in des Prinzen Dienst. Er bezog Wohnung im Kavalierhaus und übernahm den Befehl über die vierzig Leibhusaren, die, wie mehr erwähnt, als eine spezielle Prinz Heinrichsche Truppe zu Rheinsberg in Garnison lagen. Kurze Zeit darauf wurde er Adjutant des Prinzen. Schön, gewandt, liebenswürdig, ein Kavalier im besten Sinne des Worts, trat er alsbald in eine Vertrauensstellung, ja darüber hinaus in ein Herzensverhältnis zum Prinzen, wie's dieser, seit Tauentzien, nicht mehr gekannt hatte. Der Graf erschien ihm als ein Geschenk des Himmels; der Abend seines Lebens war gekommen, aber siehe da, die Sonne, bevor sie schied, lieh ihm noch einmal einen Strahl ihres beglückenden Lichts. Graf La Roche-Aymon war der letzte Adjutant des Prinzen. 3)

Nach dem Basler Frieden, der eine halbe Versöhnung zwischen dem Prinzen Heinrich und seinem Neffen, dem Könige, herbeigeführt hatte, kam der Prinz auch wieder nach Berlin, aber freilich ohne rechte Lust und Freudigkeit und immer nur auf kürzere Zeit. Auf einer der bei dieser Gelegenheit statthabenden Festlichkeiten war es, daß der Graf La Roche-Aymon, der nunmehrige Adjutant des Prinzen, ein Fräulein von Zeuner sah und von ihrer blendenden Schönheit sofort hingerissen ward. Er seinerseits war völlig dazu angetan, nicht bloß bezaubert zu werden, sondern auch selbst wieder zu bezaubern, und als der Prinz bei beginnendem Frühling nach Rheinsberg zurückkehrte, folgten ihm Graf und Gräfin La Roche-Aymon als eben vermähltes Paar.

Karoline Amalie von Zeuner war die Tochter eines seit 1786 als Hofmarschall und Kammerherr im Dienste der Königinmutter stehenden Herrn von Zeuner, aus seiner Ehe mit einer Gräfin von Neale. Fräulein von Zeuner selbst, als der Graf La Roche-Aymon sie kennenlernte, war Hofdame bei der Prinzessin Wilhelmine. Sie war von mittlerer Figur, vom weißesten Teint und besaß, als besondere Schönheit, eine solche Fülle blonden Haares, daß es, wenn aufgelöst, bis zu den Knien herabfiel und sie wie ein goldener Mantel umhüllte. Niemand kannte diese Schönheit besser als sie selbst und noch in späteren Jahren wußte sie's derart einzurichten, daß etwa eintreffender Besuch sie womöglich im Négligé überraschen und das Haar bewundern mußte.

Wenn die Gegenwart des Grafen schon vorher ein Lichtblick an dem vereinsamten Hofe des Prinzen gewesen war, so war es jetzt, wo »Prinzessin Goldhaar« mit ihm zurückkehrte, wie wenn die Tage früherer Rheinsberger Herrlichkeit noch einmal anbrechen sollten. Anstelle halb pedantischer und halb équivoquer Junggesellenwirtschaft erschienen wieder die heiteren Grazien, die dauernd immer nur da zu Hause sind, wo schöne Frauen ihren wohltätigen und gern gelittenen Zwang üben. Seit den Tagen Lisette Tauentziens hatte der Rheinsberger Hof diesen Zwang nicht mehr gekannt.




3) Die Adjutanten des Prinzen Heinrich, soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, waren seit Beginn des Siebenjährigen Krieges die folgenden: Graf Henkel (1757 und 1758); Graf Kalckreuth in der zweiten Hälfte des Krieges; nach dem Kriege: Kaphengst, Tauentzien, La Roche-Aymon.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil