Abschnitt 4

Rheinsberg


Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802


Auf Besuch kamen Prinz Ferdinand, Prinzeß Amalie, vor allem Prinz Louis Ferdinand, der die besondre Freude seines Oheims und zugleich die Hoffnung desselben war. An diese fürstlichen Besuche schloß sich der Besuch derer, die früher in dienstlichen Beziehungen zum Prinzen gestanden hatten, Namen, auf die wir weiterhin zurückkommen werden.

Die Ausflüge gingen näher und weiter. Der Winteraufenthalt in Berlin (im Prinz Heinrichschen Palais, der jetzigen Universität) ward immer mehr abgekürzt, aber die Tagesfahrten und kleinen Reisen blieben bis zuletzt. Der alte Zieten in Wustrau, Frau von Arnstedt in Hoppenrade, Prinz Ferdinand in seinem Ruppiner Palais (bis 1787, wo es niederbrannte) wurden besucht; besonders aber galten diese Ausflüge dem Grafen Wreech auf Tamsel und dem Major von Kaphengst auf Meseberg.

Die Festlichkeiten, um auch das zu wiederholen, verminderten sich im Laufe der Zeit; aber sie fanden doch wenigstens noch statt. Der Jahrestag der Freiberger Schlacht ward alljährlich gefeiert, und am 6. Mai 1787 gab der Prinz zur Erinnerung an die Bataille bei Prag allen noch lebenden Offizieren und Gemeinen des an jenem Tage von ihm geführten Regiments Itzenplitz ein glänzendes Fest. Er war zu dieser Feier doppelt berechtigt, einmal durch die Tat selbst, andererseits und in gesteigertem Maße dadurch, daß sich die Neuzeit (der große König war seit kaum Jahresfrist tot) das Ansehn gab, solche Taten vergessen zu dürfen. Der Prinz kommandierte vor Prag den rechten Flügel und stellte sich im entscheidenden Moment an die Spitze des vorgenannten berühmten Regiments. Plötzlich stutzten die Grenadiere vor einem allzu tief scheinenden Graben, Prinz Heinrich aber warf sich ohne Zögern hinein; die Kleinheit seiner Person steigerte nur noch die Größe der Aufopferung und natürlich auch die Wirkung. Alles folgte ihm nach und schlug den Feind. Offiziere und Gemeine saßen nun dreißig Jahre später an der Festtafel ihres Führers, und die begeisterten Lebehochs, die man ausbrachte, klangen laut genug, um bis ans Ohr des königlichen Neffen zu dringen. So war denn das Festmahl, neben einer pietätsvollen Huldigung gegen die Heimgegangenen, vor allem auch eine berechtigte Demonstration gegen Lebende.

Gleichfalls eine Demonstration, aber ein sonnigeres, von den Strahlen der Poesie und Geschichte umleuchtetes Fest, war die Einweihung (am 4. Juli 1791) des oft genannten Obelisken. Sie war militärische Feier und Volksfest zugleich. Aus allen Städten und Dörfern der Grafschaft war man zu Tausenden herbeigekommen und umstand entweder das Ufer des Sees oder war, von zahllosen in seiner Mitte liegenden Böten aus, Augenzeuge des Schauspiels. Das schönste Sommerwetter begünstigte das Fest. Um das Denkmal her gruppierten sich Hunderte von Offizieren, alte und junge, solche, die »die große Zeit« noch miterlebt hatten, oder Anverwandte jener, derer die Medailloninschriften gedachten. An die Feier der Enthüllung schloß sich dann, in den Sälen des Schlosses, ein glänzendes Bankett, bei dem der Prinz eine längere, wohlausgearbeitete Rede hielt. Auch bei dieser Gelegenheit in französischer Sprache. Fast scheint es, als ob er der deutschen Rede nicht mächtig gewesen sei, was als wunderbares Resultat einer Erziehung gelten mag, die nur das Deutsche gewollt und alles Französische verpönt hatte. Die mehrfach, unter andern auch in dem Buche »Vie privée du Prince Henri« zum Druck gekommene Rede scheint auf den ersten Blick wenig mehr zu bieten als wohlstilisierte ziemlich zopfige Phrasen, wie sie damals üblich waren, aber bei mehr kritischer Betrachtung erkennt man bald die politische Seite dieses auf den ersten Blick bloß oratorischen Übungsstückes. Ich gebe hier nur eine Stelle:

»Allen Bewohnern der Städte wie des Landes, die in diesem Kriege die Waffen trugen, gebührt ein gleiches Recht an den Trophäen und Palmen des Sieges. Unter der Leitung ihrer Anführer weihten sie ihre Arme und ihr Blut ihrem Vaterlande. Sie haben es mit Mut und Kraft aufrechterhalten und verteidigt. Unsere Absicht ist, der preußischen Armee ein Zeugnis unserer Dankbarkeit darzulegen. Den Eingebungen unseres Herzens folgend, wollen wir Beweise der Hochachtung insonderheit denjenigen geben, welche wir persönlich kannten. Aber warum vermißt man Friedrich unter der Zahl dieser berühmten Namen? Die von diesem Könige selbst aufgesetzte Geschichte seines Lebens, die Lobschriften auf ihn nach seinem Tode ließen mir nichts zu sagen übrig, wogegen große, mehr in der Dunkelheit geleistete Dienste seitens dieser Lobschriften nicht der Vergessenheit entzogen wurden, vielleicht nicht entzogen werden konnten. Denn die Zeit löscht alle Eindrücke aus, und der folgenden Generation fehlen die Zeugen der Taten der vorhergehenden. Das Andenken der Begebenheiten schwindet, die Namen gehen verloren, und die Geschichte bleibt nur ein unvollkommener Entwurf, oft zusammengefügt durch Trägheit und Schmeichelei.«

Dies genüge. Man muß diese Rede mit demselben geschärften Auge lesen wie die Medailloninschriften des Monuments. Auch diese Feier, wie schon hervorgehoben, war eine Demonstration. Ihr Held war Prinz August Wilhelm, der Vater des Fürsten, der, eben zum Throne gelangt, seines alten Oheims, des Rheinsberger Prinzen, entraten zu können glaubte, jenes »Sonderlings«, der wohl verstanden hatte, Schlachten zu schlagen, aber kein Herz hatte für Wein und Frauen.

Große Festlichkeiten sind dieser Enthüllungsfeier nicht mehr gefolgt; die Schwere des Alters fing an zu drücken, und Einsamkeit und Stille wurden erstes, wenn auch nicht ausschließliches Gebot.

Bis hieher bin ich bemüht gewesen, das Rheinsberger Leben aus der Epoche von 1786 bis 1802 in seinen allgemeinen Zügen zu schildern. Ich gehe nun zu den einzelnen Persönlichkeiten über, die während dieser Zeit die Umgebung des Prinzen bildeten, und hoffe dabei Gelegenheit zu finden, ein bisher nur in seinen Umrissen gegebenes Bild durch allerlei Details vervollständigen zu können.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil