Abschnitt 2

Rheinsberg


Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802


Der Vormittag gehörte der Arbeit, während der Nachmittag der Gesellschaft, dem Diner, der Lektüre 1) , dem Schauspiel und der Musik gewidmet war. Nur gelegentlich fanden Ausflüge statt, und noch seltener waren Feste, für die der Prinz, in früheren Jahren, eine entschiedene Vorliebe gehegt hatte.

Wenden wir uns zunächst dem Vormittage zu, der Arbeitszeit des Prinzen. Da er (unähnlich seinem großen Bruder, mit dem er übrigens die Antipathie gegen die Jagd gemein hatte) von der Landwirtschaft eine niedrigste Meinung hegte, zugleich auch offen aussprach, daß das Säen und Ernten zwar sehr wichtig, aber Sache jedes Bauern sei, so nahm ihm die Verwaltung seiner Besitzungen, die er seinen Pächtern und Inspektoren überließ, nichts von seiner Zeit. Er konnte dieselbe vielmehr ungestört seinen Studien widmen. Unter diesen stand das Studium der Kriegswissenschaften und der schönen Literatur, soweit sie Frankreich betraf, obenan. Er las mit nie sich abschwächender Vorliebe die Werke der französischen Philosophen, schwärmte für Voltaire und schrieb selber Verse, von denen mit satirischem Anfluge bemerkt worden ist, »daß sie lebhaft an die Verse seines Bruders erinnert hätten«. Übrigens wurden seine dichterischen Versuche von seinen französischen Vorlesern entfehlert, erst von Francheville, dann von Toussaint. Neben diesen poetischen Versuchen war es eine sehr ausgedehnte Korrespondenz, was seine Zeit in Anspruch nahm, und neben dieser Korrespondenz wiederum die Niederschreibung seiner Memoiren. Von diesen ist wenig zur Kenntnis der Welt gelangt. Seine Kritik des Siebenjährigen Krieges oder, mit anderen Worten, des Königs selbst ruht, wenn sie nicht vernichtet ist, wie manche vermuten, uneröffnet und zunächst unzugänglich in unsern Archiven. Andre seiner Arbeiten haben es verschmäht, unter dem Namen ihres erlauchten Verfassers in die Welt zu treten, und sollen sich (wenigstens teilweis) in den militärischen Schriften wiederfinden, die zwischen 1802 und 1804 vom Grafen La Roche-Aymon, dem letzten Adjutanten des Prinzen, veröffentlicht wurden. Ein besonderes Interesse, das mag schon hier eine Stelle finden, nahm er an den Kriegs- und Siegeszügen Moreaus, welchen letztren er über Bonaparte stellte, wobei freilich nicht vergessen werden darf, daß der Prinz 1802 bereits starb, also früher, als die großen Napoleonischen Schlachten, die so viele Staaten zertrümmerten, geschlagen wurden. Er erlebte nur Marengo noch. Seine Gegner haben nichtsdestoweniger aus dieser Vorliebe für Moreau den Schluß ziehen wollen, daß der Prinz nur ein Pedant und trotz aller seiner Korrektheit oder vielleicht auch um dieser willen nicht imstande gewesen sei, das wirkliche Genie zu begreifen.

Die Nachmittagsstunden gehörten zunächst dem Diner. Man aß zur Winterzeit im Schloß, während des Sommers aber, sooft es das Wetter erlaubte, im Freundschaftstempel oder auf der Remus-Insel. Der Prinz war persönlich außerordentlich mäßig, und eine gebackene Speise, wie sie sein Bruder liebte: Makkaroni, Knoblauchsaft und Parmesankäse, hätt ihn einfach getötet. Wie er die Frauen nicht liebte, so auch nicht den Wein, aber er war billig denkend genug, seinen Privatgeschmack nicht zum allgemeinen Gesetz zu machen, und seine Küche wie sein Keller ließen niemanden darben. Die Unterhaltung, wenngleich innerhalb gewisser Formen verbleibend, wie sie die Gegenwart eines Prinzen und noch dazu eines solchen erheischte, war doch innerlich vollkommen frei. Von Krieg und Kriegführung wurde selten gesprochen; es schien als etwas zum Metier Gehöriges verpönt. Er war sehr eitel, und stilvolle Huldigungen, auch solche, die dem »siegreichen Feldherrn« galten, nahm er gern entgegen, aber er war andererseits viel zu vornehm, um das Gespräch auf seine Taten und Siege hinzulenken. Daß er Unterhaltungen der Art vermieden wünschte, sprach sich schon darin aus, daß niemand in Dienstkleidung (Uniform) erscheinen durfte; Hof- oder Gesellschaftskleid war Vorschrift. Das Gespräch drehte sich um Fragen der Kunst und Wissenschaft, um philosophische Kontroversen und Dinge der Politik. Über letztere sprach er mit großer Freimütigkeit, mißbilligte beispielsweise den endlich zu dem Frieden von Basel führenden Krieg Preußens gegen Frankreich und zeigte bis zuletzt gewisse Sympathien mit der Französischen Revolution. Ob diese Sympathien (so bemerkt Heinrich von Bülow) in wirklicher Vorliebe für freie Staatsverfassungen wurzelten oder nur ein Resultat der Anschauung waren, »daß alles Französische gut sei, auch eine französische Revolution«, mag dahingestellt bleiben. In ähnlich offner Weise nahm er Partei für die Polen, und dieselbe Teilung, zu deren Vollziehung er als gehorsamer Diener seines Königs am Hofe Katharinas mitgewirkt hatte, hielt er nichtsdestoweniger weder für ein Meisterstück der Politik noch für eine Handlung der Gerechtigkeit. Mit besonderer Vorliebe wurden metaphysische Sätze beleuchtet und diskutiert, und alle jene wohlbekannten Fragen, auf deren Lösung die Welt seitdem verzichtet hat, wurden unter Aufwand von Geist und Gelehrsamkeit und mit Zitaten pro und contra immer wieder und wieder durchgekämpft.

Dem Diner folgte, wenn auch nicht täglich, so doch so oft wie möglich, Theater oder Konzert. Über die Stücke, die zur Aufführung kamen, hab ich nichts Bestimmtes erfahren können, aber es scheint fast, als ob Voltaire, wie den Kreis der Anschauungen und Unterhaltungen, so auch die Bühne beherrscht habe. Gleicherweise wie die Namen der Stücke sind auch die der Künstler, die darin mitwirkten, bis auf wenige verschollen; Blainville, der Liebling des Prinzen, Demoiselle Toussaint, eine Tochter oder Schwester des Vorlesers, Demoiselle Aurore, vor allem aber Suin de Boutemars sind die einzigen, die sich durch das eine oder andere Ereignis im Gedächtnis der Stadt Rheinsberg erhalten haben.




1) »Die Bibliothek des Prinzen«, schreibt Heinrich von Bülow, »war sehr ansehnlich. Er besaß auch ein Exemplar der Bibel, aber er las nur darin, wie man sich in einem Prozeß um die Akten der Gegenpartei kümmert.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil