Abschnitt 1

Rheinsberg


Zwischen Boberow-Wald und Huwenow-See
oder
Der Rheinsberger Hof von 1786 bis 1802


Bis 1786 war der Aufenthalt des Prinzen Heinrich in Rheinsberg ein vielfach unterbrochener: Kriege, Reisen und diplomatische Missionen hielten ihn jahrelang fern. Erst von 1786 ab gehörte er dem »stillen Schloß am Boberow-Walde« mit einer Art von Ausschließlichkeit an.

Das beinah völlige Sichfernhalten von der Welt, das nun eintrat, war nur zu kleinerem Teile des Prinzen freie Wahl. Den großen König, seinen Bruder, hatte er nie geliebt, aber doch respektiert, und erst nach dem Tode desselben war ein Wesen oder auch Unwesen in den Regierungskreisen eingerissen, das ihm eine Beteiligung daran (die wie Gutheißung ausgesehen hätte) zur Unmöglichkeit machte. Hierzu kam, daß man auch andrerseits, will also sagen auf seiten des Hofes, ohne ihn fertig werden zu können glaubte. Man erbat seinen Rat nicht mehr, und so gab er ihn auch nicht mehr. Mit höchster Mißbilligung sah er auf den Einfluß der Rietz und ihres Anhangs. »In dieser Spelunke ist alles infame«, sprach er laut vor sich hin, als er eines Tages an dem Palais der (späteren) Gräfin Lichtenau vorüberkam. Das entschied. Ein Prinz, der, bei sonst großer Zurückhaltung, über die Favoritin ein solches Wort äußern konnte, gehörte nicht mehr an den Hof und sprach dadurch seine eigene Verbannung aus.

Die Verstimmung des Prinzen war eine so tiefe, daß ihm Rheinsberg nicht mehr fern und abgelegen genug erschien, weshalb denn auch der Wunsch immer lebendiger in ihm wurde, seiner Tage Rest in Frankreich zu verbringen. Schon 1784 hatte er sich schweren Herzens von Paris getrennt und dem Herzoge von Nivernois die Worte zugerufen: »Ich verlasse nun das Land, nach dem ich mich ein halbes Leben lang gesehnt habe und an das ich, während der zweiten Hälfte meines Lebens, mit so viel Liebe zurückdenken werde, daß ich fast wünschen möchte, ich hätt es nicht gesehn.« Nach diesem Lande seiner Sehnsucht zog es ihn jetzt mit verdoppelter Kraft, aber die Götter waren seinem Vorhaben nicht hold, und es schien, daß er dem engen Kreise verbleiben sollte, dem er seit fast vierzig Jahren, wenn auch mit mancher Unterbrechung, angehört hatte. 1787 machten politische Konstellationen die Übersiedlung nicht möglich, 1788 im Juni ging er wirklich und trat auch wegen Ankaufs eines in der Nähe von Paris gelegenen Grundbesitzes in Unterhandlungen ein, aber ehe sie zum Abschluß gelangen konnten, zogen die Wetter der Revolution immer drohender herauf, und der Prinz, der sich nach Ruhe sehnte, kehrte schweren Herzens in seine Rheinsberger Einsiedelei zurück.

Von da ab gehörte er derselben ganz.

Meine Aufgabe wird in folgendem darin bestehen, den Prinzen in diesem seinem Stilleben zu schildern und mit einiger Bestimmtheit festzustellen, in welcher Art und welcher Genossenschaft er das letzte Jahrzehnt seines Lebens verbrachte.

Diese meine Aufgabe war insoweit schwierig, als gedruckte Mitteilungen aus jener Epoche so gut wie gar nicht vorliegen, aber ich genoß dafür des Vorzuges, Personen zu begegnen, die jene letzten Prinz-Heinrich-Tage teils noch miterleben durften oder doch von ebendiesen Tagen wie von etwas Jüngstgeschehenem hatten sprechen hören. Es bezieht sich dies namentlich auf die Mitteilungen über den Major von Kaphengst und den Grafen und die Gräfin La Roche-Aymon.

Die Rheinsberger Kirche hat zwei Glocken aus dem Jahre 1780. Die kleinere bedeutet wenig, desto mehr die größere, darauf wir folgende Namen verzeichnet finden: Prince Frédéric Henri Louis de Prusse, frère du roi. Major de Kaphengst. Baron Frédéric de Wreich. Baron Louis de Wreich. Baron de Kniphausen. Baron de Knesebeck. de Tauentzien. Alle diese waren Kavaliere des Prinzen. Rechnen wir hierzu den Bibliothekar und Vorleser des Prinzen, erst Francheville, dann Toussaint, danach die Mitglieder einer französischen Schauspielertruppe samt einer deutsch-italienischen Kapelle, schließlich aber eine Anzahl Kammerdiener, Lakaien und Leibhusaren, so haben wir alles beisammen, woraus sich 1780 der Rheinsberger Hof zusammensetzte. Die vorgenannten Kavaliere wohnten im Kavalierhause, die Lakaien und Kammerdiener im Schloß, endlich die Künstler aller Art in der Stadt zur Miete.

Einen zweiten sicheren Anhaltepunkt, ebenso zuverlässig wie die Glockeninschrift, geben uns die »Dernières Dispositions« des Prinzen, aus denen wir ersehen, daß um 1802 der Hofmarschall Graf Röder, der Adjutant Graf La Roche-Aymon, der Kammerrat Lebeauld und der Baurat, Herr Steinert, die Umgebung des Prinzen bildeten. Major von Kaphengst, Baron Knesebeck und Tauentzien lebten noch; unter allen Umständen aber gewinnen wir, wenn wir die bestimmt verbürgten Namen von 1780 und 1802 zusammentun, einen Überblick über die Mehrzahl der Persönlichkeiten, die während der letzten zwanzig Jahre die Träger und Repräsentanten des Rheinsberger Hoflebens waren.

Über jeden der Genannten werd ich einige Worte zu sagen, über Kaphengst und La Roche-Aymon aber mich ausführlicher zu verbreiten haben. Eh wir indes zu diesen Personalien übergehen, versuch ich es zuvor, in allgemeinen Zügen festzustellen, unter welcher Benutzung der Zeit die Rheinsberger Tage verflossen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil