Abschnitt 2

Rheinsberg


Rheinsberg


2. Die Rheinsberger Kirche


Wie klein und marklos daneben die französischen Verse, die, seitens eines der Hofpoeten des Prinzen Heinrich, zu Ehren eines Fräulein Elseners (einer Tochter des damaligen Rheinsberger Geistlichen) gedichtet und mit dünnen Buchstaben an den Fuß eines Aschenkrugs geschrieben wurden.

La vertu, la douceur, les charmes,
La firent aimer ici bas;
Aussi voit-on que son trépas
A chacun fait verser des larmes.
Wir liebten sie, weil sie lieblich vereint
Tugend, Sanftmut und Zauber der Wangen;
Jetzt nun, wo sie hinübergegangen,
Folgt ihr die Klage, und jeder weint.

Wir werden noch an andrer Stelle Versen der Art begegnen. Inmitten des Parks, der reich daran ist, erfreuen sie; hier aber, unter deutschen Liedern und Kernsprüchen, stören sie bloß und würden auch dann noch stören, wenn sie bedeutender wären, als sie sind. Es zeigt sich deutlich, daß die Kirche der gemiedene Schauplatz der Voltairianer war, ein unheimlicher, gotisch gewölbter Keller, für den es sich nicht verlohnte, wenn eine Elsener oder ein Pitschner starb, eine besonders poetische Kraftanstrengung zu machen.

Die Rheinsberger Kirche weist noch eine Reihe kleiner Sehenswürdigkeiten auf, die hier wenigstens in Kürze namhaft gemacht werden sollen. Unter diesen ist ein Kristallglas-Kronleuchter, den die Rheinsberger Jungfrauen hier aufhingen und zum ersten Male mit Lichtern schmückten, als im Sommer 1763, in Gegenwart des Prinzen Heinrich, das Friedensfest gefeiert wurde. Da begegnen wir weiterhin einem alten, aus gebranntem Tone gefertigten und mit Wappen und Malereien reich verzierten Taufsteine, den drei Geschwister Sparr (Franz, Anna und Sabina) der Kirche schenkten, und da fesselt uns drittens eine der Renaissancezeit angehörige Kanzel, die »Jobst von Bredows getreue Witwe«, mit allerhand Wappen der Bredows, Hahns und Schulenburgs ausgestattet, der Rheinsberger Kirche stiftete. Gegenüber dieser Kanzel, an der schweren alten Eichentür, die, von dem eingangs beschriebenen Vorbau her, in die Mitte der Kirche führt, stand am Pfingstsonntage 1737 König Friedrich Wilhelm I., eben erst von Berlin her in Rheinsberg eingetroffen. Als ein frommer Christ, der nicht leicht einer Predigt vorüberging, war er, eh er den kronprinzlichen Sohn im Schloß drüben überraschte, zuvor noch in die Kirche getreten. Und das war gut. Aber freilich, ein so frommer Herr er war, ein so strenger Herr war er auch, und der alte Geistliche Johann Rossow, der das Glück oder Unglück hatte, den König schon von früher her zu kennen, erschrak beim Anblick Seiner Majestät dermaßen, daß er nur noch fähig war, mit zitternder Stimme den Segen zu sprechen. Worauf der König mit dem Stock nach der Kanzel hinauf drohte, eine Form der Aufmunterung, die begreiflicherweise völlig ihres Zwecks verfehlte. Johann Rossow starb bald nachher infolge des Schrecks. Im übrigen aber muß Rheinsberg und ganz besonders sein Pfarrhaus immer eine gesunde Luft gehabt haben. Von 1695 bis 1848, also in mehr als 150 Jahren, finden wir daselbst nur vier Prediger.

Noch eines Kindergrabmals sei gedacht. Es stammt ebenfalls aus der alt-Bredowschen Zeit her und steht rechtwinklig auf das umfangreiche Monument des Achim von Bredowschen Ehepaars, das ich oben beschrieben. Ich würde dieses kleineren Denkmals, das die mittelmäßigen Bildnisse zweier Kinder, eines Mädchens und eines Knaben von drei bis vier Jahren, aufweist, an dieser Stelle gar nicht Erwähnung tun, wenn sich nicht, als an einem Musterbeispiele, daran zeigen ließe, wie und woraus Geschichten entstehn. Es wird einem nämlich erzählt, beide Kinder hätten am See gespielt und wären durch einen nicht aufgeklärten Zufall ertrunken. In der Hoffnung auf näheren Aufschluß unterzog ich mich einer Entzifferung der Umschrift. Und was fand ich? Das Mädchen war am 25. Februar, der Knabe am 4. März 1586, also acht Tage später, gestorben. Die bloße Datenangabe genügte hier völlig, alles das, was erzählt wird, als ein Märchen erkennen zu lassen. Aber eine Prüfung der Bildnisse selbst ergab mir auch den Ursprung der Fabel. Das lang herabhängende blonde Haar des Mädchens sah täuschend aus wie halbkrauses Lockenhaar, das im Wasser seine Krause verloren hat und nur noch leise gewellt, wie eine kompakte Masse, über den Nacken fällt. Einfach der Anblick dieses Haares, das nur deshalb wie vom Wasser zusammengehalten aussieht, weil es der Steinmetz nicht besser und natürlicher machen konnte, hat der kleinen Erzählung von den im See ertrunkenen Geschwistern die Entstehung gegeben.

Ihre größte Sehenswürdigkeit hat die Rheinsberger Kirche seit einem Menschenalter eingebüßt. Es war dies das alte Grabgewölbe, darin sich die Särge der Familien von Eichstädt und Sparr und besonders der Familie von Bredow befanden. Damals war die jetzt zugemauerte Gruft jedermann zugänglich, und nur am Schall des Tritts erkennt man auch heute noch, daß der Boden hohl ist, über den man hinschreitet. Ehe mit der Zumauerung begonnen wurde, schaffte man die drunten stehenden vierzig Särge noch einmal ans Tageslicht und öffnete die Deckel. Und so paradierten sie wochenlang im Schiff der Kirche. Vor demselben Altare, vor dem die Gesichter einiger Bredows in die großen Sandsteinplatten eingegraben waren, standen jetzt die Toten in ihren halbaufgerichteten Särgen und blickten geschlossenen Auges auf ihre eigenen Bildnisse herab. Endlich aber war die Zeit da, wo die Toten wieder in ihre mittlerweile gelüftete Gruft zurück mußten, und Achim von Bredow, dem man, als dem Vornehmsten, eine Flasche mit einem beschriebenen Zettel darin mit in den Sarg gegeben, eröffnete den Reigen. Auf dem Zettel aber stand, daß Träger dieses Herr Achim von Bredow sei, der in Genossenschaft vieler Bredows, Eichstädts und Sparrs hier 300 Jahre lang geschlummert dann behufs Lüftung der Gewölbe vier Wochen lang im Kirchenschiffe zu Rheinsberg ausgestanden und im Maimonat 1844 seine alte Wohnung wieder bezogen habe. Daran schloß sich eine Chronik und die Namensunterschrift von Bürgermeister und Rat.

Und nun noch eins.

Während der Zeit, daß die Särge geöffnet im Kirchenschiffe standen, trug sich eine Geschichte zu, die, mit ihrem gespenstischem Anfluge, die Gemüter der Rheinsberger allerdings auf Wochen hin beschäftigen durfte. Unter den Toten befand sich nämlich auch eine Margarete von Eichstädt, eine schöne Frau, die bei jungen Jahren gestorben war. Ihre weißen Grabgewänder waren noch wohlerhalten, um den Hals trug sie reiches Geschmeide und endlich auch einen schmalen Trauring am Ringfinger der rechten Hand. Tag und Nacht hatten Wächter in der Kirche gestanden. Als nun die Zeit kam, wo die Särge wieder geschlossen werden sollten, bemerkte man, daß der Ring am Ringfinger Margaretes von Eichstädt fort war. Ein gewöhnlicher Diebstahl konnte nicht vorliegen, das reiche Halsgeschmeide war unberührt geblieben, und nur eben der Ring fehlte.

Wer trug ihn jetzt?

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil