Abschnitt 2

Die Ruppiner Schweiz


Die Menzer Forst und der Große Stechlin


Das Revier, das uns hier aufnahm, war das Revier der Glashütten, die wie Squatter-Ansiedlungen am Waldsaume lagen. Hütte neben Hütte; sonst nichts sichtbar als der Rauch, der über die Dächer zog. Nur bei der Globsower Glashütte, die (hart an einer Buchtung des Großen Stechlin gelegen) einen weitverzweigten Handel treibt mit Retorten und Glaskolben, nur hier herrschte Leben, am meisten in der schattigen Allee, die, von den Wohn- und Arbeitshütten her, zur Ladestelle hinunterführte. Hier spielten Kinder Krieg und fochten ihre Fehde mit Kastanien aus, die zahlreich in halb aufgeplatzten Schalen unter den Bäumen lagen. Die einen retirierten eben auf den See zu und suchten Deckung hinter den großen Salzsäureballons, die hier dichtgereiht am Ufer des Stechlin hin standen, aber der Feind gab seinen Angriff nicht auf, und die Kastanien fielen hageldicht auf die gläserne Mauer nieder.

Tausend Schritte weiter südwärts, da, wo sich ein paar Wege kreuzen und das ansteigende Terrain einen Überblick über eine Lichtung und ein inmitten derselben gelegenes Wasserbecken gestattete, fiel uns eine parkartige, von alten Eichen überragte Einfriedigung auf, an deren Front wir, als wir hielten und abgestiegen waren, die Worte »Metas Ruh« lasen und leicht erkannten, daß wir uns hier auf dem Friedhofe der Glashüttenaristokratie dieser Gegenden befinden müßten. Aber »Metas Ruh« (soviel leuchtete kaum weniger ein) konnte nicht wohl die Bezeichnung für diesen Begräbnisplatz überhaupt, sondern nur der Name für jenen seltsamen Bau sein, der sich inmitten dieses Eichenkampes erhob. Hohlwegartig, die Seitenwände gemauert lief in leiser Schrägung ein absteigender Gang auf eine Gittertüre zu, hinter der wir leidlich bequem in das Dunkel einer rundgewölbten Gruft blicken konnten. Drei, vier Särge waren sichtbar. Über diesen Tatbestand hinaus aber schien unsere Neugier nicht befriedigt werden zu sollen.

Wir hatten uns auch bereits darin ergeben, als ein Alter, den wir von Dagow her des Weges kommen sahen, unsere Hoffnung neu belebte. » Der wird es wissen.« Und jetzt war er dicht heran.

»Guten Tag, Papa.«

»Goden Dag ook.«

»Was bedeutet dies ›Metas Ruh‹? Wer ist Meta?«

»Meta wihr sien ihrste Fru.«

Die Sache schien sich hiernach nicht allzu rasch entwickeln zu sollen, weshalb wir uns setzten und den Alten einluden, auch Platz zu nehmen. Er blieb aber stehen und erzählte.

»Meta, as ick Se all seggt hebb, wihr sien ihrste Fru. Un as se nu starven deih, doa wihr he ganz van een und bugte ehr disse Gruft. Awers, as dat so geit, int dritte Joar, doa hädd he wedder ne Fru, un noch dato een, de he sien besten Frünn wegnoamen hädd. Na, he leevde joa sowiet janz goat mit ehr, man blot, dat he keen Roh nich hädd un nich sloapen künn, un de Lüd hier herümmer (he wihr dunn in Strelitz), de seggten: ›Dat wihr man bloot, wiel sien ihrste Fru nich richtig begroaben wihr. De Doden, de möten in de Ihrd‹, seggten se, ›un nich in so 'n Keller.‹«

»Und wer war es denn? Wie hieß er?«

»Da weet ick nich. Awers dat weet ick, dat he eens Dags hier ankoamen un to sien Verwann'n seggen deih: ›Kinnings, wi wülln dat Dings nu inriten und hunnert Fuhren Ihrd upschüdden.‹ Awers dat wullen joa nu siene Verwann'n nich. ›Dat kannste nich dohn‹, seggten se, ›wi hebben joa nu ook all en poar von uns mit in. Un denn, wat wühren de Lüd seggen, wenn du dien eegen »Metas Ruh« wedder inriten deist?‹«

»Und was wurde?«

»Nu, he seggte joa vörihrst wieder nix un woahr man bloot noch so veer or fiew Doag hier rümmer; awers as nu sülwigen Harwst wedder een in de Gruft rinn süll, doa wihr joa Meta nich mihr in. Un nu frögten se so lang, bis et rutkäm. Een von de Globsower Glashüttenlüd, de all Nacht um Klock een up Arbeit güng, de wiehr niglig west und hädd öwern Tuhn kuckt, und doa hädd he joa siehn, dat een een Sark uttrecken un dat Sark inn Graff insetten deih, dat he all vörher moakt hädd. Und nu seggen s', dat is he west. Ick weet et nich. Awers dat heww ick immer hührt, dat he von dunn an sloapen künn.«

Wir dankten dem Alten, und weiter ging es in den bereits dunkelnden Forst hinein. Willkommen waren uns jetzt die lichten Stellen, wo gerodet war oder aber auf graugelben Sandstrecken nichts andres wuchs als niederes, aus dem Samen windverschlagener Kienäpfel aufgeschossenes Buschwerk.

Eine solche Heidestrecke lag eben wieder hinter uns, als wir in die namengebende Metropole dieser Gegenden, in Groß-Menz, einfuhren. Es fielen Worte wie Burgwall, Ritter Menz, hohles Gemäuer, unterirdischer Gang, alles verlockendste Klänge also, die mich sechs Stunden früher in den Zirkel dieses Dorfs wie in einen Zauberkreis gebannt haben würden. Aber bei dem schon herrschenden Zwielicht siegten allerlei kritische Bedenken, und statt den Forderungen wissenschaftlicher Neugier nachzugeben, ging es in wachsender Hast, über den beinah städtisch angelegten Dorfplatz hinweg und an einer lindenumstandenen Oberförsterei vorüber, in die mit jedem Augenblicke reizloser werdende Landschaft hinein.

Nicht nur Groß-Menz lag hinter uns, auch die Groß-Menzer Forst.

Immer kühler wurd es; wir wickelten uns in unsre Plaids, und niemand sprach mehr. Die prustenden Pferde warfen den Schaum nach hinten, und Acker, Sand und Schonung – immer schattenhafter kamen und schwanden sie. Jetzt ein Steindamm, jetzt lange Pappelreihen, und nun auch jener wärmere Luftstrom, der uns die Nähe menschlicher Wohnungen bedeutete. Noch eine Biegung, zwischen den Bäumen hindurch schimmerte Licht, und – unser Wagen hielt.

Eine halbe Stunde später, und der hohe Kamin sah uns im Halbzirkel um seine Flamme versammelt. Die Scheite, echte Kinder der Menzer Forst, brannten hoch auf, auf uns hernieder aber sahen die Ahnen des weitverzweigten Hauses: die Neales, die Oettinger und La Roche-Aymon, und zwischen ihnen das leuchtende Bild des »Saalfelder Prinzen«.

Die Rede ging von alter und neuer Zeit. Märchenhaft verschwamm uns Jüngsterlebtes mit Längstvergangenem, und während wir eben noch über den Rheinsberger See hinglitten und das Gekicher schöner Frauen zu hören glaubten, weitete sich plötzlich das stille Wasserbecken und bildete Strudel und Trichter, und der Hahn, der unten auf dem Grunde des Großen Stechlin sitzt, stieg herauf und krähte, seinen roten Kamm schüttelnd, über den See hin.

Mitternacht war heran, die Scheite verglimmten, und nur ein Flackerschein spielte noch um die Bilder. Es war, als lächelten sie.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil