Nachspiel

Die Ruppiner Garnison


Regiment Prinz Ferdinand Nr. 34
1742 bis 1806


Die Trümmer des Regiments Prinz Ferdinand hatten bei Pasewalk kapituliert und wurden in größeren und kleineren Trupps in die Gefangenschaft abgeführt. Viele befreiten sich unterwegs, und ihre Erzählungen bildeten, bis die Ereignisse des Jahres 1813 dazwischentraten, die Lieblingsunterhaltung auf der Bierbank und am häuslichen Herd. Manches davon hat Prediger Heydemann in seinem schätzenswerten Buche »Neuere Geschichte der Stadt Ruppin« aufgezeichnet.

»Einer«, so erzählt Heydemann, »hatte darauf gerechnet, daß die Gefangenen von Pasewalk über Berlin geführt werden würden. Dort gedachte er zu entspringen und bei seiner Schwester Zuflucht zu suchen. Aber die Gefangenen, von französischen Chasseurs transportiert, mußten über Templin, Oranienburg und Potsdam marschieren. Kurz vor Potsdam wurden sie von Nassau-Usingern und Hessen-Darmstädtern übernommen, die sehr streng mit ihnen verfuhren. Man las ihnen vor, daß jeder Gefangene, der auf der Flucht ergriffen würde, ohne weiteres die Kugel vor den Kopf bekäme, und so geschah es auch bei Wittenberg, wo zwei wieder eingefangene Flüchtlinge vor der Front erschossen wurden. Meistens mußten die Gefangenen nachts unter freiem Himmel liegen, ihr Schuhzeug war zerrissen. In Fulda (human genug) wurden 200 Paar Schuhe verteilt. An ebendiesem Ort erkrankte auch der Gefangene, über dessen Schicksal ich hier berichte. Er beschloß, trotz Krankheit, weiter mitzumarschieren und die nächste Gelegenheit wahrzunehmen. Und diese fand sich denn auch. In Steinau wurd er mit seinen Mitgefangenen in die Kirche gesperrt, in die bald danach ein alter Mann eintrat, um ihnen Essen zu bringen. Den bat er ohne weiteres, ihn zu befreien. ›Wes Glaubens bist du?‹ – ›Lutheraner.‹ – ›Gut dann will ich dir helfen. Ich habe sieben Kinder; wer weiß, wer ihnen einmal hilft.‹ Und er bracht ihm wirklich alte Kleidungsstücke, die der Gefangene bei Dunkelwerden anzog und in denen er gleich danach unter eine Bank kroch, um von den Aufpassern nicht erkannt zu werden. Da lag er denn in bitteren Ängsten die Nacht hindurch und nahm seine Zuflucht zum Gebet. ›Befiehl du deine Wege‹, sagte er zu allen seinen Versen zu vielen Malen vor sich her, bis er Trost und Ruhe darin fand. Und endlich brach der ersehnte Morgen an. Da kam, samt andern Leuten, auch der alte Mann wieder, mit zwei Töpfen in der Hand, als wenn er dem Gefangenen etwas zu essen bringen wolle. Die Töpfe waren aber leer. Er gab sie nun dem umgekleideten Soldaten, und dieser ging unerkannt zur Kirche hinaus. Erst acht Tage nach Ostern traf der auf diese Weise glücklich Entkommene wieder in Ruppin ein. Ein volles halbes Jahr war seit dem Kapitulationstage vergangen.«

Der Rest der Gefangenen passierte den Rhein und wurde zum größten Teil in und um Nancy interniert. Andere sahen sich bis in die Pyrenäen geschleppt und da keine Nachrichten von ihnen eintrafen, schuf ihr Schicksal Sorge und Ungewißheit in vielen Herzen. Auch äußere Not blieb nicht aus, namentlich im Kreise der Offiziersfrauen, für die man in jenen Unglücksjahren weder Pensionen noch Unterstützungen hatte. Denn nicht einer jeden ward eine so wunderbare Hilfe zuteil wie der Frau von der Recke, von der uns Heydemann erzählt. Der Gatte dieser, der sein Ehrenwort zu geben verweigert hatte, war gefangen auf eine der atlantischen Inseln abgeführt worden, und Frau von der Recke glaubte, daß er gefallen sei. Nur sein Handkoffer kam wie durch Zufall in ihre Hände; sie wagte jedoch nicht, ihn zu öffnen, weil sie nur Schmerz und Aufregung davon befürchtete. Ganz zuletzt erst, in immer wachsender Not, entschloß sie sich dazu, mutmaßlich, um den Inhalt des Koffers zu Gelde zu machen. Aber welch Erstaunen, als sie, sorglich zwischen die Wäsche gepackt fünfzig Friedrichsdor entdeckte, die Herr von der Recke von seinem Ersparten da hineingelegt hatte. Das half über die Not vieler Monate hinweg, und endlich traf auch ein Brief ein, der Auskunft über das Schicksal des schon tot Geglaubten gab.

Anno 9 erst kehrten die Gefangenen in ihre heimische Grafschaft zurück. Alle, die noch fähig waren, Waffen zu tragen, traten wieder ein; aber es geschah in neugebildete Regimenter. Das Regiment Prinz Ferdinand war hinüber, und endlich schien selbst die Erinnerung daran erloschen.

Da noch einmal wurde diese wieder wach.

Es war im Mai 66, die Glocken gingen, und alle die, die's noch nicht wußten, erfuhren auf ihre Frage, daß die alte Frau von Hagen heute begraben werde. Sie war dreiundachtzig. Am 31. August 1806 war der Hauptmann von Hagen (erst seit wenig Wochen vermählt) mit dem Regimente Prinz Ferdinand ausgezogen und hatte, von seinem ersten Marschquartier Fehrbellin aus, eine noch verspätet im Superintendentengarten blühende Rose als letzten Liebesgruß an seine Gattin geschickt. Seitdem kein Wort, kein Zeichen mehr, denn Hauptmann von Hagen war mit unter denen, die den Tag von Auerstedt nicht überlebten und am Abend, still für immer, am Dorfrande von Hassenhausen lagen.

Die Rose, sein einzig Vermächtnis, hatte ein treues Herz durchs Leben hin begleitet; jetzt war auch dieses still, und über beiden wölbte sich das Grab.

Das war die letzte Erinnerung an das Regiment Prinz Ferdinand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil