Abschnitt 2

Auf dem Plateau


Kränzlin


Beide Tafeln befinden sich in der Mitte der Kirche. Die eine, bronzen und in gotischen Formen ausgeführt, trägt folgende Inschrift: »Mit Gott für König und Vaterland. Ernst Hermann Scherz, geboren den 8. September 1848 zu Kränzlin, Einjährig-Freiwilliger im brandenburgischen Husarenregiment Nr. 3 (Zieten-Husaren), fiel am 26. Dezember 1870 bei Olivet, südlich Orléans.«

Die Inschrift der schwarzen Marmortafel gegenüber lautet wie folgt: »Für König und Vaterland starb im Kriege gegen Frankreich am 26. August 1870 zu Vionville, infolge seiner in der Schlacht bei Mars-la-Tour erhaltenen Verwundung, Rudolph Hartmann. Einjährig-Freiwilliger im 4. brandenburgischen Infanterieregiment Nr. 24, im Alter von einundzwanzig Jahren.«

Die lapidare Kürze der Inschriften verrät nichts von dem Weh, das die Todesfälle dieser beiden Jünglinge schufen. Beide zu Kränzlin geboren, beide gleichen Alters, beide Einjährig-Freiwillige, standen sie im selben Armeecorps gegen denselben Feind. Mit ihnen waren dreiunddreißig andere Kränzliner in den Krieg gezogen, und alle kehrten zurück, wenn auch verwundet; die einzigen zwei, die die Heimat nicht wiedersahen, waren die Söhne der Gutsherrschaft und des Gutsadministrators. Die Zietensche Hälfte von Kränzlin wird administriert.

Von dem einen sei hier erzählt.

Ernst Hermann Scherz stand in den Weihnachtstagen 1870 mit den Zieten-Husaren in Olivet. Am 25. Dezember war seitens einer Franctireurabteilung, die sich in einem zwischen Olivet und Chaumont gelegenen Walde festgesetzt hatte, auf eine Patrouille geschossen worden. Daraufhin erfolgte der Befehl, den Maire von Chaumont zu verhaften. Ein Unteroffizier und vier Husaren, die sich sämtlich als Freiwillige gemeldet hatten, wurden mit Ausführung dieses Befehls beauftragt.

Am 26. um zwei Uhr morgens brach dies Kommando auf. Zu früher Stunde war man in Chaumont, verhaftete den Maire und trat den Rückweg mit ihm an. Der Gefangene hatte in einem requirierten Wagen Platz gefunden; links neben ihm (zu Pferde) der Unteroffizier, zwei Husaren vorauf, die beiden andern schlossen. Als der Zug das Wäldchen erreicht hatte, aus dem am Tage zuvor auf die Patrouille geschossen worden war, nahm Hermann Scherz, der die Tête hatte, eine an der Lisière hin aufgestellte, kaum noch nach Deckung suchende Franctireurabteilung wahr und rief dem Unteroffizier zu: »Wir werden gleich unter Feuer kommen!« Dies waren seine letzten Worte. Schüsse fielen, und H. Scherz stürzte leblos aus dem Sattel; ebenso wurde das Pferd seines Nebenmannes tödlich getroffen, der, rasch erkennend, daß in dieser Lage nichts mehr zu helfen sei, sich in den Sattel des stehengebliebenen Scherzschen Pferdes warf und in Gemeinschaft mit dem Rest des kleinen Kommandos auf Olivet zusprengte.

Hier wurde sofort Meldung gemacht. Der Rittmeister ließ 100 Husaren aufsitzen, requirierte 26 Jäger vom 3. Jägerbataillon, und fort ging es, wieder dem Wäldchen zu. Als man den Punkt erreichte, wo der Überfall stattgefunden hatte, lag die Leiche des Gefallenen, ausgeplündert und entkleidet, auf der Chaussee. Die wütenden Kameraden wandten sich von der Leiche fort, umstellten das Gehölz und gingen wie zu einem Kesseltreiben vor. Der ganze Franctireurhaufen steckte noch darin, einzelne fielen, bis man zuletzt ein Dutzend auf engstem Raume zusammengetrieben hatte. Widerstand wie Flucht waren gleich unmöglich, und so streckten sie die Waffen und ergaben sich unsern Jägern und Husaren. Unter den Gefangenen war auch der Anführer. Man fand H. Scherz' Wertsachen in seinem Besitze, riß ihn an die Stelle, wo die durch ihn geplünderte Leiche lag, und erschoß ihn neben derselben. Ob die andern Gefangenen diesen Tag überlebten, hab ich nicht in Erfahrung gebracht.

Der Heimtransport im Kampfe Gefallener war damals aufs äußerste erschwert, in diesem Falle jedoch ermöglichten es die Verhältnisse. In einen doppelten Sarg eingeschlossen, wie der Erlaß es heischte, traf am 13. Januar die Leiche auf dem Neustädter Bahnhof ein und wurde von Anverwandten in Empfang genommen. Aber die Teilnahme beschränkte sich nicht auf einen engsten Kreis, und man darf sagen, die halbe Grafschaft geleitete diesen Toten auf seinem letzten Gange. Der Weg war weit und noch viele Ortschaften zu passieren; von Turm zu Turm, bei Näherkommen des Zuges, gingen die Glocken, und Prediger und Schuljugend empfingen den Sarg und begleiteten ihn unter Gesang von Dorf zu Dorf. Er empfing die letzten Ehren für viele, die draußen in fremde Erde gebettet worden waren, und jeder beweinte seinen Toten in diesem Toten. Aber über alles bloß Selbstsüchtige hinaus, das unser Erbteil ist, rührte sein Geschick aufs herzlichste, denn auch von ihm hieß es: »Und viele waren, die seiner Sitten Freundlichkeit erfahren.«

Nun ruht er in der Familiengruft, nahe der Kirche.

Wie viele Tafeln in den Dorfkirchen unseres Landes, die dem, der sie zu lesen versteht, eine gleiche Geschichte erzählen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil