Abschnitt 1

Auf dem Plateau


Gentzrode


4. Vom Bau des Gentzroder Herrenhauses 1877 (?) bis zum Mai 1880. Der Krach. Der Prozeß. Alexander Gentz' Übersiedelung nach Stralsund. Sein Tod. Versuch einer Charakteristik seiner selbst und seines Prozesses


Als Alexander Gentz an seiner »Geschichte der Erwerbung« von Gentzrode schrieb, stand er, um es zu wiederholen, auf der Höhe seines Glücks. Er hatte den vollen Glauben an sich und seinen Stern, und der Gedanke lag ihm fern, daß eine Wendung der Dinge je kommen, ihn niederwerfen und demütigen könne. Gegen Warnerstimmen, an denen es nicht fehlte, war er taub, wie jeder in gleicher Lage – der Glückswagen, der ihn trug, mußte sein Ziel erreichen oder in Stücke gehn. Ein Aufhalten gab es nicht.

Und so kam die Katastrophe.

Über die dieser Katastrophe voraufgehende Zeit liegt nur ein kurzer Bericht vor, dem ich folgendes entnehme.

»... Gentzrode wuchs; Wiesen waren neuerdings erworben worden, und die Bäume gediehen noch über Erwarten hinaus, so daß in den Gründerjahren viele Tausende davon verkauft werden konnten. Ausfälle, die trotzdem eintraten, konnten durch die reichen Torfsticherträge leicht gedeckt werden. A. Gentz verfolgte rastlos den Plan einer allgemeinen Arrondierung seines Besitzes, sowohl seiner Äcker in Gentzrode wie seiner Torfgräbereien im Luch. Die Leute nannten ihn den ›alten Blücher‹, in Anerkennung der Energie, mit der er alles durchführte, was er sich vorgesetzt hatte. Die meisten Kämpfe, deren es viele, sowohl mit den Konkurrenten wie mit der Regierung, gab, kostete das Luch, an dessen wachsenden Erträgen alles hing. Und diese Kämpfe wurden im ganzen genommen siegreich geführt. Da, mit einem Male, war es, trotz dieser Siege, mit den ›wachsenden Erträgen aus dem Luch‹ aus und dadurch mit Gentzrode, ja mit dem Wohlstand der Familie vorbei. Wie kam das? Der Torf war über Nacht außer Mode gekommen. Alles brannte Steinkohlen oder Briquettes, und selbst die Ziegeleien, die bis dahin, ein sehr wichtiger Punkt, die Konsumenten der sonst halb wertlosen Torfabgänge gewesen waren, bauten ihre Brennöfen um, um mit Hülfe dieser Neubauten die Vorteil versprechende Mode mitmachen und Steinkohlen statt Torf verwenden zu können. Dies allein hätte genügt, dem Gentzschen Geschäft, dessen solide Grundlage der Torf war, einen tödlichen Schlag zu versetzen; zur Beschleunigung des Niederganges aber stellten sich noch andere Schädigungen ein, die freilich mit den veränderten Konjunkturen in einem mehr oder weniger nahen Zusammenhange standen, zum Teil direkt daraus resultierten. Ein Hauptwerk Alexander Gentz' im Luch war die mit enormen Kosten errichtete große Schiffahrtstraße nach Berlin, der sogenannte Fehrbelliner Kanal samt dem Schwarzen Graben. Alle fremden Kähne, soviel war ihm seitens der Regierung als Ausgleich für das Geleistete zugebilligt worden, hatten, wenn sie die Wasserstraße benutzten, unter dem Namen eines Schleusengeldes einen Zoll an ihn zu zahlen, dessen Beträge zunächst zur Verzinsung respektive Amortisierung des Anlagekapitals dienten. Es waren dies sehr beträchtliche Summen, die sich infolge der plötzlich veränderten ›Konjunkturen‹ ebenfalls rasch herabminderten, so daß a tempo zweierlei hinschwand oder doch ins Schwinden kam:

die Torfgelder für den selbstproduzierten Torf und
die Schleusengelder für die Torfverschiffung der Mitproduzenten.

Aber auch dieser Doppelübelstand erschöpfte noch nicht das Maß der Verlegenheiten. Eine dritte Schädigung kam noch hinzu: Der Sommer und Herbst 77 waren sehr regnerisch gewesen, so daß der im Luch überall umherstehende, teils naß gewordene, teils von Anfang an nicht recht ausgetrocknete Torf (der, wie sich denken läßt eine sehr bedeutende Summe repräsentierte) nicht verschifft, mithin auch das wenige, was von Nachfrage da war, nicht einmal befriedigt werden konnte. Die Folge davon war, daß es schon im Winter 77 auf 78 mit Gentz' Finanzlage kritisch genug stand, bis sich ein Weg fand, dem Unheil noch einmal zu steuern. Dies war durch Verpfändung der gesamten Torfgräbereien mit Rückkaufsrecht. In der Tat nahm alles noch einmal einen gewissen Aufschwung, zum mindesten war auf Jahr und Tag hin ein Stillstand geschaffen. Aber schon am 25. Mai 80 hieß es abermals an der Berliner Börse: ›Gentz ist bankrutt.‹ Und diesmal war kein Einhalt zu tun. Ein Konkursverwalter ward ernannt, der, um ›Verdunkelungen‹ vorzubeugen (es handelte sich um Nachweis etwaiger Schuld aus den Geschäftsbüchern), Gentz' Verhaftung beantragte. Verschiedene Verhöre vor dem Konkursrichter fanden statt, einem vom Verteidiger gestellten Antrage auf Freilassung wurde nicht Folge gegeben, und erst das Landgericht hob in einer Sitzung die weitere Untersuchungshaft auf. Diese Haft hatte zwölf Wochen und fünf Tage gedauert.

Inzwischen schritt man zur Formulierung der Anklage, die schließlich auf Betrug in fünfunddreißig Fällen und außerdem auf einfachen Bankrutt lautete. Seit Beginn der Untersuchungshaft waren bis zur Fertigstellung der Anklage beziehungsweise bis zur Einleitung des Prozesses fast drei Jahre vergangen. Vom 13. bis 15. Februar 83 fanden die Verhandlungen statt. Einige fünfzig Zeugen waren geladen. Der Tatbestand des Betruges war darin erkannt worden, daß Gentz in der Zeit vom 1. Januar bis 4. Juni 80, als angeblich schon eine Unterbilanz vorhanden war, noch zahlreiche Depositen angenommen habe. Nach Ausweis seiner Bücher stellte sich jedoch heraus, daß er am 1. Januar genannten Jahres noch eine Überbilanz von 790 000 Mark gehabt. Damit fiel die Betrugsanklage zu Boden, während seine schließliche Verurteilung zu vier Monaten Gefängnis auf einfachen Bankrutt hin erfolgte, von welchem Strafmaß die lange Untersuchungshaft in Abrechnung kam. Ein Begnadigungsgesuch unterblieb, und die Strafe wurde angetreten. Als er wieder frei war, war er ein gebrochener Mann, gebrochen an Leib und Seele. Trotzdem widerstand es ihm, in seiner Vaterstadt das Feld ohne weiteres zu räumen, bloß um unbequemen Begegnungen aus dem Wege zu gehen. Und so blieb er denn.

Erst nach Ablauf mehrerer Jahre verließ er Ruppin und übersiedelte im März 86 nach Stralsund, um daselbst ein Geschäft von dem geringen Vermögen seiner Frau zu kaufen. Es gelang auch damit. Aber sehr bald schon warf ihn Krankheit danieder, und von unaufhörlichen Schmerzen gepeinigt, sah er seine Kräfte hinschwinden; Abzehrung stellte sich ein, und er fühlte die Nähe des Todes. Als er im Mai (?) 88 die Ruppiner Zeitung in die Hand nahm und las, ›daß die erste Nachtigall im Tempelgarten (der ihm neben Gentzrode das Liebste war) geschlagen habe‹, wurd er still und stiller. Er ließ seine Kinder, von denen keins daheim war, aus der Ferne kommen und ordnete an, daß er auf dem alten Ruppiner Kirchhof an der Seite seiner Eltern begraben sein wolle. Bald darnach kam ein Blutsturz, und am 3. Juli 88 starb er. Nach seinem Willen wurde verfahren und seine Leiche nach Ruppin übergeführt. Da ruht er in Front der Familienbegräbnisstätte, deren Mittelwand die Inschrift trägt:

Ungunst und Wechsel der Zeiten zerstörte, was wir geschaffen,
Die wir im Leben gekämpft, ruhen im Tode hier aus.«

Es erübrigt uns noch ein Wort über Erscheinung und Charakter dieses eigenartigen Mannes.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil