Abschnitt 2

Auf dem Plateau


Gentzrode


2. Vom Tode des alten Johann Christian Gentz (1867) bis zum Bau des Gentzroder Herrenhauses 1877


Alexander Gentz


1857 übernahm ich das alte Geschäft in der Stadt, das ich von diesem Zeitpunkt an selbständig leitete. Vier Monate des Jahres befand ich mich in der Regel auf Reisen, um die nötigen Einkäufe zu machen, war ich aber wieder daheim, so langweilte mich der ›Verkauf im einzelnen‹, und das sogenannte ›Ladengeschäft‹ sagte mir gradesowenig zu wie vordem. Auch das kleine Ruppiner Leben war durchaus nicht nach meinem Sinn, lauter Dinge, die sich erst zum Bessern kehrten, als mich der Wandel der Zeiten in größere kaufmännische Verhältnisse führte: Kapitals-Assoziationen fanden statt, und eine der großen Gründerepoche der siebziger Jahre voraufgehende Aktienschwindelzeit brach gerade damals an. In sich verwerflich genug. Aber so verwerflich diese Zeit und ihre Manipulationen sein mochten, ja, mit so großen Verlusten sie für mich verknüpft waren – das ganze kaufmännische Leben erschien mir doch plötzlich in einem neuen Licht, und wenn mich früher das Kleinliche gelangweilt und auch angewidert hatte, so war jetzt etwas da, was mich interessierte, was Gedanken und Spekulationen in mir anregte. Mit den größeren Summen, die mir trotz und inmitten meiner Verluste doch immer reichlich wieder zu Händen kamen, ermöglichten sich Unternehmungen der mannigfachsten Art, Ankäufe kamen zustande, und große und kleine Liegenschaften, teils in Nähe, teils in mehrmeiliger Entfernung von Ruppin, wurden erworben, was schließlich dahin führte, daß wir, mein Vater und ich, eine halbe Quadratmeile Torf- und Wiesenterrain im Wustrauschen und im Rhin-Luch besaßen, ja, uns bald danach sogar in der Lage sahn, ein mit einigen fruchtbaren Ackerstreifen durchsetztes Stück Sandland von nicht unbeträchtlichem Umfang anzukaufen. Dies waren die nach Rheinsberg hin gelegenen ›Kahlenberge‹, die, nach ihrer Umgestaltung in Acker-, Forst- und Weideland, den Namen Gentzrode 1) und ein oder zwei Jahrzehnte später sogar die Rittergutsqualifikation empfingen.«

Soweit die biographische Skizze, die wir hier abbrechen, um nunmehr von Alexander Gentz in Person nach Gentzrode, dessen Besitz er eben angetreten, zurückzukehren.

Beim Tode des Alten (1867) befand sich das neu geschaffene Gut, um es noch einmal zu sagen, in einem durchaus blühenden Zustande:

Waldkulturen, einschließlich einer großen Baumschule, waren geschaffen;

ein zweiter artesischer Brunnen, um den Mehransprüchen einer (trotz eingetretener Ungunst der Zeiten) immer noch wachsenden Brennerei zu genügen, ward gegraben;

eine sogenannte »Ablage« am Molchow-See, die, weil der Rhin den Molchow-See durchfließt, einen bequemen Wasserverkehr ermöglichte, war unter großen Schwierigkeiten erkämpft;

und endlich umschloß ein Komplex von Scheunen und Ställen (der dominierenden Brennerei zu geschweigen) einen mächtigen und beinah schönheitlich wirkenden Wirtschaftshof.

So war denn das, was der neue Besitzer übernahm, ein blühendes Gewese, das er belassen konnte, wie's war, und zwar um so mehr, als auch schon bei Lebzeiten des Vaters alles nach seinen (des Sohnes) Anschauungen geleitet worden war. In der Tat, er hatte nicht nötig, im Prinzip irgendwas zu ändern, und tat es auch nicht, aber er hatte von jetzt an freiere Bewegung und benutzte diese, um alles reicher auszugestalten. Nicht in Richtung und Anschauung, aber im Maß und Tempo wurde geändert.

Das zeigte sich zunächst bei den Waldkulturen, an die der neue Besitzer sofort mit gesteigerter Energie herantrat, weil er von dem lebhaften Wunsche geleitet war, in erster Reihe ein Waldgut aus Gentzrode zu machen. Er begann damit, 110 000 junge Eichen aus Holland 2) zu beziehen und in den rajolten Boden einzusetzen. Oberförster Berger aus Alt Ruppin, Fachmann und Autorität, ritt vorüber und rief ihm zu: »In solchen Boden wollen Sie Eichen pflanzen? Werfen Sie Ihr Geld nicht weg!« Aber der, an den sich dieser Zuruf richtete, ließ sich durch solche Fachmannsurteile nicht abschrecken. Er war kurze Zeit vorher in Potsdam und Babelsberg gewesen und hatte sich an beiden Orten überzeugt, daß die neuen Parkanlagen auf einem Boden erfolgten, der zum Teil nicht besser war als der seine. Das gab ihm, wenn er desselben noch bedurft hätte, neuen Mut, und gestützt auf solche Wahrnehmungen, fuhr er in seinen Anpflanzungen fort. Auch aus dem Samen wurde gezogen, selbstverständlich unter Vermeidung alles Willkürlichen und Zufälligen. Professor Koch in Berlin hatte vielmehr, auf Ersuchen, ein Verzeichnis aufgestellt, in dem angegeben war, welche außereuropäischen Bäume am besten geeignet wären, sich im märkischen Sande zu akklimatisieren, und gestützt auf diese Liste, wurden nunmehr aus New York, Kanada, Columbia, Tiflis und Sibirien Samenarten im Betrage von 2000 Talern bezogen und – ausgesät. Das, was am besten aufging, gab ebendadurch den Beweis, auf unserm Boden vorzugsweise verwendbar zu sein; aber auch das derartig Erprobte und Bewährte sah sich noch wieder vor eine engere Wahl gestellt, in der abwechselnd der Baum von größerem Holzwert und der von prächtigerer Laubfärbung seinen Vorzug geltend machte. So wurden Kulturen hergestellt, die, schönheitlich den Schöpfungen des Fürsten Pückler an die Seite zu stellen, zugleich auch als rentabel anzusehen waren und diese Annahme rechtfertigten. Für 10 000 Taler Pflanzbäume konnten in wenigen Jahren aus diesen Anlagen verkauft werden, und Kontrakte wurden abgeschlossen, nach denen, von Gentzrode her, die Bäume zur Bepflanzung der auf Berlin einmündenden Chausseen geliefert werden sollten. Es hatte sich nämlich herausgestellt daß die auf dem leichten Boden der »Kahlenberge« gewonnenen Pflanzbäume zu derartigen Anlagen vorzugsweise verwendbar waren.




1) Dieser sehr anfechtbare Name »Gentzrode« war das Resultat langen Suchens, was man ihm leider auch anmerkt. Alexander Gentz hatte »Helenenhof« vorgeschlagen, in Huldigung gegen seine Frau Helene, was, wenn angenommen, durchschnittsmäßig, aber wenigstens richtig gewesen wäre. Man war jedoch mit dem Einfachen und Natürlichen nicht zufrieden und forschte nach etwas Besserem. Unter denen, die befragt wurden, war natürlich auch Wilhelm Gentz, damals in Paris, der nicht säumte, bei seinen Freunden und Kunstgenossen eine Art Preisausschreiben zu veranstalten. Henneberg, dem in seiner Eigenschaft als Braunschweiger die »rodes« nahelagen, verfiel auf »Gentzrode«, was sofort jubelnd begrüßt und auch in Ruppin vom alten Gentz angenommen wurde. Meinem Ermessen nach jedoch ist es, um es zu wiederholen, ein so schlecht gewählter Name wie nur irgend möglich, weil in zwiefacher Beziehung verwirrend. Erstlich gab es auf den Kahlenbergen überhaupt nichts zu »roden«; gerodet kann immer nur da werden, wo Wald ist, und nicht auf einer Sanddüne. Was aber fast noch schlimmer ist, ist das, daß jeder, der den Namen hört, Gentzrode da suchen wird, wo die »rodes« zu Hause sind, also im Harz, nicht aber im Ruppinschen. Eine solche willkürliche Namensanlegung ist, auf geographische Orientierung angesehn, nicht viel besser als ein falscher Wegweiser.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil