Abschnitt 2

Auf dem Plateau


Ganzer


Die frühgotische Kirche hat einen Schindelturm aus späterer Zeit. Ihr Inneres ist einfach und erhält nur durch die Zweiteilung, der wir sofort auch hier wieder begegnen, einen bestimmten Charakter. Links die Rohrsche, rechts die Jürgaßsche Seite: hier ein paar Rohrsche Galanteriedegen aus der Zeit der Zöpfe, dort ein Jürgaßscher Säbel und Federhut aus der Zeit der Freiheitskriege, hier eine Rohrsche Familiengruft, dort eine Jürgaßsche. Die Jürgaßsche gleicht mehr einer in gleicher Höhe mit dem Kirchenschiffe befindlichen Grabkammer, durch deren Fensterchen man die dahinter aufgeschichteten Särge zählen kann. Anders die Rohrsche Gruft. Über ihrer Eingangstür erhebt sich eine vortreffliche Marmorbüste (vielleicht von Glume), die wohl eine andere Inschrift als die folgende verdient hätte: »Bedaure und verehre, billiger Wandersmann, hier noch die Asche eines Ruhmwürdigen, eines im Leben Gerechten, im Tode Unverzagten, dessen Rat Land und Leuten treulich geraten, aber wider des Todes allgemeinen Einbruch als eines Landrats (das heißt, trotzdem er ein Landrat war) nichts vermochte. Seine Schwachheit und Stärke siegen zugleich. Seine Stärke durch weisen Rat wider die Unsterblichkeit. Darum stößt die Fama durch Posaunen noch seinen Ruhm aus, und die flüchtige Zeit kann seine ruhmwürdigen Taten nicht verbergen noch zernichten. Sein Lorbeerkranz grünt mitten unter Zypressen, und sein Palmbaum trägt Früchte in Apollens Garten, wo Mars ihm von ferne steht und den Zutritt scheuet wie ein Unbekannter. Die Schwachheit siegt durchs Alter und trägt die Krone des Lebens im Glauben davon am Ende.« 1)

Die Jürgaßsche Gruft ist ohne Schmuck und Bild, aber draußen auf dem Kirchhofe, zwischen Blumen und Gräbern, steht ein mächtiges Monument das nicht einem einzelnen Toten, sondern dem ganzen aus diesem Leben geschiedenen Geschlecht errichtet ist. Die beiden letzten Jürgasse, »de strenge un de gode Herr«, wiesen in ihrem Testament eine bedeutende Summe zur Aufführung desselben an, und mit Gewissenhaftigkeit sind die Vollstrecker des Testaments diesem Letzten Willen nachgekommen. Es ist kein eigentliches Grabmal, sondern, wie schon hervorgehoben, ein mehr architektonisch gehaltenes Monument und stellt auf einem hohen Postamente von Sandstein, dem als nächstes ein Eisenwürfel folgt, eine baldachinartige, nach allen vier Seiten hin geöffnete Nische dar, in der, gesenkten Blickes, ein Engel des Friedens steht. Der Eisenwürfel ist mit Inschriften überdeckt. Was im Durchlesen dieser Inschriften am meisten überrascht, ist, daß die beiden letzten Jürgaß einer überaus zahlreichen Familie von acht Brüdern und einer Schwester angehörten, daß aber alle acht Brüder starben, ohne Kinder hinterlassen zu haben. Ein neuer Beweis, wie der Prozeß des Lebens nach frischem Blute verlangt.

Von den Inschriften mögen hier nur die beiden stehen, die, für länger oder kürzer, die Namen der beiden letzten Jürgasse der Nachwelt erhalten werden.

Auf dem Seitenfelde zur Linken lesen wir wie folgt: »Herr Alexander Konstantin Maximilian von Wahlen-Jürgaß, königlich preußischer Generallieutenant von der Kavallerie, Drost zu Stückhausen, Ritter vieler hoher Orden, Erbherr auf Triglitz, geboren den 15. Junius 1758 zu Ganzer, focht von 1778 bis 1816 in allen preußischen Kriegen, wohnte sechsundzwanzig Schlachten und Hauptgefechten bei, ward bei Hainau durch den Schenkel und bei Ligny durch die Brust geschossen. Ein Muster der Tapferkeit und der Herzensgüte, geehrt und geliebt von seinem Könige und von jedermann, starb er zu Ganzer den 8. November 1833.« 2)

(Dies ist »de gode Herr«.)




1) Einzelne Stellen dieser Grabschrift sind völlig unverständlich. Am bemerkenswertesten ist wohl der Passus, wo Mars, in seines Nichts durchbohrendem Gefühle, Bedenken trägt, dem alten Rohr unter die Augen zu treten. (Alle diese Inschriften, in denen der Lebensberuf des Hingeschiedenen zu allerhand Wortspielen benutzt wird [hier also »Landrat«], haben ihr unerreichtes Vorbild in der berühmten Postmeister-Grabschrift zu Salzwedel. Sie lautet: »Eile nicht Wandersmann! als [wie] auf der Post; auch die geschwindeste Post erfordert Verzug im Posthause. Hier ruhen die Gebeine Herrn Matthias Schulzen, königlich preußischen, fünfundzwanzigjährigen, untertänigst treu gewesenen Postmeisters zu Salzwedel. Er kam allhier 1655 als ein Fremdling an. Durch die heilige Taufe ward er in die Postcharte zum himmlischen Kanaan eingeschrieben. Darauf reisete er in der Lebens-Wallfahrt durch Schulen und Akademien mit löblichem Verzug. Hernach, bei angetretenem Postamte und anderen Berufssorgen, richtete er sich nach dem göttlichen Trostbriefe. Endlich, bei seiner Leibesschwachheit, dem gegebenen Zeichen der ankommenden Todespost, machte er sich fertig. Die Seele reisete den 2. Junius 1711 hinauf ins Paradies, der Leib hernachmalen in dieses Grab. Gedenke, Leser, bei deiner Wallfahrt beständig an die prophetische Todespost, Jesaja 38, 1.«)
2) Obiger Inschrift füg ich hier noch folgende biographische Notizen hinzu: Alexander Georg Ludwig Moritz Konstantin Maximilian von Wahlen-Jürgaß, am 5. Juni (auf dem Monumente steht »am 15.«) 1758 zu Ganzer geboren, ward er auf der école militaire zum Kriege gebildet und trat im Jahre 1775 in das damalige Regiment Gensdarmes, darin er 1803 zum Major avancierte. Im unglücklichen Feldzuge von 1806 von einer Masse feindlicher Reiterei umzingeln griff er den Feind, mit etwa 350 Mann, nichtsdestoweniger an und kämpfte auf einem sehr ungünstigen Terrain gegen die französische Division Beaumont. Obgleich der Major von Jürgaß im nächtlichen Getümmel einen Hieb über den Kopf erhielt, so sammelte er dennoch brave Kameraden, schirmte die Standarte und schlug sich mutig durch. Er stieß später zu dem Corps des Prinzen von Hohenlohe, welches eben im Begriff war, das Gewehr zu strecken. Von Jürgaß entzog sich dieser Schmach und entkam noch einmal glücklich, indem er zu dem Corps des Generals von Biela stieß, mit dem er dann leider doch bei Anklam gefangen wurde. Nach dem Tilsiter Frieden lebte er bei seinem Bruder in Ganzer. Bei der neuen Formation erhielt er 1809 wieder eine Anstellung im brandenburgischen Kürassierregiment, zwei Monate darauf ward er Kommandeur des Brandenburger Dragonerregiments, 1812 aber Obristlieutenant, in welcher Eigenschaft er dem Corps des Generals von Grawert in Kurland zugeteilt wurde. Er befehligte meistenteils die Vorposten, wozu seine ungemeine Tätigkeit und Wachsamkeit ihn vorzüglich eigneten. Im Jahre 1813 kommandierte er als Oberst eine Brigade in dem Corps seines vertrauten Freundes, des damaligen Generals von Blücher. Er focht tapfer bei Großgörschen und Bautzen und erhielt bei Hainau, als er in die feindlichen Vierecke einbrach, einen Schuß in den Schenkel. Später trug er in dem furchtbaren Kampfe bei Möckern zu dem glücklichen Erfolge dieses entscheidenden Tages wesentlich mit bei und wurde dafür zum Generalmajor erhoben. In Frankreich ward er mit der Reservereiterei an die Befehle des Prinzen Wilhelm gewiesen, der den Vortrab des Heeres führte. Bei Lachaussée traf er auf die französische Reiterei vorn Corps des Marschalls Macdonald, warf sie über den Haufen und eroberte eine Standarte, fünf Kanonen und die dazugehörigen Pulverwagen. In der Schlacht von Laon entriß er dem Feinde fünfzehn Kanonen und fünfunddreißig Artilleriewagen. Im Jahre 1815, in der Schlacht von Ligny, leitete der Generalmajor von Jürgaß die Angriffe auf das Dorf St-Amand-la-Haye. In der Nacht erhielt er in dem Getümmel einen Schuß unter der linken Schulter, nahe am Herzen. Er empfing darauf im Jahre 1816 den ehrenvollsten Abschied als Generallieutenant. Von da an lebte er abwechselnd in Berlin und bei seinem Bruder zu Ganzer, woselbst er am 8. November 1833 nach langen, höchst bittern körperlichen Leiden starb.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil