Das Heilige-Geist-Hospital am Wildberger Tore

An Rhin und Dosse


Wusterhausen a. D.


Die kirchlichen Gebäude Wusterhausens, trotzdem es während der Mehrzahl seiner Jahrhunderte keine tausend Einwohner hatte, beschränkten sich nicht auf »Sankt Peter und Paul«. Da war noch die Kapelle von Sankt Stephan und außer dieser das Gertruden-, das Georgen- und das Heilige-Geist-Hospital, von denen jedes wieder ein Kirchlein hatte. Das Heilige-Geist-Hospital, hart am Wildberger Tor, existiert noch. Es bietet dadurch ein besonderes Interesse, daß es früher ein Beguinenhaus (deren es ziemlich viele hierzulande gab) gewesen sein soll.

Die Beguinen, wahrscheinlich von Lambert de Bègues gestiftet und nach ihm benannt, übten eine Tätigkeit, die wir heut in den Diakonissenanstalten wiederfinden. Ihre Tätigkeit umfaßte neben Erziehung der Jugend (namentlich der Waisen) auch Armen- und Krankenpflege, später auch Seelsorge. Die große Liebestätigkeit der Beguinen stellte zuzeiten die Klöster völlig in Schatten, weshalb sie von diesen mit Neid betrachtet und von seiten der Kirche nicht selten in ihrer Tätigkeit behindert wurden. Die Päpste standen verschieden zu ihnen. Unter den Machthabern waren Karl V. und Louis XIV. sehr für sie eingenommen; Joseph II., bei Aufhebung der Klöster, ließ sie fortbestehen. Im allgemeinen ist ihre Tätigkeit dieselbe geblieben; andererseits sind viele Beguinenhöfe aus Liebesanstalten zu Nutz und Frommen anderer in bloße Versorgungsanstalten für ältere Frauen umgewandelt worden. Holland und Belgien waren immer der Hauptschauplatz ihrer Tätigkeit; berühmt bis diesen Tag ist der Beguinenhof in Gent. Einige finden sich in Nordfrankreich; bei uns in Bremen.

Unser Wusterhauser Beguinenhaus, das bereits um 1307, wenn auch nicht unter dieser Bezeichnung, genannt wird, ist jedenfalls jenen vorerwähnten Beguinenhöfen zuzurechnen, die zu nicht näher anzugebender Zeit aus Liebesanstalten zu bloßen Versorgungsanstalten wurden. Mit anderen Worten: unser Beguinenhaus wurd ein Spittel. Das ist es noch. Es reizte mich, diese wenigstens ehedem halbklösterliche Stiftung kennenzulernen.

Das Gebäude (ein Eckhaus) präsentiert sich an seinen beiden Vorderfronten als ein kümmerlicher Bau aus dem vorigen Jahrhundert; nur etwas mehr nach der Vorstadt hin, auf den ersten Blick ohne rechten Zusammenhang mit den Eck- und Fronthäusern, steht noch ein gotischer Giebel, ziemlich malerisch, mit Glockennische und Storchennest. Erst nachdem man eins der Fronthäuser, gleichviel welches, durchschritten hat, nimmt man wahr, daß man sich innerhalb einer klösterlichen Anlage befindet: ein Hof, nach drei Seiten hin von Häusern umstellt; die vierte Seite, das Quadrat abschließend, eine Kapelle.

Wie die drei Häuser, so ist auch die Kapelle bewohnt die längst aufgehört hat, kirchlichen Verrichtungen zu dienen. Aus Altären wurden Feuerstellen, und statt des Weihrauchs zieht Torfqualm durch die Luft; gespaltenes Holz liegt hoch aufgeschichtet in den Nischen, und wo sonst ein geschnitztes Christusbild zwischen zwei Pfeilern hing, ist jetzt ein Hängeboden gezogen, auf dem Kisten und Kasten, Urväter Hausrat und die letzten Ausläufer alten Trödels stehn. Leitern führen hinauf, halsbrecherisch wie der Hängeboden selbst. Der untere Raum der Kapelle wurde längst zu Wohnungen aufgeschlagen, und auf dem Mittelgange schlurren jetzt die Nachfolgerinnen der Beguinen auf und ab oder klappen mit ihren Pantinen über den Estrich hin. Eine von ihnen machte die Honneurs und zeigte mir draußen auf dem Klosterhof, an einem breiten und weit vorspringenden Pfeiler, sechs Höhlungen, in denen noch, bis vor wenig Jahrzehnten, ebenso viele fest eingemauerte Beguinenschädel sichtbar gewesen seien. Ich bat, indem ich ihr dankte, noch einen Augenblick bleiben zu dürfen, worauf sie sich zurückzog. Sie war unzweifelhaft der esprit fort und die historische Autorität des Spittels.

Ich war nun allein und sah mich mußevoll um. Wunderliches Bild. Der kaum zwanzig Schritt im Quadrat habende Hof war in zwei Teile geteilt, von denen der eine ein Blumengarten, der andre ein Dunghaufen war. An der Grenze zwischen beiden stand ein Apfelbaum und streckte seine Zweige nach links und rechts hin über Gerechte und Ungerechte; von dem links gelegenen Blumengarten her zog Resedaduft nach rechts hinüber und tat, was er konnte; aber er konnte nicht viel. Oben im Nest, am Giebelfelde der Kapelle, begann der Storch zu klappern – ein sonderbarer Genosse hier.

Ich zog mein Notizbuch, um das Bild in wenig Strichen festzuhalten, wobei mein Hauptaugenmerk oben auf das Storchennest und unten auf den Pfeiler mit den sechs Höhlungen gerichtet war.

Und nun war ich fertig. Noch ein Blick auf meine Zeichnung, dann sah ich wieder um mich her. Aber himmlische Mächte, was war inzwischen geschehen?! Aus jedem Fenster sah ein »Beguinengesicht« und grinste mich an, alle von einer Spittel-Ausgesprochenheit, die's ihnen erlaubt hätte, ohne weitere Vorbereitungen in die sechs Höhlungen einzutreten.

Und mit verlegener Herzlichkeit grüßend, wie man's tut, wenn man sich fürchtet, empfahl ich mich und floh die Straße hinab und vor das Wildberger Tor hinaus.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil