Abschnitt 1

An Rhin und Dosse


Walchow


            Ach, ich kenne dich noch, als hätt ich dich gestern verlassen,
            Kenne das hangende Pfarrhaus noch, das Gärtchen, die Laube,
            Schräg mit Latten benagelt.
                                                                  Schmidt von Werneuchen
            Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
            Wie anders tragen uns die Geistesfreuden
            Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt.
                                                                                          »Faust«

Von Langen, das wir nach einer Fahrt durchs Wustrausche Luch am Schluß unsres vorigen Kapitels glücklich erreichten, ist nur noch eine Viertelmeile bis Walchow.

Walchow ist Mittelpunkt des Rhinluches. In den Zeiten, die der Reformation vorausgingen und ihr unmittelbar folgten, war es ein adliges Gut, das den Wuthenows und Zietens gehörte. So bis 1638, wo die Kaiserlichen unter Gallas dieses Dorf, wie so viele andere des Ruppinschen Landes, in einen Aschenhaufen verwandelten. Nach dem Kriege verkauften die genannten beiden Familien ihre Anteile, die nun zunächst 1680 mit holländischen, 1699 mit pfälzischen Kolonisten besetzt wurden. Ein Jahrhundert später begann das Prosperieren. Jetzt ist Walchow reich oder doch wohlhabend.

Einen Beweis für ländliche Wohlhabenheit bietet der Kirchhof, und zwar in der Regel mehr als die Erscheinung der Dörfer selbst. Die neue Scheune kann gebaut worden sein, weil es nötig war oder die alte niederbrannte, das Kirchhofsdenkmal aber ist recht eigentlich ein Gegenstand des Luxus. Die Menschen müssen sehr pietätvoll, sehr eitel oder aber sehr wohlhabend sein, wenn sie mit dem geliebten Toten einen Teil ihres Besitzes teilen sollen. In Walchow hat der Dorfschulze seinem fünfzehnjährigen Sohne ein Monument errichtet, wie's dem Begräbnisplatz eines adeligen Hauses zur Zierde gereichen würde. In Front einer Tempelfaçade (der Giebel von dorischen Säulen getragen) steht auf hohem Postament ein Engel des Friedens; Zypressen und Blumenbeete ringsum. An der Wand des Tempels aber erblicken wir eine Bronzetafel mit folgender Inschrift:

Hier ruhet in Gott
Erdmann Friedrich Hölsche,
das letzte Kind seiner tiefgebeugten Eltern.
Die Sorge für dich war die frohe Arbeit unserer Tage. Die Freude an dir unser gemeinsames Glück, und unsere Hoffnung sah in dir des nahenden Alters Stütze. Du liebes Kind, nun gründen wir deiner Asche diese Wohnung. Mögest du sanft darinnen ruhn, mögen auch wir Trost empfangen an dieser Stätte und den Frieden auf Erden.


Die eigentliche Sehenswürdigkeit Walchows ist aber doch seine Pfarre. Hier wohnt Superintendent Kirchner, ein Sechziger, rüstig im Leben, im Amt und in der Wissenschaft. Fest und freundlich, gekleidet in den langen Rock des lutherischen Geistlichen, das angegraute Haar gescheitelt und in zwei Wellen über die Schläfe fallend, erinnerte mich sein Auftreten an das jener dänischen Pfarrherren, deren mir, während des vierundsechziger Krieges, so viele, von der Koldinger Bucht an bis hinauf an den Limfjord, bekannt geworden waren. »Wie Grundtvig«, war der erste Eindruck, den ich empfing, und dieser Eindruck blieb auch. In der Tat, eine frappante Ähnlichkeit zwischen dem nordischen und dem märkischen Manne: Strenggläubigkeit, nationale Begeisterung, Einkehr bei der Urzeit des eigenen Volkes, Hang, das Dunkel zu lichten, Vorliebe für Hypothesen und zuletzt Identifizierung damit. Grundtvig dabei mehr die Sagenüberbleibsel einfangend, die wie Sommerfäden von Heide zu Heide ziehen, Kirchner die Heide selbst durchforschend, bis sie Gräber und Urnen und in beiden ihre Geheimnisse herausgibt; der eine Dichter, der andere Archäolog; jener im Studium alter Lieder aus der geistigen Welt eine sachliche, dieser im Studium alter Waffen, Münzen etc. aus der sachlichen Welt eine geistige konstruierend. Und wirklich, Superintendent Kirchner ist nicht bloß ein Sammler nach Art so vieler seiner Amtsbrüder, die nur im Vorhofe der Wissenschaft, speziell der Altertumskunde, wohnen; er gelangt vielmehr zu Schlüssen aus dem Gesammelten, und hier liegt der Unterschied zwischen Wissenschaftlichkeit und Liebhaberei. Die Mappen, die Schubfächer, die Glaskästen sind ihm nicht Zweck, sondern nur Mittel zum Zweck, und der historische Sinn (samt jenem Bedürfnis, zu Resultaten zu kommen) erwies sich siegreich in ihm über die bloße Kuriositätenkrämerei. Denn auch die schönste bronzene Streitaxt, die zierlichste Feuersteinlanzenspitze, sie haben nur Anekdotenwert, wenn sie nicht den Wunsch anregen, den Charakter und das Wesen einer Epoche daraus kennenzulernen. Ob richtig, ist zunächst gleichgiltig. Der Weg zur Wahrheit ist mit Irrtümern gepflastert.

Ein Studierzimmer von mäßiger Ausdehnung, in das wir jetzt eingetreten, ist, wie Bibliothek, so auch Naturaliencabinet und Museum für nordische Altertümer. Es wurde mir vergönnt, in den Schätzen dieser nicht zahlreichen, aber sehr ausgezeichneten Kollektion eine Stunde lang schwelgen zu können, wobei sich mir der alte Satz bewahrheitete, daß Anfänger und Laien in kleinen Sammlungen am meisten zu lernen imstande sind. Museumsmassenschätze staunt man an und geht mit dem trostlosen Gefühl daran vorüber, »dieser 10 000 Dinge doch niemals Herr werden zu können«; wo hingegen nur 100 Dinge zu uns sprechen, lächelt uns von Anfang an die Möglichkeit eines Sieges. Und dieser Sieg wird uns sicher, wenn ein Kundiger abermals auszuscheiden und den verbleibenden Rest durch begleitende kleine Vorträge mehr und mehr zu veranschaulichen versteht. Es heißt dann immer aufs neue: »Du wirst dabei in einer Stunde mehr gewinnen als in des Jahres Einerlei.« Und still dankbar klangen in meinem Herzen diese Worte nach.

Unter den Schätzen, die mir gezeigt wurden, waren folgende: 1. ein Tierkopf von Bronze (wahrscheinlich Ornament an dem Wagen eines Opferpriesters); 2. ein Sandalensporn von Bronze, gefunden bei Frankfurt a. O.; 3. ein goldener Fingerring, blank, gefunden in der Prignitz; 4. ein goldener Halsring, blank, fünf Zoll im Lichten, gefunden bei Walchow auf einer Torfwiese des vorgenannten Schulzen Hölsche (seltenes Exemplar; Goldwert zweiundvierzig Taler; leider bald nach dem Funde von einem »Untersucher« zerbrochen); 5. ein römischer Dukaten aus dem fünften Jahrhundert mit dem Bilde des Kaisers Zeno; im Sande der Uckermark gefunden; 6. eine Spindel von Bein; sie lag neben einem sieben Fuß langen Gerippe zwischen drei Eichenbohlen. (Spinn wörtel findet man oft, Spindeln selbst aber sehr selten.) Neben diesen Prachtstücken interessierte mich noch eine nicht geringe Zahl von Armringen, Broschen, Kelten, Paalstäben etc., die zwar in sich selbst keinen außergewöhnlichen Wert darstellten, diesen Mangel aber durch das Interesse, das der Fundort einflößte, mehr als ausglichen. Alle diese Gegenstände nämlich, einige vierzig, waren bei Templin in einem ausgetrockneten Wasserloche, elf Fuß tief, und zwar unter fünf horizontal liegenden Eichen, gefunden worden. Einerseits die verhältnismäßig große Zahl, andererseits der Umstand, daß sie bunt durcheinandergewürfelt an einer und derselben Stelle lagen, gibt ein Rätsel auf. Von einem Begräbnisplatze kann keine Rede sein. Superintendent Kirchner nimmt an, es sei hier ein römischer Händler mit seinem Karren voll Bronzeschmuck verunglückt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil