Abschnitt 2

An Rhin und Dosse


Tramnitz


Dieser Hans Albrecht Friedrich von B. stand in Magdeburg, machte sämtliche Campagnen unter Friedrich II. mit und nahm 1760 den Abschied. Während seiner Garnisontage zu Magdeburg, unmittelbar vor Ausbruch des Siebenjährigen Krieges, trat er – soweit die Verhältnisse dies gestatteten – in Beziehungen zum Freiherrn von der Trenck, der ihm eine in seiner Gefangenschaft selbst gefertigte Tabaksdose von Kokosnuß und Perlmutter zum Geschenk machte. Die Seitenwände zeigen Cupido mit Pfeil und Köcher, der nach einem Herzen schießt, dazu die Umschrift:

Du hast mich nicht getroffen,
Was hat mein Herz von dir zu hoffen?

(Etwas dunkel.) Oben auf dem Deckel ein Adler, der mit der Klaue das Rohrsche Wappen hält. All dies hatte Trenck mit einem eisernen Nagel gearbeitet, da er kein Handwerkszeug besaß. – Die Dose existiert noch im Herrenhause zu Tramnitz.

Der »alte Kirchhof«, umspielt von Kindern, überwachsen von Gesträuch, ist, wie schon angedeutet, das Poetischste, was Tramnitz aufzuweisen hat. Der neue Friedhof, draußen am Rande des Dorfes, reicht an diesen alten nicht heran, und auch die hart daneben gelegene »neue Kirche« kann poetisch nicht retten und helfen. Hat sie doch selber keinen Überschuß davon. Sie stammt aus der »armen Zeit«, will sagen aus den zwischen 1806 und 1815 liegenden Jahren (auch die Jahre, die folgten, waren nicht viel besser), und gleicht einer Fachwerkscheune, der man ein halbes Dutzend Fenster gegeben hat. Vielleicht, daß ich gar nicht dazu gekommen wäre, sie zu sehn, wenn ich nicht in Erfahrung gebracht hätte, daß hier, hinterm Altar, eine Fahne aufbewahrt würde, die von irgendeinem Tramnitzer Rohr entweder den Schweden bei Fehrbellin oder den Österreichern bei Hohenfriedberg abgenommen worden sei. Und wirklich, da war sie, hinterm Altar, alles wie erzählt. Ich rollte denn auch das Fahnentuch auseinander, das mir, anderer verdächtiger Anzeichen zu geschweigen, sofort durch seinen gänzlichen Mangel an Spinnweb auffiel. Denn eine richtige alte Fahne ist immer so, daß man nicht recht weiß, wo das Seidenzeug aufhört und das Spinnweb anfängt. Und als das Fahnentuch nun ausgebreitet vor mir lag, sah ich, daß es einfach das Rohrsche Wappen war, was darin prangte. So schwand die historische Glorie hin, die bis dahin dieses Banner umgeben hatte. Sehr wahrscheinlich war es eine Fest- oder Einzugs- oder Wappenfahne, die bei irgendeinem Carrouselreiten von irgendeinem jungen Rohr getragen worden war.

Mir aber erwuchs daraus ein neuer Beweis für die hundertfältig beobachtete Tatsache, daß überall da, wo Dorfbevölkerungen einem Gegenstande begegnen, der Interesse weckt, ohne verstanden zu werden, die »mythenbildende Kraft« sofort in Aktion tritt. Ob die Dinge dabei lang oder kurz zurückliegen, ist gleichgültig. Die Sage verfährt in allen Stücken souverän; was sie aber am souveränsten behandelt, das ist die – Chronologie.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil