Protzen von 1770 bis 1803

An Rhin und Dosse


Protzen


Um 1770 ging Protzen (aus der Hand der verwitweten Generalin) an ihren Sohn Gustav von Kleist über. Da das Gut seit 1757 bereits auf einen neuen Herrn harrte, dessen Majorennität eben nur abzuwarten war, so hatte dieser letztere nicht Zeit, es auf der militärischen Rangleiter zu einer seinem Namen angemessenen Stufe zu bringen. Er schied als Fähnrich aus dem Regiment Prinz Ferdinand (in Ruppin), in dem er bis dahin gestanden hatte.

Da er selber fühlen mochte, daß dies wenig sei, so war er bestrebt, einigermaßen nachzuhelfen, und erwarb sich ein Johanniterkreuz. Er hieß nun nicht länger Fähnrich von Kleist, sondern Johanniter von Kleist, und unter diesem Namen, der in dieser eigentümlichen Verwendung wohl nur einmal vorkommen dürfte, hat er vierundzwanzig Jahre lang seine Regierung von Protzen geführt.

Unser »Johanniter-Kleist« war ein braver Mann, dem im Kirchenbuche die »Aufrechthaltung guter Ordnung« eigens nachgerühmt wird. Er muß diesen Ruhm, aufs allgemeine hin angesehen, um so mehr verdient haben, als er im besonderen mit seinem Geistlichen, dem Prediger Friedrich Arnold Dietrich Sachse, in einer beständigen Fehde lebte.

Über die damaligen Beziehungen zwischen Patron und Pfarrer ein kurzes Wort.

Friedrich Arnold Dietrich Sachse, aus Soest in Westfalen gebürtig, war, wie es scheint, ein echter Westfälinger, groß, stark, ein tapferes Herz, aber auch rücksichtslos wie so oft die »tapferen Herzen«, besonders wenn sie von der roten Erde stammen. Vor allem war er ein Original.

Die Bekanntschaft zwischen Kleist und Sachse machte sich bei Tisch im Herrenhause zu Lentzke, wo damals Baron de la Motte Fouqué lebte, der Sohn des berühmten Generals und der Vater des berühmten Dichters. In diesem Hause fungierte Sachse als Präzeptor. Als das Dessert aufgetragen wurde, fragte Fouqué seinen Gast (von Kleist), »wie es mit der Pfarre in Protzen stehe und ob er die Vakanz schon wieder besetzt habe«. – »Seit einer halben Stunde hab ich sie besetzt«, antwortete dieser. »Mit wem?« – »Mit dem hier sitzenden Kandidaten Sachse.« Es scheint danach, daß die bedeutende Persönlichkeit des letztern ihres Eindrucks auf von Kleist nicht verfehlt hatte.

Sachse übersiedelte nun und mochte sich anfangs seinem Patron gegenüber, der ihn, in so schmeichelhafter Weise, in die Protzener Pfarre eingesetzt hatte, zu Dankbarkeit verpflichtet fühlen. Aber Dankbarkeit dauert nicht lang, am wenigsten, wenn die Interessen in Krieg geraten. Sachse glaubte sich benachteiligt, und so entstand ein Prozeß, der im Herrenhause so böses Blut machte, daß Kleist, als um ebendiese Zeit ein Spritzenhaus errichtet werden mußte, dasselbe so aufführen ließ, daß der Bau wie ein Schirm zwischen ihm und der Pfarre stand. Er wollte die Pfarre nicht mehr sehen.

Sachse überlebte seinen Patron um viele Jahre, stand im allgemeinen, wie fast immer imponierende Persönlichkeiten, auf gutem Fuß mit der Gemeinde, war ihr Orakel, ihr Rater und Helfer, und vereinigte, neben einzelnen Schwächen, alle Tugenden des alten Rationalisten in sich. Das Protzener Kirchensiegel bewahrt sein Andenken. Die Inschrift desselben rührt allerpersönlichst von ihm her und lautet: »Natur und Vernunft«. Damit ist alles gesagt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil