Abschnitt 6

An Rhin und Dosse


Garz


Albrecht Christoph von Quast


Unter den jungen Offizieren ebendieses Regimentes war denn auch Wolf Ludwig Friedrich von Quast, wegen seiner tollkühnen Streiche kurzweg der »tolle Quast« genannt. Eines Tages (wahrscheinlich im Jahre 1794) ging er mit Lieutenant von Jürgaß, dem spätern ausgezeichneten Kavalleriegeneral unter Yorck, über die Weidendammer Brücke, als ihnen, einige Häuser weiter, ein riesiger Sporn auffiel, der im Schaufenster eines Eisenladens hing. Es ward ausgemacht, daß derjenige, der zuerst in Arrest käme, das wunderliche Ding kaufen solle. Jürgaß war der erste, der dieses Vorzugs genoß, und kaufte den Sporn, aber freilich nicht, ohne beim Kauf ein neues Abkommen getroffen zu haben: »Der nächste, der in Arrest kommt, läßt einen Stiefel dazu machen.« Dieser nächste war nun selbstverständlich Quast, und schon eine Woche danach wurde der etwa sechs Fuß hohe Riesenstiefel unter allen möglichen Formalitäten in die Kaserne getragen. Da stand er nun, der Koloß, und der Sporn ward ihm angeschnallt. Aber der Übermut, einmal wach geworden, sehnte sich nach mehr, und so beschloß man denn einstimmig, dem Stiefel zu Ehren ein Fest zu geben, bei dem der Stiefel selbst als Bowle fungieren sollte. Gesagt getan. Das Fest verlief unter dem Jubel aller Beteiligten, aber doch andrerseits auch so, daß folgenden Tages Ordre kam, auf den Stiefel zu fahnden. So leichten Kaufs indes gedachten die jungen Offiziere weder sich noch ihren Stiefel fangen zu lassen, und als die diesem letzteren geltende Stubenrevision ihren Anfang nahm, war der große Stiefel schon mit Extrapost auf dem Wege nach Garz. Aber auch hier war seines Bleibens nicht lange. Das Versteck war verraten worden, und eine Reiterpatrouille hatte striktesten Befehl erhalten, den »Stiefel der Gensdarmes«, es koste, was es wolle, zur Stelle zu schaffen. Was tun in dieser Lage?

Das erste war, ebendieser Patrouille, die schon drei Meilen Vorsprung hatte, diesen Vorsprung wieder abzugewinnen. Es sattelten also befreundete Kameraden, überholten im Fluge das ziemlich ruhig seines Weges trottende Piquet und führten den gefährdeten Liebling von Garz nach Ganzer hinüber, wo derselbe nunmehr, in einem abgelegensten Scheunenwinkel, unter hochaufgeschichteten Strohmassen versteckt wurde.

Daselbst stand er über ein Menschenalter. Das Regiment Gensdarmes war längst tot und die Jürgasse längst ausgestorben, da erbat sich der jetzige Besitzer von Garz, Rittmeister von Quast, den Stiefel von Ganzer her zurück, »da dieser, wenn irgendwohin, am ehesten nach dem ehemaligen Gute des ›tollen Quast‹ gehöre«. Gern wurd ihm gewillfahrt, und blank aufgeputzt steht er seitdem auf dem Flure des Garzer Herrenhauses, ein charakteristisches Überbleibsel aus den Tagen des ›Regiments Gensdarmes‹«.

Wolf Quast, wie so viele Militärs jener mit Unrecht in Bausch und Bogen verurteilten Zeit, war übrigens keineswegs ein bloßer »Junker Übermut«, der nur mit Sporn und Degen über die Straße zu rasseln und gelegentlich in einem Riesenstiefel eine Bowle zu brauen verstand, er war vielmehr umgekehrt ein Mann von hervorragenden Gaben, der die Pflege »nobler Passionen« mit Bildung, Belesenheit und künstlerischem Sinn sehr wohl zu vereinigen wußte. Soldat mit Leib und Seele, war er darauf aus, dem Dienst eine ideale, fast eine wissenschaftliche Seite abzugewinnen, und legte seine Reitererfahrungen in einem Buche nieder, das, wie Fachleute versichern, in allen erheblichen Punkten auch bis heute noch unübertroffen geblieben ist. Seine künstlerischen Neigungen führten ihn nach dem Süden, wo er 1804 erst in Rom und dann in Paris mit Schinkel zusammentraf. Dieser schrieb im Dezember genannten Jahres an den Geheimrat von Prittwitz: »Herr von Quast, mit dem ich schon in Rom schöne Genüsse teilte und den ich hier in Paris wiederfinde, verspricht mir die Ausrichtung meiner Empfehlungen« etc. Das alles deutet auf mehr als auf bloße Tollheiten und Fähnrichstreiche.

Das Ende Wolf Quasts war beklagenswert. Der brillante Reiter starb infolge eines Sturzes mit dem Pferde. Freilich war Mangel an Geschicklichkeit nicht die Ursach. In der Wilhelmstraße, dicht am Platz, war das Pflaster behufs einer Röhrenlegung aufgenommen und bei Einbruch der Dunkelheit für die vorschriftsmäßige Einzäunung nicht Sorge getragen worden. Quasts Pferd stürzte an dieser Stelle. Er selbst fiel so unglücklich, daß er bald danach im Radziwillschen Palais, wohin man ihn brachte, starb, am 2. Mai 1812.

Sein Eichensarg, ohne besonderen Schmuck, steht in der Familiengruft zu Garz. Er war am 13. Februar 1769 geboren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil