Abschnitt 2

An Rhin und Dosse


Das Wustrauer Luch


Der Obermann hieß uns zum zweiten Male willkommen und rief jetzt seine Frau, die uns freundlich-verlegen die Hand schüttelte. Beide zeigten jene lederfarbene Magerkeit, die mir schon früher in Sumpfgegenden, namentlich auch bei den Bewohnern des Spreewaldes, aufgefallen war. Die blanke, straffe Haut sah aus, als wäre sie über das Gesicht gespannt. Die Frau ging wieder, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen, und ließ uns Zeit, das Zimmer zu mustern, in dem wir uns befanden. Es war, wie märkische Bauernstuben zu sein pflegen: zwei Silhouetten von Mann und Frau unter gemeinschaftlichem Glas und Rahmen, zwei preußische Prinzen daneben und ein roter Husar darunter. Die Katze, mit krummem Rücken, strich an allen vier Tischbeinen vorbei, der flachsköpfige Sohn verbarg seine Verlegenheit hinter dem Kachelofen, und die Wanduhr, auf deren großem Zifferblatt Amor und Psyche vertraulich nebeneinander lehnten, unterbrach einzig und allein die langen Pausen der Unterhaltung. Denn der Obermann war kein Sprecher.

Endlich trat die Magd ein, um den Tisch zu decken. Sie öffnete die kleinen Fenster, und zugleich mit der Sonne drangen Hahnenschrei und Gegacker ins Zimmer: war doch der Hühnerhof draußen seit lange daran gewöhnt, ein dankbares Hoch auszubringen, sobald das rote Halstuch der Köchin an Tür oder Fenster sichtbar wurde. Nun kam auch der Flachskopf aus seinem Versteck hervor und stellte Stühle, während eine Flasche Wein aus unserem Reisesack die Vorbereitungen vollendete. Das Mahl selbst war ganz im Charakter des Luchs: erst Perlhuhneier, dann wilde Enten und schließlich ein Kuchen aus Heidemehl, dessen Buchweizen auf einer Sandstelle des Luches gewachsen war. Wir ließen den Obermann leben und wünschten ihm guten Torf und gute Kinder. Aber kein Glück ist vollkommen: als wir um ein Glas Wasser baten, brachte man uns ein Glas Milch; das Luch steckt zu tief im Wasser, um Trinkwasser haben zu können.

Bald nach Tisch nahmen wir Abschied und stiegen in ein bereitliegendes Boot, um nunmehr unsere Wasserreise durch das Herz des Luches hin anzutreten. Der Himmel, der bis dahin zwischen Schwarz und Blau gekämpft hatte, wie einer, der schwankt, ob er lachen oder weinen soll, hatte sich mittlerweile völlig umdunkelt und versprach, unserer Wasserfahrt einen allgemeineren und strikteren Charakter zu geben, als uns lieb sein konnte. Dennoch verbot sich ein Abwarten, und unter Hut- und Mützenschwenken ging es hinaus. Es war eine Vorspannreise, kein Ruderschlag fiel ins Wasser, keine Bootsmannskunst wurde geübt, Ruderer und Steuermann waren durch einen graukitteligen, hochstiefligen Torfarbeiter vertreten, der ein Riemenzeug um den Leib trug und mittels eines am Mast befestigten Strickes uns rasch und sicher die Wasserstraße hinaufzog. Gemeinhin war er links von uns und trabte den grasbewachsenen, niedrigen Damm entlang, immer aber, wenn wir in einen nach rechts hin abzweigenden Graben einbiegen mußten, ließ er das Boot links auflaufen, sprang hinein, setzte sich als sein eigener Fährmann über und trat dann am andern Ufer die Weiterreise an. Eine andere Unterbrechung machten die Brücken. Dieselben sind sehr zahlreich im Loch, wie sich's bei einundsiebzig Meilen Kanalverbindung annehmen läßt, und dabei von einfachster, aber zweckentsprechendster Konstruktion. Ein dicker, mächtiger Baumstamm unterhält die Verbindung zwischen den Ufern und würde wirklich, ohne weitere Zutat, die ganze Überbrückung ausmachen, wenn nicht die vielen mit Mast und Segel herankommenden Torfkähne es nötig machten, den im Wege liegenden Brückenbalken unter Umständen auch ohne sonderliche Mühe beseitigen zu können. Zu diesem Behufe ruhen die Balken auf einer Art Drehscheibe, und die Kraft zweier Hände reicht völlig aus, den Brückenbaum nach rechts oder links hin aus dem Wege zu schaffen.

Die zahllosen Wasserarme, die das Grün durchschneiden, geben der Landschaft viel von dem Charakter des Spreewalds und erinnern uns mehr denn einmal an das Kanalnetz, das die fruchtbaren Landstriche zwischen Lehde und Leipe durchzieht. Aber bei aller Ähnlichkeit unterscheiden sich beide Sumpfgegenden doch auch wieder. Der Spreewald ist bunter, reicher, schöner. In seiner Grundanlage dem Luch allerdings nahe verwandt, hat das Leben doch überall Besitz von ihm genommen und heitere Bilder in seinen einfach grünen Teppich eingewoben. Dörfer tauchen auf, allerlei Blumen ranken sich um Haus und Hütte, hundert Kähne gleiten den Fluß entlang, und weidende Herden und singende Menschen unterbrechen die Stille, die auf der Landschaft liegt. Nicht so im Luch. Der einfach grüne Grund des Teppichs ist noch ganz er selbst geblieben, das Leben geht nur zu Gast hier, und der Mensch, ein paar Torfhütten und ihre Bewohner abgerechnet, stieg in ebendiesen Moorgrund nur hinab, um ihn auszunutzen, nicht um auf ihm zu leben. Einsamkeit ist der Charakter des Luchs. Nur vom Horizont her, fast wie Wolkengebilde, blicken die Höhendörfer in die grüne Öde hinein; Gräben, Gras und Torf dehnen sich endlos, und nichts Lebendes wird hörbar als die Pelotons der von rechts und links her ins Wasser springenden Frösche oder das Kreischen der wilden Gänse, die über das Loch hinziehen. Von Zeit zu Zeit sperrt ein Torfkahn den Weg und weicht endlich mürrisch zur Seite. Kein Schiffer wird dabei sichtbar, eine rätselhafte Hand lenkt das Steuer, und wir fahren mit stillem Grauen an dem häßlichen alten Schuppentier vorüber, als wär es ein Ichthyosaurus, ein alter Beherrscher dieses Luchs, der sich noch besönne, ob er der neuen Zeit und dem Menschen das Feld räumen solle oder nicht.

So hatten wir etwa die Mitte dieser Torfterritorien erreicht, und die nach Süden zu gelegenen Kirchtürme waren uns aus dem Gesicht entschwunden, während die nördlichen noch auf sich warten ließen. Da brach das Gewitter los, das seit drei Stunden um das Luch herum seine Kreise gezogen und geschwankt hatte, ob es auf der Höhe bleiben oder in die Niederungen hinabsteigen sollte. Diese Luchgewitter erfreuen sich eines allerbesten Rufs; wenn sie kommen, kommen sie gut, und ein solches Wetter entlud sich jetzt über uns. Kein Haus, kein Baum in Näh oder Ferne; so war es denn das beste, die Reise fortzusetzen, als läge Sonnenschein rings um uns her. Der Regen fiel in Strömen, unser eingeschirrter Torfarbeiter tat sein Bestes und trabte gegen Wind und Wetter an. Der Boden ward immer glitschiger, und mehr denn einmal sank er in die Knie; aber rasch war er wieder auf, und unverdrossen ging es weiter. Wir saßen derweilen schweigsam da, bemaßen das Wasser im Boot, das von Minute zu Minute stieg, und blickten nicht ohne Neid auf den vor uns her trabenden Graukittel, der, in der Lust des Kampfs, Gefahr und Not einigermaßen vergessen konnte, während wir in der Lage von Reservetruppen waren, die Gewehr bei Fuß stehen müssen, während die Kugeln von allen Seiten her einschlagen.

Jeder hat solche Situationen durchgemacht und kennt die fast gemütliche Resignation, die schließlich über einen kommt. Mit dem Momente, wo man die letzte trockne Stelle naß werden fühlt, fühlt man auch, daß der Himmel seinen letzten Pfeil verschossen hat und daß es nur besser werden kann, nicht schlimmer. Lächelnd saßen wir jetzt da, nichts vor uns als den graugrünen, mit Regen und Horizont in eins verschwimmenden Luchstreifen, und sahen auf den Tropfentanz um uns her, als ständen wir am Fenster und freuten uns der Wasserblasen auf einem Teich oder Tümpel.

Endlich aber hielten wir. Wir hatten den ersehnten Nordrand erreicht, und die Sonne, die, sich durchkämpfend, eben ihren Friedensbogen über das Luch warf, vergoldete den Turm des Dorfes Langen vor uns und zeigte uns den Weg. In wenigen Minuten hatten wir das Wirtshaus erreicht, bestellten, in fast beschwörendem Ton, »einen allerbesten Kaffee« und baten um die Erlaubnis, am Feuer Platz nehmen und unsere Garderobe stückweise trocknen zu dürfen. Und wirklich traten wir gleich danach in die große Küche mit dem Herd und dem Hängekessel ein. Der Hauchfang war mit allerlei kupfernem Geschirr, die roten Wände mit Fliegen bedeckt, und die jetzt brennend über dem Hause stehende Sonne drückte von Zeit zu Zeit den Rauch in die Küche hinab. Eine braune, weitbäuchige Kanne paradierte bereits auf dem Herd, und eine behäbige Alte, die (eine große Kaffeemühle zwischen den Knien) bis dahin mit wunderbarem Ernste die Kurbel gedreht hatte, stand jetzt von ihrem Schemel auf, um das braune Pulver in den Trichter zu schütten. Ebenso war die Magd mit dem Hängekessel zur Hand, und im nächsten Augenblicke zischte das Wasser und trieb die Schaumblasen hoch über den Rand. Wir aber standen umher und sogen begierig den aromatischen Duft ein. Alles Frösteln war vorüber, und die Tasse mitsamt dem Herdfeuer vor uns, auf einem alten Binsenstuhl uns wiegend, plauderten wir vom Luch, als wären wir über den Kansas River oder eine Prairie »far in the west« gefahren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 1. Teil