Abschnitt. 1 - Das in einer Weimarischen Parzelle liegende, ...

Das in einer Weimarischen Parzelle liegende, ehemalige berühmte Benediktinerkloster Oldisleben, über dem in äusserst heiterer Gegend gelegenen Stadtflecken gleiches Namens, konnte der Schaulust nichts darbieten, als von der Anhöhe, auf der, in Amts- und Oekonomiehäuser verwandelt, die Klostergebäude stehen, eine reizvolle Aussicht und gleichsam einen Abschiedsblick über das allerjüngst durchreiste schöne Land. Nach einer kurzen zu Wagen zurückgelegten Strecke veranlasste Otto die Freunde, abermals auszusteigen, denn vor ihnen lag, auf dem Berge thronend, die malerische Doppelruine der Sachsenburg. Auf waldigem Fusspfad eine Strecke emporwandelnd, ward bald der kahle Gipfel des alten Schlosses oder das obere Haus erreicht, wo noch ein bedeutendes Mauerwerk dieses Hauses und ein nicht hoher viereckiger, doch weit sichtbarer Thurm emporragt. Entzückend ist von da die Fernsicht. Wie eine grosse Landkarte liegt mit Städten, Schlössern, Dörfern, Flüssen, Wäldern und Fruchtauen ein unermessliches Gebiet zu Füssen der Schauenden, von nicht eben zu hohen Bergketten, der Schmücke, Finne und Hainleite durchzogen.

„Hier ist der Pass, durch welchen, nach der Sage, einst das Gewässer abgegraben wurde, das als See über dem Flachlande Thüringens stand,“ berichtete Otto: „und der Fluss, der sich jetzt so anmuthig in mäandrischen Krümmungen durch diese Fluren schlängelt, ist die Unstrut, in welche ihr dort, von Kindelbrück und Sondershausen herfliessend, die Wipper einfallen seht. Diese Bergveste bauten die Sachsen schon im sechsten Jahrhundert, nach der Eroberung von Burgscheidungen und dem Untergange des Thüringischen Königthumes. Ein alter muthiger Sachsenritter, der durch Wort und That seine Landsleute zum Ueberfalle Scheidungens anfeuerte, Herr Hugo oder Haugk, soll jenes untere Schloss erbaut haben, das noch die Hakenburg genannt wird.


Diesem schritten die Freunde zu. Der abwärts sich ziehende Bergpfad führte sie an einer einsamen Kapelle mit einem Friedhofe vorüber, die zwischen den beiden Triimmerburgen lag. Hier ruhen die Bewohner des am Fusse gelegenen Dorfes Sachsenburg. Einst wird auch sie verlassen und Ruine stehn, wie die Kiffhäuserkapelle. Das untere Haus bewahrt grössere Trümmerreste, darunter auch einen Thurm, in welchen hinab eine gefährlich jäh sinkende Schlucht leicht unvorsichtig Nahende stürzen könnte. Auf dem Kalkgerölle des Schlossberges fand Lenz einige niedliche Fragmente von Entrochienstengeln, und Otto erzählte dabei, dass sogar an diese Versteinerung die Volkssage sich hefte, die sie Bonifaciuspfennige nenne, und berichte, dass einst der Apostel Thüringens das Geld der ihm unholden heidnischen Bewohner dieser Gegend verflucht und in Stein verwandelt habe. Diese sogenannten Bonifaciuspfennige sind aber jetzt auf der Sachsenburg so ziemlich abgelesen. –

An dem alten Herrensitz ehemaliger Landesgebieter, denen die ganze güldne Aue unterworfen war, dem Schlosse Beichlingen vorbei, ging nun nach Cölleda die Fahrt. Dieses Städtchen, scherzweise Kuhkölln genannt, litt sehr oft durch Brand, und gewährt durch neuen Aufbau einen freundlichen Anblick. Den Scherznamen hat es von der mit bestem Erfolge betriebenen Viehzucht, zu welcher, neben Ackerbebauung, Landesart und Lage sich trefflich eignen. Gärten und Obstbaumanlagen und weithingedehnte Triften mit weidenden Heerden gaben ein befriedigendes Bild ländlichen Friedens und gesegneten bürger- und bäuerlichen Wohlstandes, konnten aber zu langem Aufenthalte nicht einladen. Als der Abend herabsank, kamen die zu Wagen schnell durch die stillen Felder Reisenden in Rastenberg an, und Otto’s Begleiter riefen lachend, als er den Ortsnamen nannte: „ Nomen et omen! Hier rasten wir!“

„Vom Rasten hat das Stadlern nun wohl nicht den Namen, das früher Raspenberg hiess,“ berichtigte Otto; „sondern eher von einer alten, fast ganz zerstörten Burg darüber, die der ältere thüringische Heinrich Raspe, Ludwigs mit dem Barte Sohn, erbaut haben soll. Hier hausten äusserst arg die Raubschaaren, die Adolph von Nassau landverwüstend nach Thüringen sandte, besonders in den Klöstern, darüber ihnen aber von den rächenden Landesbewohnern ein absonderlich schmähliches Etwas angethan wurde, das ein altes, noch aufbewahrtes Lied besingt. Bald darauf wurde die Burg von Friedrich dem Gebissenen als Raubnest mit Hülfe der nächstliegenden Reichsstädte zerstört.“

Von hier aus sandten die Freunde das von dem nahen Memleben mitgenommene Geschirr zurück und nahmen am folgenden Morgen ein anderes – da Otto in der zwar fruchtbaren, aber an landschaftlichen und romantischen Reizen nichts Besonderes darbietenden Gegend eine ermüdende Lustwanderung nicht für angemessen fand – welches sie in wenigen Stunden über Buttstedt und Buttelstedt nach Weimar brachte, das sich von der sanft ablaufenden Höhe des zur Rechten bleibenden Ettersberges am Fusse des bewaldeten Webichts und der mit Villen geschmückten Altenburg in dem heitern Ilmthale recht angenehm und bescheiden ausnahm.

Es war natürlich, dass die Fremden nicht ohne hohe Erwartung der berühmten Stadt nahten, und Otto empfand zum ersten Male auf der Reise einige Verlegenheit, ob er auch genüglich befriedigend hier als Cicerone werde erscheinen können, wohl bedenkend, dass hier allerdings mehr zu verlangen sei, als bloses Herumführen und Herumführenlassen bei öffentlichen Anstalten und Sehenswürdigkeiten, welches noch dazu ein mehr und mehr sich regnerisch trüb umziehender Himmel zu stören drohte. Der Name Weimar hat so guten europäischen Klang, dass es nun schwer fällt, dem besuchenden Fremden die nicht grosse Residenz und ihre grösstentheils engen und winkeligen Strassen mit dem Bilde in Einklang zu bringen, das er von dieser Stadt, bevor er sie sah, in sich trug. Zwar ziert sie gar mancher Neubau; die Carlsstrasse, die Esplanade sind schön zu nennen, die durch friedliche Zeit und das Bedürfniss sich mehrender Bevölkerung erweckte Baulust hilft ungemein die Städte fast überall, so auch hier, verschönern, aber der äussere wachsende Glanz kann den innern verwelkenden nicht ersetzen, und es erweckt trübes Nachdenken, wenn auf entschwundener intellektueller Grösse die Grabschrift olim steht, leuchtete sie auch noch so golden in die Spätwelt hinein. Diess äusserte Otto unverholen gegen die Freunde, als sie in Weimar einfuhren und in einem der auf dem nicht grossen Marktplatze gelegenen Gasthäuser abstiegen.

„Es würde euch für Ignoranten erklären heissen,“ sprach er weiter fort: „wollte ich euch eine Nomenclatur der grossen Geister vorführen, die einst Weimar den schmeichelnden Namen des Ilm-Athens durch ihre Anwesenheit erwarben, jenes wohlfeile Epitheton, mit welchem die guten Deutschen äusserst freigebig sind, da sie ein Spree-Athen, ein Elb-Athen, ein Isar-Athen, ein Pleisse-Athen und so weiter haben, wo aber leider unter wenigen Atheniensern stets viele Abderiten umherwandeln. Ihr findet hier eine Stadt, die als solche nicht besser und nicht schlimmer ist, als andere kleine deutsche Residenzen, und die jetzt im Sommer etwas stiller wie sonst ist, weil der Hof in Wilhelmsthal verweilt. Die Hauptstrasse, welche Nord- und Süddeutschland verbindet, die von Berlin und Leipzig nach Frankfurt am Main und hier durch führt, verschafft Weimar übrigens grosse Frequenz von Fremden und Reisenden; die Gegend ist angenehm, fruchtreich; doch romantisch, wie ein und der andere Enthusiast sie genannt, kann man sie nicht bezeichnen. Dafür aber hat sinnig und gemüthlich schaffende Kunst hier vielfach verschönend gewaltet, und so manche reizende Anlagen von Schlössern, Häusern und Gärten sind sprechende Zeugen von Anna Amalia’s und Carl August’s läuterndem und harmonisch schaffendem Genius.“

„Du wirst Sorge tragen,“ nahm Lenz das Wort: „dass wir als rasche Touristen das Schöne der hiesigen Gegenwart sehen, was du für anpreisenswerth hältst; was das Vergangene betrifft, so wollen wir ihm an geeigneter Stätte eine Thräne weihen, ohne Schlummernde zu stören.“ „Wenn die Weimaraner stolzer auf den Namen ihrer Stadt sind , als auf die Stadt selbst,“ äusserte Wagner, „so ist dies ihnen nicht zu verdenken ; es ist doch eine Art Nationalgefühles, das in Deutschland nicht häufig ist, und war doch nun einmal ihr Ort die unscheinbare Muschel, welche die köstlichsten Perlen barg.“

„Schade, dass dein Gleichniss hinkt,“ spottete Lenz: „da die Muschel die Perlen weder erzeugte, noch ihren Glanz einschloss. Und würdigte die Muschel auch, so lange sie ihn besass, hinlänglich ihren grossen Schatz, auf welchen sie nun so stolz ist?“

„Brechen wir davon ab, meine Lieben,“ bat Otto, die Korke von den Flaschen edlen Frühstückweines entsiegelnd und die Becher füllend. „Klingt an! Schillers Wort: Auch die Todten sollen leben!“

„Und werden leben, Amen!“ setzte Lenz feierlich hinzu. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen