Abschnitt. 1 - Vom Dorfe Sättelstädt, das ein mythischer Name ...

Vom Dorfe Sättelstädt, das ein mythischer Name, der an den im Hörseelberge spukenden Satan erinnern soll, und ein unüberwindlicher Lanzenbrecher, Herr Waltmann von Sättelstädt, sagengeschichtlich interessant machen, führt ein steiler Pfad den schroffen Berg empor, den die Thüringische Sage zu einem ihrer liebsten, aber auch düstersten Sitze erwählte. Diesen Pfad beschritten die Wanderer, erfreuten sich auf der kahlen, luftigen Höhe einer ähnlichen herrlichen Fernsicht, wie die jüngst geschaute, und horchten nebenbei den Erzählungen ihres Führers, der von den Berichten thüringischer Chronikbücher, von fortlebender Sage im Volke selbst und allen Liedern über diesen Berg genug zu erzählen wusste. Vornehmlich war er bemüht, die Mähr vom edlen Tanhäuser und dem treuen Eckart mit denen von diesem Berg in Einklang zu bringen, Beweisstellen citirend aus alten Werken, und mit neuen Forschungen längst Angenommenes bestätigend.

„Der Hörseelberg“ sprach Otto: „war den umwohnenden Vorfahren und auch weiter Entfernten Fegefeuerstätte, Sitz des wilden Heeres, und unterirdischer Liebeshof der Frau Venus; sein Sagenkreis umschliesst den Schauplatz des schaurigschönen, süssgrauenvollen und weithin verbreiteten Tanhäuserliedes. Ich will euch mit Citaten aus halb und ganz vergessnen Büchern nicht ermüden, ich will euch nur sagen, dass die Sage so reizend und verlockend das Innere des Berges schildert, auf dem wir eben wandeln, dass man gar zu gern ein süsses Abenteuer hier bestehen, und sich trotz Papst und Spruch von ewiger Verdammniss in die zärtlichumstrickenden Liebesarme des schönen Götterweibes stürzen möchte, welches, herausgetreten aus dem Kreise der antiken Mythe, nicht mehr Olympierin, nicht Fee, nicht skandinavische Gottheit, sondern nur ein herrliches deutsches Fabelwesen geworden, nichts von Asketik weiss, und keine andern Götter über sich hat. Das alte Lied nennt die Frau Venus nur deshalb eine Teufelin, weil es für heidnische Göttin keinen andern Namen kennt, und der Tauhäuser kehrt in Gottes Namen mit gutem Vertrauen wieder in den Berg, sagend:


Ich will zu Venus meiner Frauen zart,
Wo mich Gott hin will senden.“ –

Dicht unter einer schroffen Felskante, die längs des sich sehr steil in das Thal absenkenden Berges hinläuft, erblickten nun, von Otto zum Herabklettern genöthigt, die Fremden das enge Hörselloch, die zu einer schmalen Oeffnung zusammengeschrumpfte Pforte des Zauberberges, den Ausgang des wilden Heeres, und konnten sich einen Felsblock als Sitz des treuen Eckardt denken, von dem der Schluss des Heldenbuches kündet:

Man vermeynet auch der getreu Eckarte sey noch vor fraw fenus berg, und sol auch da belyben biß an den jungsten tag, un warnet alle die in de berge gan wöllen.

Lenz vermochte nicht die Bemerkung zu unterdrücken: „Solcher Anblick des einfach Natürlichen, nichts weniger als imposant Wirkenden zerstört eigentlich alle Illusion – ganz anders habe ich mir nach allem jetzt und früher Gehörten und Gelesenen den Hörseelberg und seine Höhle gedacht, in die ich nicht drei Schritte weit eindringen kann. Das mag ein Loch für die magern Wind- und Dachshunde des wilden Jägers sein, den ich mir ebenfalls nicht wohlbeleibt denke; ein halbwegs korpulenter Tanhäuser kann nicht eingehn, es winke nun Himmel oder Hölle.“

Wagner entgegnete hierauf: „Man sieht recht, dass Du mit Phantasie nicht sonderlich bedacht bist; ich denke mir eine reizende Mondnacht, glühende Sterne, und dann weicht dieser todte Fels leise nach beiden Seiten zurück, dann ist ein Blick vergönnt in die glanzüberfüllte, blendendhelle Bergeshalle. Schaue um Dich, die Eigentümlichkeit dieser sterilen Felsenmassen, die schwindelnde Tiefe hier hinunter, der einsame Ort, Alles wirkt phantastisch anregend, horch, es rauscht wie Windesheulen – in der Tiefe brauset es hohl.“

„Es ist oft der Fall,“ setzte Otto hinzu, während er über eine von Epheu umgrünte, sanft abwärts sich senkende Matte hinunter leitete: „dass man unbefriedigt das erblickt, davon oft die Rede war, zumal wenn eine gewisse Vorliebe mit bestochenen Augen sah und schilderte; allein Erinnerung wirkt auch in diesen Fällen freundlicher ausgleichend, und das verschönend, was die Wirklichkeit darbieten konnte.“ –

Bald war wieder die Fahrstrasse erreicht, der bereit stehende Wagen nahm die Wanderer auf und rollte in einem nicht breiten, von den langgedehnten schroffen Hörseelbergen einerseits gebildeten, mit Wiesen und Dörfern geschmückten Thale fort, über welchem bald der hohe Bau der Wartburg zur Linken sichtbar ward. Eisenach lag vor den Blicken der Reisenden; ein altertümlicher Thorthurm mit Ludwig des Bärtigen verwittertem Steinbilde zeugte noch vom frühen Ursprunge der Stadt.

„In der Stadt ist das Merkwürdige bald gezeigt,“ sprach Otto, während man durch ziemlich schmale, von wenig hohen und bunt angestrichenen Häusern gebildete Gassen fuhr, und auf den Marktplatz gelangte, den ein geräumiges Rathhaus, ein geschmackvoller Fürstenbau, das Residenzhaus genannt, die alte, von Linden umgrünte St. Georgenkirche, vor ihr ein schöner achteckiger Brunnen mit dem Standbilde des heiligen Lindwurmtödters und Stadtschutzheiligen, und das schöne Gebäude der neuen Bürgerschule ziert. Von den Fenstern des beliebten Gasthofes „zum Rautenkranz“ aus, in welchen die Freunde einkehrten, erblickten sie nun nahe vor sich die vielgepriesene Wartburg. Während einiger Rast und Entledigung des Reisestaubes entwickelte Otto den Freunden seinen Plan, sie zu raschem Ueberschauen des vorhandnen Merkwürdigen zu führen. „Ich zeige euch,“ sprach er, „zunächst an und in der Georgenkirche die Monumente Johannes Hiltens, eines prophetischen Mönches, der das Auftreten eines Eremiten vorhersagte, welcher den römischen Stuhl reformiren würde, und das des berühmten Nicolaus von Amsdorf, Luthers langjährigen Freundes, der hier als Kirchenrath starb. Diese Epitaphien mögen vorbereitend auf den Besuch der Wartburg wirken; dann machen wir einen kleinen Gang durch die über 1,400 Häuser, doch nur 8000 Einwohner zählende Stadt; ihr beseht den verschönert wieder aufgebauten Explosionsplatz, auf welchem 1810 das Auffliegen von drei mit Pulver, Kugeln und Haubitzenpatronen beladenen Wagen eine schreckliche, der ganzen Stadt mit Vernichtung drohende Katastrophe herbeiführte. Allmälig emporsteigend, werdet ihr durch die naturpark-ähnlichen Anlagen des Röse’schen Hölzchens zu einer verfallenen Burg geführt, und von dieser erst der noch erhaltenen, die ich Thüringens Palladium nennen möchte, nahe gebracht. Möchtet ihr in diesem allmäligen Gewinnen der Höhe etwas Symbolisches erblicken, ein rückwärts in die Gefilde der Weltgeschichte blickendes Emporsteigen per aspera ad astra.“

Die Sonne neigte sich dem Westen zu; ihr Strahlengold umfloss wie ein Heiligenschein die altergraue Wartburg. Vom Ruinenberge des Mittel- oder Mädelsteins aus, der früher als jene, ihn hoch überragende Veste erbaut, und im thüringisch-hessischen Erbfolgekriege zerstört wurde, stellte diese sich malerisch und schön mit ihren mannichfaltigen Gebäuden und dem viereckigen Wartthurme dar. Stadt und Gefilde lagen nicht minder in herrlicher Beleuchtung; von spiegelnden Teichen blitzte Feuer auf; Gärten und anmuthige Wiesenthäler, nackte Felsgruppen, tiefgrüne Laubwälder, ferne Bergzüge des Hessenlandes nach nordwestlicher Richtung, im Südost der über niedrigern Nachbarbergen gigantisch aufgethürmte Inselberg zogen wechselnd die Blicke an, und wussten sie zu fesseln. Die Stadt selbst zeigte sich heiter an den Fuss der Burgberge hingebaut, mit manchem stattlichen Gebäude neuer wie älterer Zeit, von welchen letztern mehrere, wie namentlich die Karthause und die Klemde, jetzt nützlichen und freundlichen Zwecken, die erste als herrschaftliches Gewächs- und Treibhaus, die letzte einer geschlossenen Gesellschaft der Honoratioren Eisenachs, dienen. Endlich war in nächster Nähe eine pittoreske Felsgruppe zu betrachten, zwei nachbarlich isolirt aufragende Steinkolosse, Mönch und Nonne genannt.

„Wenn wir droben auf der Wartburg stehen,“ nahm Otto zu den Gefährten das Wort, „will ich eure Blicke herüber lenken nach diesem – Naturspiele, dann werden euch diese Felsen als ein sich liebend küssendes Paar erscheinen. Nicht blos die klassisch antike, auch die deutsche Sage weiss mit sinnigen Metamorphosen zu unterhalten. In zwei Klöstern Eisenachs hatte der Pfeil der Liebe zwei Herzen getroffen, und die Getrennten suchten ersehnte Vereinigung herbeizuführen. Die Liebenden Beide liessen die Klosterriegel hinter sich und trafen sich hier oben an einsamer Stelle, und küssten sich liebedurstig, endlos. Sie wurden in Stein verwandelt und küssen sich immer noch; die Sage verschweigt, ob die Verwandlung als Strafe geschah, weil sie sich küssten, oder als Zeichen, dass Mönche und Nonnen sich in Gottes Namen küssen sollen.“

„Letzteres war Luthers Auslegung, und er that also,“ äusserte Lenz lächelnd. „Und that wohl daran,“ fügte Wagner hinzu.

„Wir wandern jetzt in einem Gebiete, meine Freunde,“ nahm Otto wieder das Wort, während alle Drei auf wohlgepflegten Wegen vom Mittelsteine herabgingen und dann den durch Gebüsch aufwärtsführenden Felsenpfad langsam emporstiegen: „das von der Sage, wie von der Geschichte, mit so vielem Erwähnenswerthen gleichsam überschüttet wurde, dass es nicht ganz leicht ist, mit sicherm Takt Vorzüglichstes hervorzuheben, und minder Wichtiges nur anzudeuten, wo nicht ganz zu übergehen. Die Wartburg ist der Centralstern der thüringischen Geschichte, und schmückend klammerte sich grüner Sagenepheu rings umher an Burgmauern, Felszacken und Höhlengeklüft, gleichsam den heiter bestätigenden oder erläuternden Bilderschmuck solch reichhaltigen Buches abgebend. Die Geschichte der Stadt Eisenach erscheint ganz in mythisches Dunkel gehüllt, aus diesem tritt sie, doch immer noch sagengeschichtlich, zu Attila’s Zeit, doch an andrer Stelle, als jetzt, gelegen. In den Zeiten der Frankenherrschaft über Thüringen erhob sich der Mittelstein als Veste, später krönten neben ihm und Wartburg noch viele andre Burgbaue die nachbarlichen Berghäupter. Eine verderbliche Hunnenschlacht unter dem Thüringer-Herzog Burkard, in welcher dieser fiel, wurde in der Nähe des alten Eisenach geschlagen, dann ist bis auf Ludwig den Springer Stadt und Land in tiefes Schweigen gehüllt. Dieser aber, hier herum jagend, ersah den nahen Berg, sprach mit Wohlgefallen: Wart’ Berg, du sollt mir eine Burg werden, und wurde Wartburgs Begründer und Erbauer. Das neue Schloss ward zum dauernden Herrensitz erwählt, und unter seine Flügel eine jugendlich erwachsende Stadt, das jetzige Eisenach, gestellt. Von den Burgzinnen aus überblickten die Thüringer Landgrafen einen grossen Theil ihres Gebietes. Ludwig der Eiserne thronte bald auf der Wartburg, bald auf seiner Freyburger Nauenburg; sein Sohn, Ludwig der Milde, ward der Gründer von der Kirche St. Georgs in Eisenach. Dessen Bruder Hermann war der Sängerfreund, der an seinem Hof auf Wartburg die berühmten Minnesänger Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen, Heinrich von Rispach, Walther von der Vogelweide, Reinhard von Zweter und Biterolf versammelt hatte, wo sie den bekannten Singerkrieg mit einander in änigmatisch-dramatischer Weise stritten, zu dessen Entscheidung Klinsor aus Ungerland herbeigerufen wurde, der in seiner wunderbaren Person und Erscheinung den Nekromanten, Astrologen und Sänger vereinigte. Sein Auftreten fand nach den alten Nachrichten unter dämonischer Mitwirkung und Begleitung Statt, und so wurde vornehmlich durch ihn dem anziehenden Stoffe des Wartburger Sängerkriegs jener eigenthümliche Reiz verliehen, der sich in den besten mittelalterlichen Dichtungen offenbart, und sich in dem Gegensatze des Christenthumes zum Heidenthum und einem steten Ringen des erstern zur Ueberwindung des letztern lebendig kund thut. Klinsor ist hier der Träger des heidnischen Zauberwesens, das versuchend und umstrickend dem christlichen Ritter nahe tritt, durch Frömmigkeit und Weisheit aber überwunden wird; Er schlichtet den Sängerstreit und kehrt, reich von Hermann beschenkt, nach Ungarn zurück. Dorthin schickte bald nachher der Landgraf eine ansehnliche Gesandtschaft, für seinen Sohn Ludwig um des Königs Andreas Tochter Elisabeth zu werben. Als vierjähriges Kind kam diese auf die Wartburg, um in der Geschichte derselben später als ein schöner Stern zu strahlen. Sie, die Heilige, erblicken wir mit ihrem Gatten, dem Heiligen, in der schönsten Verklärung und Weihe einer seltnen Seelenharmonie; ihr ganzes Walten athmete nur Gottseligkeit, Frömmigkeit und Wohlthun; das seine that sich in Unerschrockenheit, strenger Handhabung des Rechtes und der mildesten Nachsicht für der Gattin übergrosse Freigebigkeit und Herablassung gegen Arme kund; da ist hier umher fast keine Stelle, die nicht von Elisabeth zeugte, die vielen schönen Sagen von ihr sind als allbekannt anzunehmen, und keine andre Heilige der katholischen Kirche lebt in einem protestantischen Lande in so gefeiertem und verehrtem Andenken fort, wie die thüringische Elisabeth. Fast brach ihr das Herz der Tod des Gemahls, der, auf seinem Kreuzzuge begriffen, in der Ferne starb, und sie sah kummerschwere Tage hereinbrechen, ja sie musste, von ihrem Schwager Heinrich Raspe unrühmlich verstossen, mit Thränen von der Wartburg scheiden. Sie war nicht die einzige hohe Frau, die dem Schlosse, worin sie herrschend, glückliche Zeiten gesehen, im tiefsten Leide den Rücken kehren musste.“ –

Indem Otto fortfuhr, den Freunden einige geschichtliche Hauptmomente der Bewohner der alten Landgrafenresidenz mitzutheilen, und nicht unterliess, des thüringischen Erbfolgekrieges, dessen Schauplatz zumeist Eisenach und die Wartburg mit der Umgegend waren, und des trotzigfesten Rathsherrn Heinrich von Velsbach zu gedenken, der auf einer Wurfmaschine von der Burg herabgeschleudert wurde, und noch im Fluge durch die Luft rief: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant! – kam man der Veste immer näher, und Lenz fand auf dem steilen, oft gekrümmten Felsenwege, dessen eingehauene Ruhesitze einigemale benutzt wurden, Anzeichen einer an Phanärogamen und Kryptogamen reichhaltigen Flora, und machte die Bemerkung, dass das häufig als Felsmasse zu Tage stehende Gestein aus dem Conglomerat des Todtliegenden bestehe. Otto hatte noch des Landgrafen Albrecht und dessen unglücklicher Gemahlin Margaretha zu gedenken; er war der Burg so nahe gekommen, dass er, zur Rechten gewandt, an der düster umschatteten westlichen Mauer die Stelle zeigen konnte, wo die Genannte flüchtend sich niederliess, nachdem ihr Mutterschmerz dem Kinde Friedrich den allbekannten Beinamen in einem blutigen Verzweiflungskusse gab – und man stieg nun zur Burg empor, die malerisch vor den Blicken aufragend, wohnlich grüsste, um über alte Befestigungen und durch mehr als ein Thor in das Innere zu gelangen. Durch das hohe gewölbte Thor geschritten, zeigte sich ein gut zu vertheidigender Gang, welcher zunächst in den Burghof nach der Wohnung des Kastellans und den Restaurationszimmern leitete. Da der Tag sich bald neigen wollte, führte Otto am liebsten sogleich die Freunde zur Besichtigung der Burg. Das Ritterhaus wurde betreten; über einen Corridor wandelnd und eine alte Treppe emporsteigend, öffnete sich Luthers einfache Zelle. Hier war das Asyl im Pathmos des unter dem Namen Ritter Georg symbolisch genug verborgen und geborgen auf Wartburg lebenden Reformators. Einfaches Geräth, ein Bild und eine Büste Luthers erinnern an den Bewohner, der in diesem Stübchen zehn Monate lang weilte, einen grossen Theil der Bibel hier übertragend. Der Kastellan wird nie unterlassen, jenen sagenhaften Fleck und Eindruck in der Wand zu zeigen, welchen das dem Teufel an den Kopf geworfene Dintenfass verursachte. Von den Beschauenden überliess sich ein Jeder seinem eignen Nachdenken und seinen Gefühlen in dieser Zelle, in welche glühender Abendsonnenschein wie ein verklärender Schimmer durch die kleinen Scheiben fiel.

Von da wurden die Fremden in das anstossende Hohe- oder Landgrafenhaus geleitet, und hier zunächst in die Schlosskapelle geführt. Deren einfacher Bau bewahrt manches Alterthümliche, besonders an einigen Säulenknäufen, Reliefs, Bildern. Sie gefiel dem begleitenden Maler so wohl, dass er sie zeichnete.

„Von dieser Kanzel predigte Luther täglich zweimal den Bewohnern der Wartburg, wie er selbst an einen Freund schrieb.“ bemerkte Otto seinen Begleitern, und machte sie noch auf ein Gemälde aufmerksam, die heilige Elisabeth darstellend, wie sie Armen und Krüppeln die Fülle ihrer Wohlthaten spendete.

Im Rittersaale und der nahe dabei befindlichen Rüstkammer gab es an alten, zum Theil sehr schönen Harnischen thüringischer Ritter, Waffen, Feldschlangen und altertümlichen Bildnissen Vieles zu betrachten. Hier konnte man sich die Versammlung der Minnesänger denken, und alle Fürstenlust der Landgrafenzeit. Die meisten Harnische, darunter einige vollständige Ritter zu Ross, führen die Namen derer, welche sie getragen haben sollen – darunter sind sogar einige Damen-Rüstungen. Auch wurden hier, wie an andern Orten mehr, die Kleider der geraubten sächsischen Prinzen Ernst und Albert gezeigt, und selbst Kunzens von Kauffungen hohe Gestalt ist durch eine Rüstung vergegenwärtigt, die seinen Namen trägt. „Der Historiker wird hier ein Auge zudrücken und Niemandes Illusion stören,“ flüsterte Einer aus der Gesellschaft, um nicht lebhaften Widerspruch zu erwecken. Anziehend ist in der Rüstkammer ein altes und lebensgrosses Bild Ludwigs des Eisernen, der darauf, gepanzert, im Hut und reichen Schmuck erblickt wird. Im Hintergrunde zeigt sich die bekannte Execution, und es war den Freunden nun doppelt anziehend, im Verweilen vor diesem Bilde des Tages zu gedenken, an welchem sie den Schauplatz jener Handlung bei Freiburg erblickten.

Nach genügendem Verweilen in diesen Sälen voll alterthümlichen Interesses wurden die Fremden auch einigen modern sich darstellenden Zimmern zugeführt, in deren einem ein neues Gemälde, von der geübten Hand einer weimarischen Künstlerin, die heil. Elisabeth, Gaben spendend, mit Antheil betrachtet ward. Indess war das Tagesende so weit nahe, dass die Freunde eilen mussten, den nicht hohen Thurm zu besteigen, um das entzückende Schauspiel eines schönen Sonnenunterganges zu geniessen. Während die Tageskönigin sank und gesunken war, überflammte sie noch mit glühendem Purpur die Höhen und Haine. Das Wäldermeer zu Füssen der Wartburg, das einst Margaretha’s irrendflüchtiger Fuss durchwandelte, lag in friedlichster Stille; über der Stadt, auf der entgegengesetzten Seite des Burgberges, schwamm zarter Abendduft. Die Thüringer-Waldkette zog sich düster im Süden hin und liess den Blick frei auf die ferne, blaue Rhön; der Inselberg aber ragte mit seinem Königshaupt in den Heiligenschein des Abendgoldes. Der gespenstige Riesensarg des Hörseelberges, dem Einige Aehnlichkeit mit dem schweizerischen Rigi, Andere mit dem Tafelberg in Bezug auf seine Form zuschreiben, hob sich schroff und kahl empor; die Wachsenburg schien als Grenzsäule der Aussicht am Saume des Horizonts zu stehen. Immer schöner prangten, ganz in Sonnenröthe getaucht, des Himmels Wolkenschäfchen, und erfreut, wie bewundernd, in schweigendes Entzücken über alle das umgebende Schöne, Nahes wie Fernes, versunken, weilten die Freunde noch lange auf dem flachen Dache des Thurmes. Glücklich und frei, schöner Zeiten, auch schöner, einst auf Wartburg lebendig ausgesprochener Hoffnungen gedenkend, trugen sie kein Belieben, Verliesse und Kerker zu besuchen. Im Herabsteigen und nachherigem Rasten knüpfte Otto wieder den zuvor abgebrochenen Faden seiner Mittheilungen über die Geschichte der Burg und ihrer Besitzer an, und die Freunde, um solche zu dauernder Erinnerung aufzubewahren, erwarben von dem gefälligen Kastellan Thons oft aufgelegtes, gründliches Buch: Schloss Wartburg.

Gern blieben die Besuchenden noch in den freundlichen Zimmern der Restauration, sich mit Speise und Trank und heitern Tischreden erquickend, bis Otto selbst zum Aufbruch ermahnte. „Scheiden wir,“ sprach er, „nun von der altehrwürdigen Wartburg, von der ich mich stets ungern trenne, und suchen die Ruhe. Morgen haben wir einen starken Wandertag über Berg und Thal; der ganz wolkenfrei werdende Himmel verheisst uns treues Geleit. Wir betreten den schönsten, den romantischsten Theil des Thüringer-Waldes, Schlösser und Burgen begrüssen uns, Sagen und Mährchen flüstern aus Busch und Bach, und vielleicht tritt uns, ich ahne es, manche liebe Gestalt entgegen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen