Abschnitt. 2 - Die Wanderer schickten sich an, den Ottilienstein zu verlassen, ...

Die Wanderer schickten sich an, den Ottilienstein zu verlassen, warfen noch einen Blick auf den von Menschen wimmelnden Markt, denn es war gerade ein Wochenmarkttag, zu welchen stets eine grosse Menge Bewohner der Nachbarorte strömt, da der Verkehr dort äusserst lebhaft ist – dann zeigte und nannte Otto den Gefährten die Steinsburg, einen hohen Sandberg mit einer Basaltkuppe, um die wieder der Sagenepheu von einer dort gestandenen Burg, Schätzen in der Tiefe, aus blühender Glücksblume und wandelnder Jungfrau romantisch rankt, so wie den Ringberg und Spitzberg, die mit dem Dell- und Domberg u. a. den engern Gebirgsring um die Stadt bilden. Von unten herauf klangen die Töne eines mit Meisterschaft geblasenen Hirtenhornes, und langsam bewegte sich, freudebrüllend, im langen Zuge eine Rinderheerde von mehr als 700 Stück zur Stadt hinaus, bei deren Anblick Otto nicht unterlassen konnte, seinen Freunden die Schmackhaftigkeit der beliebten Suhlaer Käschen, von der Grösse eines Guldenstücks, anzupreisen.

Durch schöne Gartenanlagen, an Teichen vorbei, in denen ganze Schaaren Forellen standen und über würzige Wiesen voll Alpenkräuterduft, auf denen Lenz eine Menge anderswo selten oder nicht vorkommender Kräuter entdeckte, kamen die Wanderer zu dem Schiesshaus, das durch seine Grösse und die Schönheit der Anlagen Zeugniss von dem Geschmack und dem geselligen Sinn der Einwohner Suhls gibt; gleichwohl besteht noch eine zweite Schützengesellschaft dort, die ihre Schiessen auf dem „fröhlichen Mann“ nicht minder fröhlich und gastlich, wie jene, hält. Der Sinn für dieses Vergnügen ist auf dem Thüringerwald und in seinen Nachbarorten ausserordentlich rege und lebendig, und die Vogelschiessfeste sind fast überall nach Maassgabe der Kräfte und Verhältnisse glänzend, und zahlreich besucht.


Als die Freunde wieder in die Stadt zurückkehrten, erfreuten sie sich am Anblick der frischen, roth- und vollwangigen Thüringerwaldmädchen, die in ihren nationellen Trachten theils noch zum Markte gingen, theils daher kamen, und durch lautes Gelächter und neckendes Aufziehen der Gefährtinnen das bewegliche Bild doppelt belebten, welches der Markt darbot.

Mehre Besuche wurden nun gemacht und überall die sociale Höflichkeit wahrgenommen, die es nicht merken lässt, wenn auch ein solcher unangemeldeter Besuch nicht ganz zur gelegenen Stunde kommt. Gastlichkeit ist eine der grössten Tugenden der Bewohner Thüringens, zumal auf dem Walde; dort ist das steife Ceremoniel nicht heimisch, das die Vornehmen zu ihrer Selbstqual erfunden haben, und die Betretenheit ungekannt, die vor einer fremden Persönlichkeit zurückscheut, welche im Oberrock und Reisehut anklopft. Mit Freundlichkeit wird angeboten, was das Haus vermag, und mit Bereitwilligkeit gezeigt, was der Fremde zu sehen wünscht. Viel hörten Rühmliches, viel sahen Schönes die wandernden Freunde vom alten Döll, Suhls anerkannt berühmtesten Steinschneider und Medailleur. Otto zog vom eignen Finger einen Siegelring und hielt ihn den Freunden gegen das Licht. „Ha, Göthes Portrait! Wie gut getroffen!“ rief Wagner, „welch schöner Pyrop!“ rief Lenz aus. „Auch dieser gelungene Göthekopf ist ein Stück von Dölls Meisterhand,“ berichtete Otto und führte die Bewundernden zum Erfinder des Aeolodicons, der freundlich und gefällig dem schönen Instrument, das er im Hause hatte, die sanfte und schwermuthsüsse Harmonienfülle entlockte, die dessen besondere Eigenthümlichkeit bildet. Man hat in Suhl höchst zweckmässig das Aeolodicon mit der Orgel zum kirchlichen Gebrauch verbunden, und mancher Dorfgemeinde dient zur Begleitung des Gesanges erbaulich das bescheidene und bei weitem wohlfeilere Instrument.

Unterdessen war der Mittag herbeigekommen, der musikalische Kronenwirth empfing mit einer Jubelouverture auf seinem trefflichen Flügel seine Gäste, und bald zeigte die Tafel jene leckern Forellen, nach denen schon beim Erblicken im Teich der Mund gewässert. Als bei Tische die Rede wieder auf die beträchtliche Eisenfabrikation kam, und die Fremden den Flor der Stadt priesen, liess der Wirth nicht unbemerkt, dass neben jenem blühenden Gewerbszweig auch der von sogenannten Stuhlwaaren, Leinwand, Trill, Barchent u. dergl. Erwähnung verdiene, wenn doch einmal vom Flor der Stadt die Rede sein solle. „Dieser Stuhlwaarenfabriken,“ sagte er, „sind hier nicht weniger als sieben, die im Grossen das Geschäft betreiben, ausser den Meistern, die für eigene Rechnung handeln. Die Weberei beschäftigt hier gegen 500 Menschen, und es werden jährlich circa 16,500 Stück Waare ausgeführt und abgesetzt. Das ist aber nichts gegen sonst, wo statt fast 300 Stühlen, wie jetzt, noch einmal so viele im Gange waren.“ –

Man brach auf, um einen Spaziergang in das keineswegs idyllische, sondern von reger Thätigkeit erfüllte und belebte Lauterthal anzutreten. Bald war es erreicht, man ging einigen zunächst begegnenden Rohrbohr- und Schleifmühlen und einer Bajonetschleifmühle vorüber, um bei dem aus einigen Häusern bestehenden Weiler Lauter in den grossen Lauterer Hammer einzutreten. Mächtig pochten die Hämmer, das Gebälk des düstern Breterhauses schütterte von ihren Schlägen, die Räder rauschten, die Essen flammten, und pfeifende Blasebälge fachten die brennenden Kohlen zu blauer Gluth. Wenn ein frischer Korb voll derselben aufgeschüttet wurde, stob jedesmal ein Funkenregen rings umher. Die Cyklopengestalten der Arbeiter, halbnackt, geschwärzt von Dampf und Staub, schafften rührig da und dort und blickten mit hellen Augensternen die eingetretenen Fremden an. Alles ringsum war schwarz von Kohlenstaub, schwere Eisenbarren lehnten in Reihen am Haus, und bald belehrte ein gefälliger Werkmeister, dass diese Roheisenscheiben Gänse genannt würden und jede circa drei Centner wiege. Er zeigte die Gussstücke, erklärte die Beschickung der Erze im Blauofen und führte die Wanderer eine Bretertreppe hinan zu einer Stelle, wo sie in die flammende Hölle des Ofens sehen konnten, in welchem in ungeheurer Gluth die Erze kochten. „Wie lebendig wird einem hier die Wahrheit, mit welcher Schiller den Eisenhammer schildert, vor das Auge gestellt!“ rief Wagner seinen Gefährten zu, denn er musste rufen, da der Lärm des Werks das Sprechen unverständlich machte, und jene bestätigten mehr durch Zeichen, als durch Worte, wie der gleiche Gedanke sich ihnen ebenfalls aufdringe. Unten im Hammer war nahe an dem Ofen eine kleine Rinne in dem Boden, der Werkmeister sah nach der Uhr, führte die Fremden an diese Rinne und winkte einigen Knechten. Diese waren gleich zur Hand mit spitzen Eisenstäben; sie stiessen ein Loch in den Bauch des feuerspeienden Drachen, des Hochofens. Da sahen die Fremden ein überaus herrliches Schauspiel. Wie Lava aus dem Krater eines Vulkans wälzte sich die Feuerfluth des geschmolzenen Erzes langsam in den Sand, glühend im blendenden Weissfeuer, dann hochroth flammend, glitzernd leuchtend und allmälich zur Kupferröthe übergehend, langsam erkaltend. Darauf gegossenes Wasser sonderte die Schlacke ab.

Hierauf wurde auch das Verfahren bei der Blechfabrikation gezeigt und erklärt, wobei der Werkmeister bemerkte, dass die Suhlaer Bleche von vorzüglicher Güte seien und weit im Handel verbreitet, dass sie besonders zu Dampfmaschinenkesseln und Soolsiedepfannen verarbeitet würden, und sich schon im Mittelalter deshalb besondern Rufes erfreut hätten, dass sie zu Harnischen und Rüstungen gut zu verarbeiten gewesen wären.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen