Abschnitt. 1 - Der nächste Morgen hob heiter lächelnd sein rosiges Antlitz über die grünen Berge,...

Der nächste Morgen hob heiter lächelnd sein rosiges Antlitz über die grünen Berge, und hauchte balsamische Frische über Thäler und Tiefen. Die Höhen schwammen im bläulichen Opferduft, und die Blumen der Waldwiesen standen im Diamantenschmuck ihrer Kronen wie reizende junge Königinnen. Die zahllosen hochgezogenen Rosenbäume an den Häusern Suhls standen voll und überall prangender Blumen, und ihr Arom füllte so die Strassen, dass der Wanderer sich in eine Stadt des Orients versetzt wähnen konnte; dazu blickte in der Thüringer-Waldstadt fast aus oder hinter jedem Fenster eine Schaar fremdländischer Gewächse überraschend hervor, dort blühende Oleander-und Granatbäume, dort bräutliche Myrthen mit Silberblüthensternen überstreut, dort Camellien und Rhododendren. Hier reihten sich die monströsen Formen seltner Cacteen, und das rosafarbenblüthige Epiphyllum suchte durch Blüthenfülle die Pracht zu überbieten, mit welcher die einsamere Feuerpurpurblume des Cereus speciosus ihre flammende Blüthenherrlichkeit ausstrahlte. Hunderte von Vögeln schmetterten mit leisen und lauten Stimmen ihren Morgengesang, und eine spätsingende Nachtigall ergoss in melodischen Tönen vielleicht ihre Sehnsucht nach Liebe und Freiheit. Von der grünen Wand des Dombergs klang der Morgengruss fröhlichfreier Waldsänger nachbarlich in die Stadt. Das kleine Häuschen droben auf dem kolossalen Porphyrfels des Ottiliensteins glühte im Frühstrabl wie eine Alpenrose und blickte treulich herab auf den schönen regelmässigen Marktplatz. Dort hinauf wurde der erste Ausflug unternommen. Am steilen Bergpfad fand der naturkundige Lenz mehr als ein Fragment des Gesteins, aus dem der Domberg besteht, erst granitischen Syenit und Stücke des fleischrothen Feldspaths, von dem ein Gang den ersten durchstreicht, dann specksteinähnlichen Porphyr, mit bisweilen eingesprengtem Quarz und Braunsteindendriten. – Aufathmend standen die Freunde auf der Plattform des Ottiliensteins, die früher eine Kapelle trug, und überblickten erst schweigend die bezaubernde Landschaft, ehe Freude und Staunen über deren hohen Reiz Worte fand. Die Morgensonne drückte den bläulichen Duft der Frühe in das schöne Gebirgsthal und auf die Stadt, die weithin durch dasselbe die langen Arme ihrer Häuserreihen erstreckte, und mit ihnen, dicht zu Füssen der Schauenden hingebreitet, den riesigen Domberg umfängt, wie ein Kind das Knie des Vaters.

„Wahrhaftig eine so grosse Stadt hätte ich auf dem Walde nicht zu erblicken geglaubt!“ rief Wagner entzückt aus, der gern mit gewohnter Fertigkeit das weite Halbrund in sein Skizzenbuch eingetragen, wenn diess sich in kurzer Frist hätte thun lassen, und Lenz äusserte, indem er aufmerksam ein vom Fels gebrochenes Farrnkraut betrachtete: „So malerisch-reizend Suhl hier gelegen ist, so mannichfaltig interessant scheint mir für den Mineralogen wie für den Botaniker seine Umgebung; alles kündet hier die Gebirgsflora an, und ich habe im Heraufsteigen schon vier bis fünf der seltneren Cryptogamen bemerkt.“


„Dass Suhl eine ausgezeichnete Flora hat, will ich meinen;“ stimmte Otto bei: „auch in geognostischer Beziehung bietet seine Umgegend eine grosse Mannichfaltigkeit dar. Früher selbst mit Vorliebe Botaniker, habe ich diese Gegend oft durchstreift und aus ihren Schätzen mein Herbarium bereichert; es gewährt eine der reinsten Freuden, so harmlos hinzuschweifen durch die blühende Herrlichkeit der Natur, und immer Neues, vorher nicht Gekanntes zu finden und zu entdecken. Wer mit rechtem Sinn und Ernst Botaniker ist, in dessen Innern bildet sich ein stillfrommes Naturpriesterthum aus, das Herz und Gemüth läutert und heiligt, und noch in späten Jahren blickt man, wie in ein rosiges Tempe, in die Tage zurück, in denen man mit Jünglingsfeuereifer dem reinen Dienst der Flora huldigte und opferte.“
Die Freunde, nachdem sie ihre Blicke an der wahrhaft überraschend schönen Aussicht auf die Stadt, die mit nahe an tausend Häusern munter vom Flüsschen Lauter durchrollt, eines Theils concentrirt den Markt umgibt, andern Theils in drei bis vier Strassenzeilen nach Westen hin sich ausstreckt, dann wieder ähnliche Strahlen in noch längerer Ausdehnung ostwärts sendet, dort auf hohen Mauerterrassen freundliche Häuser und schwebende Gärten zeigt, und endlich mit ihren bescheidnen Vorstädten sich in grünende Thalengen verliert – und an dem Blick auf die frischen Wiesen, die zum Theil inmitten Suhls, von Häusern eingegrenzt liegen, auf die spiegelnden Teiche, die an den Höhen wogenden Saatfelder und die dunkelgrün hinter ihnen aufragenden Waldberge gelabt und ergötzt hatten, setzten sich auf die Bank vor dem Pavillon, welcher den Fels Ottiliensteins schmückt. Otto nahm, – nachdem er eine heimlich mit heraufgebrachte Flasche Rebensaftes, von der Gastlichkeit der Benshäuser Freunde in den Wagen practicirt, entkorkt, den Reisebecher gefüllt und dem göttlich schönen Sommermorgen eine Libation gebracht, erzählend das Wort: „Suhl, meine Lieben, ist die bedeutendste Stadt des Preussischen Henneberg, ausserordentlich gewerblich betriebsam, ein lebensthätiger Phönix, der mehr als einmal schon aus Schutt und Asche zu stets verjüngtem Flor erstand. Der Bergbau, schon im vierzehnten Jahrhundert hier betrieben, legte den Grund zu der Eisenfabrikation, die Suhl längst, wie jetzt noch, Ruf und Ruhm verschaffte. Im dreissigjährigen Krieg wütheten Isolani's Kroaten hier vandalisch und äscherten die Stadt ein; in der Mitte des vorigen Jahrhunderts zerstörte ein furchtbarer Brand sie ganz; dennoch blieb Suhl, wie man sie mit Recht nannte, die Rüstkammer Deutschlands, man hätte einst sagen können: Europa's. Die erste Gewehrfabrik entstand am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, nachdem schon lange vorher die hier ansässigen Panzerer die fränkische Ritterschaft mit Harnischen und Gewaffen versorgt hatten. Lange Zeit war Suhl Deutschlands einzige Waffenfabrik. Stephan Reiz lieferte dem Polenkönige Stephan Bathori dessen ganzen Bedarf zum Krieg gegen Russland; Preussen, Litthauen und Liefland bezogen Gewehre aus Suhl; vom Kaiser Rudolph II. kamen Abgeordnete, die auf viele tausend Gewehre Bestellung machten; Spanien und Frankreich, die Republik Venedig und die Schweiz, das polnische Zeughaus zu Krakau und Dänemark bezogen eine Zeitlang ihren Bedarf aus der thüringischen Waffenfabrikstadt. Die Türkenschlachten wurden mit Suhlaer Gewehren geschlagen. Und jetzt, wo in allen Ländern sich blühende Gewerke dieser Art erhoben haben, wetteifert Suhl immer noch mit den berühmten Fabriken zu Namur und Lüttich und liefert allein für Holland seit Belgiens Abfall alljährlich 5500 Kriegsgeschosse, während es die Preussische Armee ebenfalls mit 5000 dergleichen versieht und noch gegen 1000 elegante Jagdgewehre und Pistolen jährlich absetzt.“

„Wird der Bergbau lebhaft betrieben?“ fragte Lenz, dessen Frage die Lust zu verrathen schien, ein Bergwerk zu befahren, doch musste sie verneint werden. „Der Bergbau war ehemals sehr blühend,“ erwiederte Otto: „allein jetzt ist er nicht mehr erheblich. Am Dellberge, der dort drüben sich ziemlich hoch emporhebt, sollen früher täglich 300 Bergleute angefahren sein; er lieferte Glanzeisenerz und Glaskopf, jetzt werden die 9 bis 10,000 Centner Roheisen, welche der Betrieb der Eisenhüttenwerke um Suhl jährlich erfordert, grösstentheils von auswärts her bezogen. Eine Menge alter Halden und verfallener Stollen in der nähern und fernern Umgegend deuten auf den frühern Bergbau hin, und auch Sagen hört man noch von alten Leuten, in welchen der frühe Erzreichthum des Landes fabelhaft vergrössert fortlebt. Ist es euch genehm, so wandeln wir nun hinab in die Stadt, unsre Flasche ist fast leer, geben wir ihr daher vollends den Rest! Drunten führe ich euch eine Strecke das lachende Lauterthal entlang nach dem Stadtflecken Heinrichs zu, wo wir auf dem neuen und stattlichen Schiesshaus rasten, dann machen wir dem freundlichen Pastor Kommer einen Besuch und bitten ihn, den patriotischen Sänger des Schneekopfs, uns auf diese Hochwarte des Thüringerwaldes eben so zu geleiten, wie Schaubach uns auf den Dolmar führte, treten in die Werkstätten einiger hiesigen Graveurs in Stein und Metall ein, suchen den Erfinder des Acolodicons, Sturm, auf, und wandern dann ein Stück nach Goldlauter zu, von Hammer zu Hammer, auf dass ihr aus dem Fundament erfahrt, durch wie viele Hände und Hämmer das Eisen geht, ehe es als Muskete zum Schlachtfeld, oder als Pürschbüchse zur Jagd getragen wird.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen