Abschnitt. 2 - Die Gesellschaft musste sich von der reizenden Aussicht ... losreißen.

Die Gesellschaft musste sich von der reizenden Aussicht auf Wald und Wild, Bach und Bache losreissen und dem Führer zum sogenannten Kaisersaale folgen, der, von oben durch eine hohe Kuppel sein Licht empfangend, an allen Wänden die Bildnisse aller römischen Kaiser enthält. Von Julius Cäsar an bis auf Karl VI., prangen da die Mehrer des Reichs, unter ihnen auch Günther, der berühmte Schwarzburger. „Die Kaiserbilder sind herzlich schlecht,“ urtheilte Wagner: „doch lässt sich Vieles bei ihnen denken. Fast jeder dieser Männer half ein ziemliches Stück Weltgeschichte machen, das ist doch etwas der Mühe Werthes, wenn auch nicht jedem sein Stück gerieth.“

Die Freunde verliessen das Schloss und suchten den Zeugwart auf, damit er ihnen die Rüstkammer zeige, welche in einem besondern Gebäude, tiefer als das Schloss gelegen, ihre sehenswerthen Räume öffnet. Die Schwarzburger Sammlung alter Waffen, Rüstungen und Heergeräthe ist neben der auf Wartburg die reichste und wohlgeordnetste in Thüringen. Manches Stück wurde besonders betrachtet. Ein Willkommenbecher von künstlicher Arbeit, aus welchem während des Trinkens krachende Schüsse fuhren, die den Trinkenden nicht stören durften; das Schwert Kaiser Günthers, ein Helm, Koller und Schwertgurt Gustav Adolphs und dergleichen zog billige Aufmerksamkeit auf sich. Herrliche Gewehre zeugten von der Jagdliebe der Regenten Schwarzburgs, und wie hätte es anders sein können in einem so forstenreichen Lande, das in alle Weise der Ausübung des edlen Waidwerks günstig war. Man muss von hohen Berggipfeln die ausgedehnten Strecken des Thüringer Waldes überschauen, auf denen oft viele Meilen weit nichts als Waldhöhen, Waldthäler und kräuterreiche Waldwiesen erblickt werden, um sich zu überzeugen, dass hier ein Jagd- und Jägerland, dass hier die Heimath manch edlen Wildes. In diesen Wäldern erschallt im Beginn des Lenzes das Balzgeschrei des Auerhahns an östlichen Bergabhängen, und der Birkhahn kollert und pullert liebesehnsüchtig seinen Ruf, der wie „Frau! Frau!“ klingt; durch diese Wälder dröhnt dumpf um Egydi der Hirsche Brunstbrüllen, so heiss und gewaltig fast, wie das Gebrüll des Königs der Wüste, wenn ihn hungert. In die Erdhöhlen dieser tiefen Niederungen gräbt der Dachs die Kessel seiner Baue, und um die Felsklippen streicht listig Meister Reinecke, um ein Häschen oder einen Vogel zu belauern. – Befriedigt vom Anblick der zahllosen alterthümlichen Armaturen, Gewehre und Kanonen verliessen die Freunde das Zeughaus und wandten sich dem Wirthshause zu. Es waren mehre Reisende darin; wie wandernde Sommervögel schwärmen ihre Schaaren um das romantische Gebirgsschloss; es wird fast nicht leer in der schönen Jahreszeit. Ab und zu strömen die heitern Gäste, und vertheilen sich dann nach allen Richtungen des Waldes hin; der Meisten ersehntes und lohnendes Ziel oder Wanderpunkt ist dann gewöhnlich Paulinzelle.


Der „weisse Hirsch“ hatte ein schmackhaftes ländliches Mittagsmahl, guten Wein und heitre Unterhaltung gewährt; noch eine Tasse Kaffee und dann den Wanderstab zur Hand. Es waren heute nur noch vier Stunden zu wandern, man konnte gemächlich heiter sich des herrlichen Tages freuen und grüsste bald den Felsgipfel des steilen Tripstein, von dem aus gesehen, Schloss und Dorf und Thal sich als ein vollendet reizendes, in allen Theilen harmonisches Naturgemälde darstellen. Wagner sprach sich entzückt darüber aus: „Es gibt Landschaften,“ äusserte er: „die man mit einem Blick festzaubern möchte in den Spiegel unvergänglicher Erinnerung, bei deren Anblick man weder in Nähe noch Ferne auch das Mindeste vermisst. Eine solche ist die, welche sich vor unserm Auge hier ausbreitet, alles Einklang in den verschiedenen Abstufungen des Grün; im Braun der Stämme, im Grau und Schwarz der Felsen, und darüber das tiefe herrliche Blau des Himmels, wiedergespiegelt vom Bach, dessen Wellengeräusch anmuthig bis herauf zur Steinbank dringt, auf welcher wir rasten. Ich liebe solche geschlossene Landschaften, um welche die ewige Bildnerin Natur selbst einen Rahmen zog; es gibt prachtvollere, wie diese, aber an heimlicher Anmuth sucht auch diese ihres Gleichen.“

„Oft schon kam mir der Gedanke als Wunsch,“ nahm Otto das Wort: „dass irgend ein Mittel erfunden werden möge, jedes schöne Naturbild ohne mühsames Nachzeichnen sogleich farbig und vollendet so zu fixiren, wie es sich in Verkleinerungsspiegeln oder in der Camera clara darstellt; ein Wunsch der freilich hyperphantastisch und unmöglich erscheint; es müsste eben ein chemischer Stoff sein, welcher Farbe und Zeichnung der durch optische Gläser auf ihn geworfenen Landschaftsbilder annähme, und festhielte.“

„Nicht übel,“ sagte Lenz lächelnd: „erfinde solches Kunststück, theurer Chemiker, dann drehen dir die Landschafter den Hals um, denn diese Kunst brächte sie sicher um alles Brod.“
„Vor meiner Hand wird unsers Freundes Hals sicher sein,“ scherzte Wagner: „und ich warte billig bis zu meinem sanftseligen Tode diese nützliche Erfindung ab.“

Heiter gestimmt stiegen nun die Reisegefährten in das berühmte, höchst pittoreske Schwarzathal herab und erreichten einen herrlichen Punkt der Hochstrasse, von dem aus malerisch über dem Tannenforst noch einmal das Schloss Schwarzburg sichtbar ward. Eine Eremitenzelle, unter aufgipfelnder Schieferfelswand, schien zur Ruhe einzuladen, unter die Baumsäulen ihrer Vorhalle stellten sich rastend und bewundernd-schauend, die Freunde, tief unten brausste der Bergfluss, leuchtete smaragdgrün eine Thalwiese. Abwärts führte der Weg, durch trauliches Waldesdunkel, zwischen Lärchen und Föhren hin, reizend-einsam; schroff sinken die Felshöhen von beiden Seiten nach dem engen Flussbett hinab. Der Flossrechen ward erreicht, tief im Grunde, zu einer kleinen Wiese erweiterte sich das Thal, ein Häuschen von rohen Fichtenstämmen ruhte traulich im Frieden, wie eine Waldeinsiedelei, eine Quelle springt frisch und erquickend in der Nähe. Ernst schauen von der Wand des Fuchsenstein schräg angelagerte Felszacken herab. Die Freunde nahmen sich Zeit, sie eilten nicht, sie ruhten; Wagner zeichnete, Otto zeigte Lenz die Spuren von früher bedeutenden Goldwäschen in der lebendig dahin rollenden Schwarza.

Dann in freundlichen Gesprächen weiter wandernd wurde das Thal abwärts durchschritten, durch das einst mühsam der Bergstrom seine Krümmungen wühlte und sein Bette auswusch, der jetzt zum Flüsschen geworden, den Reiz dieser wildromantischen Parthien erhöht. Höher gipfeln sich die Bergwände empor, enger treten sie aneinander, sie verschlingen den Fahrweg, den Fluss, die Fernsicht, dann plötzlich bei einer neuen Krümmung scheinen sie zurück zu treten, wie Coulissen eines Gigantentheaters bei der Verwandlung. Ab und auf ziehen Wanderer die Strasse, die an manchen Gebirgsweg in den Alpen Tyrols erinnert; zuweilen schallt Geräusch vom Geröll der Steinbrüche, und man sieht Arbeiter auf steilen und schwindlichen Höhen klettern. – Und immer enger wird, nachdem mehr als eine seiner vielen Krümmungen mit immer neuen Gestaltungen der Bergwände zurückgelegt ist, das Schwarzathal, stärker brausst der Fluss; die Wandrer standen am felssteinernen Wehr.

„Hier hat,“ sprach Otto zu seinen Gefährten: „der Strom nur mit höchster Anstrengung den Titanentrotz des Felsenbergs überwunden, und sein starkes Brausen über die schwarzen Schieferklumpen ist ein dauernder Nachhall jenes Donnertosens, mit welchem er einst sich gewaltig die freie Bahn erzwang. Seht hier unter den hellen Wasser die dunkeln Höhlungen, in diesen trieb der Strom Steine um, die den Schiefer rings abschliffen, bis sie so weit Raum hatten, dass angeschwellte Fluth sie mit fortreissen konnte. Noch immer könnt ihr solche Steine kreiseln sehen.“

„Auch diese schöne Parthie zu zeichnen, müsst ihr mir Zeit lassen!“ rief Wagner aus, indem er sein Scizzenbuch bereits am passendsten Standpunkt aufschlug. – „Man möchte sich badend in dieses klare frische Bergwasser stürzen,“ wünschte Lenz gegen Otto: „wäre es nur tiefer, eine heimliche Stelle wollten wir bald auffinden. Es muss eine Götterlust sein, die blanken raschen Wellen so über sich hinschlüpfen zu lassen!“ „Gewiss,“ bestätigte der Geleiter: „und ich wünschte euch an eine solche Stelle zu bringen; übrigens ist das Wasser sehr kalt, und mag ohne grosse Vorsicht zum Bade nicht gewählt werden.“
Als die Freunde weiter schritten, gewahrten sie wieder ein kleines ländliches Häuschen am Ufer rechts, und es wurde ihnen der steil empor gegipfelte Kirchenfelsen sichtbar, der imposant, wie der König dieser Bergnatur, dem Wanderer in den Weg tritt. Fast senkrecht thürmen sich die gewaltigen Massen des quarzreichen Thonschiefers empor, wie kolossale Quadern, wie schräge Mauern, die den Einsturz drohen, und enden in beträchtlicher Höhe mit Zacken, die schiefen Thürmen gleichen. Es ist die schönste Stelle des Thales. Von jeder Seite nun erscheint dieser malerische Fels verändert, und nimmt sich in seiner düster, nur sparsam umbuschten Nacktheit sehr schön aus gegen die grösstentheils fichten- und tannenbewaldeten Berghöhen seiner Umgebung. Hier ist das Thal am engsten, sind die Berge am höchsten, und in immer wechselnden Bogenwindungen ziehen Fluss und Strasse dem Ausgang desselben zu. Bald war, nachdem die Freunde an den pittoresken Parthien des Kirchfelsens sich satt gesehen, die Stelle erreicht, wo rechts der Brausdorfer Grund, der ebenfalls malerische Felsbildungen und liebliche kleine Cascadellen darbietet, in das Schwarzathal einmündet. Dort verflachen sich die Berge zur Rechten, während sie zur Linken noch steil absteigen; die Kunststrasse zieht immer au dieser Seite hin. Nur allmählig wird die Schwarza breiter; wie eine Dame, die einen echoffanten Weg gemacht, streckt sie sich behaglich auf das Sopha grüner Wiesen, und lässt sich von der Pappelallee fächeln, die ihr als freundlicher Begleiter zur Seite zieht. Sie hat noch ein breites Wehr zu überrauschen und eine Mühle zu treiben, dann aber zieht sie ruhig ihren noch kurzen Lauf entlang, um eine Stunde weiter der befreundeten Saale in die Arme zu sinken.

Die Wandrer hatten am Ausgang des fels- und waldreichen Schwarzathales, höchst befriedigt von dem Genuss seiner Naturschönheiten sich noch einmal dankend zurück gewandt; eine Anhöhe, über welche die Strasse steigt, bot dazu den passenden Punkt. Hinter ihnen lagerten in grossartiger Ruhe die Berge, vor ihnen wurde schon der Blick auf die Blankenburger Gegend frei, verweilte aber zunächst auf einem stattlichen Gasthaus ohnweit der Papiermühle, und Otto säumte nicht, ein besonders köstliches Bier anzupreisen, das dort zu haben sei, worauf Lenz erwiederte: „Wir haben nun zwei Stunden lang dem Wasser, nehmlich dem dort unten rauschenden, gebührende Aufmerksamkeit geschenkt, es freut mich, dass sich die Scenerie verwandelt, lasst uns nicht säumen, das gepriesene Heiligthum der Ceres thuringica zu beschreiten! Sit aditus benedictus!“

„Ich führe euch,“ sprach Otto im Gehen: jetzt mitten in einen Edelstein. Jenes Gasthaus zum Schwarzburger Hof führt in der ganzen Umgegend den Namen Chrysopras. Früher, da hier in der Nähe eine Eisensteingrube betrieben wurde, war es Zechenhaus, jetzt ist ein Zechhaus daraus geworden. Den seltsamen Namen verdankt es einem Geologen, Bergrath Dantz, welcher in der Nähe Berlins eine Chrysoprasgrube entdeckte.

„Wirklich?“ fragte Lenz, „bereicherte jener Mann das pretiöse Berlin mit Pretiosen? Seltsam, das hier in Thüringen sein Haus den Namen des dortigen Fundobjekts empfing!“

Von traulich über ihren Häuptern rauschenden Bäumen umschattet, rasteten die Wandrer geraume Zeit, ehe sie weiter gingen, um im nahen Blankenburg ein Fuhrwerk, das sie nach Rudolstadt bringen sollte, aufzutreiben.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen