Abschnitt. 1 - Wenn man über das einförmig gehügelte Plateau ...

„Wenn man über das einförmig gehügelte Plateau, über welches die grosse Heerstrasse von Frankfurt nach Leipzig von Eckartsberga bis in die Nähe von Kösen führt, gefahren oder gepilgert kommt, geht einem recht das Herz auf, erst die Warten von Rudelsburg und Saaleck, dann die heitern Rittergutsgebäude von Heiligenkreuz, endlich die Saale und das ganze romantisch schöne Thal zu erblicken, das nun zu beiden Seiten mit üppig grünen Rebenbergen eingefasst, von Obstbäumen friedlich umgürtet, mit Gärten und grünen Wiesen bedeckt ist. Es ist diese Parthie nach dem Thüringerwalde die heiterste Oase in der zwar fruchttragend ergiebigen, mit Äckern wohlbestellten, mit manchem stattlichen, aber auch noch manchem elenden Ort angebauten Ebene bis Leipzig, ja Berlin. Es ist, so weit die Saale den nach Norden Reisenden, hier bis Weissenfeis, dort bis Halle begleitet, der letzte Naturgruss des schönen Thüringen und den von Norden Kommenden, in der Absicht, Thüringen sich zur Lust zu beschauen, ist durchaus anzurathen, von Naumburg aus gleich das Saalthal zu verfolgen, mindestens bis Jena, wodurch er eine der langweiligsten Strecken umgeht. Zwar bietet auch Eckartsberga, zwei Stunden von Kösen, von seinem Schlosse wie vom Sachsenberge umfangreiche Aussichtspunkte nach der Gegend von Weimar, wie nach der güldnen Aue hin, und die Ruinenthürme der historisch denkwürdigen Eckardsburg, eines der ältesten thüringischen Schlösser, könnten allenfalls anziehen; das wäre dann aber auch Alles, was die Heerstrasse Interessantes darbietet, die verlassen werden muss, wenn die Pietät irgend einen Reisenden antreiben sollte, in der Nähe von Weimar das rechts gelegene Osmannstedt und Wielands Grab zu besuchen.“

So sprechend führte Otto seine Gefährten durch Kösen, das aus einem ehemaligen Vorwerke zu einem durch Gewerbsthätigkeit und ergiebiger Beschäftigung an Wohlstand täglich gewinnenden und stets wachsenden Ort heranblühte. Vornehmlich ist es die sehr bedeutende Holzflösse mit dem Holzhofe, und die im 17. Jahrhundert entdeckte, seit dem 18. Jahrhundert aber erst recht benutzte Saline, welche beide einer Menge Menschen Verdienst und Nahrung zufliessen lassen. Erstere führt dem Holzhofe jährlich 15 bis 30,000 Klaftern Holz zu, und in dieser werden bei neunzehngradiger Soole jährlich 42,000 Dresdner Scheffel Kochsalz gradirt und versotten. Nächstdem gewährt ein recht frequentes Salinenbad geeigneten Kranken Heilung, Hauseigenthümern billigen Vortheil.


Otto’s Frage, ob die Freunde die Gradirwerke zu besuchen Lust hätten, wurde von diesen verneinend beantwortet. „Wir sahen die Salinen zu Reichenhall, Traunstein, Berchtesgaden, Halein,“ antwortete Lenz: „mit ihren meilenlangen Soolenleitungen, ihren bewundernswerthen Druckwerken, ihren mächtigen Salzgruben.“

„Dann wollen wir hier vorübergehen,“ sprach Otto: „ich entsinne mich selbst, von einem und dem andern der genannten Orte, als ich dort war, gehört zu haben, dass man daselbst gehaltreichere Soole für zu geringhaltig hinweglaufen lässt, als in mancher nordischen Saline mit Mühe und Kosten versotten wird.“ –

„Statt das Salzwerk aufzusuchen, will ich euch nun zu einem Hause leiten, wo ganz delikates Backwerk zu haben ist. Kein der Strasse kundiger Lohnkutscher wird hier anzuhalten und seinen Passagiren den Kösener Kuchen zu empfehlen versäumen; seid daher freundlichst eingeladen! Habt ihr aber Durst, so müsst ihr Landwein trinken, den euch eine freundliche Hebe darbringt, da hilft nun kein Zaudern!“

„Er kennt alle Annehmlichkeiten Thüringens,“ bemerkte Wagner lächelnd gegen Lenz: „ich bin eben müde genug geworden, um unbedenklich ja zu sagen zu Otto’s Vorschlag; ruhen und rasten wir im Bäckerhaus an der Landstrasse, die sich hier wie eine weisse Schlange steil berghinan durch die grünen Rebengelände krümmt.“

„Concedo! Mich dürstet! Hebe erscheine!“ erwiederte Lenz, und säumte nicht, zu dem gepriesenen Mahle zu folgen. Als diesem genüglich zugesprochen war, wurde der freundliche Ort verlassen und weiter gepilgert.

Nur eine geringe Strecke Weges war noch zurückzulegen, und vor den Wanderern hob sich in alterthümlicher Schönheit die berühmte Fürstenschule, das ehrwürdige Pforta, friedlich hingebaut in den lieblichen Thalgrund, an den Fuss eines mässig hohen, bewaldeten Bergrückens, im Kranze grüner Linden und reichliche Aerndte verheissender Obstbäume. Das Äussere der weitläuftigen neuern und ältern Gebäude, mit der alten Klosterkirche und dem Thore, bietet einen wahrhaft malerischen Prospekt dar, den Wagner zeichnete. Auf dem grünen Hügel zur Seite der dicht vorbeiziehenden Landstrasse gemächlich hingelagert, Schulpforte und seine stillanmuthige Umgebung im Auge, liess sich Otto mittheilend über die Geschichte dieses Hauses aus.

„Hier war vor Zeiten eines der ansehnlichsten und reich begütertsten Klöster Sachsens und Thüringens, dessen ausgedehnte Besitzungen noch jetzt das Amt Pforta bilden, das zweiundzwanzig Amtsdörfer ohne die Vorwerke in sich schliesst. Das ehemalige Kloster war mit Cisterziensern besetzt und führte den Namen Himmelspforten; allmählig verlor sich das stolze Prädicat und es blieb die einfache Pforte, aber stets werth gehalten von Fürstengunst, so der frühern Landgrafen, wie der spätern Sachsenfürsten, von denen zwei, Friedrich der Sanftmüthige und Herzog Wilhelm, sich hier einigten, um den verderblichen, oft erwähnten Bruderkrieg zu endigen, dessen Flammen die Vizthume unablässig geschürt. Als die morgenrothe Fackel der Reformation im Lande aufglühte, ging das Kloster bald darauf ein und wurde 1543 vom Kurfürsten Moritz in eine Landschule verwandelt, und dieser ausser den bereits vorhandnen noch sehr bedeutende Einkünfte angewiesen.“

„Die innern Einrichtungen waren lange Zeit sehr streng, es war klösterliche Zucht vorherrschend geblieben; jetzt sind sie äusserst zweck- und zeitgemäss, und zu allen Zeiten bis auf heute sind tüchtige Männer aus dieser Pforte hervorgegangen, von denen ich, um euch nicht mit trockner Aufzählung zu ermüden, neben den beiden ältern Schlegel, dem berüchtigten Doctor Bahrdt und dem sinnigen Novalis, hauptsächlich Klopstock erwähne, der als Alumnus Portensis schon seine Messiade begann, und durch den klassischen Geist der Alten entflammt wurde, sich, bei einem für das deutsche Vaterland glühenden Herzen, zur Nachahmung antiker Metren, und zu fast gänzlicher Verwerfung des mit deutscher Dichtart und Kunst eng und innig verwachsenen Reims zu verirren. Indess gingen unter den sich der Welt als Dichter und Schriftsteller später offenbarenden Portensern nicht lauter Heroen wie Klopstock hervor; auch der vielfach und lange von einem grossen Theile des deutschen Publikums mit Vorliebe gelesene Carl Gottlob Cramer war hier Alumnus, und ich entsinne mich, aus seinem eignen Munde manche Erzählung hier verübter Jugendstreiche, lustiger Excurse gehört zu haben. Dergleichen mag mitunter nicht selten vorgekommen sein, so wie ein übertrieben tyrannischer Pennalismus auch hier die jüngern Schüler den ältern knechtisch dienstbar machte.“ –

Nach diesen und ähnlichen Mittheilungen betraten die Freunde das innere Heiligthum dieser würdigen und erfolgreich wirkenden Anstalt, und wurden mit Güte in derselben umhergeführt, so dass nichts erwünscht zu Beschauendes ihnen verschlossen blieb. Die an 5.000 Bände zählende Bibliothek, mit der von Klopstock dankbar hergeschenkten Prachtausgabe der Messiade, die Wohnstuben der Alumnen, die Lehr-, Speise- und Schlafsäle, Bet- und Tanzsaal, nicht minder der schöne Kreuzgang, und die noch manches Denkmal alter Zeit bewahrende Kirche. In dem geräumigen Garten übte sich ein Theil der fröhlich aufblühenden Jugend, und ein gefälliger Lehrer bezeichnete den Fremden die Stelle, wo Klopstock am liebsten geweilt und gedichtet hatte, wobei er nicht versäumte, eine Schilderung des nahen Knabenberges zu geben, auf dem die Portenser alljährlich ein heiteres Frühlings- und Herbstfest begehen. Ein Andrer lenkte den Blick der Besuchenden von der Gegenwart noch einmal der Vergangenheit zu, und erwähnte, dass auch in trüben und verhängnissvollen Zeiten des Himmels Auge schirmend über der früher ihm geweihten und nach ihm genannten Pforte gewacht, obgleich das Haus im dreissigjährigen Kriege der Vernichtung sehr nahe gewesen. Finnländische Reiter hatten geglaubt, es sei hier noch ein katholisches Kloster, das sie verwüsten müssten zur Ehre Gottes. Auch der siebenjährige Krieg war nicht über diese Fluren geschritten, ohne seine Spuren tief einzudrücken; er entführte sogar als Geissel einen verdienstvollen Rector. Die Napoleonische Weltepoche konnte ebenfalls nicht an einem, dicht an der frequentesten Strasse Deutschlands liegenden, grosse Vorräthe aller Art bergenden, und sich zu mannichfacher Benutzung darbietende Räume enthaltenden Ort ohne den verschiedensten Anspruch und manchen harten Druck vorübergehen. Im Jahre 1813 allein herbergte und verpflegte Pforta 5000 Mann Franzosen mit 2000 Pferden. –

Die Freunde sagten, weiter wandelnd, dem ehrenwerthen Bau und allen seinen Bewohnern ein Gedankenlebewohl, und schritten auf rasigem Fussweg unter schattenden Bäumen dem Naumburger Weichbilde zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen