Abschnitt. 2 - Der Schein der späten Sommersonne übergoss noch hell genug die malerischen Trümmer der Sorbenburg, ...

Der Schein der späten Sommersonne übergoss noch hell genug die malerischen Trümmer der Sorbenburg, dass Wagner sie mit dem nahen Schlösschen Kitzerstein (Köditzerstein, weil das Dorf Köditz ihm gegenüber liegt) zeichnen konnte, bevor ein Gewitter, das über dem Walde von Norden heranzog und sich mit einem tüchtigen Wind und derbem Schlagregen bald darauf entlud, die Wanderer vertrieb und sie ein sicherndes Obdach suchen liess. Von vier hohen Thürmen dieser uralten Veste, welche, durch Mauern verbunden, die Trutz- und Schutzwehr des Thüringer Landes bildete, stehen nur noch zwei. Wohlerhaltene Kellerräume darunter sind noch vorhanden und benutzt.

„Wie wunderbar dieser einfache, gigantische Bau absticht gegen jenes Schlösschen!“ bemerkte Lenz; „es steht mit seiner ragenden Giebelbedachung und halbgothischer Geziertheit da wie ein Stutzer aus dem Mittelalter neben einem greisen Heidenkönig aus der Aera Karls des Grossen.“ –


„Die alten Saalfelder zogen weise die Sorbenburg, auch der hohe Schwarm genannt, in ihren Mauerring“, bemerkte Otto; „aber der Kitzerstein tritt ausfordernd aus derselben, als wenn er sich zugleich eitel in der unter seinem Felsabhange vorbeifliessenden Saale spiegeln wollte.“ – Das rasch aufziehende Wetter brach los, weitere Mittheilung schleunig hemmend; doch ging es so schnell vorüber, wie es gekommen war, und schauerte bald nur in einzeln fallenden Tropfen und kühlem Wehen nach; das Meiste davon zog am Walde und über ihn hin. Die Freunde konnten ihre Wanderung fortsetzen und bald an die Saalbrücke gelangen, in deren Mitte eine ehemalige Kapelle mit einem merkwürdigen in Stein gehauenen Gehülfenbilde steht. Der legendenkundige süddeutsche Maler erkannte dasselbe alsbald für ein Bild der heiligen Kümmerniss, die der Heidenkönig, ihr Vater, mit schändlicher Liebe verfolgte, der auf ihr Flehen ein männlicher Bart wuchs, und die der Vater, weil sie standhafte Christin blieb, kreuzigen liess. Das Bild stellt das Mirakel dar, wie sie am Kreuze einem armen Citherspieler einen ihrer goldnen Schuhe schenkt. „Das ganz männliche Aeussere der Gestalt“, sprach Otto, „hat eine spätere Hand verleitet, Salvator mundi dem Stein einzumeiseln; übrigens ist einst dieses Bild als wunderthätig verehrt worden.“

Reizend ist von der Brücke die Aussicht. Das Schloss und die Stiftskirche vom Grabe liegen imponirend nah; auf- und abwärts des Stromes erblickt man gutgebaute Dörfer und Fabrikgebäude, und malerisch hinter einander aufragende grüne Waldberge schliessen in weit ausgedehntem Ringe die alte Stadt ein. Vom schöngebauten Thurme des Schlosses wehte die grünweisse Flagge, ein Zeichen, dass der Landesherr Saalfeld mit seinem Besuch erfreute, durch den fast in jedem Jahr einmal die Oede des stattlichen, geräumig wohlgebauten, ehemaligen Residenzschlosses verscheucht wird.

Den kurzen Rest des Abends brachten die Touristen auf dem Zeh'schen Felsenkeller in guter Gesellschaft zu, unter der auch hier der Führer liebe Freunde und Bekannte wiederfand, die seine Begleiter über Stadt und Umgegend noch näher unterhaltend zu belehren vermochten. Da wurde denn auch ausführlich der Bergwerke gedacht, die in der frühern Zeit äusserst blühend waren, so dass einmal 800 Bergleute in Saalfeld wohnten, und das Revier 24 Gold- und Silbergruben enthielt. Der deutsche Krieg und noch mehr der dreissigjährige übten auch hier, wie überall, den nachtheiligsten Einfluss auf die blühenden Gewerke. Jetzt wird nur wenig noch auf Silber und Kupfer gebaut; der rothe Berg liefert jedoch an Eisen erfreuliche Ausbeute. Saalfeld hat ungemein viel Handelsverkehr mit dem Thüringerwalde, eine beträchtliche Holzflösse, viel Feldbau und Viehzucht; von den trefflichen Brauereien zeugte der Gerstennektar, der den Fremden wie den Einheimischen mundete. –

Der folgende Morgen lockte mit blauem Himmel und hellem Sonnenstrahl zeitig in das Freie. Die Freunde beschlossen, auf Otto's Rath, Saalfeld und seiner himmlisch schönen Gegend noch einige Stunden zu widmen. Der freundliche, noch im französischen Styl angelegte und wohlerhaltene Schlossgarten ward in der Frühe durchwandelt; er enthält ein gutes Orangeriehaus mit vielen exotischen Gewächsen, darunter eine Ceder vom Libanon und einige mittelalterliche Monumente, Reste jener Benedictiner-Abtei, auf deren Fundamenten das Schloss erbaut ist. Die heitern Fernsichten, die man von dem Schlossgarten aus erblickt, lockten zu einem weitern Ausflug, und Otto wählte aus guten Gründen zu dessen Ziel den rothen Berg. Ein höchst anmuthiger Weg über das Blaufarbenwerk und die Schmelzhütte, gegenüber die Stadt mit dem vollen Anblick ihrer hochalterthümlichen Ruine, führte über Köditz und an vielen Mühlwerken vorbei, immer an dem romantischen Ufer des reizenden Stromes hin. Immer schöner gestaltete dieser sich bei Obernitz und Reschwitz, wo die Felsenwände des rothen Berges das Ufer einengen, die Saale zwingen, einen Umweg zu machen, und malerisch und grotesk zum Thonschiefergebirge des jenseitigen Ufers grüssen. Auf einer Felsenbrücke, die kühn den Fluss überspringt, und auf dem Gipfel eines Steinkegels, den die Wellen rings umspühlen, genossen die Besuchenden die paradiesische Aussicht, weckten durch Schüsse das Echo in den Felsenschluchten, stiegen zu einem einsiedlerisch gelegenen Hüttchen herab und erfreuten sich am rauschenden Katarakt eines der Saale mit ungestümer Eile zustürzenden Baches.
„Ja, Dein Thüringen ist ein schönes, reizendes Land!“ riefen anklingend in der idyllischen Einsiedelei, wohin eine jugendliche Hebe Flaschen und Becher trug, die Freunde ihrem Führer zu, „und dieser Gegend zumal gebührt der Preis vor vielen andern Gegenden Deiner lieben Heimath, die so reich ist an Erinnerungen der Vorzeit, so thatkräftig in der Gegenwart!“

Vom höchsten Punkte des Berges liessen die Freunde rings in der Gegend umher die Blicke fliegen, und wechselnd auf dem alten Bau des Wetzelsteins, dem grauen Schlosse Obernitz, der Bergruine Könitz, den nahen Halden und Häusern der schwunghaft betriebenen preussischen Bergwerke bei Gross- und Klein-Kamsdorf und Gossewitz, den fernen Orten und Burgen, dem herrlichen Amphitheater des Gebirges und auf der von hier aus gesehen gross und stolz daliegenden Stadt ruhen, bis sie den Rückweg antraten, um bald darauf zwar Saalfeld, aber noch nicht seiner mit Recht preisenswerthen Gegend Valet zu sagen. Im Hinabsteigen vom rothen Berge bemerkte Otto noch, dass auf ihm im dreissigjährigen Kriege General Banner mit 40,000 Mann Schweden und ihren Hülfsvölkern einen ganzen Monat lang kampfgerüstet lagerte, während in und um Saalfeld der Erzherzog Leopold Wilhelm von Oesterreich mit mehr als 50,000 Kaiserlichen ihm gegenüber stand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen