Abschnitt. 1 - Wieder als Fusswanderer gerüstet verliessen ...

Wieder als Fusswanderer gerüstet verliessen die drei Reisegefährten am folgenden Morgen zeitig das S. Meiningische Städtchen Camburg, Hauptort der Grafschaft gleiches Namens, die als Parzelle zwischen Preussischer und Weimarischer Angrenzung liegt. Die Stadt bietet besondre Merkwürdigkeiten nicht dar, wohl aber gewährt sich von den sie rings umgebenden Bergen eine schöne Aussicht auf dieselbe. –

Die Nacht war kühl gewesen, Nebel lagerten im Thale, wollten empor und wurden vom frischen Hauche der Morgenluft niedergedrückt. Gegenüber dem Standpunkte, wo die Freunde dies wechselvolle Naturschauspiel eine Zeitlang betrachteten, hob sich über der Stadt ein alter grauer Wartthurm, ein Rest aus kriegerischen Zeiten, während friedlich Rebenberge rings den Thalkessel umgrünten. Die aufgehende Sonne lieh dem Landschaftsbilde noch mehr Leben und anmuthige Farbe, und Wagner nahm sich auch von dieser Ansicht eine Skizze.


Auf angenehmen Fusswegen ward hierauf weiter gewandert und eine halbe Stunde später auf dem Voigtischen Rittergute Tümpling gerastet, wo sich abermals eine heiterpittoreske Aussicht in das Saalthal darbot, dessen Berge einander immer näher zu treten schienen. Bald hoben sich vor den Blicken der durch den schönen Morgen frisch und fröhlich vorwärts Schreitenden drei ragende Thürme alterthümlichen Baues, die hohen Warten der Schwesterburgen Rudelsburg und Saaleck. Da gab es wieder, bevor sie erreicht wurden, Mancherlei zu berichten, und Otto benutzte die Zeit, welche Wagner bedurfte, eine Skizze der Landschaft, der beide Burgen zur Zier gereichen, aufzunehmen, den Freunden so viel davon mitzutheilen, als in seiner Erinnerung lebte.

„Die Geschichte dieser Vesten,“ begann er seinen Bericht, „ist eng verknüpft. Jene doppelthürmige Ruine ist Saaleck, welche die Sage von Karl dem Grossen auch als Sorbentrutzburg erbauen lässt; historisch erweislich findet sich diese nicht umfangreiche Burg in dem Besitz eines der berühmtesten thüringischen Rittergesehlechter, der Schenken von Varila oder Vargula,welchen die Geschichte unter den thüringischen Landgrafen oft die thätig wirksamste Antheilnahme zuschreibt. Dieses Geschlecht mit dem Titel seines Ehrenamtes verbreitete und verzweigte sich weithin, und so fanden sich auch in der hiesigen Gegend der Schenkenfamilien viele, namentlich die von Tautenburg, von Apolda, von Dornburg, Priessnitz, Trebra und auch von Saaleck. Später erscheint die Burg als Pertinenzstück des Stiftes Naumburg, das Vögte auf der Veste hielt und endlich verklingt ihr Dasein als Wohnsitz, so dass man so wenig gewiss weiss, wie sie verfiel, als wie sie aufblühte. Jene Burg dort aber, nur durch einen schwachen Felsenhang, den wir leicht umgehen, von Saaleck geschieden, ist die Rudelsburg; sie zeigt der Reste viele, und von ihr zeichnete die thüringische Geschichte bei weitem mehr in ihren Annalen auf. Schon im Jahre 972 soll ein Ritter, Rudolph von Münchenhausen, der in dieser Gegend begütert war, ebenfalls als Abwehr gegen die wendischen Grenznachbarn die Burg begründet, dessen Sohn Dedo sie erweitert und nach des Vaters Namen genannt haben.“

„Drüben am jenseitigen Ufer stieg noch eine Bergveste, die Krainburg, empor, deren Besitzer mit dem der Rudelsburg in langer Fehde lebte, bis die Nachkommen beider sich nachbarlich einigten und durch Verschwägerung den Streit endigten. Ihre Nachkommen trieben in den unseligen Händeln Landgraf Albrecht des Unartigen mit seinen Söhnen, Stegreifritterschaft, in deren Folge Rudelsburg und Krainburg die Zahl der Schlösser vermehrten, welche Rudolph von Habsburg in Thüringen zerstören liess. Die Krainburg verschwand seitdem von der Erde, so dass kaum noch ihre Stätte gefunden wird; die Rudelsburg hingegen ward wieder aufgebaut, aber in einer Fehde mit der Stadt Naumburg abermals zerstört. Doch unter den Schenken von Saaleck erhob sie sich zum andernmal aus ihren Trümmern. Im sächsischen Bruderkriege zerstörte sie Kurfürst Friedrich II. zum drittenmal, doch auch jetzt wurde sie durch die Familie von Bünau, welche mit ihr belehnt war, wieder aufgebaut. Später theilte sie das Schicksal so vieler hundert Burgen, die ihren Besitzern nicht mehr zeitgemäss bequeme Wohnsitze boten: sie ward verlassen und verfiel.“

Während dieser Mittheilung war die Skizze vollendet. Auf Saaleck angelangt, betrachtete man die hohen Rundthürme und Otto machte die Freunde aufmerksam auf den halbverschütteten Brunnen zwischen jenen Thürmen: – „Dieser Brunnen soll bis hinab zum Spiegel der Saale gereicht haben.“

Auf den einen der Thürme führt eine 80 Stufen hohe Treppe zu einem freundlich eingerichteten neueren Gemach, das als Lug ins Land dienen kann. Man schaut hinab auf den grossen Bogen, den die Saale zwischen den Felsenbergen tief unten beschreibt, wo sechs Berge drei- bis vierhundert Fuss tief schroff in das Thal absetzen. Ein kleines Dörfchen, auch Saaleck geheissen, das in bessern Zeiten sich eine Stadt nennen durfte, umschliesst den Fuss des runden Burgberges.

Ein offener, von Pappeln umrauschter, tempelartig bedeckter Ruheplatz bot den Wanderern gastlichen Sitz. Rastend erfreuten sie sich des schönen Morgens und erfrischten sich an einem mitgebrachten einfachen Frühmal.

„Diesen wenigen Trümmern und einfachen Warten sieht man auch nicht an,“ nahm Otto, um die Unterhaltung nicht sinken zu lassen, das Wort, während sich Alle die stillen Reize der Gegend betrachteten: „dass hier oft zügellose Freude laut war und von ihrem Jauchzen die Hallen erbebten. Ich sprach vorhin von einer Fehde Naumburgs, in welcher die Rudelsburg unterlag; Anlass zu ihr gab ein Naumburger Bischof, Johannes von Miltiz, ein Weltkind über alle Maassen. Er führte ein ritterliches Leben, liess sich in seinen geistlichen Verrichtungen vicariren, schwärmte im Lande umher, liess sein Bisthum Bisthum sein, hatte Liebschaften ohne Zahl mit Welt- und Klosterfrauen, und erkor hauptsächlich dieses Saaleck zum Schauplatze seiner Bacchanalien und Orgien. Dieser Bischof lebte und liess leben, er war wenigstens so billig, das nicht an Untergebenen zu strafen, was er selbst that, aber um so verderblicher wirkte sein Beispiel. Statt im Dome zu Naumburg Hochamt zu halten, schlemmte er hier selbst am Charfreitag und Osterfeste mit Gleichgesinnten, und zog nur erst um Johanni dort ein, um seinen Namenstag mit grösstem Pomp zu begehen, zu welchem Zweck er sogar eine Gauklerbande aus Nürnberg kommen liess. Das Festgelag dauerte den ganzen Tag und Abends begann der Ball, an dem zweihundert Gäste Theil nahmen. Höchlich lustig, an jeder Hand eine Edeldame, eröffnete ihn der weinglühende Bischof – da, wie er, den ersten Schritt zu thun, das rechte Bein hebt, durchschüttert es ihn jach, wie ein Blitzstrahl, er stürzt auf sein Angesicht und ist todt.“

„Requiescat in pace!“ unterbrach Lenz, und that einen Trunk. „Lustig gelebt und selig gestorben, und so weiter!“

„Das Domkapitel zu Naumburg,“ fuhr Otto fort: „weigerte dem Todten das Begräbniss und die Klöster alle thaten es dem Kapitel nach. Und so wurde denn Johannes Leichnam bei nächtlicher Weile hierher gebracht und am Schauplatze seiner wilden Freuden beigesetzt.“

Man schritt nun den Ruinen der Rudelsburg zu und fand in ihr noch ziemliche Trümmer der ehemaligen umfangreichen Veste, eine Brücke, einen hohen viereckigen Thurm mit steinerner Spitze, dessen Umfang 90 Fuss misst. In einem geräumigen Gewölbe fand sich eine kleine Wirthschaft zur Bequemlichkeit der Reisenden eingerichtet, welche gutes Bier und einfache kalte Küche darzubieten vermochte. Die Holztafeln trugen manches Zeichen, dass die Studenten aus Jena oft Ausflüge hierher machten.“

Ein schöner Aussichtpunkt ward vor Allem gesucht und gefunden. Er ist besonders in das Saalthal recht anziehend, der von Flössen öfters belebte Fluss strömt ruhig dem Thalkessel zu, in welchem der Salinenort Kösen mit seinen grossen Gradirwerken freundlich und malerisch liegt. Einige Dörfer sind sichtbar, aber weiten Fernblick hemmen die bedeutendern Höhen ringsumher. Von dem hohen Thurme war es vielleicht möglich, die Warten von Eckartsberge, Freiburg und Schönburg zu gewahren.

Indem Otto den Blick seiner Gefährten nochmals hinüber nach der öden Stätte der ehemaligen Krainburg lenkte, nahm er das Wort: „Bevor wir diesen Punkt verlassen, muss ich noch einer Sage gedenken, die ergänzend in die bekannte von Ludwig dem Springer eingreift. Besitzer Krainburgs war ein diesem Landgrafen innig befreundeter Ritter, Namens Hermann. Oft jagte er mit dem Landesherrn in dieser Gegend; einst, als diess auch der Fall war, ritt Hermann von Krainburg einen sehr schönen Zelter, der dem Landgrafen äusserst wohlgefiel, so dass dieser den Eigenthümer fragte, ob er ihm das stattliche weisse Ross nicht verkaufen wolle? Alsbald sprang Hermann vom Pferde herab und sprach: „Es sei Euch, Herr, hiermit geschenkt.“ – „Nein, als Geschenk will ich es nicht, entgegnete Landgraf Ludwig: „Tauschen wir!“ – und gab jenem das eigne, stattlich gezierte Ross. Später wurde an derselben Stelle ein Dorf erbaut und Tauschwitz zum Andenken jenes Handels genannt, das aber bis auf den Namen und die Flurmarkung verschwunden ist, und wahrscheinlich von den Hussiten zerstört wurde. Jenes weisse Pferd aber, welches Landgraf Ludwig ertauschte, war der treue Schwan, der den Springer vom Giebichenstein aus der Saale aufnahm und aus dem Bereiche der feindlichen Verfolger sicher in einem Parforceritt nach Sangerhauseu trug.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen