Abschnitt. 1 - Und der Morgen brach paradiesisch an. ...

Und der Morgen brach paradiesisch an. Die Reisenden grüssten ihn etwas minder früh, wie am vorigen Tage; sie besuchten sogar noch die blühende Puppenfabrik Waltershausens, einiges Niedliche zum Andenken kaufend, bevor sie längs eines weidenbeschatteten Baches weiter schritten durch die lachende Flur, den Burgberg mit seinem Schlosse und seinem Jagdzeughause zur Rechten lassend. Es dauerte nicht lange, so lagen auf vorspringender Bergzunge eine Anzahl moderner und stattlicher Gebäude inmitten freundlicher Gartenanlagen und blühender Akazienbäume vor ihren Blicken, welche Otto den Gefährten als das berühmte, 1784 von Salzmann errichtete, Erziehungsinstitut Schnepfenthal bezeichnete.

Eine muntere Knabenschaar, sämmtlich in gut kleidenden scharlachrothen Jacken, tummelte sich in eingetretener Erholungsstunde auf dem Platze; die Fremden sahen sich überall mit Freundlichkeit begrüsst, und eben so bereitwillig zur Besichtigung der Lehrsäle, des Bet- wie des Speisesaales, der Büchersammlung, der Buchdruckerei und des Naturalienkabinets geleitet. Letzteres enthält manches Interessante und Seltene, darunter das vollständige Habit einer Lappin. Die Erziehungsgrundsätze des Begründers dieser immer noch blühenden und thätig fortschreitenden Anstalt haben sich in der langen Jahresreihe ihres Bestehens als höchst erfolg- und segensreich bewährt, und Viele, die in dem, alle Zöglinge mit gleicher Liebe umfassenden Familienkreise dort ihre erste Jugendbildung empfingen, denken immer noch dankbar an Schnepfenthal zurück.


Als Vorstehern, Lehrern und Zöglingen von den weiter Wandernden Lebewohl gesagt war, nahm Otto das Wort: „Abermals betreten wir eines der Thore des Waldes; dieses Mal ist es keine Felsen-, sondern eine Pforte von dunkelgrünem Tannenlaube; wir grüssen ein idyllisch und hochromantisches Klosterthal mit blitzenden Teichen, einem prangend im Geiste der Ritterzeit erneuten Fürstenschlosse, einer Kirche mit alten Grabsteinen der thüringischen Landgrafen. Hier im Klosterfrieden wollten an heiliger Stätte schlummern, die auf Wartburg gethront, und schlummerten hier. Ich sagte euch schon, dass die Reue Adelheids und Ludwigs des Springers Kloster Reinhardsbrunn gründete. Oben über dem Thale thronte die Schauenburg, das Stammhaus der thüringischen Landgrafen, von Ludwig dem Bärtigen erbaut; das friedliche, einsame Thal war für einen Klosterbau ganz geeignet. Ein Wunder, die Erscheinung ungewöhnlicher meteorischer Lichter, die ein hier angesiedelter Töpfer, Reinhard, in der Nähe des Brunnens wiederholt erblickte, bestimmte Ort und Namen des Klosters, das mit Benediktinern besetzt wurde, fast fünfthalb Jahrhunderte blühte, und im Bauernkriege seinen Untergang fand.“

Während der Weg sich durch die grüne Tannenwaldung hinzog, wurde im tiefern Grunde des Thales eine Reihe spiegelnder Teiche erblickt, die nur durch schmale Dämme geschieden waren, und bald stellte sich dem Auge ein stattliches Gasthaus dar, zur Einkehr ladend. Die Freunde sahen zugleich thalabwärts einen Reisewagen angefahren kommen, der ihre Blicke ablenkte von dem weiter aufwärts gelegenen Schlosse. Dieser Wagen – man hatte ihn schon einmal irgendwo gesehen – wäre es möglich? – man sah drei Damen aussteigen – die Wanderer blickten scharf hin, die Augen der Freunde Otto’s leuchteten, Freude klärte ihr Antlitz – kein Zweifel mehr, es war Frau Arenstein mit ihrem holden Töchterpaare. Ein überraschend freudiges Wiedersehen, ein unerwartetes, und darum doppelt anziehendes Begegnen. Es währte gar nicht lange, so sass die kleine Reisegesellschaft traulich beisammen an ländlichen Tischen unter schattenden Bäumen, als sei sie schon lange bekannt; denn leichter und harmloser schliesst man sich auf Reisen an, als in den Salons, es ist mehr Bedürfniss der Mittheilung, oft auch gegenseitiger Hülfleistung, selbst mehr innerer Antrieb zur Ablegung lästigen und beengenden socialen Formenwesens vorhanden.

„Wir kamen erst vor Kurzem von Kissingen im Bade Liebenstein an,“ erzählte Frau Arenstein: „und benutzten den herrlichen Tag zu einem Ausfluge hierher. Früher sahen wir beiweiten noch nicht alle Schönheiten dieser Gegend, auch sieht man immer wieder mit anderm Auge und entdeckt Interessantes, das man beim erstenmal Schauen übersah.“

„Wie glücklich würde es uns machen, könnten wir in Ihrer Gesellschaft nahe schöne Partieen gemeinsam besuchen,“ sprach Lenz mit bittenden Blicken zu der Mutter; Otto aber spottete boshaft: „Meiner Begleitung scheint dieser Freund müde zu sein, er schliesst sich der schöneren Erscheinung an.“ Natürlich widersprach Lenz solcher Vermuthung lebhaft, und es kam ein heiterbeflügeltes Gespräch in Gang; rasch wechselten Worte und freundliche Blicke und das endliche, allen Theilen erfreuliche Resultat war die Uebereinkunft, von Reinhardsbrunn aus einen Exkurs nach dem thüringischen Candelaber, nach den pittoresken Thalgründen in der Nähe Tambachs, zu machen, und von da zurückkehrend das Felsenthal zu durchwandeln, den Inselberg zu besteigen und von seinem Gipfel sich wieder nach Liebenstein zu begeben; Alles dieses lag ohnehin so, wie es hier ungesucht beschlossen worden, in Otto’s Reiseplan. Frau Arenstein machte aber durchaus zur Bedingung, früher empfangener Gefälligkeit dankbar eingedenk, dass Otto wahrend dieser Zeit ihr wieder als erläuternder, sprachseliger Cicerone zur Seite stehe, denn sie war eine jener schau- und wanderlustigen Damen, denen man immer die Worte Wagners im Faust in den Mund legen könnte: zwar weiss ich viel, doch möcht’ ich Alles wissen. Die liebliche Engelbertha, die schlanke Rosabella stimmten, befragt, ob auch sie mit Plan und Begleitung einverstanden? gar gern bei; es schien ihnen, aus sehr natürlichen Gründen, die Begleitung einiger jungen Männer gar nicht unlieb, welche so sichtlich das Bestreben, ihnen nicht zu missfallen, durch jede sittigzarte Huldigung an den Tag legten; daher ward in rechter Herzensfröhlichkeit auf gutes Reiseglück angeklungen.

Als man die wohlbesetzte Frühstückstafel aufhob, war Otto so gefällig gegen seine Freunde, der Dame Arenstein mit einiger Grandezza den Arm zu bieten: „Ich trete mein gewohntes Amt feierlichst an, meine Hochverehrten,“ sprach er: „und führe Sie nun in diesen reizenden Park, zu dem prangenden Schlosse, zu der alternden Kirche.“ Die Freunde folgten dem willkommenen Beispiele des Gefährten, führten die unbefangenen und doch höher erglühenden Töchter, und so wandelten Alle in glücklichster Stimmung harmlos durch die Schlangenpfade, an üppig blühenden Boskets vorüber, von balsamisch wohlthätiger Naturfrische umweht und überhaucht.

Vor den Augen stand zunächst in voller deutscher Architekturschönheit prangend, die Kunst byzantinischen, alt- und spätgothischen Baustyles in sich vereinigend, das herrliche Schloss mit seinen Eckthürmen, seiner Steinballustrade, seinen Balkonen, welches der jetzt regierende Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha, Ernst III., auf den Fundamenten eines ältern Hauses geschmackvoll aufbauen liess. Das Aeussere ward allzuanlockend befunden, um nicht das Innere für sehenswünschenswerth zu erachten welcher Wunsch jedoch nicht in unbeschränkter Ausdehnung Erfüllung finden konnte, da, wie schon die auf dem Giebel wehende grün-weisse Flagge verkündete, die Landesherrschaft anwesend war. Doch konnte Manches beschaut werden, was lebhaft den Sinn der Schönheit und des guten Geschmackes eben so kund that, wie ansprach, und nirgend sah sich der Fuss der Lustwandelnden in den lieblichen Anlagen gehemmt. Die Reihe alter Grabsteine thüringischer Landgrafen, von späterer Pietät nachgebildet, ziert die Aussenseite der Kirche zu Reinhardsbrunn, die mit dem Hinterhause des neuen Schlosses zusammenhängt, und sich wohl bald im edlen, reingothischen Style verjüngen wird. Sind auch die Monumente nicht alle gleichzeitig, so sind sie doch nicht ohne Kunst, und immer noch, so viel Zeit und Wetter nicht daran verstümmelten, der Betrachtung werth. Es sind folgende:

Ludwig der Springer. Adelheid, seine Gemahlin. Landgraf Ludwig I. Landgraf Ludwig II., der Eiserne. Jutta, seine Gemahlin. Landgraf Ludwig III., der Milde. Landgraf Ludwig IV., der Heilige. Landgraf Hermann II, der Jüngere. Markgraf Friedrich der Gebissene. Elisabeth, seine Gemahlin.

Wagner vertiefte sich so sehr in die Unterhaltung mit Rosabella, dass Otto für gut fand, ihn zu erinnern, er möge nicht vergessen, das Schloss zu zeichnen; nun halfen sogleich die Damen bitten, und freuten sich schon dem Abend entgegen, wo gegenseitige Schilderung der Reisen und die Ansicht des Gesammelten und Gezeichneten mitgetheilt werden sollte. Es ward eine Stelle gewählt, wo die Hauptfaçade des Schlosses lebhaft in’s Auge fiel, sich spiegelnd in dem leise bewegten, grossen Bassin, das eine bewimpelte Gondel und stolzrudernde Schwäne trug. Die Kirche blickt hinter dem Schlosse hervor, und es zeigt sich, halb im Gebüsche verborgen, ein Theil zahlreicher, neuer und alter, der herrschaftlichen Stallung, Gärtnerei und Oekonomie gewidmeter Gebäude.

Otto schlug, nachdem Alles erfreut besehen und belobt worden war, einen Spaziergang auf den dicht über Reinhardsbrunn waldig sich streckenden Abtsberg vor, einmal um Allen und auch sich selbst den äusserst lohnenden Herabblick zu gönnen, anderntheils um ganz in der Stille für sich zu entnehmen, was den Damen im Bezug auf Bergersteigung und kleine Fusstouren zuzumuthen sei, um sie nicht durch Ermüdung zu verstimmen, und nicht am Ende, bei zu grosser Anstrengung, lamentable Klagen zu vernehmen.

Doch seine halben Befürchtungen bewiessen sich als ungegründet; die jungen Fräulein kletterten, dass es eine Lust war, und der Mutter schien die Mühe durchaus keine ungewohnte. Oben aber auf der Höhe, an des Berges Mitte, lohnte ein geebneter Raum mit Ruhebänken entschädigend für die anstrengende Bewegung, denn man hatte das ehemalige Kloster mit seinen zahlreichen Gebäuden, und vor Allem das Schloss mit dem blitzenden Bassin davor, zu Füssen; die Teiche schienen in einen grossen Thalsee vereinigt, und aus der Thalenge reichte der Blick weit in die Ferne, nach Gotha hin, und Otto konnte den Freunden das Thüringer Haus bezeichnen, von wo aus sie kürzlich in dieses Thal, auf diese Höhen geblickt hatten. Als die kleine Gesellschaft vom Abtsberge wieder hinunter kam, war es belebter von Fremden geworden, die in kleinen Gruppen sich theils lustwandelnd ergingen, theils Ruheplätze und leibliche Erfrischungen gesucht hatten, und das Ganze bot den wohlthuenden Anblick einer, heiterer Geselligkeit geöffneten, dem sittlich harmlosen Vergnügen zu vollem Genuss und froher Anschauung von höchster Huld vergönnten Parkanlage in reizender Waldung gelegen, dar.

Mit heitern Reden und Reiseplänen wurde das Mittagsmahl gewürzt, dann brach Otto mit seinen Freunden auf, um einstweilen voranswandernd einen Vorsprung zu gewinnen, ehe der Wagen nachkam, der die Damen nach Altenberga bringen sollte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen