Abschnitt. 1 - Es war noch früh am Tage, die Stadt ruhte noch, nur die gefangenen Drosseln waren munter ...

Es war noch früh am Tage, die Stadt ruhte noch, nur die gefangenen Drosseln waren munter und liessen durch die stillen Strassen lauten Gesang erschallen, als die Reisegefährten abermals durch einen vierten, der als freundlicher Geleitsmann mitgehen wollte, vermehrt, zum Mühlthore Suhls hinausschritten und das erwachende Leben eines schönen Sommermorgens begrüssten. Dieser schauerte ein wenig kühl, und der Geleiter prophezeite daraus und aus der Richtung der Nebelschichten, die westwärts im Thal der Hasel lagerten, einen heitern, herrlichen Tag. Derselbe Weg, auf welchem die Reisenden hereingefahren waren, führte sie jetzt eine Strecke zurück, und so hatten sie Gelegenheit, die malerisch zwischen umbuschte Felsen situirte Reihe von Hammerwerken näher in Augenschein zu nehmen, an denen sie am vorgestrigen Abend rasch vorbeigefahren, neben welchen bald Räder treibend, bald in Rinnen gefangen, bald jugendlich frei in silberblitzenden Kaskadellen ein Waldbach geschäftig thalwärts eilt.

„Aurora musis amica!“ rief der Begleiter, selbst ein Musenfreund, aus, „ich lobe mir das Fussreisen und das frühe Wandern. Wer den Thüringerwald durchfahren will, lernt ihn nicht kennen und gewinnt nur ein oberflächliches Bild von ihm, ein oberflächliches Urtheil über ihn. Ich kenne keinen höheren Genuss, als in der Auferstehungspracht eines frischen Morgens im Strom der Waldluft zu baden, in der herrlichen Morgensonnebeleuchtung auf die hohen Berggipfel und Felsenkämme zu treten und in die düstern Waldungen und lichtgrünen Thalwiesen, in die dunkeln Schluchten und blauen Fernen von einem erhabenen Standpunkt hinabzublicken. Mein Herz hüpft so froh, wie die Sonne nach dem Volksglauben am Ostermorgen im Aufgehen hüpft, wenn ich vom Haupt meines lieben Schneekopf die Reize der Aussicht geniesse, und stets entdecke ich an ihr neue Schönheiten, obgleich ich schon als Knabe, als Jüngling und als Mann dort oben stand; ich werde ihrer niemals müde.“


„Das ist die ewige Jugend des Herzens und Gemüthes!“ stimmte Otto bei: „Das Gefühl altert nicht, und gern kettet sich der, dem einmal ein Blick in die Welt nicht dauernd vergönnt ist, den die Scholle bindet, an ein kleines Stück Land, eine Parzelle, eine Aussicht, die er liebt und sein nennt, unbekümmert, ob Andere seine Liebe theilen, aber doch erfreut, wenn sie es auf Momente thun.“ – „Solche Natur- und Gefühlsmenschen“ nahm Wagner gegen den neuen Gefährten das Wort: „und ich glaube, dass Sie im edelsten Sinn ein Solcher sind, malen gleichsam die Landschaft ihrer Liebe in ihr Innerstes mit allen Transparentfarben der Jugendgluth, und tragen sie wie ein Heiligenbild im Sanctuarium ihres Herzens. Dort steht das Bild immer frisch und lebendig, selbst noch dann, wenn das innere Auge matter zu blicken beginnt, und der Glanz des äussern sich verdüstert – im Alter; aus dem innern Bilde fällt dann immer noch ein verklärender Abendstrahl gold- und krokosfarbig auf das äussere.“ – Der Geleiter drückte dem Sprechenden still die Hand, in seinem Auge glänzte eine Thräne, er fühlte sich verstanden.

Die Gesellschaft kam am „fröhlichen Mann“ vorüber; eine Vogelstange, Breterhütten, Zelte und buntfarbige Illuminationslampen kündeten an, dass hier Vogelschiessen gehalten werde, und groteske Leinwandbilder einer wandelnden Menagerie, aus der kreischende Papageien- und Affenstimmen sich vernehmen liessen, kündigte an, dass hier auf dem isolirten Wirthshaus es nicht an Lust und Leben fehlen müsse. In einem Winkel stand rosenfarben, wie die Laune Hanswursts, eine Polichinellbude. Kasperle und Gretel schliefen. – Wiesen und Felder lagen in einem weiten Umkreis von Waldungen umfangen, aus denen da und dort der Dampf eines Meilers wie Opferrauch bläulich aufstieg. Gemächlich schreitend, meist von dem Begleiter noch über Suhl, dessen Gegend und Eigentümlichkeit unterhalten, erreichten die Wanderer bald den Wald, der sie in seine Schattenkühle aufnahm, gerade als die Sonne begann, ihnen warm zu machen. Der nun stets emporführende Bergweg über den Aschenthalshügel gewährte vornehmlich Lenz viele Unterhaltung, der eine Menge verschiedenartiges Gestein fand, braunen, grünen und rothen Porphyr, zu Tage stehendes Todtliegendes- und Übergangsgestein von einem zum andern. Am Wildenkopf hinauf zieht sich der Weg durch dunkle Tannenforste, während der lang gestreckte Beerberg zur Rechten bleibt, durch eine tiefe schauerliche Schlucht vom erwähnten Berg getrennt; immer reiner und frischer wird die Luft, sonniger scheinen die Matten zu grünen, ein feierliches Schweigen waltet ringsum, bald verhallt das Geräusch von etwa begegnendem Fuhrwerk, eine grossartig schöne Natur entfaltet hier ihre erhabenen Reize und wetteifert mit den Vorbergen eines Alpenlandes.

Immer der Strasse folgend, die sich am tiefen Abhang durch Holz- oder Steinbarrieren geschützt aufwärts windet, gelangten die Wanderer zu einem Brunnen. Wie labend und erquickend, wie willkommen war sein klares Krystallnass! Zugleich ward eine schon von weitem erblickte hochaufragende Porphyrfelsengruppe erreicht, und der Geleitsmann lud zur Rast. „Hier ist einer der schönsten Stand- und zugleich Ruhepunkte,“ sprach er. „Ganz auf der Höhe, welche man die Ausspanne nennt, wird die Fernsicht rahmenlos, und der Blick irrt unstät umher, während oft heftige Zugluft dem stehenbleibenden Erhitzten schädlich werden kann.“ – Die durch das fortwährende Steigen allerdings etwas Ermüdeten lagerten sich alsbald auf dem grünen Sammt der Bergmatte, auf welcher die Tannen zu niedern Krüppeln zusammengeschrumpft gesehen wurden, dafür prangte die Matte mit den purpurnen Blumenähren des Fingerhutkrautes, diesem schönsten Schmuck der höhern Bergregion, und von den noch thaufeuchten Schattenseiten der Felsblöcke duftete das wunderbare Arom des Veilchensteins. – Die Wanderer hatten im Heraufsteigen bald in ein Wiesenthal hinab geschaut, das steile und riesighohe Bergwände einschlossen, bald hatte, über grosse Wald- und Wiesenflächen flüchtig hinwegstreifend, ihr Blick auf Einzelhöhen, wie Rupberg, Hundstein (ursprünglich wohl Hohenstein), Gebranntstein und andern geruht, die immer je tiefer zurücktreten, je mehr diese selbst emporstiegen, bald hatte ein Rückblick vergönnt, durch ein Stück Aussicht auf die unermesslich hingedehnte Ferne des Frankenlands zu ermessen, wie weit sich auf dem Gipfel diese Aussicht erstrecken möge. Und diese war nun prachtvoll aufgethan. Man sah hinab in die ungeheure Thaltiefe, auf Suhl, auf den fröhlichen Mann, auf den Domberg und seine Fortsetzungen nach Albrechts und Zella hin, auf den Gebirgszug zwischen Hasel und Werra, sah das Werrathal durch einen langgedehnten Nebelstreif bezeichnet, aus dem die hohen Häupter der Gleichen duftblau aufragten. Der Beerberg mit seinem Felsgiganten und einer auf dieser Hochmatte weidenden Heerde, die von Oberhof hergetrieben kam, rahmte auf einer, die Suhlaer Laube auf der andern Seite das Landschaftsbild ein.

Bald war nun vollends die Höhe erreicht, welche die Ausspanne heisst, und die Freunde sahen mit stillem Staunen das Panorama um sich her gebreitet, das ein grosser Theil der Nachbarländer Thüringen und Franken bildet, sahen hinüber, wo Rhön und Spessart aus der Ferne grüssten. Man stand fast 3000 Fuss über der Meeresfläche, auf dem Rücken des thüringischen Gebirgs.

„Hier schneidet der berühmte Rennsteig den Weg,“ berichtete der Führer: „dieser läuft am rechten Abhang des Beerbergs hin, und ist weit sichtbar, auch der Beerberg bietet eine schöne, doch ebenfalls nicht ganz umfassende Aussicht dar; wir wählen den Schneekopf, den so manches interessanter macht, als seinen übermüthigen Nachbar, welcher jenem den alten Ruhm, der höchste Thüringerwaldberg zu sein, entrissen hat, weil er den Schneekopf um einige zwanzig Fuss überragt. Wir hätten von hier aus zum Schneekopfgipfel nicht allzuweit mehr, doch die Herren sehnen sich einem Frühstück entgegen, das Sie jedenfalls in Oberhof besser finden, als auf der Schmücke; auch ist ohnehin der Abstecher lohnend, da es nicht in Ihrem Reiseplane liegt, die Hochstrasse von Oberhof bis Ordfuf und Gotha zu verfolgen.“

„So ist es,“ bestätigte Otto. „Wir pilgern vom Schneekopf gleich nach Ilmenau hinab, und doch möchte ich meinen Freunden auch den Oberhof gern zeigen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen