Abschnitt. 3 - Elisabethenburg. -- Residenzschloss. - Herzog Bernhard I. - Herzog Georg. Bibliothek, Atlanten- und Bibelsammlung. - Druckseltenheiten.

Unter dieser Erzählung waren die Freunde zur Esplanade vor dem Residenzschloss der Elisabethenburg gekommen, das von da aus gesehen sich auf keine Weise vortheilhaft darstellt; ein Rundbau deckt und versteckt das Hauptgebäude, und nur der eine Flügel, das sogenannte alte Schloss, tritt mit alterthümlichem Giebeldach hervor. In diesen Theil des Schlosses führte Otto zunächst seine Freunde; es ist darin die 30,000 Bände starke Bibliothek befindlich, zu welcher Herzog Bernhard I. schon durch eine bändereiche Büchersammlung den Grund legte, die durch bedeutende Ankäufe Herzog Anton Ulrichs beträchtlich vermehrt, und durch die Liberalität Herzog Georgs 1782 zuerst dem grossen Publikum an bestimmten Tagen zugänglich gemacht wurde. Die Bibliothek, an Geschichtswerken älterer Zeit am besten ausgestattet, hat auch eine schöne Atlanten- und Bibelsammlung, eine jedoch kleine Anzahl Manuscripte, und unter ihren Druckseltenheiten eine Armenbibel, einen höchst seltenen Pergamentdruck der Institutionen von Peter Schöffer von Gernsheim, wie eine prachtvolle erste Ausgabe des Theuerdank auf Pergament, mit gleichzeitig kolorirten Holzschnitten aufzuzeigen. Den letztern widmete Wagner besondere Aufmerksamkeit, und bemerkte nicht unpassend, dass die eigenthümliche von den Neuern als unkünstlerisch verbannte und vermiedene Manier der Alten, die Lichtstellen und manche Konturen der Bilder mit Gold zu höhen, diesen Letztern einen ganz besondern Reiz gäbe, und die Lebhaftigkeit des Bildes hervortreten lasse, ja diese erst recht eigentlich hervorhebe. Otto nahm das Wort: „Wie die fromme Gluth der Alten in den Glorien um Heiligenköpfe gleichsam eine sinnliche Verkörperung suchte und fand, so scheint mir in dieser Weise die Lebenswärme und Lebensfrische des deutschen Mittelalters abgespiegelt, ein farbiges, fröhliches, bewegtes Getriebe, dessen Bild vom Gold der Freude gehöht erschien, wo sich die Gestalten ungezwungen und harmlos bewegten, während wir lieben, uns in schwarzen und oft schwermuthvollen Ernst zu kleiden, den freilich manches drückende Weh der Zeit und Gegenwart entschuldigt und rechtfertiget; dennoch barg sich auch hinter ihrem Goldschimmer gar manches Trübe, das wir ja nicht zurückwünschen wollen.“

Die Zeit war zu kurz um für diessmal der Bücherei mehr als flüchtigen Einblick in ihre Schätze zu widmen, und bald standen die Freunde in der kleinen Gemäldesammlung, die ebenfalls in einem Saale des Schlosses aufbewahrt wird. Dem Prachtstück derselben, einer Kreuzabnahme von Hannibal Caracci ward vor Allem gebührende Aufmerksamkeit und Bewunderung geschenkt. Dabei wurde von Otto bemerkt, dass eine grosse Anzahl der besten Gemälde noch in den herzoglichen Zimmern hängt, durch welche vermehrt, die Gallerie allerdings bedeutender erscheinen würde, in der sich noch eine schöne dem Lenardo da Vinci zugeschriebene Madonna mit dem Kinde und sehenswerthe Stücke aus der deutschen und niederländischen Schule von berühmten Meistern befinden.


Die Fremden besahen hierauf im Geleit des einheimischen Freundes, der sie auf alles nur irgend Sehenswerthe mit patriotischem Eifer aufmerksam machte, noch das ebenfalls nicht grosse, aber an Mineralien, Korallen und ähnlichen Seeprodukten und geschliffenen Steinarten ziemlich reiche Naturalienkabinet, wo Lenz mit besonderer Freude den Forscherblick auf einer grossen Steinplatte mit den Relieftazzenabdrücken des antediluvianischen problematischen Chiroterium weilen liess, die aus den Hessberger Steinbrüchen hierher kamen. Otto legte Sicklers Heft: Die Plastik der Urwelt zur Ansicht und zum Vergleich darüber vor, und bat, Urtheil und Besprechung bis zur Autopsie am Fundort dieser räthselhaften Thierfärthen zu verschieben, welche die Aufmerksamkeit der Forscher Europas zwar auf sich gezogen haben, aber nicht von allen die gleiche Würdigung fanden.

Unvermerkt war der Mittag herbeigekommen, doch wurde, um den Nachmittag und Abend zu Ausflügen ins Freie benutzen zu können, dem Antiquarium des hennebergischen Alterthumsvereins noch vor Tische ein Besuch vergönnt, und in Augenschein genommen, was dieses noch junge Institut während seines Bestehens bereits an Harnisch und Waffenwerk, mittelalterlichem Geräth, Münzen und Anticaglien acquirirte. Hier nahmen einige alterthümliche Taufbecken mit wunderlicher Schrift und eine Trompetengeige oder Marinetrompete ob ihrer seltsamen Form und Bauart neben andern Gegenständen, die Aufmerksamkeit besonders in Anspruch. Von der ersten, der Beckenschrift, berichtete Otto, dass sie immer noch nicht entschieden gelesen und gedeutet sei, obgleich sich die gewiegtesten Forscher daran versucht, und, dass durch immer neue Entdeckungen solcher und ähnlicher, oft merklich abweichender Schriften auf allen Becken und blos auf Becken, die Entzifferung nur erschwert, die Deutung verwirrt werde. Als Lenz die Frage aufwarf, was eigentlich Haupttendenz dieses und ähnlicher Vereine sei, und ob man sie überhaupt zeitgemäss nennen dürfe, da sie mehr ein Stehenbleiben, als ein Weiterschreiten, ein Zurückblicken statt ein Vorwärtsschauen zu bezeichnen schienen, legte Otto die den Verein betreffenden und von diesem veröffentlichten Literalien vor und äusserte sich nebenbei folgendermassen: „Die zahlreichen historischen Vereine Deutschlands, welchen partiellen Namen, ob sächsisch, thüringisch, wetterauisch, hessisch, voigtländisch, bennebergisch u. s. w. sie immer führen mögen, haben alle den gleichen löblichen Doppelzweck: Erforschung und Aufhellung der vaterländischen Geschichte, und Erhaltung der Geschichtsdenkmäler. Den wahren wissenschaftlichen Nutzen der ersten Beziehung können nur die verneinen, welche aus gewissen Motiven das Kind mit dem Bade ausschütten und gar keine Geschichte mehr gelten lassen wollen; und die zweite Beziehung tadeln kann nur rohe Barbarei, denn in ihren weiten Bereich gehören alle Schätze des Kunstfleisses der Vorfahren und viele von ihnen werden da zur Geschichtsquelle, wo Schrift und Urkunde schweigen oder ganz fehlen. Nicht um zu sammeln, sammeln die Vereine, sondern um an und von dem Gesammelten zu lernen, und hier gewinnt oft selbst ein anscheinend geringfügiger Gegenstand Werth und Bedeutung. So seht ihr z. B. hier einige längliche an beiden Seiten geschärfte Feuersteine; wer sie nicht kennt, wird sie kaum des Aufbewahrens werth erachten, erfährt er aber, dass die alten Germanen sich derselben als Pfeilspitzen und Messer bedienten, dann wird er sie wohl eines aufmerksamem Blickes würdigen.“ „Friede sei mit euch!“ warf Wagner lächelnd ein, um Otto den Faden einer Rede abzuschneiden, die länger zu werden drohte, als eben nöthig, und man trat heiter aus der Atmosphäre des Alterthumstaubes in das helle Mittagssonnenlieht, um sich an dem zu erfreuen, was in der Gegenwart Gott beschert.

Nach Tische führte Otto seine Gäste, bevor sie ihre Promenade antraten, erst noch zu dem mit Recht ruhmvoll genannten Hofkunstdrechsler Schulz, der mit seinem Bruder, Zwillingssöhnen unermüdet thätig, schon mehr als ein deutsches Kunstkabinet mit gelungenen Elfenbeinarbeiten zieren half. Diese Künstler-Familie, schlicht und bürgerlich einfach, zeigte mit der freundlichsten Bereitwilligkeit eine Anzahl herrlicher Becher, mit zahlreichen Hautrelieffiguren, theils biblische Gegenstände nach Albrecht Dürer, theils Jagdstücke nach Bidinger den bewundernden Freunden vor.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen