Abschnitt. 1 - Thal der Werra. - Henneberg. - Rhön. - Bauerbach, Schillers Asyl. -

Es kam ein Brief; freudig erkannte Otto Hand der Aufschrift und Siegel. Zwei Freunde aus einer Stadt des südlichen Deutschlands, denen er, als ihm in ihrer lieben Nähe zu verweilen vergönnt war, oft und viel von Thüringen, seiner schönen Heimath, erzählt, waren daran, einen mehrmals zwischen den Dreien besprochenen Plan auszuführen: Otto zu besuchen und in dessen Geleit eine Reise durch Thüringen zu machen, um dieses Land, seine Natur, seine Bewohner und seine Sitten kennen zu lernen. Der noch nicht weit gereiste deutsche Südländer lässt sich nur gar zu oft durch das Prädicat Süd verleiten, sich den deutschen Norden, zu dem er Mitteldeutschland schon rechnet, rauh und unerquicklich zu denken, und stellt sich bisweilen eine Reise nach Italien leichter und ausführbarer vor, als eine nach dem Thüringer-Wald und dem Harz. Die Freunde, davon wir den einen Wagner, den andern Lenz nennen wollen, schrieben: „Rüste Dich zur Pilgerfahrt, denn wir kommen. Uns verlangt das Land zu durchwandern, das Du uns so oft gepriesen. Wir hoffen, dass keine seiner Naturschönheiten unter Deiner Leitung uns ungenossen, mindestens unbetrachtet entgehen soll. Wir sind doch begierig, die Reize kennen zu lernen, welche Dich so sehr umstricken, dass man Dich öffentlich einseitiger Vorliebe für Dein Thüringen zeiht! Diese, Deine Geliebte, zeige uns, als unpartheiischen Richtern und – Kennern. So viel wir wissen, wächst in Thüringen kein Wein, ausser jenen verrufenen Arten, die Kanonen vernageln, wenn man eine Libation auf das Zündloch giesst, und die zerstreute Armeen zusammenziehn. Das ist schon schlimm ! Und wie es am Wein gebricht, soll es auch an Wasser fehlen, Thüringen hat keine Seen. Siehst Du Freund, wir sind Kritiker, und Du bekommst einen schlimmen Stand, doch sei nicht bange; wir geben Dir unser Wort, es Dir nicht entgelten zu lassen, wenn wir nicht mit Deinen Augen sehen. In den ersten Tagen des Mai treffen wir bei Dir ein! Alles noch zu Sagende sei der frohen Stunde aufgespart, in der wir uns umarmen.“

Der Frühling war in das heitere Thal der Werra wie ein flammender Cherub unter Blitzen und Donnerschlägen eingezogen; im Sonnenregen troff er nieder, und jeder Tropfen küsste eine Blüthe wach. Den über der Bergkette des Thüringer-Waldes noch grollenden Donner jubelten Hunderte von Nachtigallen nach, und balsamische Frische hauchte aus allen Berggärten, in denen vom Fuss der Berge bis zum Gipfel die Bäume im vollem Blüthenschmuck prangten. Als Jean Paul das in Form einer Harfe erbaute und deshalb in alten Büchern Harfenstadt genannte Meiningen, wo er eine Zeitlang lebte und manchen guten Trunk that, ironisch scherzend „die Harfe ohne Klang“ nannte, mag es wohl ausser ihm nicht Frühling gewesen sein, (in sich trug er Himmel und Frühling stets,) sonst hätte er Klanges genug vernehmen können. –


Der Lenz war da mit Sang und Klang, mit seinen Blüthen und Nachtigallen, die zu hören, selbst Fremde aus nahen und fernern Orten nach Meiningen reisen; die Meininger Frühlingskapelle wetteifert an Ruf im Nachbarland mit der Herzoglichen – und Otto freute sich innig darauf, die Erwarteten in diese Gratisconcerte zum Benefiz aller liebenden, zärtlichen, schmachtenden, sehnsüchtigen und überhaupt fühlenden und empfänglichen Herzen zu führen; wer aber nicht kam, waren seine Freunde.

Verhinderungen, diese so oft in des Lebens Freudenwege geworfenen Fussangeln und Sperrketten hatten auch hier unwillkommen gehemmt, und es währte bis zum Sommer, ehe alle fernere Hindernisse beseitigt, und aus dem Reisewege geräumt waren, für dessen Unterhaltung eine fleissige Correspondenz eifrig sorgte. Endlich kündete ein letzter Brief gewisse Ankunft, und Otto eilte den Nahenden eine Meile weit entgegen, um sie noch auf fränkischem Boden zu begrüssen. Im Dorfe Henneberg trafen die Freunde zusammen; das Wiedersehen nach jahrelanger Trennung war das Herzlichste, und Otto führte die Lieben sogleich hinauf zur Ruine des alten Grafenschlosses, wo die Drei auf die glückliche Fahrt bis hierher, und auf die fernere glückliche Fahrt durch Thüringen manchen Becher leerten. Den eifrigen Landschafter Wagner aber liess es nicht lange auf dem sonnigen Rasen des alten Burghofes, auf den sie sich gelagert, rasten, kaum waren über die Reise zu Otto und über das beiderseitige bisherige Ergehen Bericht erstattet, so sprang er schon auf, zog sein Skizzenbuch und eilte bewundernd an den runden Thurmkoloss dieser schönen Burgruine; „Welch ein Bau!“ rief er den Freunden zu. Ganz verschieden von den Wartthürmen andrer Burgen, eher römisch, als deutsch, und für die Dauer von Jahrtausenden gefügt. Lenz und Otto traten nun ebenfalls näher, und der Letztere führte die Freunde in das Innere dieses sehenswerthen Verliesses, das früher keinen andern Eingang hatte, als oben an der gewölbten Kuppel eine runde Oeffnung, durch welche man die Gefangenen niederliess. „Dieser Eingang durch die zwei Mannslängen dicke Mauer wurde erst in spätrer Zeit gebrochen,“ berichtete Otto, als sie das kühle hallende Rund des Innern betraten; „auch war der Thurm ursprünglich viel höher, denn jetzt zeichnet seine Höhe ihn nicht aus. Seine Bauart deutet allerdings auf ein hohes Alter hin, und Deine vorhin ausgesprochene Ansicht, Wagner, findet mindestens in der Sage eine Bestätigung. Diese lässt aus Italien einen edlen Römer nach Deutschland kommen, in der Absicht, sich darin niederzulassen. Als derselbe nun in lachender Gegend den isolirten Bergkegel hier gewahrte und bestieg, einen Burgplatz zu erspähen, da flog aus dem Gebüsch mit Geschrei eine Berghenne mit ihren Jungen vom Nest. Dem Römer, den der Berg gefiel, schien diess ein glückliches Omen, er erbaute die Burg, nannte sie Henneberg und wurde der Ahnherr eines reichen und angesehenen Grafen- und Fürstengeschlechtes im deutschen Mittelalter.“

Alle verliessen den Thurm, Wagner zeichnete ihn, und Otto wandelte indess mit Lenz nach einer Oeffnung der alten Ringmauer, durch welche, wie in einem Rahmen, ein herrliches Landschaftbild sich aufthat. „Wirf noch einen Abschiedblick auf Franken,“ sprach er zu dem Freunde: „Sieh, wie majestätisch dort die Kette der hohen Rhön sich hinzieht, ein kahles und rauhes Gebirge, wildschön, voll öder Berghaiden und einsamer Rauhthäler. Durch dieses Fernrohr, das uns auf der Reise begleiten soll, wirst Du das riesige Kreuz, den Signalthurm und etwas vom Kloster sehen können.“ – Sie wanderten wieder nach vorn, wo ausser dem Thurm noch sehr malerische Ruinen, die muthmasslichen Reste einer Kapelle, hohe Mauern mit weiten Bogen und der fast ganz verschüttete Brunnen besehen wurden, den einst mehre auf den Tod Gefangene graben mussten. Wagner zeichnete noch Einiges, und fröhlich plaudernd schritten die Wanderer aus dem Burgthor, in dem grünen schattigen Laubwald bergab. Als sie das am Fuss des Berges liegende Dorf erblickten, stand Otto still und sprach: „Seht jenes graue Bauerhaus dort unten; in diesem ist der letzte Fürstgraf von Henneberg, Georg, als er noch einmal sein von den Bauern zerstörtes Stammhaus besehen, gestorben. Und nun rechts um, der Wagen erwartet uns anderswo, wir machen eine Fusswanderung, und ich will sehen, wie ihr euch dazu anlasst, und ob ihr mit mir, euerm treuen und redseligen Cicerone, zufrieden seid!“

Als die Wanderer am Saum eines Waldes hinschritten, lag unten zur Rechten ein freundlicher grüner Thalgrund, in dessen Mitte ein stattliches Dorf sich ausbreitete, vor ihnen aber hob sich in blauer Ferne ein Theil des Thüringer-Waldes. Thal und Berge, Nähe und Ferne waren von der Nachmittagssonne herrlich beleuchtet, und auf dem Bergrücken wehte erfrischend stärkender Lufthauch.

„Seht dort hinab!“ rief jetzt Otto, die Freunde in ihrem raschen Schritt anhaltend: „Was seht ihr?“– „Nun, ein Dorf!“ war die Antwort. „Seht euch das bescheidene gelbe Herrenhaus, dort wo die beiden Tannen emporragen, nur recht an,“ fuhr Otto fort: „Es ist Bauerbach!“ – „Bauerbach, Schillers Asyl!“ riefen die Freunde enthusiasmirt aus. „Ja, hier in diesem Thalfrieden, fern vom städtischen Geräusch, fern vom Wagen und Karossenlärm der Heerstrassen, war der edle Dichter wohlgeborgen, gab dem schon in Stuttgart vollendeten Fiesko die letzte Feile, schrieb Kabale und Liebe, und entwarf den Plan zum Don Carlos. Die Einsamkeit des Ortes und die Winterstille, die ihn umgaben, waren so recht geeignet, dem unter dem Namen Schmidt sich hier bergenden Flüchtlinge die innere Ruhe zu gewähren, welche ihm nach den trüben Erfahrungen, die er in Mannheim gemacht, so nöthig war, um ein Genie zu immer grösserer Reife zu führen, das die Welt mit unsterblichen Werken beschenkte. Er selbst schrieb damals von sich: „Ich bin an Ort und Stelle, wie ein Schiffbrüchiger, der sich mühsam aus den Wellen gekämpft hat.“

Ernst und still sahen die Freunde auf den Ort hernieder, den der Name des grossen Dichters für alle Zeiten merkwürdig machte, und brachten im Geist den Manen des Unsterblichen ein Todtenopfer. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen