Abschnitt 2

Wer jemals in einer der heitern Thüringerwald-Städte süssruhend vom Kuss des Morgens geweckt wurde ...


Endlich ward verabredet, am Nachmittag und Abend mit alten und neuen Bekannten wieder zusammen zu treffen, und nach Manebach aufgebrochen. Rasche Pferde führten die drei Reisenden, denen ein beim Bergamt Angestellter auf ihr Bitten sich angeschlossen, dem schönen, von der Ilm durchschlängelten Manebacher Grunde zu. Sie fuhren an mehren Mühlwerken vorüber, und der junge Begleiter machte sie auf die ungeheure Schlackenhalde aufmerksam, die vor dem Frauenwalder Thore aufgethürmt lag, und erwähnte dabei, dass diese noch aus der Zeit des ergiebigen Silberbergwerks herrühre und einigermassen von dessen ungeheurem Betrieb zeuge, obwohl unendlich viel davon zum Chausseebau hinweggefahren worden.


Schon pilgerten einzelne Lustwandler dem Schützenhofe zu, Musikanten, die Instrumente auf dem Rücken tragend, Bürger und Bauern von nahen und fernen Orten, und die Verkäufer hatten bereits ihre Buden aufgethan. Ja, aus einem Kiosk leuchteten auf dem geräumigen, mit Buden und Laubzelten geschmückten Platz vor dem Schiesshaus auch die farbigen Gewänder eleganter Damen. Schüsse knallten, die Trommel des Zielers wirbelte, das fröhliche Leben begann.

„Halt!“ rief der Begleiter dem Kutscher zu, und die Rosse standen. „Wir wollen zwar jetzt, da wir Wein getrunken, kein Bier trinken, aber ich ersuche die Herren, einen Augenblick auszusteigen und mir zu folgen. Jetzt ist es leichter, Ihnen die grösste Merkwürdigkeit unsers Schützenhofes zu zeigen, als Nachmittags, wenn eine drängende Menge sie umlagert.“ Die Reisenden betraten mit ihm das Erdgeschoss des 132 Fuss langen, 2 Etagen hohen Schützenhofes und schritten in den ungeheuern Keller. Dieser, so geräumig in festen Porphyrfels getrieben, dass man mit einem Wagen darin fahren könnte, besteht aus zwei neben einander parallel laufenden Wölbungen, jede 170 Fuss lang, aus denen ein 20 Lachter tiefer Schacht als Luftloch aufwärts führt. Darin lagerte nun in zahllosen Fässern das berühmte Ilmenauer Felsenkellerbier, das weit in die Umgegend, nach Erfurt, Weimar und andere Städte Thüringens versandt, durstige Kehlen nicht minder erquicklich, wie an Ort und Stelle, labt. Der Keller wurde gebührend trefflich gefunden, nicht minder das Bier, welches doch versucht werden musste, und dann ging die Fahrt im Manebacher Grunde fort. Während derselben sprach sich der Bergbeamte belehrend über den Boden Ilmenau's in mineralogisch-geognostischer Beziehung aus, was besonders von Lenz mit Dank angenommen wurde. „Der Kern unsers Gebirges“, sprach er, „wird von Porphyr gebildet, mit mächtigen Anlagerungen von Todtliegendem. Der Hornsteinporphyr tritt in nackten Felsengruppen zu Tage, und der Schooss des Gebirges enthält vornehmlich Braunstein- und Rotheisensteingänge, untermengt mit Schwer-, Fluss- und Kalkspath-Geschieben. Das Todtliegende zeigt sich theils als Conglomerat, theils als bunter Thon- und Sandstein, und über demselben haben sich bituminöse Mergel- oder Kupferschiefer aufgelegt, unter denen früher die silberreichen Sanderze brachen, welche den Flor der Stadt gründeten. Im Kupferschieferflötz nach Roda zu fand man schöne Fischabdrücke, und über denselben kommen Lager von Zechstein mit Gryphiten, Gyps und Stückstein vor, über welchem die Sandstein-Formation beginnt, die unsern Porcellan- und Glasfabriken höchst brauchbares Material liefert. Am häufigsten wechseln die Gebirgslager auf dem Wege nach Langewiesen; der Ehrenberg bietet auf der kurzen Strecke von der Lohmühle bis zum Marienhammer gegen zwanzig verschiedene Gesteinarten. Bei Manebach und Kammerberg, wohin wir fahren, liegen zwischen Kohlensandstein und Schieferthon Steinkohlen in vier mächtigen Flötzen so über einander, dass jedesmal der Schieferthon die Steinkohlen einschliesst, und der Kohlensandstein zweimal eingeschlossen ist und zweimal die äussern Kettenglieder bildet.“

Auf diese Weise lehrreich unterhalten, legten die Reisenden gar bald das freundliche Thal zurück und kamen bei den genannten, unter Felsen und aufwärts steigenden waldumkränzten Bergwiesen reizend und malerisch gelegenen Orten an. Man ging zu dem Stollen, grüsste mit heiterm „Glück auf!“ Steiger und Knappen, schwarze Bergmannshemden wurden übergeworfen, Grubenlichter angezündet, und so gerüstet fuhr man ein. Rauschend tosten die Wasser des Kunstschachts, und die Gestänge ächzten, bewegt von einem mächtigen Rade über der Erde. Die Ausbeute in der Tiefe für die Besuchenden waren interessante Abdrücke vorweltlicher Kryptogamen und versteinerte Reste von palmenartigen Monocotyledonen. Die Arbeit der Knappen in diesen Schachten ist mühsam und beschwerlich; jährlich werden über 6.000 Centner Steinkohlen zu Tage gefördert.

Freudig begrüssten die Grubenbefahrer wieder den warmen Tag, das göttliche Sonnenlicht, nahmen im Gasthause zu Manebach einen ländlichen Imbiss und tranken dazu, es klingt fabelhaft, ächtes Augsburger Bier, das thüringische Fuhrleute der Rarität halber von Zeit zu Zeit mitbringen. Die Thüringer Wäldler, im Besitz vortrefflicher Brauereien und ßiere, wollen denn doch auch manchmal etwas Apartes haben.

Der Platz vor dem Ilmenauer Schiesshause wimmelte am Nachmittag, der weite Tanzsaal wimmelte; die Lauben, die Hütten, die Zelte, die offenen Bänke waren gedrängt voll und besetzt. Das war ein Leben! Lustig flaggte die Grossherzoglich-Weimarische Landesfarbe, und Manchem konnte es im Gedränge gelb und grün vor den Augen werden. Haupttag des Vogelschiessens! das war das Zauberwort, das von nah und fern die Tausende herbei- und herüberlockte. Schützen aus allen Nachbarstädten und Flecken, vornehmlich von Amtgehren, welcher Nachbarort alljährlich mit Ilmenau in Abhaltung dieses beliebten Volksfestes wechselt. Hier ist, nach Göthe's Wort: „des Volkes wahrer Himmel.“ Von Arnstadt, Erfurt, Gotha, Weimar, Schleusingen, Meiningen, Hildburghausen, Suhl, wie von den kleinern Städten Plaue, Königssee, Eisfeld, Schalkau und andern, der Dorfschaften nicht zu gedenken, finden sich sicher jedesmal Repräsentanten beim Ilmenauer Vogelschiessen ein und helfen diese glänzenden Tage feiern. Die ungeheuern Forste des Weimarischen und der Nachbarstaaten erfordern natürlich ein zahlreiches Personal, und daher sind denn auch die Mehrzahl der Schützen praktische, nämlich Jäger, und es ist eine Lust, mit den naturbefreundeten, daher nicht höfisch zierlichen, sondern ächt deutsch und kernhaft sich offen gebenden Grünröcken zu verkehren. Es war, als wenn nicht allein die nur dritthalbtausend zählende Einwohnerschaft Ilmenau's, sondern die zahlreiche Bevölkerung des ganzen Waldes hier versammelt wäre. Hier bewegt sich denn zwanglos, frei und lebensfroh mitten unter vornehmen und geputzten Städtern das thüringische Landvolk, das Volk, welches rothe Westen und Tuchlätze trägt, und Röcke von der Farbe seiner Wälder, und schwarze oder gelbe Beinkleider; Weiber und Mädchen mit blaugezwickelten rothen Strümpfen, faltenreichen Tuchröcken, braunen Wämsern, silber- und bändergezierten Miedern; und Alle sind lustig und guter Dinge. Da gibt es Musikanten, dort Leiermänner, hier tanzende Paare, dort kosende, dort setzt es auch wohl thüringische Maulschellen und Püffe, die nur wenig die Lust unterbrechen. Unsichtbar segnend wandeln durch die ächte deutsche Volkslust zwei hellenisch-mythische Gestalten, Ceres und Bacchus Arm in Arm. –

Nachdem die Festfeier des Nachmittags, der Schützenzug nach herabgeschossenem Corpus des Vogels, manch donnerndes Vivat, manch schäumendes Glas gesehen, gehört und genossen war, manche alte Bekanntschaft erneut, manche neue angeknüpft worden, folgten die Freunde einer gastlichen Einladung, den Rest des Abends in Wenzels Berggarten zuzubringen, dessen schöner Salon vom Lampenschein erhellt, von freundlichen Gestalten belebt war. Ein köstlicher Kardinal schimmerte purpurn in der Terrine, duftete Vanillearom und empfing durch einige Flaschen Champagner die wahre Weihe. Hell schwammen mehre getheilte Orangen auf der dunkeln Fluth. In die Freude, die im Becherklang austönte, klang plötzlich lauter Männerchorgesang; eine Bergknappenschaar zog auf und sang einen alten beliebten Bergreihen mit stetem Refrain, dessen erste Strophe ächt volksthümlich also lautete:

Viel Bergleut' sind eine schöne Zier
Allhier auf dieser Erd';
Sie bringen das Gold und das Silber herfür,
Gleich wie's geschrieben steht.
Man kann's ihnen auch beweisen,
Sie gewinnen's mit Schlägel und Eisen;
Man könnte nicht lachen,
Kein' Ausbeut' nicht machen,
Wenn halter kein Bergmann nicht wär'.

Es war Mitternacht vorüber, ein Gewitter zog prächtig über den hohen Gickelhahn, dumpfer Donner grollte und schmetterte im Gebirge, in eiligen Zügen stob ein Theil des Volkes nach der Stadt, die Blitze flammten blendend auf und züngelten blau um die Bergscheitel, grosse Tropfen fielen; Alles suchte in Eile ein sicheres Obdach. Zürnend flammte das Wetter über dem Thalkessel der Waldstadt, aber es zog gnädig vorüber und entlud sich nur in der brausenden Stromfluth eines gewaltigen Regengusses.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen