Abschnitt. 1 - Der nächste Morgen fand die Reisenden zeitig wach ...

Der nächste Morgen fand die Reisenden zeitig wach. Sie gaben sich dem angenehmen Eindrucke willig hin, den das Gefühl erregt, mitten in einer volkreichen, nicht unbedeutenden, dabei wohlgebauten Stadt zu sein, in die man sich plötzlich wie durch Zauber versetzt sieht, wenn man spät Abends oder zur Nachtzeit eintraf, und vorher weder Zeit gewann, ihre Profile, noch ihre Physiognomie näher zu betrachten. Den mit stattlichen Häusern besetzten Markt überschauten aus den Fenstern ihrer Zimmer im Gasthofe zum Riesen die Freunde; sie sahen diesen Markt sich sanft zum Berg emporheben und oben das herrliche Residenzschloss seine weiten Flügel ausbreiten. Gegenüber dem Gasthause, isolirt mitten auf dem untern Theile des Marktes nahmen sie das grosse und geräumige alte Rathhaus wahr, und auf Strassen und Plätzen das erwachende Leben eines vielbesuchten Markttages. Buden bauten sich mit Geräusch auf, Waaren wurden ausgelegt; zum wechselvollen und mannichfaltigen Verkehr boten sich auch heute Stadt und Land einträchtig die Hände im Tausch unentbehrlicher Bedürfnisse, während auch die mehr entbehrlichen, die man mit dem Namen Luxusartikel bezeichnet, keinesweges unberücksichtigt blieben.

„Gotha ist vorzugsweise thüringische Handelsstadt,“ nahm Otto das Wort: „Inmitten eines mit Fruchtbarkeit gesegneten, ergiebigen und dabei mit tüchtigem Fleisse kultivirten Landes gelegen, strömen ihm Wald und Feld, Bach und Weiher die Erzeugnisse der Natur, nicht minder technische Industrie die Produkte ihres Gewerbfleisses zu, während es zugleich weder Künstler in allen gesuchten Fächern, noch wissenschaftlicher Anstalten hohen Ranges entbehrt. Seine geographische Lage ist eine höchst glückliche zu nennen, indem mehre grosse Hauptstrassen hier zusammenstossen, und eine Menge Nebenstrassen, sich diesen vereinigend, vollen Verkehr erleichtern. Vom schönsten Theile des Thüringer Waldgebirges nur wenige Stunden entfernt, und dieses in reizender Ausdehnung panoramenartig hingelagert erblickend, ist auch Solchen idyllischer, wie hochromantischer Genuss nahe gerückt, die sich am Rauschen von Wald und Wasserfall, an Resten des Alterthums, überhaupt am Naturfrieden gern erfreuen mögen, oder bisweilen von ernsten und trocknen Berufsgeschäften rastend, aufathmend die Frische und Freiheit der allmütterlichen Natur geniessen wollen.“


Während man das Frühstück einnahm, berührte Otto im Gespräche flüchtig Gotha’s Vorzeit und Geschichte, jedoch vorausbemerkend, dass die Zeit viel zu kurz, um mehr als nur andeutende Uebersicht geben zu können.

„Gotha,“ begann er: „dankt seinen Namen wohl nicht den Gothen, wie Manche meinen, vielleicht eben so wenig seinem Schutzheiligen: St. Gotthart. Das anfängliche Dorf erhob sich früh zur Stadt, Kaiser Heinrich I. soll es mit Mauern umgeben haben. Ein Eigenthum des Stiftes Hersfeld, kam Gotha später in den Besitz der Schutzherren dieses Stifts, der Landgrafen von Thüringen, die eine Kemnate hier erbauten, aus welcher allmälig die starke Veste Grimmenstein wurde, darauf sie oft wohnten. Als die Landgrafen erloschen, kam auch Gotha an das Haus Sachsen. Die neuere politische Geschichte des Landes und Fürstenhauses von Gotha darf ich als euch bekannt voraussetzen, und erwähne nur, dass auch die Stadt selbst so sehr durch Mauern, Wälle, Gräben und Bastionen geschützt wurde, dass sie für eine vollkommene Festung galt. Unter Karl V. wurde der Grimmenstein rasirt, aber alsbald wieder fester und stärker aufgebaut, mehr zum Unglück, als zum Glück der Stadt, denn in seinen sichernden Mauern gewährte Herzog Johann Friedrich II. dem geächteten Ritter Wilhelm von Grumbach und dessen Anhang ein Asyl; dessen Rathschlägen zur Erstrebung und Erlangung der Churwürde willig Gehör gebend, und das Schloss mit eben so lobenswerther Freundestreue, als unpolitischer Hartnäckigkeit gegen des Kaisers Achtsvollstrecker vertheidigend, so dass er dadurch eine für alle Theile höchst beklagenswerthe Katastrophe herbeiführte, die der Stadt und ihrem Gebiete nachhaltigen Schaden brachte, ihm, dem Herzog, lebenslängliche Haft zuzog, und den Grimmenstein der Erde gleich machte. In Herzog Ernst dem Ersten, dem Frommen, den das Volk noch in dankbarer Erinnerung unter dem Namen Bet-Ernst kennt und ehrt, ging der Stadt und dem Lande ein neuer Glücksstern auf. Dieser würdige Ahnherr der jetzigen Herzogl. Sächsischen Regentenhäuser, der nicht minder den Namen des Weisen, wie des Frommen, verdiente, erbaute das jetzige Schloss und nannte es Friedenstein. Durch ihn geschah für Kunst und Wissenschaft, wie für Gesetzgebung und Staatsverwaltung unendlich viel, das immer noch, nachhaltig und segensreich, unverkennbar fortwirkt. Seiner Kunstliebe vornehmlich dankt Gotha das in vielem Betracht ausgezeichnete Museum. Mitkämpfer im dreissigjährigen Kriege, bevor er durch die nachherige Erbtheilung mit seinen Brüdern zur Regierung über das Land Gotha gelangte, um in ruhiger, von den Stürmen des Krieges sich erholender Zeit alle Segnungen drs Friedens über sein Land durch weises und thatkräftiges Regentenleben herbeizuführen – erwarb er auf rechtliche Weise, nicht mit der Raublust eines Eroberers, einen grossen Theil der Literatur- und Kunstschätze, die des Museums Anfang und Grundlage bilden halfen; Anderes fiel ihm als Miterbe des grossen Bernhard von Weimar zu. Als er Schloss Friedenstein erbaute, war er besorgt, ausgedehnte Räume auch zur Aufbewahrung seiner sich mächtig mehrenden Sammlungen zu gewinnen. Und was sein wackrer Sinn zu sammeln, zu ordnen und zu pflegen bemüht war, achteten glücklicherweise auch seine Nachfolger hoch, strebten zu mehren, zu sichern, zu erhalten, und so ist es für Gotha ein unberechenbarer Gewinn geworden, dass selbst in Theilung drohender Zeit, als der Fürstenthron auf dem Friedenstein verwaist stand, der Erbberechtigten Weisheit, zwar ohne rechtliche Ansprüche aufzugeben, doch nicht eigensüchtig an Trennung der Literatur- und Kunstschätze dachte, sondern auf deren dauerndes Beisammenbleiben und zweckgemässes Vermehren bedacht war.“

So im Allgemeinen die Freunde auf den Standpunkt führend, von welchem aus das Gothaische Museum ernst und bedachtsam zu betrachten ist, wurde es Otto leicht, als man nun in nächster Vormittagsstunde jene würdigen Kunsthallen selbst betrat, an Ort und Stelle viel des Erläuternden dem, was gefällige und freundliche Beamte und Custoden den Fremden zu sagen hatten, hinzuzufügen. Es war der stattliche Bau des herzoglichen Residenzschlosses, von aussen und innen umwandelt, von den Freunden bewundert worden, und Lenz hatte ausgerufen: „Wahrhaftig, ein Schloss, in welchem ein König sich keinesweges schämen dürfte, zu residiren!“ worauf Otto ihm eine bekannte Medaille beschrieb, auf welcher das prangende Schloss zu ersehen ist, mit der nicht ohne politische Beziehung gewählten Legende: Hier ist gut thronen.

Das chinesische Cabinet that zuerst sich auf, und man sah auf die verschiedenartigste Weise den Kunstfleiss, ja das ganze Leben eines fernen wunderbaren Volkes sich nahe gerückt, und hier in manchem Gegenstande immerwährendes Stehenbleiben auf niedriger Kunststufe, dort bewundernswerthe Technik und geschmackvollste Arbeit in Geräth und Schmuck zur Schau gelegt. Und was nicht von häuslichem und öffentlichem Leben der Chinesen in unverfälschter Aechtheit der Trachten, der Architektur, der Idole u. s. w. dort vorliegt, das helfen kostbare Bücher, Originale theils, theils höchst werthvolle europäische Bilderwerke erläutern, die dem sinnenden Beschauer sagen, dass nur absprechender Unverstand es über sich gewinnen mag, mit einem wegwerfenden Urtheile des „himmlischen Reiches“ zu gedenken. – In angemessener Weise wird der Fremde nun zum Beschauen einer zwar minder reichhaltigen, doch belehrend unterhaltenden Sammlung von Waffen, Geräthen, Musikinstrumenten, Trachten und Schmuck fremder Völkerschaften geleitet, in welcher er manches Seltne zu bewundern hat; auch leiten einige Reliquien Napoleons zur Erinnerung an den Mann, der nach einer Weltherrschaft strebte, daher sie nicht ohne tiefe Bedeutung mitten unter den Repräsentanten orientalischer und occidentalischer Nationen und neben kostbaren Waffen aufgestellt erscheinen. – Otto unterliess nicht, hier mit anerkennender Verehrung des kunstsinnigen, feingebildeten Herzogs Emil Leopold August zu gedenken, dessen hoher Geist auch auf diese Sammlungen sich richtete, und namentlich das chinesische Kabinet dem bereits Vorhandenen hinzufügen liess.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen