Abschnitt. 1 - Am folgenden Morgen schleierte dichter Nebel das ganze Thal ein ...

Am folgenden Morgen schleierte dichter Nebel das ganze Thal ein; die Damen klagten und zagten, Otto tröstete. „Es gibt einen heissen Tag, vielleicht Gewitter,“ sprach er: „uns aber bringt der kühle Morgen ohne Erhitzung zeitig in eine hohe Region, und der Nebel wird bald theils in den Thalschluchten, halb Thau, halb Regen, sich präcipitiert haben, theils in malerischen Wolkenformen ein Schmuck des tiefblauen Aethers sein.“

Es wurde nun alsbald angespannt und rasch nach Gross-Tabarz gefahren; als es erreicht wurde, war der Nebel schon grösstenteils gefallen, nur im Thale rollten sich noch Wolkenschichten wie Vorhänge vor dem Naturtempel wechselnd ab und auf. Tabarz war volkbelebt, die Kirchenglocken erklangen, ein Hochzeitzug jubelte heran. Musikanten arbeiteten im Schweiss ihres Angesichts; Braut und Bräutigam schritten, Hand in Hand, ernst, gesetzt, verschämt; sittsam, doch fröhlichen Antlitzes, folgte eine Schaar blühender Brautjungfern, alle in höchst origineller, wohlkleidender, doch fremdartig erscheinender Tracht, die nur wenig gemein hat mit der andrer Thüringer Walddörfer. Verwandte folgten im höchsten Staate. Da sah man noch Dukaten an Dukaten gereiht als Halsketten prangen, vorn mit grossem goldnem Schaustück geschmückt; Goldflitter glänzten, Rosmarinsträusser dufteten. Rosmarin ist dem Thüringerwäldler bei Freuden- wie bei Trauerfesten Lieblingspflanze. Die kleinen Mädchen hatten alle auch Sträusser vor flimmernden Brustlätzen und seltsame Bänderhaite (Bändermützen) auf dem straff zum Wirbel emporgezogenen Haar, die Jungen aber sahen aus, wie Pariser Gamins, nur etwas derber und plumper; sie trugen feingenähte Blousen, Staubhemden, wie die Strassenfuhrleute sie tragen.


Glückwünschend dem Brautpaar ward dies Alles von den Reisenden angeschaut, als gutes Zeichen genommen, und dabei vielleicht eigner Hoffnungen, wie eigner Erinnerungen an solche Freudentage gedacht, dann musste ein Bote gewonnen werden, die Arensteinische Equipage möglichst sicher über die etwas schwer fahrbaren Waldberge nach Broterode zu geleiten; zu gleicher Zeit entliess Otto mit Vergnügen das Tambachische Rumpelkästlein.

Schon der Eingang in das von dem Lauchabach durchflossene Felsenthal entzückte die Fremden. Ein Forsthaus und der Schützenhof von Gross-Tabarz zieren das hier ziemlich breite Thal, in dessen ferner Tiefe schon einzelne Felsensäulen erkennbar sind. Weiter den lachenden Wiesengrund aufwärts wandernd zeigten noch technischer Industrie gewidmete Mühlwerke das Walten menschlichen Fleisses, und das näher kommende Auge entdeckte nun mehr und mehr malerische Felsmassen in Säulen und Gruppen, Die Felswand des Bärenbruchs ragt über 100 Fuss hoch mit gewaltigen Zacken und Klippen senkrecht empor; das vorwaltende Felsgestein ist Porphyr, doch findet der Mineralog auch Hornblende, Hornstein und Todtliegendes; nicht minder Granit, Kalkspath, Schieferthon und selbst Steinkohle in diesem zerklüfteten, schaurigschönen Thalgebiete.

Langsam, ruhig, schauend-geniessend wandelten die Reisenden das Thal aufwärts; Wagner zeichnete hier und da; Otto wusste zu parkartig geebneten Wegen zu geleiten, die, den engen Thalgrund verlassend, zur Rechten aufwärts führten. Von Zeit zu Zeit stehen bleibend, durch lichte Stellen des Waldgrüns blickend, hatte man sonnebestrahlte Steinsäulen und mächtig aufragende Felszacken zu bewundern; immer noch ballten sich Nebel in diesem düstern Theile des Thales zusammen, vom Haar der Tannen tropfte Thaufeuchte und netzte der Damen Hüte und Schleier. Seltne Waldblumen hoben dürstende Kronen empor, um des Himmels tränkenden Perlenschmuck auf sie niederträufeln zu lassen. Immer höher zog sich der Schlangenpfad an steiler Bergwand aufwärts. Plötzlich schienen senkrecht aufgethürmte Felskolosse den Weg abzuschneiden , doch näher kommend, wurde eine mächtig hohe höhlenartige Oeffnung sichtbar, welche als geräumige Pforte den Durchgang gestattete. Bewundernd trat die Gesellschaft und aufathmend in die erhabene Wölbung. „Diess ist der Thorstein,“ sprach Otto: „des Felsenthales schönster Ein- und Ausgang. Aufwärts blickend gewahren wir nichts als Felsen, Büsche und Bäume in nächster Nähe, aber zurück uns wendend, sehen wir von dem gewaltigen Spitzbogen des Gesteins hinab und hinüber auf ragende Felspyramiden, umgrünt von Moos, von Gesträuch umbuscht, hoch über die schlanken Tannenwipfel die nackten Häupter erhebend. Geier und Bussarde umkreisen sie; aus dem tiefen Grunde drunten wird immer noch das Wellengemurmel des Waldbachs vernommen, und wunderherrlich blau ist über dem Grün der Wälder der Bogen des Aethers gewölbt.“ Die jungen Mädchen blickten freudetrunken bald in das Thal, bald in liebetrunkne Augen , die nur in ihren Blicken den Himmel suchten und fanden, und nichts störte das stumme Entzücken, das die heiligwaltende Naturstille ringsum hervorrief.

Höher stieg man nun empor, immer höher, aber man sahe, dass eine der Natur befreundete mächtige Hand mitten in der Wildniss des Gebirges sichern Pfad gebahnt, auf dass dem Wandrer nicht durch des Weges Rauhigkeit der Naturgenuss geschmälert werde. Sängerstimmen schmetterten noch durch die Waldungen; neben den Tannen ragten hohe Vogelbeerbäume empor. Ein Bächlein kam plätschernd und geschwätzig vom Berg herab entgegen, bald war es nahe, bald rollte es in tiefer Schlucht heimlich rauschend, dann tanzte es wieder silberhell, von Stein zu Stein abfallend, niederwärts. Die Höhe war endlich gewonnen, ein weitgedehntes Plateau erreicht, auf diesem fusste nun erst der Gipfel des Berges, der noch hochaufragend mit mächtiger schroffer Felswand, dem Inselbergstein, in das Thal hinabblickt. Fast wollten die Damen zagen, als ihr Auge die noch zu erklimmende steile Höhe maass, doch Otto tröstete, bat ein wenig zu ruhen, jetzt nicht umzuschauen, und dann, gestützt auf die kräftigen Begleiter, nur muthig bergan zu steigen.

Der Gipfel des majestätischen Berges ward erreicht, nicht ohne Anstrengung, da eckiges Gerölle die Schritte öfter hemmte, er ward erreicht, als eben eine grosse Wolke von der entgegengesetzten Seite vom Winde über ihn hingetrieben wurde, die nun sich nach der Tiefe des Felsenthales hinabrollte, Alles einschleierte, wie feiner Nebel jede Aussicht trübte, und schon ängstigende Befürchtung, klagende Ausrufe veranlasste: „Nun werden wir nichts sehen, nun haben wir vergeblich den weiten Weg gemacht!“ Doch nicht lange, so zerriss der Schleier, zeigte wie ein Fatamorgana-Bild auf Momente tief unten hellbesonnte Gefilde, Städte, Dörfer, Auen, und verhüllte sie wieder, ehe noch ein Ausruf des Erstaunens sich Luft gemacht. Wie ein graues Gespenst wurde ganz nahe den Wanderern durch den Wolkennebel das gastliche Haus sichtbar, das sie aufnahm, um zunächst Ruhe und Erquickung zu gewähren.

Als man nun heraustrat auf den 2949 (Nach Ändern nur 2855.) Fuss hohen, sanft abgerundeten Berggipfel, war die obere Luft hell und klar, nur über einzelnen Waldgründen lagerte gekräuseltes Gewölk, und dem Auge war vergönnt, das grossartigste Panorama ringsum zu überschauen, dem Herzen aber, sich an der Gottesherrlichkeit der Natur zu erfreuen. Reiner ätherischer Lufthauch umwehte, umwogte die Schauenden, höher steigerten sich in dieser geläuterten Atmosphäre Gefühle und Empfindungen, die mehr im gefühlvollen Schweigen, in leisen Händedrücken geistiger Zuneigung und Seelen-Verwandtschaft, als in lauten Worten sich verkündeten.

Den Berggipfel umwandelnd, deutete Otto die Hauptpunkte des herrlichen Inselberg-Panorama’s an, und mit bewaffnetem Auge folgte seinen Fingerzeigen die begleitende Gesellschaft.

„Mit dem Norden beginnend,“ sprach der Geleiter: „sehen wir die Kette des Harzgebirges den Horizont säumen , der ferne Brocken grüsst hochragend dort die thüringischen Brüder. Zahllose Ortschaften sind verstreut auf der unendlichen Fläche, deren Höhen hier nur als niedrige Hügel erscheinen. Wir können dem Laufe der Bäche und Flüsschen folgen, die sich durch grüne Wiesen hinschlängeln, und wie auf dem Tableau einer Landkarte ihre Vereinigung gewahren. Dort ist Langensalza sichtbar, weiterhin in dessen Nähe Thomasbrück; hier scheinbar an des Berges Fuss liegt Cabarz, weiterhin Langenhain, und dicht am Ende des nahen Waldgebirgs erblicken wir Schloss Tenneberg und ein Stückchen von Waltershausen. In weiter Ferne am Harz hebt der Kyffhäuser sein Haupt. Nun immer mehr dem Ostpunkt zugewandt, erblicken wir Gotha mit dem prangenden Friedenstein, in der Nähe die Sternwarte. Von Erfurt sind nur die Domthürme sichtbar, hinter ihnen steigt der Ettersberg, über den Horizont der blauen Ferne. Direkt nach Osten liegt uns jetzt das Gasthaus des Inselbergs ganz nahe, über dieses hinweg sehen wir die Zacken des Felsenthales, die Wand des Bärensprunges emporstarren, von Waldung rings umgrünt, die sich weithin über den Rücken des grossen Tenneberges erstreckt, auf dem wir herrliche Hochwiesen erblicken, und Laub- und Nadelwaldung im anmuthigsten Wechsel. Darüber hin erscheint die romantische Berggruppe der drei Gleichen, wir können Neu- und Altdietendorf, Molsdorf, Ichtershausen und noch viele andre Ortschaften gewahren, und zwei hohe Burgwarten, vielleicht Fuchsthurm und Leuchtenburg, ragen über den Saum des Gesichtskreises. Zwischen beiden dehnt sich Ohrdruf aus; wir blicken mit Antheil in die Gegend zurück, wo wir gestern weilten, entdecken Catterfeld und die lichte schlanke Steinsäule des Candelabers. Von da nun streckt sich vor uns gigantisch das Gebirge, zum grössern Theil von grauem Nebel dicht überschleiert, es braut ein Wetter in der Tiefe; nur die fernsten Höhen sehen wir inselgleich aus dem Wolkenmeer auftauchen, den Gückelhahn bei Ilmenau, und die nachbarlichen Gipfel des Schneekopfs und Beerberges, davon ja auch unser Fuss den einen beschritt.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen