Abschnitt. 4 - Der in jeder Beziehung ... interessanteste Theil des Landes, ist der Thüringer Wald.

Der in jeder Beziehung und ganz besonders in malerischer und romantischer Hinsicht interessanteste Theil des Landes, das wir immer noch gern mit dem alten und liebgewonnenen Namen nennen, ist der Thüringer Wald. Dieser ist immer noch des Landes Hort und Herz, durchsungen von Lied und Sage, und durchpulst von reger Lebensthätigkeit. Blühende Fabriken senden aus mancher Waldstadt ihre Produkte nach den fernsten Ländern Europa's, wie über den Ozean, und es wird kaum ein Berg oder Thal gefunden werden, darauf oder darin sich nicht irgend ein Hütten,- Mühl- oder Hammerwerk durch pochende Schläge der Hämmer, rauschende Mühlräder, kreischende Sägen, schrillendes Geräusch der Schleifsteine, oder durch Hochofengluth und flammensprühende Essen kund gibt. Eine statistische Uebersicht des Antheils, den ein Theil der obengenannten Bundesstaaten am Thüringer Walde hat, ergiebt für Sachsen-Meiningen-Hildburghausen das Maximum von 20,5 Quadratmeilen und siebenundsiebeuzigtausendundvierhundert Einwohnern, dann folgen immer absteigend Sachsen-Coburg-Gotha, Preussen, Schwarzburg-Rudolstadt, Sachsen-Weimar-Eisenach, Königreich Baiern, Churfürstenthum Hessen, Schwarzburg-Sondershausen und Reuss.*) In Summa enthält der Thüringer Wald nach Völker vierzig Quadratmeilen mit einhundertunddreiunddreissigtausendvierhundert Einwohnern in zwölf Städten, vierzehn Flecken, zweihundertundfünfundsiebenzig Dörfern; nach Herzog aber, der die Grenzen des Waldes viel weiter zog, 178,51 Quadratmeilen, zweihundertunddreiundsechszigtausend Einwohner in sechsunddreissig Städten, vierundzwanzig Flecken und siebenhundertundsechszehn Dörfern und Höfen.
Der Reisende auf dem Thüringer Walde, der an ihn nicht die Ansprüche macht, die ein Alpenland befriedigt, wird sich, er richte sein Augenmerk nun auf die schöne Natur, oder durchwandre ihn zu wissenschaftlichem Zweck, oder wende seinen Antheil dem commerciellen und industriellen Leben zu, in jeder Hinsicht befriedigt fühlen, wenn er nur irgend unter günstigen Ausspicien ausging. Zahlreiche, grösstentheils wohlerhaltene, und mehrere musterhafte Kunststrassen durchschneiden den Wald nach allen Richtungen, aber auch auf dem einsamsten Fusspfad wandelt der Reisende sicher. Fast in jedem der wohlgebauten Dörfer sind ein oder mehrere gute Gasthöfe; keine zudringliche Bettlerschaar fällt ihn an, kein lungernder Müssiggänger dringt sich gewaltsam zum Führer auf, und wo die Natur in ihrer grossartigen Majestät in Fels und Wassersturz und Höhle Anschauungs- und Bewundernswerthes schuf, ruht es im hehren Schweigen seiner Einsamkeit, nicht profanirt von nebenan gebauten Branntweinhütten, wie in der sächsischen Schweiz und selbst im Riesengebirge. Die Wäldner sind theils zu unschuldig, theils zu beschäftigt, um auf die Börsen der Reisenden zu spekuliren. – Reizende Nah- und Fernsichten thun sich auf, die Berggipfel sind meist ohne allzugrosse Anstrengung zu ersteigen, und schattige Waldungen umrauschen bis zur Höhe den Wanderer. Der Geognost und Mineralog findet für seine Sammlungen reiche Ausbeute, das Thüringer Waldgebirge gehört auch in dieser Hinsicht zu den interessantesten Deutschlands, nicht minder der Botaniker. Die Thüringische Fauna hat manches, in andern Gegenden seltene Thier, noch aufzuweisen, wiewohl der Luchs, das wilde Schwein und die wilde Katze, sonst hier häufig, jetzt auch sehr selten sind. Der Ornitholog findet sehr viele seltene Vögel, die Vorliebe namentlich für Singvögel ist ein hervorstechender Grundzug im Charakter des muntern, lebensfröhlichen und gesangliebenden Thüringer-Waldbewohners. Von einhundertundsechszig bis einhundertundsiebenzig Vogelarten, die der Wald hegt, werden über achtzig Arten als Stubenvögel in den Häusern gehalten, zum Theil abgerichtet, und es wird mit solchen ein nicht unergibiger Handel getrieben. Der Finke steht als Lieblingsvogel oben an, und für manchen guten Schläger ward schon eine Kuh hingegeben. Auch die Blumenliebhaberei ist gross auf dem Walde, und hier sind Lack, Levkoien und Nelken allgemeine Lieblingsblumen. Der Entomolog erhält besonders an Käfern viele und seltene Arten; Schmetterlinge sind minder zahlreich. Die Waldbäche liefern die schmackhaftesten Forellen und Krebse. – Der Bergbau war in frühern Zeiten weit blühender und ergibiger als jetzt, es wurde Gold und Silber ausgebeutet, darauf deuten selbst noch unzählige Sagen von reichen Erzgängen hin, an Orten, wo längst nicht mehr gebaut wird; darin steht der Thüringer-Wald dem Harz nach. Der meiste Bergbau wird jetzt auf Eisen betrieben (die Werke in der Herrschaft Schmalkalden allein liefern jährlich neunzehntausendundzweihundert Tonnen Eisenstein) doch wird auch Braunstein, Steinkohle, Kupfer und Kobald gewonnen, desgleichen Alaun und Vitriolschiefer, Ocker und Umbra. Steinbrüche aller Arten liefern Bau- und Mühlensteine, Marmor, Gips, Alabaster, Schwerspath, Dach-, Tafel-, Wetz- und Griffelschiefer. Der Ackerbau ist auf dem Walde natürlich minder bedeutend, mit Ausnahme der Kartoffel, welche für den ärmern Theil der Wäldner das Hauptnahrungsmittel darbietet. Viehzucht wird mit grossem Vortheil betrieben, die zahlreichen, gut bewässerten und kräuterreichen Waldwiesen gewähren vortreffliches Futter, und dem Reisenden begegnet im Sommer auf dem Walde fast in jedem Thal eine, ja oft mehr als eine grosse und wohlgenährte Heerde, deren harmonisches und wohltönendes Glockengeläute weithin durch Wald und Triften schallt. Der Ertrag an den meist gut bewirthschafteten Forsten ist für die betheiligten Staaten ausserordentlich; die Waldungen bestehen zum grössern Theil aus Nadel- zum kleinern aus Laubholz. Vor allem aber hat der Wald auf einem kleinen Flächenraum so viele und mannichfaltige Fabriken, Werke und Manufacturen, wie kein andres Gebiet Deutschlands von gleichem Areal; die Eisenfabrikation setzt allein anderthalbhundert Schmelzwerke, Eisen- und Stahlhütten, Stab-, Zain-, Drath-, Blech- und Sensenhammerwerke in Thätigkeit, der zahlreichen Messer-, Ahlen-, Zwecken-, Huf- und Nagelschmiede, und der übrigen Eisenarbeiter nicht zu gedenken. Zwanzig Glashütten, mehrere Spiegelglas-, zwölf Porzellainfabriken, Pfeifenkopf- und Pfeifenkopfbeschläge-, hölzerne Spielwaaren-, Papiermaché-, Malerfarben-, Salmiak- und andere Fabriken sind im Gange; diese und die vielen Pottaschesiedereien, Kleinböttchereien, Medizinalwaaren- und Musikinstrumentenfabrikationen, Kohlen- und Ziegelbrennereien, Pech- und Kienrusshütten, die Säge-, Mahl-, Oel-, Loh-, Walk-, Papier-, Knochen-, Marmor- und Spinnmühlen (zusammen über vierhundertundfunfzig), die bedeutenden Bierbrauereien, Bleichereien, Webereien, Gerbereien, der Tabakshandel u.s.w. liefern wohl den vollgiltigen Beweis, dass es dem Lande nicht an frischer Regsamkeit und industrieller Thätigkeit fehlt. Die thüringischen Frachtwägen ziehen auf allen Strassen Deutschlands; die Sonneberger Spielwaaren wetteifern an Güte wie an Verbreitung mit den Nürnbergischen; die Buden der thüringischen Pfeifenkopfhändler bilden Strassen in den Messstädten; die Schmalkalder Eisenwaaren sind wegen ihrer grossen Wohlfeilheit all verbreitet. Weise und thatkräftige Regierungen suchen auf alle Weise den Verkehr zu fördern und zu heben, und durch den grossen deutschen Zollverband ist auch für den Vertrieb der Thüringer-Waldprodukte in das Ausland wieder freiere Bahn gebrochen worden.



*) Es sind über den Thüringer Wald nebst verdienstlichen altern Arbeiten von Heim, Hoff und Jacob's und andern, zwei besonders brauchbare Werke vorhanden: Taschenbuch für Reisende durch den Thüringer Wald, von Dr. Carl Herzog. Magdeburg 1832, mit einer Karte von Thüringen, (welche aber nur das Waldgebirge umfasst,) und: das Thüringer Waldgebirge nach seinen physischen, geographischen u.s.w. Verhältnissen geschildert. Ein Wegweiser für Reisende zu den Merkwürdigkeiten des Thüringer Waldes und seiner nächsten Umgebung. Von Professor Dr. H. L. W. Völker. Weimar 1836. Mit einer (sehr guten) Karte vom Thür. W. G. In diesen Werken hat der geehrte Verfasser des Ersten mehr das geschichtliche und romantische Interesse, der des Zweiten, mit Benutzung der neuesten officiellen Quellen mehr das scientifische und industrielle gewahrt, so dass sich aus beiden viel lernen lässt. Obige Angabe ist nach Herzog. Völker, der die Grenzen des Waldes enger und strenger gezogen wissen will, gibt für Meiningen nur eilf Quadratmeilen mit dreissigtausend Einwohnern an, und vindicirt Baiern das Minimum mit zwei und einer halben Quadratmeile und fünftausendundvierhundert Einwohnern.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen