Abschnitt. 2 - ... denn rein mythisch ist die Frühzeit dieses Landes und sagengeschichtlich ausgeprägt...

Als erster mythischer Beherrscher, (denn rein mythisch ist die Frühzeit dieses Landes und sagengeschichtlich ausgeprägt) des ausgedehnten Reiches Thüringen wird der Frankenkönig Chlodio oder Chlodowig genannt, der Erbauer jenes Dispargum, über das, wo es gelegen, die Forscher stritten und noch streiten, da viele Orte auf diese Ehre Anspruch machen. Einst badete im Meere Chlodio's Gemahel, da rauschte ein Meerwunder aus der dunkeln Tiefe herauf und trug Verlangen nach der Umarmung der schönen Königin, und sie gewährte, was sie nicht weigern konnte. Dieser Umarmung Frucht war Merovig, Thüringens zweiter König, der Gründer von des Landes uralter Hauptstadt Erfurt, in deren Nähe er das Herrscherschloss Merwigsburg erbaute. In diesen Zeiten zuckte und blutete Deutschland unter den Schlägen der Gottesgeisel Attila, der die Länder verheerte; und an der Stätte des alten Eisenach herrschte ein Gewaltiger, Günther mit Namen, dessen reizende Tochter Chrimhild der wilde Etzel freite und dort festliche Hochzeit hielt; ihm und seinen Hunnen wurde ganz Thüringen unterthan und zinspflichtig, bis Attila hinweg, und Merovig todt war; da warfen die Thüringer das Hunnenjoch ab und wählten sich einen andern König, der hiess Basinus. Merovig hatte einen Sohn Namens Chilperich, einen übelgearteten Jüngling, den das Volk der Franken austrieb. Schutz und Aufenthalt suchend, kam der Flüchtige in Basinus gastliches Haus, welches ihn gütig aufnahm und acht Jahre lang herbergete; zum Danke verleitete Chilperich Basinus Weib zur Untreue, dass sie ihm nachfolgte, als er wieder in sein Reich heimkehren durfte, und bei ihm blieb. Sie wurde Mutter des zweiten Chlodio, des grossen Frankenhelden. König Basinus, als er starb, hinterliess drei Söhne: Baderich, Bertharich und Irminfried, die theilten unter sich des Vaters weites Reich, und des Letztern Theil wurde das heutige Thüringen. Auf der Merovigsburg sass Irminfried und sann darauf, sich eine würdige Gemahlin zu erkiesen; damals erscholl durch alle Lande der hohe Ruhm des Helden Dieterich von Bern, (Theoderich von Verona) Königes der Ost-Gothen. Mit diesem mächtigen Herrscher sich zu verbünden, war eben so ehren- als vortheilhaft, und Irminfried warb um Dieterich von Berns Nichte Amalberga, die er auch zur Gemahlin empfing. Mit ihr zog schweres Unheil in das Land. Stolz und herrisch und missgünstig sah sie mit Neid auf das Erbe der Brüder ihres Gatten und lag ihm an, das ganze Reich zu gewinnen. Einst deckte sie Irminfrieds Tisch nur halb, und höhnte dem deshalb Fragenden in's Gesicht: „Eines halben Reiches Herrn ein halbgedeckter Tisch. Ganzes zu Ganzem!“ So angestachelt zur Unthat erschlug mit des austrasischen Königs Theoderich Hülfe Irminfried seine beiden Brüder und nahm ihr Reich in Besitz, aber was er gewonnen, nahm Theoderich für seine Hülfe in Anspruch. Darüber erhob sich mächtiger Zwiespalt unter den Königen, und Theoderich mit seinem Bruder Chlotar zogen aus Franken mit grosser Heeresmacht gen Thüringen. In Burg Scheidungen an der Unstrut war damals die Königresidenz, und in diese flüchtete Irminfried mit den Seinen, nachdem bei Runiberg eine mörderische dreitägige Schlacht geschlagen und von den Thüringern verloren worden war. Dort belagert und eingeschlossen, war der König in der höchsten Noth, denn Theoderich hatte, sich zu verstärken, auch die den Thüringern feindlichen Sachsen gegen sie zu Hülfe gerufen. Da sandte Irminfried heimlich seinen getreuen Marschalk Iring zu Theoderich, dass er Gnade bitte, mindestens für Amalberga und ihre Kinder, und dessen Flehen bewegte auch des Frankenkönigs und seiner Räthe Herz, Gnade zu üben, zumal sie die furchtbar kriegerischen Sachsen zu fürchten begannen; diesen aber war die thüringische Königsburg und das umliegende Land zum Lohn versprochen, wenn sie es gewännen. Schon war es nahe daran, dass sich die streitenden Könige ganz versöhnten, als ein Thüringer mit seinem Falken zur Entenbeize an die Unstrut ritt, dem am andern Ufer ein Sachse den Falken entlockte. Und um den Vogel zurückzuerhalten, verrieth der Thüringer jenem die Einung der Könige, und dass den Sachsen nichts Gutes bevorstehe. Eilend verkündete der Sachse im Lager der Seinen das Drohende, was er vernommen, und diese erhoben ihr Feldzeichen mit dem Löwen, Drachen und Adler, warteten die Nacht ab, überfielen Stadt und Burg und richteten ein entsetzliches Blutbad an. Mit Noth entfloh der König und seine Familie; das eroberte Land ward zwischen Sachsen und Franken getheilt, und später der entthronte König von Theoderich durch schändlichen Treubruch ermordet; Amalberga flüchtete sich und die Kinder nach ihrer Heimath Italien.
Das war das Ende des Thüringischen Königthumes.
Dem übermächtigen Frankenreich war jetzt Thüringen als eine Provinz einverleibt, die durch Gaugraven verwaltet wurde. Unter ihnen, und namentlich zur Zeit des Frankenkönigs Dagobert, erneuten die Hunnen, vereint mit Slaven und Wenden, verheerende Einfälle in das Thüringer Land. Bald siegend, bald besiegt, kehrten sie immer mit verstärkter Macht zurück, und eine lange Jahresreihe hindurch war ihr Name der Schrecken der Völker. Da ernannten die Frankenkönige Herzoge, die das Land schirmen und vor den Heeren herziehen sollten. Unter diesen die zum Theil mit Glück gegen die feindlichen Avaren- und Slavenhorden kämpften, theils auch die Selbstständigkeit Thüringens gegen die fränkische Oberherrschaft wieder zu erringen strebten, wird besonders Ratulph oder Rudolf mit Ruhm genannt. Im Frankenreich selbst sank das Ansehen der Königsmacht, und die Hausmeier { Majores domus) erhoben sich zu Gebietern des ungeheuern Reiches. Ueberall aber war unter Völkern und Herrschern Zwiespalt, Hass und Streit; die Hausmeier kämpften um die höchste Gewalt, und Thüringen wurde zu gleicher Zeit von den östlichen Feinden verheert, von den Franken bedroht, von den Sachsen bedrückt, und war dabei herrenlos, ohne König, ohne Herzog; jeder Gau unter seinem Graven musste sehen, wie er sich schützte.
Als im Reiche der Franken eine grosse Schlacht dem berühmten Hausmeier Pipin den Stab der Macht in die Hand gegeben, und dieser gegen seinen Bruder Gripho kriegte, ist dieser Frankenheld und Vater eines noch grössern Helden oft durch Thüringen gezogen, über welchem Lande zu dieser Zeit die Aurora eines neuen beseligenden Glaubens herrlich aufglühte.
Winfried-Bonifacius, der glaubenseifrige Angelsachse, war der Lichtträger, der dem noch in der Nacht des Heidenthumes wandelnden Volke der Thüringer die segensreiche Lehre des Heilandes verkündete und sich die Ehre verdiente, Thüringens Apostel zu heissen. Da lebt noch im dankbaren unvertilgbaren Andenken sein Name; an Gotteshäusern und Bergaltären, an Felsen und Quellen ist er vielfach haften geblieben, und die kindliche Sage des Volkes trägt aus der Vorzeit die Kunden seiner Wunder immer noch gleich frischen Blumen in die Gegenwart. Treue Gehülfen unterstützten den Bekehrer, und der Himmel segnete sein Werk; die neue Lehre gefiel den Thüringern wohl, denn sie verhiess ihnen Freiheit und Erlösung von dem Hunnenjoch und Hunnenzins und stärkte ihren Muth, dass sie auch mit gewaltigen Arm die Avaren in einer grossen Schlacht auf's Haupt schlugen, als diese kamen, die Verweigerung des Tributs zu rächen. Während die Schlacht geschlagen wurde, stand Bonifacius in der Nähe auf einem Hügel und flehte Gott für Thüringen um Sieg, wie Moses that, als Israel gegen Amalek stritt. Nächst Gott hatte der Apostel Thüringens den mächtigsten Schirmherrn an Karl dem Grossen, dem Avaren- Normannen- Sachsen- und Sarazenenzwinger, welcher mehr als einmal in die Provinz Thüringen zog, dem Lande einen Richter setzte, einen Dingstuhl in des Landes Mitte und ausserdem noch vier andere aufrichtete und alles wohl bestellte. Darauf haben sich viele Städte, Dörfer und Klöster erhoben.
Die Söhne des grossen Karl theilten das ungeheure Reich, das ihr Vater beherrscht, unter sich, dabei kam Thüringen an Ludwig den Deutschen. Und da abermals sich vom Osten her die verderblichen Einfälle der feindlichen Nachbarvölker wiederholten, so ernannte der König einen neuen Herzog, Namens Tachulf, der jene mit wechselndem Glück bekämpfte. Diesem folgte nach eine kleine Reihe Herzoge, welche alle zu ohnmächtig waren, den immer schrecklicheren und verheerenderen Raubzügen der Hunnen zu widerstehen, die nun nicht allein Thüringen, sondern auch Sachsen, Franken, Schwaben, Baiern, ja selbst die Rheinlande auf unerhört grausame Weise verwüsteten. In dieser Zeit der allgemeinen Noth starb der letzte schwache Sprosse der Karolinger, Ludwig das Kind, und die deutschen Fürsten und Volksstämme erwählten den tapfern Frankenherzog Konrad zu ihrem Oberhaupt, den der alternde Sachsenherzog Otto ihnen vorschlug. Undankbar weigerte aber dieser Otto's Sohne Heinrich die Herzogwürde über Thüringen, doch dieser erkämpfte und behauptete mit dem Schwert in der Hand sein Recht und sein Erbe, und er war es, den Konrad sterbend selbst dem Volk und seinen Führern als den Würdigsten empfahl; die deutsche Krone zu tragen. Da gingen die Frankenfürsten hin zu dem Sachsenherzog und fanden ihn an der Unstrut im Kreise seiner Kinder bei'm Vogelfang; davon hiess er hernach Heinrich der Vogelsteller oder der Finkler. Er war dem Thüringer- und Sachsenland zum Segen gegeben, er zerbrach die schimpfliche und drückende Hunnenkette und brach die Macht dieser Völker in Thüringen in einer grossen Vertilgungsschlacht, die bei Merseburg geschlagen wurde, für immer. Sein grosser Sohn, Otto der Erste, folgte ihm würdig nach; dieser war Thüringens letzter Herzog.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen