Abschnitt. 1 - Nur wenig sich hebend und senkend, ...

Nur wenig sich hebend und senkend, zieht die Fahrstrasse durch das Saalthal von Jena nach Dornburg sich hin. Zur Linken bleibt ein grösstentheils bis zum Gipfel angebauter Höhenzug, zur Rechten schleicht durch eine breite Thalfläche, von unabsehbaren Wiesen gebildet, der ruhige Fluss. Diese Seite des rechten Saalufers ist von steil aufragenden Bergabhängen begrenzt, die zum Theil nackt, zum Theil bebuscht sind, und mit ihren oft wild zerklüfteten Seitenthälern Zeugniss geben, wie gewaltsam einst auch hier die Gewässer sich Bahn brachen, und diess geräumige Bette auswuschen. – Der Regen, der Anfangs jede Aussicht hemmte, liess im Verlauf der Weiterfahrt nach, und gewährte die auf die Ruinen der Kunitzburg. Der westliche Himmel wurde wieder heiter, schon sahen die Reisenden die Schlösser vor Dornburg auf hoher Bergwand thronen, und bald lachte wieder blauer Äther in das grüne Thal herab.

„Dornburg, namentlich die verschiednen Schlösser, präsentiren sich sehr malerisch,“ nahm Otto zu Wagner das Wort: „wenn Du aber diese Landschaft zeichnen willst, musst Du Dir hernach dort drüben, jenseits der Saale, und der bedeckten Brücke, die dort bei Naschhausen über den Fluss führt, den geeigneten Punkt suchen. Vorläufig will ich bemerken, dass Dornburg ein hohes Alter zuzuschreiben ist, und dass man unbedenklich seinen Namen von dem scandinavisch-germanischen Thor ableitet, was einzeln vorkommende alterthümliche Rechtschreibung zu rechtfertigen scheint. Die Benennung des Waldes, der sich um einen Theil des Berges zieht, und noch der Hain heisst, deutet allerdings auf heidnischen Kult hin. Höchst wahrscheinlich ward auch hier zunächst eine Grenzveste gegen die Sorbenwenden des benachbarten Osterlandes auf der 250 Fuss hohen, schwer zugänglichen Felswand erbaut, deren gesicherte und sichernde Situation bald Ansiedler in Menge herbeizog. Sage und Geschichtsforschung nennen den ehemaligen Umfang Dornburgs bei weitem grösser, als jetzt, wo das Bergstädtchen nur gegen 120 Häuser zählt. Auch hatte Dornburg eine der ältesten Kirchen in Thüringen, der Tradition nach schon von Bonifacius gegründet. Später, unter den Ottonen, soll dort oben eine Kaiserpfalz erbaut worden sein, und die Wahl der Lage zeugt mindestens von gutem Geschmack der Erbauer.“


Während so der Geleiter die Freunde über Dornburgs Vorzeit zu unterhalten suchte, war das dicht am Bergesfuss gelegene Örtchen mit einem Gasthaus erreicht, die Reisenden stiegen aus und folgten ihrem Führer zum Berg hinan, in die parkähnlichen Anlagen des Hains. Der Boden war fest, die Blätter glänzten im Sonnengold, von Zeit zu Zeit schüttelte ein frischer Windhauch die auf ihnen hangenden Silbertropfen herab. Otto hielt sich absichtlich rechts; man sah ein düstres Schloss, starre Mauern, die sich endlos fortzusetzen schienen, und eine umfangreiche Burg verriethen, endlich eine Wendung des Wegs, stand am Thor und blickte in ein elegantfreundliches Städtchen, durch welches man wieder vorwärts schritt. „Der moderne Anstrich dieser alten Stadt,“ sprach Otto im Gehen, „datirt sich vom Jahr 1717, in welchem ein grosser Theil von Dornburg abbrannte. Auch im dreissigjährigen Kriege litten Stadt und Schloss viel von den Croaten und es wiederholt sich hier ganz dieselbe Trompetersage, welche ich euch bei dem Dorfe Rothenstein erzählte.“

Die Freunde wandelten durch die geschmackvollen Gartenanlagen des neuen Schlosses, die mit dessen italienischer Bauart im harmonischen Einklang stehen, dem Stohmannschen Gute, einem schlossähnlichen Gebäude zu, welches seit 1824 der Grosherzogl. Kammer gehört, und über seiner Hauptpforte eine erfreuende Inschrift trägt. Wunderbar schön ist von diesen hohen Felsterrassen die Aussicht. „Hier möchte ich wohnen, malen, träumen, schwärmen!“ rief Wagner aus. „Hier wohnte Göthe,“ sprach Otto: „dichtete, schwärmte, trauerte. Unter diesen Laubengängen schritt er im stolzen Bewusstsein der Dichterfürstenwürde, schwer zugänglich, in einsamer Hoheit.“

„Was ich ihm nicht im mindesten verdenke,“ bemerkte Lenz. „Dem fleissigen und vielbeschäftigten Manne war überall die Zeit edel, er mochte sie sich nicht stehlen lassen von zudringlich neugierigen Besuchern, deren adorirende Verehrung ihm lästig fallen musste.“ „Hier stimme ich vollkommen bei,“ fuhr Otto fort. „Wiederfährt auch minder Berühmten nicht so vielfaches Angehen, so ist solches in unsern Tagen schon deshalb unerwünscht, weil Mancher nur Bekanntschaft suchend kommt, um dann indelicat genug Persönliches in Zeitungen aufzutischen.“

„Mir fällt bei diesem Thema absondernder Unzugänglichkeit der Pharisäer im Evangelio ein,“ nahm Lenz wieder das Wort; „er hatte, bei Licht und vorurtheilsfrei betrachtet, so ganz Unrecht nicht, er konnte keine Lumpe leiden. Der Mann besass Selbstgefühl und das machte ihn vornehm.“

Lange noch weilten und wandelten in traulichen Gesprächen die Freunde auf den aussichtreichen Hochpunkten umher, bis die Zeit zum Aufbruch mahnte. Noch einen Abschiedblick auf das herrliche Thal, auf das alte Schloss, das wahrscheinlich an die Stelle des ehemaligen Palatiums trat, auf das neue, und das Stohmannsche Gut, das so manche Erinnerung an den Aufenthalt des Literaturheroen bewahrt.

Von Naschhausen die Saalbrücke überfahrend und Dorndorf im Rücken lassend, wurde die Reise fortgesetzt, bis Wagner den Wagen wieder halten liess und sich in der Nähe des letztgenannten Ortes einen Standpunkt für seine Landschaftskizze suchte. Die Freunde waren mit ausgestiegen, begleiteten ihn, und während er zeichnete, nahm Otto ein Papier aus dem Portefeuille und sprach, es entfaltend: „Ich glaube in das Album eures Gedächtnisses kein besseres Blatt über Dornburg niederlegen zu können, als indem ich Euch Göthe’s klassische Schilderung dieser Gegenden mittheile, die er in einer Zeit schrieb, in welcher er gern den sonnigen Strahl des rings waltenden Naturfriedens in sein verdüstertes Innere aufnahm, das der wahrhafte Schmerz über den Tod des fürstlichen Freundes erfüllte. Göthe schrieb damals*): „Da sah ich vor mir, auf schroffer Felskante, eine Reihe einzelner Schlösser hingestellt, in den verschiedensten Zeiten erbaut, zu den verschiedensten Zwecken errichtet. Hier, am nördlichen Ende, ein hohes, altes, unregelmässig weitläufiges Schloss, grosse Säle zu kaiserlichen Pfalztagen umschliessend, nicht weniger genügsame Räume zu ritterlicher Wohnung; es ruht auf starken Mauern zu Schutz und Trutz. Dann folgen später hinzugesellte Gebäude, haushälterischer Benutzung des umherliegenden Feldbesitzes geweiht.“

„Die Augen an sich ziehend aber steht weiter südlich, auf dem solidesten Unterbau, ein heiteres Lustschloss neuerer Zeit, zu anständiger Hofhaltung und Genuss in günstiger Jahreszeit. Zurückkehrend hierauf an das südlichste Ende des steilen Abhanges, finde ich zuletzt das alte, nun auch mit dem Ganzen vereinigte Freigut wieder, dasselbe, welches mich so gastfreundlich einlud.“

„Auf diesem Wege nun hatte ich zu bewundern, wie die bedeutenden Zwischenräume, einer steil abgestuften Lage gemäss, durch Terrassengänge zu einer Art von auf- und absteigendem Labyrinth architektonisch auf das Schicklichste verschränkt worden, indessen ich zugleich die sämmtlichen, übereinander zurückweichenden Localitäten grünen und blühen sah. Weithin gestreckte, der belebenden Sonne zugewendete, hinabwärts gepflanzte, tiefgrünende Weinhügel, aufwärts an Mauergeländern, üppige Reben, reich an reifenden, Genuss zusagenden Traubenbüscheln; hoch an Spalieren sodann eine sorgsam gepflegte, ausländische Pflanzenart, das Auge nächstens mit hochfarbigen, an leichtem Gezweige herabspielenden Glocken zu ergötzen versprechend; ferner vollkommen geschlossen gewölbte Laubwege, einige in dem lebhaftesten Flor durchaus blühender Rosen höchlich reizend geschmückt; Blumenbeete zwischen Gesträuch aller Art.“

„Von diesen würdigen landesherrlichen Höhen seh’ ich ferner in einem anmuthigen Thale, so Vieles, was, dem Bedürfnisse der Menschen entsprechend, weit und breit in allen Landen sich wiederholt. Ich sehe zu Dörfern versammelte ländliche Wohnsitze, durch Gartenbeete und Baumgruppen gesondert; einen Fluss, der sich vielfach durch Wiesen krümmt, wo eben eine reichliche Heuernte die Ämsigen beschäftigt; Wehr, Mühle, Brücken folgen aufeinander, die Wege verbinden sich auf- und absteigend. Gegenüber erstrecken sich Felder an wohlgebauten Hügeln bis an die steilen Waldungen hinan, bunt anzuschauen nach Verschiedenheit der Aussaat und des Reifegrades. Büsche hier und da zerstreut, dort zu schattigen Räumen zusammengezogen. Reihenweise, auch den heitersten Anblick gewährend, seh’ ich grosse Anlagen von Fruchtbäumen; sodann aber, damit der Einbildungskraft ja nichts Wünschenswerthes abgehe, mehr oder weniger aufsteigende, alljährlich neu angelegte Weinberge.“

„Das Alles zeigt sich mir, wie vor fünfzig Jahren, und zwar in gesteigertem Wohlsein, wenn schon diese Gegend von dem grössten Unheil mannichfach und wiederholt heimgesucht worden. Keine Spur von Verderben ist zu sehen, schritt auch die Weltgeschichte, hart auftretend, gewaltsam über diese Thäler. Dagegen deutet Alles auf eine ämsig folgerechte, klüglich vermehrte Cultur eines sanft und gelassen regierten, sich durchaus mässig verhaltenden Volkes.“

„In dieser Schilderung,“ sprach Otto, das Blatt wieder aufbewahrend: „zeichnet Göthe, mit Ausnahme weniges Bezüglichen und diesem Thal Eigenthümlichen, einen bedeutend grossen Theil thüringischer Gegenden.“
Wagner hatte seine Zeichnung vollendet, und die Reise setzte sich in die tiefe Abenddämmerung hinein bis Camburg fort.



*) An den Generaladjutant und Kammerberrn, Oberst von Beulwitz. S. Dr. C. Vogel: Göthe in amtlichen Verhältnissen. Jena 1834.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen