Abschnitt. 2 - Die Wanderer standen am steilen Abhang des Berges, ...

Die Wanderer standen am steilen Abhang des Berges, und der Geleitsmann nahm das Wort: „Einmal in Gebiet des Diabolischen, habe ich das Vergnügen, die Herren einen Blick in die Hölle thun zu lassen. So heisst der tiefe und furchtbare Abgrund zu unsern Füssen, welcher sich in den Schneetiegel senkt. In diesen Tiefen ist eine Quelle der Gera; von dem schauerlichen Abgrund der Hölle wenden wir uns nun zum Teufelsbad, kein Feuer- und Dampfbad, sondern ein nasses, ein tiefer, der Sage nach unergründlicher Moor- und Torftümpfel, der mit andern ihm gleichen unter dem Namen der Teufelskreise bekannt ist.“

„Hier haben die Gespenster Manchen geneckt und irre geführt,“ gab Otto mit komischem Ernst in das Gespräch, den Ton einer alten Chronik nachahmend: „ein Bergwerk, das vor Zeiten hier herum angelegt wurde, konnte wegen Gespenstes nicht weiter gebaut werden, und Manches wäre davon zu erzählen, wenn nicht dort Einer eifrig im Teufelsbad botanisirte, der andere das Malerische dieser mit graubemoossten Fichtenstämmen, Meilerplätzen, Windbrüchen und einer höchst üppigen Haidekrautvegetation, vermischt mit dem Immergrün der Heidel- und Preisselbeersträuche, geschmückten Waldeinöde zu sehr im Auge hätte, um auf dergleichen Allotria zu hören, die dem Dritten endlich nichts Neues sind.“


„Wahrhaftig?“ rief Lenz, eine Fülle seltener und zum Theil schöner Pflanzen empor haltend: „für den Botaniker ist Herrn Urians Bad verführerisch genug. Hier habe ich neben der in mitteldeutschen Gebirgen nicht seltenen Circea auch die alpina gefunden, den langblättrigen Sonnenthau, die Affenbeere und einige seltene Moose.“

„Vom Teufelsbad und den Teufelskreisen“ nahm der Geleiter das Wort: „erzählen sich die Umwohner des Schneekopfs eine Menge Mährchen, welche an die Rübenzahliaden des Riesengebirgs erinnern; nicht minder erzählen sie von dem Erzreichthume des Schneekopfs, den vor Zeiten die Venetianer ausgebeutet und hinweggetragen.“ „Diese Sagen“ fiel Otto ein: „sind fast alle von einerlei Färbung, und auf allen deutschen Gebirgen heimisch, ich habe sie im Erzgebirge vernommen und auf dem Harz, ebenso im Fichtel- und Riesengebirge. Sie wurzeln allzumal in dem Zeitalter alchymistischer Träumereien und haben gewissermassen ein historisches Element zur Grundlage. Der Thüringerwald ist voll von ihnen.“ „Besonders“ fuhr im Weitergehen der Führer fort: „knüpft sich das Andenken an diese fremden Steinsucher und Krystallgänger hier herum an die goldene Brücke, eine Berggegend, die wir gleich überschreiten, dort fanden sich sonst häufig und finden sich jetzt noch spärlich die sogenannten Schneekopfskugeln, rundliche Porphyre, deren Inneres Achat, Calcedon und Amethystkryslallen, oft sehr schön, enthält, oft aber auch nur gewöhnlichen Jaspis und Hornstein.“

Mit einiger Mühe gelang es den Reisenden, unter vielen Trümmern des genannten Gesteins, und nach Hinwegräumung der obern Erd- und Steindecke, einige dieser Kugeln aufzufinden, worauf sie zur Schmücke hinabstiegen, deren Häuser mitten in eine grünende Hochmatte hingebaut sind, die sich sonnig um die jetzt etwas ermüdeten Wanderer ausbreitete und wieder eine schöne Aussicht auf den nahen Finsterberg, den Sachsenstein und entferntere Gebirgszüge verstattete. Harmonisches Glockengeläute der Heerden, die den Sommer über in's Viehhaus auf der Schmücke zur Weide gegeben werden, umklang wohltönend die Reisenden, und diese Heerden selbst, Rosse und Rinder, gewährten vollkommen mit der ganzen Umgebung das Bild einer Schweizeralme, zu deren Scenerie nur schneebedeckte Alpenzinnen in der Ferne und sonnenverbrannte Sennerinnen in der Nähe fehlten.

In der, trotz der Sommerwärme doch nach Thüringerwald-Sitte übermässig geheizten Stube des Wirthshauses, die von mehr als zwanzig gefangenen Singvögeln durchschrieen und durchsungen war, litt es die Wanderer nicht; sie liessen sich ihre Erfrischung herausbringen und labten sich mitten im Schoosse der erhabenen und doch freundlich milden Bergnatur.

Die Sonne wandelte bereits den Gefilden Hesperiens zu, als die Freunde wieder aufbrachen; mit aufrichtigem Dank und wahrer Herzlichkeit schieden sie von dem freundlichen und gefälligen Geleiter, der nun wieder seinen gewohnten Weg hinab über Goldlauter nach Suhl einschlug; die weiter Wandernden aber wählten von den auf der Schmücke zusammenstossenden und sich dort kreuzenden Wegen, zu denen auch der Rennstieg gehörte, den nach Elgersburg und Ilmenau führenden.

„Wir könnten hier den Bergpfad weiter hinabwandeln, der uns in das von schroffen Bergabhängen eingeschlossene Thal der Ilm geleiten würde,“ nahm Otto das Wort, als sie an einer Stelle standen, wo die Wege sich theilten; allein ich ziehe es vor, einen Umweg zu machen, der schöner ist, als der Pfad in die Tiefe, und der uns zu einer malerisch gelegenen, noch wohl erhaltenen thüringischen Burg führt, wenn wir auch etwas spät in Ilmenau eintreffen. Wir wandern ja, um zu schauen; folgt mir also getrost nach über die Höhen dieser weithingebreiteten Waldberge, wie durch die tiefen Thalwege. Das Wehen der Abendluft wird uns kühlen, und es wandert sich leicht auf dem weichen Moos- und Rasenteppich der Forste. Wir lassen den Sachsenstein, der sich hier wie eine Grenzsäule aufgipfelt, zur Rechten, blicken dann in ein Waldthal zur Linken hinab und trinken aus der Quelle der Gera. Heiter betreten wir die Spielmannsleile, deren Name so romantisch anklingt, wie eine Waldmelodie, und grüssen in das zum Ilmbette hinabziehende Silberthal, den Heerd vieler Venetianersagen.“ – So geschah es; die Freunde wandelten fröhlich hin, die Sonne streute goldne Lichter durch die Tannenwipfel, Vogelstimmen belebten das Gehölz, muntere Eichhörnchen schwangen sich von Ast zu Ast, und in gemessenen Pausen schallte das Picken des Hehers vernehmlich durch die stille Waldung. Das Moos leuchtete an manchen Stellen wie Smaragd. An mancherlei Porphyren, an Todtliegendem, selbst an Granit und einer Art Steinkohle kam man vorüber, blickte von luftiger Höhe hinab in den tiefen Manebacher Grund, durch den sich der Silberfaden der Ilm muntern Laufes schlängelt, und sah die Nachbarorte Manebach und Kammerberg im Schoosse grüner Wiesen liegen, über denen die malerische Felsenwand des mächtigen Herrmannsteins aufragte, einer 100 Fuss senkrecht hohen und über 500 Fuss im Umfang haltenden Porphyrmasse, auf welcher einst eine Ritterburg horstete, wie geringe Trümmer bezeugen, in deren Grunde die Sage des Volkes viele Schätze und versteinerte Fässer voll edlen Weines barg.

Ueber die Waldmatte des Heidelberges, die voll goldner Arnicablumen stand, schritten die Wanderer und folgten dann, immer abwärts, dem Hohlwege, in welchem schon abendliches Düster schattete, während rings die Bergeshäupter im Sonnenroth noch glänzten und glühten. Von diesem Abendglühen ganz überflammt, stand jetzt rings von freundlichen Häusern eines Dorfes umlagert, Schloss Elgersburg in alterthümlicher einfacher Schöne vor den Wanderern da. Auf einem steilen Porphyrbrecciefelsen gegründet, stehen die alten Mauern und das Haus noch trotzig und fest. Der Zeitensturm, der über so vielen Burgen Thüringens mit vernichtendem Flügelschlag rauschte, stürzte die Elgersburg nicht um, die man im Alterthum den „rechten Arm von Thüringen“ nannte. Lange war die Burg der Rittersitz eines der ältesten thüringischen Adelsgeschlechter, der weitverzweigten und kräftig fortblühenden Familie von Witzleben, wechselte aber vorher oft die Besitzer, war der Grafen von Käfernburg Eigenthum, dann hennebergische Veste, dann Landgrafenbesitzung und mehr als einmal ein Zankapfel. Zuletzt kaufte es die Herzogliche Kammer in Gotha für 127,000 Rthlr.

„Die todte Einsamkeit“, sprach Otto, „von welcher umflossen jede mittelalterliche Burg in der Gegenwart wie ein Gespenst der Vorzeit steht, ward hier verdrängt vom Herold einer bessern Aera, die dem Vaterland anbrach, von thätig schaffender, nützlich wirksamer Industrie. Da, wo sonst die Hofbauern der Ritter wohnten, beschäftigt jetzt eine blühende Steingutfabrik eine Menge Menschen; eine Art Porzellan, Emilian genannt, wird von hier weithin vertrieben, ebenso werden gebrannte Röhren für Wasserleitungen hier fabrizirt, deren Nützlichkeit sich bewährt hat. In der Nähe nach dem Gerathale zu sind über zwanzig Braunsteingruben, in denen das Manganerz theils strahlig, theils dicht, theils mit Eisenstein verwachsen im Thon- und Hornsteinporphyr bricht.“

Die Reisenden rasteten eine kurze Zeit in dem guten Gasthofe zu Elgersburg und wandelten dann den angenehmen Wiesenweg am Fusse mehrerer Berge nach Ilmenau zu, nicht ohne zurückzublicken auf das, auch von hier höchst pittoresk sich ausnehmende Schloss und Dorf Elgersburg, welches Wagner schon früher in sein Skizzenbuch einzutragen nicht versäumt hatte. Bald war die weimarische Grenze, dann das Dorf Roda, dann die Kunststrasse, die nach Arnstadt führt, erreicht; der Weg war äusserst belebt, in Ilmenau war Vogelschiessen, eines der berühmtesten und besuchtesten in Thüringen, und die Reisenden betraten die freundliche Bergstadt, die eingehüllt im Flor der Dämmerung vor ihnen lag.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen