Abschnitt. 1 - Auf dem Wege zum Schneekopf fand Lenz weisse Porphyrplatten und grünen Porphyr, ...

Auf dem Wege zum Schneekopf fand Lenz weisse Porphyrplatten und grünen Porphyr, nebst vielen Steinen, die einen röthlichen Staubüberzug hatten, und von dem Führer für Veilchensteine erklärt wurden, die sich auch auf dem Schneekopfgipfel fänden. „Sage uns etwas über den Veilchenstein,“ forderte Wagner den Freund auf: „gehört dieser duftende Farbenstaub, der nur in hohen Regionen das Gestein überzieht, dem Pflanzenreich oder dem Mineralreich an?“ – Lenz erwiederte bereitwillig: „Was die Botaniker als Staubpflanze, Byssus oder Lepraria Jolithus mit dem Namen Violenstein bezeichnen, ist meines Erachtens nach die Palingenesie oder die Metempsychose des Steines, der aus seiner Verwitterung, nachdem er an der Oberfläche in Staub zerfallen, organisches Pflanzenleben beginnt. Welche chemischen Verhältnisse auf ihn so einwirken, dass sein eigentümliches Blumenarom sich entwickelt, möchte wohl noch unerforscht sein, wie denn in Bezug auf den Duft der organischen, wie der unorganischen Körper der künftigen Naturforschung noch ein unendlich weites Feld geöffnet bleibt. Neben den vielen Farbenlehren fehlt es noch an genügenden Untersuchungen über diese nicht minder anziehende, auf ewige Gesetze basirte Erscheinung der Körperwelt!“

Unter Gesprächen über Thier und Stein und Pflanze, die der einsame Waldweg im reichen Wechsel darbot, kamen die Wanderer an dem furchtbar tiefen und schauerlichen Abgrund vorüber, welcher den Schneekopf vom Beerberg scheidet, und der Schmückergraben heisst; eine dunkle Schlucht, in welcher uralte Tannen halb abgestorben, bemoost, zum Theil umgestürzt und von hohen Farrnkräutern überwuchert, das Bild eines deutschen Urwaldes darboten. Ganz allmälich emporsteigend und aus dem immer niedriger werdenden Gehölz tretend, sahen sich die Reisenden unvermuthet auf dem Gipfel des Schneekopfs angelangt, und es grüsste mit jugendlichem Entzücken der Begleiter den von ihm geliebten Berg und zog das Panorama hervor, das er seiner poetischen Schilderung desselben mitgegeben. Hatten die Fremden sich vorher an der unermesslichen Aussicht nach Franken hin zum öftern erfreut, so wurde diese jetzt durch den mächtigen Rücken des grossen Beerbergs fast ganz verdeckt, nur einzelne Höhen ragten zwischen dem thüringischen Gebirg und der dem Auge immer mehr entschwindenden Rhön empor, dafür aber lag das Waldgebirge selbst majestätisch zu ihren Füssen; alle die mächtigen Höhen: der Adlersberg, Finsterberg, Sachsenstein, Gückelhahn, der grosse Kienberg bei Ohrdruf, der Hunds- und Gebranntestein und Andere umstanden wie Diener das hochragende Zwillingsbrüderpaar, zu welchem in grösserer Ferne der Inselberg nachbarlich herüberblickte. Den äussersten Horizont säumte im Norden der Harzwald mit dem Brocken, im Osten das Fichtelgebirge mit dem Schneeberg und Ochsenkopf, im Süden der Steigerwald und die Hassberge, im Westen der Kreuzberg und die hohe Rhön. Der Führer lenkte, nachdem er Sorge getragen hatte, die Wanderer in Bezug auf die Himmelsgegenden zu orientiren, was von wesentlichem Nutzen für die betrachtet werden mag, die Berge besteigen, um sich zu belehren – deren Aufmerksamkeit nun auf die Fülle der Einzelorte, die sich in der Richtung nach Gotha und Arnstadt ausserordentlich gehäuft zeigte. Über die tiefen Gründe, über die prachtvollen Wälder hinweg flog der Blick in ein gesegnetes, mit Städten und Dörfern übersäetes Land. Auf prangende Fürstensitze, die Schlösser von Gotha und Rudolstadt, deutete der Führer hin, auf Thüringens alte Hauptstadt Erfurt wiess er, deren gewaltige Festungen Petersberg und Cyriacsburg hochragend trotzen, während der altergraue Dom friedlich wie ein Greisenbild zwischen den Gewappneten der Neuzeit steht. „Dort liegen die drei Gleichen!“ sprach Jener weiter, und die Fremden sahen erfreut hin auf die romantischen Schwesterburgen, um welche, fort und fort der leise Harfenton von Mähr und Sage klingt. „Viele Burgen und zum Theil noch erhaltene Vesten können Sie ausser den genannten von diesem Standpunkt aus gewahren, mehr oder minder geschichtlich denkwürdig; Straufhain, Heldburg und Coburg, die Ehrenburg, die einst Luthers Asyl ward, sahen Sie wohl schon vom Dolmar, aber wenn wir der östlichen Richtung folgen, gewahren wir Ehrenstein bei Stadtilm, Greifenstein bei Blankenburg, Schloss Könitz bei Saalfeld, die Veste Leuchtenberg bei Kahla, den Fuchsthurm bei Jena, die Eckartsburg über Eckartsberga, und am nördlichen Horizont weiter streifend, sehen wir mit gut bewaffnetem Auge die alte Sachsenburg, Schloss Allstedt, den Kyffhäuser, Thüringens berühmteste Mährchenburg. Rückkehrend aber von dieser weiten Ferne begegnen wir noch einer zweiten Ehrenburg, die als Ruine einen Berggipfel über dem Städtchen Plaue krönt.“


So zeigte der bereitwillige Geleitsmann jede Einzelnheit der Aussicht; er kannte alles, wusste alles, was auf den Schneekopf in irgend einer Beziehung seiner Vorliebe merkwürdig erschien, und die Freunde verliessen befriedigt den kahlen mit Rasen und Haidekraut bewachsenen Gipfel, dessen Gestein Lenz untersuchte, und es für lichtröthlich grauen Hornsteinporphyr erklärte, in welchem kleine Quarz- und Feldspathkrystalle eingesprengt seien. Abwärts steigend, kamen die Wanderer zunächst dem Gipfel an die Stätte eines früher zum Schutz der Reisenden erbaut gewesenen Hauses, davon bald die Zeit die letzte Spur getilgt haben wird.

Von da betraten sie den Wald und wandelten auf weichem Moos mitten in der grünen Nacht der Bäume, bis der Führer an einem einfachen Denkstein stehen blieb, und erzählte, was dessen Inschrift verkündete: „Hier ward sechzehnhundert und neunzig ein Förster aus Gräfenrode von seinem Schwestersohn unversehens erschossen.“ – „Ganz Recht,“ nahm Otto dabei das Wort: „so steht das historische Faktum fest, allein metamorphosirend hat sich bereits dieses einfachen Stoffes die poetisch ausschmückende Sage des Volkes bemächtigt, und wird in solcher Weise fortleben, wenn dieser graue Stein mit seiner schon jetzt schwer lesbaren Inschrift längst um- und eingesunken ist.“ „Und wie?“ fragten die Freunde, worauf Otto, während der Führer sie von der Stelle weiter in östlicher Richtung leitete, im Gehen erzählte: „Vor einigen Jahren bestieg auch ich einmal wieder den Schneekopf. Obschon eines Führers nicht bedürftig, nahm ich mir doch in Goldlauter einen Mann als Träger meines kleinen Gepäcks mit, hauptsächlich in der Absicht, Sagen der Umgegend aus seinem Munde zu vernehmen, welche sich auch vollkommen realisirte. So kam denn die Rede auch auf den vorhin besehenen Jägerstein, den ich schon kannte, und dessen Inschrift ich gegen meinen Begleiter erwähnte. Der Mann lächelte vor sich hin und sagte: „Ja, ja, unversehens erschossen, so steht freilich auf dem Stein, es hatte aber damit eine ganz andere Bewandniss. Ich bat ihn, mir diese mitzutheilen, und er begann: Sehen Sie, so war es: der Förster hatte einen Jägerburschen, mag immerhin, nach der Schrift auf dem Stein, sein Schwestersohn gewesen sein, mit dem lebte er in Hader und Zwiespalt, Gott weiss, warum? Nun hiess er ihn einigemal auf den Anstand gehen und einen schönen Hirsch, der sich im Revier zeigte, schiessen. Der Bursche gehorchte, der Hirsch kam, jener schoss, fehlte aber, und der Hirsch war nach dem Schuss verschwunden; das geschah mehrmal, und wenn nun der junge Jäger ohne grünen Bruch auf dem Hut nach Hause kam, schalt und höhnte ihn sein Principal aus. Das wurmte den Jungen, und er klagte sein Leid und sein Ungeschick einem Kameraden. Der sagte ihm gleich, was er thun solle, und darauf ging der Bursche nach Gehlberg in die Glashütte und liess sich eine gläserne Kugel machen, die er in seine Büchse lud, als er wieder auf den Anstand ging. Bald kam auch der Hirsch, der Schuss fiel, der Hirsch zugleich, aber als jener zusprang, dem edlen Thier den Genickfang zu geben, lag, mitten durch den Kopf geschossen, der Förster in seinem Blute und war todt.“

Ein leiser Schauer überlief die Hörer dieser höchst einfachen Geschichte; die Magie des Volksaberglaubens übte ihr Recht. Das Gespräch wandte sich auf solche Traditionen von Verzauberungen, und Wagner sprach unter andern: „Des Jägerburschen Kamerad hat gewiss zu jenem gesagt, wie Kaspar zu Max im Freischütz: Es hat Dir einer einen Weidmann gesetzt; eine Redensart, die wahrscheinlich volksthümlich ist, von mir aber nie recht verstanden wurde; was heisst das: einen Weidmann setzen?“ – „Da kannst Du lange umher fragen, ehe Dir Jemand antwortet!“ erwiederte Otto lachend. „0b die Antwort in Döbels Jägerpraktika steht, ist mir nicht erinnerlich, aber ein alter Förster hat mir's anvertraut, als ich einst mit ihm durch einen dunkeln menschenleeren Forst von Oberhof nach Schwarzwald ging. Jägersagen und Jägeraberglaube haben mich von Kindheit angezogen, und lange bevor Webers Freischütz sich als Oper Bahn brach, trug ich den Stoff aus Apels und Laun's Gespenstergeschichten im Gedächtniss mit mir herum. So setzt man einen Weidmann: man hat acht, wenn ein Jäger sein Gewehr putzt und sucht, von dem Wischwerg etwas zu erhalten; hierauf bohrt man in einen Eichbaum stillschweigend ein Loch, stopft das Werg hinein und verkeilt mit Hagedorn die Oeffnung. So lange das darin steckt, zittert der Schütze und wäre er der Beste, bei jedem Schuss und fehlt bei jedem.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen