Abschnitt. 1 - Die Reisenden waren gar nicht lange gefahren, ...

Die Reisenden waren gar nicht lange gefahren, als ihnen höchst malerisch eine Burg, anscheinend noch bewohnt, auf steiler Felswand dicht über dem Fluss und einem Dorfe entgegentrat. „Diess ist der Wendelstein,“ nannte Otto das mittelalterliche Schloss, jetzt Beamtensitz, „einst starke und stattliche Veste, deutlich genug bezeichnend im dreissigjährigen Kriege das Haupthaus genannt. Wrangel und Königsmark belagerten und bezwangen es, und brannten es theilweise nieder. Später war hier eine Zeitlang eine Stuterei.“ Wagner liess an geeigneter Stelle den Wagen halten, nahm sich eine flüchtige Skizze von der in der Nähe nichts weniger als schön erscheinenden Burg, und dann ging es weiter. Bald war die berühmte Klosterschule Rossleben erreicht. Das Dorf dieses Namens hat eine bedeutende Häuserzahl; das ehemalige Kloster gleichen Namens geschichtliche Denkwürdigkeit. Es war ein reich dotirtes Augustiner-Nonnenkloster, zuletzt im Besitze der in Thüringen vielfach begüterten Familie von Witzleben; wurde im Bauernkriege zerstört und von Heinrich von Witzleben in eine Knabenschule umgewandelt. Krieg und Pest verheerten und zerstörten sie wieder, und der abermals Verjüngten raubte später ein unglücklicher Brand Gebäude, Kirche, Bibliothek und Archiv, und verzehrte auch einen Theil des Dorfes. Doch sie sah eine günstige Zeit erblühen und erhob sich palastähnlich aus dem Staube. Die Wehen der Zeit rauschten hier nur leise berührend vorüber, und die Anstalt durfte im Segen fortblühen. Ihr Name ist ruhmvoll genannt, und berühmte Männer empfingen in ihr klassische Bildung: Ernesti, v. Thümmel, der grosse Geolog v. Trebra, Geh. Kath Voigt in Weimar, der Mineralog Voigt und Andere.

Otto führte seine Freunde bei dem würdigen Rektor dieser segensreich wirkenden Anstalt, Dr. Wilhelm, ein, und die wohlwollend Empfangenen sahen dort vieles Erfreuende, das der Greis und sein verewigter Sohn gesammelt, namentlich Gegenstände des urdeutschen Alterthums, Urnen und sonstige Funde aus germanischen Gräbern der Umgegend.


Doch es durfte nicht allzulange verweilt werden in den Hörsälen, der Bibliothek, der Kirche dieses berühmten Pädagogiums; bald rollte das leichte Fuhrwerk wieder am flachen Unstrutufer hin, über ausgedehnte Wiesenflächen, durch die fruchtbarsten Felder. Otto liess den geraden Weg verfolgen, von Rossleben nach Schönewerda, von da nach Kalbsrieth, wo sich die Helme in die Unstrut ergiesst, wo ein Steindamm bis zur Salinenstadt Artern führt. Der reine Nachmittagshimmel enthüllte den vollen Reiz der Landschaften. Zur Linken blickte vom Rücken eines Berges die Doppelruine der Sachsenburg, ohnweit davon prangte Schloss Heldrungen, gerade aus hob sich immer näher und ernster der Kiffhäuserthurm, und das Schloss und die weissen Thürme von Sangerhausen begrenzten am Saume des unabsehbaren Fruchtgefildes zur Rechten die herrliche Fernsicht über die güldne Aue. Unfern Schönewerda deutete Otto auf einen stattlichen Bau und Ort zur Linken, der eine Anhöhe krönte, und bezeichnete Donndorf, abermals eine Klosterschule mit günstigen Dotationen; dann, nach einem andern, friedlich in der Flur zur Linken liegenden Dorfe zeigend, nannte er Gehofen, und fragte: „Habt ihr Gellerts Fabeln gelesen?“ Die Freunde sahen ihn verwundert an. „Wie so?“ – „Ein Thier“ – zitirte Otto:

„Wie zu Gehofen ehedessen
Die Küch’ im Edelhof besessen
Diess sind Gespenster, glaube mir!“

„In Gehofen trug sich die seltsamste, abenteuerlichste, unglaublichste und doch zeugenbeschworene, actenmässig erhärtete und beglaubigte Gespenstergeschichte des vorvorigen Jahrhunderts zu. Frau Philippine Agnes von Eberstein wurde vom Gespenst einer Nonne, das sie absolut zwingen wollte, mit ihm zu gehen, um einen Schatz zu heben, schwer geplagt. Der Geist weinte, lispelte, sprach, betete, kneipte und maulschellirte, und nannte sich von Trebra. Er peinigte die Edelfrau so sehr, dass sie sogar eines Tages zweimal mit Pistolen nach ihm schoss, wofür sie dann doppelt leiden musste. Dabei sagte ihr das Nonnengespenst die Liederverse, die sie aus dem Gesangbuche beten sollte. Diese Qual datierte vom 9. Oktober 1685 bis zum Sonntage Quasimodogeniti 1686, da wich der Geist von der Frau; aber die Geschichte beschäftigte Jahre lang Gläubige und Nichtgläubige eines Jahrhunderts, das wir nicht das Recht haben, ein finstres zu nennen, denn in den Dämonologieen der Nachwelt werden Gehofen und mancher Würtembergische Ort nahe beisammen stehen.“

Während der Fahrt über das weitgedehnte Rieth sprach sich Otto bedauernd gegen die Freunde aus, dass die Zeit verbiete, noch weiter nördlich bis zu den entlegensten Grenzen des ehemaligen Thüringen zu schweifen. „Gern hätte ich euch nach Merseburg geführt, dessen Schloss so herrlich gelegen ist, dessen Dom so viel des sehenswerthen Alterthümlichen enthält, euch gern auf den Giebichenstein und Petersberg bei Halle geleitet, welchen letztern ihr dort wie einen Zuckerhut über die Ebenen emporragen seht. Und selbst hier in der goldnen Aue muss von uns für diesesmal manche schöne und geschichtliche Stadt unbesucht und unbesehen bleiben. Ich werde euch weder nach Sangerhausen, noch nach Frankenhausen, wo die grosse Bauernschlacht geschlagen wurde, noch nach Nordhausen führen, sondern wir fahren jetzt, Artern, das ausser seiner bedeutenden Saline des Merkwürdigen nichts enthält, im Rücken, nach dem kleinen Städtchen Brücken und Wallhausen; in diesem letzten Ort erbaute sich Otto der Grosse eine Kaiserpfalz, und wohnte oft da, sein Sohn desgleichen. Ueberhaupt war diese reizende Gegend Lieblingsaufenthalt der deutschen Könige.“

Prachtvoll lag den Reisenden nun das schöne Kiffhäusergebirge in der herrlichsten Abendbeleuchtung zur Linken. Mit Absicht hatte Otto einen Weg gewählt, von dem aus dasselbe lange und von seiner schönsten Seite besehen werden konnte. Von der Burg Kiffhausen selbst ragten nur wenige Trümmer über das Gebüsch, während auf dem Scheitel des Berges die Warte wie ein grauer Riese stand. Bald auch sah die niedriger gelegene Rothenburg über der Bäume goldglänzendes Laubgrün. Das Licht auf den Gipfeln und Kuppen, die Schatten in den Thälern und Bergbuchten einten sich in den reizendsten Kontrasten zum lieblich harmonischen Ganzen einer zauberisch schönen Landschaft. Mehr schauend als redend, fuhren die Gefährten rasch dahin, nur zuweilen auf ein und das Andere sich gegenseitig aufmerksam machend, das, durch des Weges Wendung hervortretend, neuen malerischen Anblick gewährte.

Als nun im grossen Bogen des romantischen Gebirges Ost- und Nordseite umfahren war, die eine Anschauung solchen Landschaftreizes gewährt hatten, wie sie in Worten nicht auszudrücken ist, lenkte der Führer von Rossla nach Kelbra, wo man eben ankam, als Abendgrauen über die Berge und die goldne Aue die Flöre der Dämmerung breitete. –

Am andern Morgen rüsteten sich die Freunde zeitig zu früher Bergwanderung. Der Wagen ward nach Tilleda mit dem Bescheid gesandt, dort die Wandergefährten zu erwarten. Nur flüchtig wurden die wenigen Reste eines ehemaligen Klosters in Kelbra besehen, dann ging es fröhlich unter Obstbaumreihen auf die Rothenburg zu, und bald nahm der thaufrische Wald die harmlos Plaudernden in sein trauliches Zwielicht auf, immer auf wohlgebahntem Pfade bergempor führend, bis plötzlich überraschend die malerische Ruine ihnen vor Augen trat. Sie ward ohne Säumen beschritten; ein hoher, runder, geborstner Thurm, eine geräumige Halle, ragende Mauern mit verzierten Fensteröffnungen, dazwischen Gebüsch und Bäume, deutliche Spuren einer Kapelle des altern Baustyls wurden erblickt, durchwandert, durchkrochen. Bei letzterer nahm Otto das Wort: „Hier soll es gewesen sein, wo man den Püstrich fand, jenes seltsame, knabenhaft geformte Bronzebild, das die Weisheit der deutschen Gelehrten für einen thüringischen Götzen nahm und eine Literatur über dasselbe schuf. Das Bild verräth slawischen Ursprung, war auf keinen Fall germanisches Idol, wäre aber, als solches genommen, wohl das grösste metallene aller bekannten und aufbewahrten, und ziert das Naturalienkabinet zu Sondershausen. – Wenden wir uns der Betrachtung der von hier aus so entzückenden Fernsicht zu. Dort liegt die Kette der Bergkolosse des Harzwaldes, die der Brocken mächtig überragt; zu Füssen dieser Bergkette lagert mit zahllosen Städtchen und Dörfern ein Theil der goldnen Aue. Grüne Wälder und weisse Felsenmassen schmücken den Mittelgrund gegen Questenberg und Stolberg hin. Dort ist Gips das vorherrschende Gestein, einen eigenthümlichen Bergzug bildend, voll Grotten und Erdfälle, und diese Vorberge des Harzes sind voll Burgruinen, ihre Höhen und Thäler voll schöner und schauriger Sagen.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen