Abschnitt. 1 - Während der Wagen mit den Damen aufwärts ...

Während der Wagen mit den Damen aufwärts nach dem Schlosse Altenstein fuhr, gewann Otto einen etwas höher gelegenen Fusspfad, auf dem er die Freunde dem gleichen Ziele zuzuführen gedachte. Von ihm aus gesehen, nimmt sich Glücksbrunn mit seinem heitern Schlösschen, seinen Fabrikgebäuden, einem grossen Teich und heitern Gartenanlagen sehr anmuthig aus. Hinter dem Schlosse, in der Nähe des Einganges zu der grossen Höhle, quillt in einem Erdfall ein starkes Wasser zwischen Rauhkalkfelsen hervor, dasselbe, welches die Höhle durchfliesst. Auch der Flecken Schweina wird mit mehr als 200 Häusern ganz sichtbar, und der Blick in das Werrathal auf nahe und ferne Bergzüge ist nicht minder lohnend, als die Betrachtung der hier grotesk und riesig dem Wanderer ganz nahe aufragenden Felsmassen.

Wagner pries deren malerische Formen, wie den eigenthümlichen Reiz dieser ganzen Gegend höchlich, und beschloss bei längerm Verweilen Manches zu zeichnen; Otto erbot sich, Lenz während der Zeit, dass der Maler seine Skizzen aufnehmen würde, näher mit den mineralogischen Merkwürdigkeiten der Gegend bekannt zu machen. Er nannte sie vorläufig, indem er sprach: „In Glücksbrunn wurde früher ein äusserst ergiebiges Blaufarbenwerk betrieben. Die dazu nöthigen Kobalterze brechen in der Nähe, darunter besonders schöne Glanzkobalte, Wismuth-, Kupfer- und Arsenikerze, Fahlerz und Bleiglanz. Auch Silber mag früher ausgebeutet worden sein: Benennungen, wie Silbergraben, Silberthal, Silberrasen scheinen es zu beurkunden. Eine Menge Halden geben noch Zeugniss des ehemaligen schwunghaft betriebenen Bergbaues. Im bituminösen Mergelschiefer der Gegend kommen Fischabdrücke vor. Schwerspath, Braunspath, Kalkspath und Bitterspath werden als Gangarten gefunden. Der Dolomit, von welchem diese Felsen und die Höhle gebildet sind, lagert auf Granit, der in allen Arten zu Tage geht. Über Liebenstein steht ein thurmhoher Felsenkamm mit tiefen Klüften, fast ausschliesslich Flussspath. Glimmerschiefer und Porphyr, Gneiss und Feldspath, poröser Stinkstein und Andres kommen vor. Während in geringer Entfernung von hier der Granit bis zu bedeutender Höhe geht – er bildet den hohen Felsensäulenkamm des Gerbersteins – ist das Ganggebirge ringsum verbreitet, das ältere Flötzgebirge lagert in gleicher Nähe darüber und das jüngere grenzet an; nach dem Thale der Werra zu ist Sand das vorwaltende Gestein, und den jenseitigen kleinen Gebirgszug zeichnen basaltische Höhen aus.“ So waren die Wandrer dem Walde genaht, durch dessen dichten schattenkühlen Laubgang sie schritten, während der Wagen unter ihnen auf gekrümmter Strasse langsam bergan fuhr; sie konnten die darin Sitzenden ohne gesehen zu werden mit lautem Zuruf necken, und dann mit plötzlicher Erscheinung überraschen. Die kurze Strecke vollends hinauf begleitend und begleitet theilte nun die Gesellschaft den erfreulichen Anblick des Schlosses Altenstein, das neu und freundlich mit grünen Jalousien ihnen die schmale Seite zeigte, während es seine Fronte, deren Auffahrt mit Treibhauspflanzen und vollblühenden Hortensien geschmückt erschien, gegen Norden kehrt. Terrassenförmige Mauern, und ein Thurmrest, der auf hohem Felsfundament hinter dem neuen Hause sichtbar wird, deuten das Vorhandengewesensein eines ältern Schlosses an, des Markgrafensteines, dessen früheste Geschichte mit seinem Ursprung im Dunkel ruht. Otto erwähnte nur kurz, um das Bild der heitern frischen Gegenwart nicht mit Alterthumsstaub grau zu übermalen, dass diese Burg in spätrer Zeit an die Grafen von Henneberg, dann an die Landgrafen von Thüringen gekommen sei, und noch später länger als 200 Jahre Lehenssitz der Familie Hund von Wenkheim gewesen, bis sie an das Regentenhaus Sachsen-Meiningen kam. Die alte Burg wurde 1733 vom Feuer verzehrt, und hierauf das neue einfache, doch im Innern geschmackvoll und modern eingerichtete Haus erbaut, das in der Regel der Herzoglichen Familie zum Sommeraufenthalte dient. Die erfreuten Fremden wussten bald nicht, wohin sie ihre Blicke richten sollten, die Damen waren ausgestiegen, und der Kutscher erhielt Ordre, einstweilen nach dem Gasthause hinzufahren. Otto suchte, als ein allgemeiner Überblick der freundlichländlichen Umgebung die allgemeine Bemerkung hervorrief, dass hier ein überaus anziehender Punkt seine mannichfaltigen Reize zu entfalten beginne, die Betrachtung zu ordnen, und lenkte diese zunächst auf ein nahegelegenes Denkmal hin, bestehend aus einem eisernen Kreuze auf dem spitzigen Vorsprung eines Felsens, darunter im Gestein ausgehauen die Worte


Gott
Vaterland Freiheit
Friede
1814.

zu lesen sind; dann auf einem von hohen Bäumen umschatteten Raume dicht am Abhange des Schlossberges liess er die Gefährten und Gefährtinnen des Hinabblicks auf die anmuthig situirten Orte Glücksbrunn und Schweina, und der grossen, weithin sich erstreckenden, abwechselnden Landschaft sich erfreuen. Dann am Schloss und der in einem rasenumgrünten, mit Buschhölzern in anmuthigen Gruppen umpflanzten, hoch empor den Wasserstrahl aufwerfenden Fontaine vorbei wandelte man dem grossen Gebäudehalbrund zu, in welchem, neben Dienstwohnungen und den Stallungen für die Pferde des landesherrlichen blühenden Gestüts, die zweckmässig eingerichtete Gastwirthschaft befindlich ist. Hier fanden sich denn auch andre Lustreisende genug, und allenthalben wurden Spaziergänger bemerkt, die sich lustwandelnd in den weitläuftigen Anlagen des grossen Altensteiner Naturgartens verstreuten.

Um gleiches Vergnügen am sonnenhellen Nachmittag zu geniessen, wurde für gut befunden, zuvor zu speisen, und dann erst von einer Parthie zur andern zu wandeln.
Selbst von den obern Zimmern des Gasthauses aus gewährt sich eine entzückende Fernsicht, wie denn überhaupt Schloss Altenstein mit seinen Umgebungen zu den schönsten Punkten Thüringens mit vollem Recht zu zählen ist. An die Betrachtung, wie erfreulich es doch sei, wahrzunehmen, wie dort in Wilhelmsthal, dort in Reinhardsbrunn und hier in Altenstein und Liebenstein drei hohe deutsche Fürstenhöfe ihren Sommeraufenthalt wählten, alle drei an Orten Thüringens, deren reiche Naturschönheiten Jedermann zugänglich gemacht wurden, so dass auf alle Weise Anschauung und Genuss erleichtert sind, knüpfte Otto einige in frühern Tagen lyrischer Begeisterung niedergeschriebene Strophen:

„Drei schöne Steine weiss ich
Im Ring der Heimathau’n,
Drei schöne Steine preis’ ich,
Sind herrlich anzuschau’n.
Dort leuchtet in die Weite
Thüringens Diamant,
Sein köstliches Geschmeide,
Der Friedenstein genannt.
Dort, eine Zier der Krone,
In Sonnengold gefasst,
Prangt auf dem Felsenthrone
Des zweiten Steines Glast.
Vom Ring des Wälderkranzes
Ins Werrathal hinein
Blitzt er, saphirnen Glanzes,
Das ist der Altenstein.
Und in der Tiefe glühet
Ein köstlicher Smaragd;
Ein Quell des Lebens sprühet
Tief aus verborgnem Schacht.
Dort schenkt euch die Najade
Mit sanftem Lächeln ein;
Sucht den Smaragd im Bade,
Sucht ihn in Liebenstein!“

Beim Rezitiren dieser mehr gut gemeinten, als guten Verse konnte Lenz ein ironisches Lächeln nicht unterdrücken, und murmelte: „Man muss das Dessert nehmen, wie es aufgetischt wird, ohne Murren!“ – Dame Arenstein hob die Tafel auf, und nach eingenommenem Kaffee wurde ein grosser gemeinschaftlicher Spaziergang unternommen. Zuerst suchte Otto den Waldschatten zu gewinnen; er leitete zur Ritterkapelle, die auf einem hohen Felsen erbaut, zu welchem Stufen emporleiten, im Innern als ein trauliches, mit Emblemen des Ritterthums geschmücktes Gemach erscheint, worin sich’s gemüthlich rasten lässt. Das Laub der Bäume flüstert und flimmert an den Fenstern, die mit ächter Glasmalerei aus mehr und minder guter Zeit dekorirt sind. Hier liegt auch ein Fremdenbuch, in welchem die Besuchenden sich zu verewigen, und bisweilen, nach dem Grad ihrer Bildung, auch Gedachtes oder Empfundenes in Versen oder Prosa auszudrücken pflegen. Von da war eine herrliche Linde, deren starkes Laubdach einen ganzen Platz überwölbte, zu betrachten, und dann wurde der Weg nach der sogenannten Teufelsbrücke eingeschlagen, eine, zwei beträchtlich hohe Felsen verbindende, auf Ketten ruhende Hängebrücke, von welcher aus, über grüner Waldung stehend, im Hinblick auf Schloss Altenstein und dessen nächste Umgebung sich ein schönes Totalbild vor Augen bringt. Der Hohlenstein über der Höhle zeigt sich als isolirter mächtiger Felsblock, von einem Häuschen gekrönt; der Blumenkorb, ein thurmhoher Felsenobelisk, stellt sich, rings umgrünt, als nackter Koloss dar; der nachbarliche Bonifaziusfels ragt näher und niedriger empor, und über die ganze Landschaft ist soviel Harmonie ergossen, dass diese Stelle ganz besonders zum Ruhen und Verweilen auf dort angebrachter Gartenbank einladet. Hinter jenen isolirten mächtigen Steinsäulen reicht weit hinauf der Blick in das Werrathal, bis in die Gegend von Schwallungen; der Breitunger See, der Kraimer-Teich, die mäandrische Werra sind sichtbar, im tiefsten Hintergrunde zeigen sich hohe Berge, bläulich vom Duft der Ferne umschleiert. Als die Schauenden sich lange stiller Betrachtung hingegeben, führte Otto sie weiter auf Waldpfaden in ein tiefes Thal, in welchem, um eine Felsenecke biegend, ein klarer Bach, ein silberner Weiher, und über diesem eine Sennhütte erblickt wurde, in deren Nähe ziemlich hoch ein Wasserfall anmuthig über Granitblöcke herabrauscht. Der durchaus idyllische Charakter dieses Thälchens tritt um so wirksamer hervor, wenn der Blick des Wanderers kaum zuvor auf grossartig vor seinem Auge aufgerollter und hingebreiteter Landschaft weilte, und nun ringsum den beschränkt findet; es ist ein Plätzchen, wo trauliche Liebe gern verweilen mag und gern verweilte, ein Plätzchen, wo das sanfte Plätschern des mässigstarken Wasserfalles mit sanftem Geflüster und Gekose harmonisch übereinstimmt.

Einen andern Rückweg thalaufwärts einschlagend, wusste Otto die Freunde und Freundinnen so zu leiten, dass sie unvermerkt bei dem Fohlenhause anlangten, welches im orientalisch-arabischen Geschmack sinnvoll erbaut, den Gedanken auf hier kunstgerecht geübte Musterzucht des edeln Rosses hinlenkt. Dieses Häuschen, auf dem Gipfel eines kräuterreichen Fohlenweideplatzes erbaut, ist zugleich der Mittelpunkt eines herrlichen Halb-Panorama’s der vor ihm ruhenden Landschaft. Dass auch ein weiblicher, langen Wandelns ungewohnter Fuss bei solchem Beschauen in Altenstein nicht ermüde, ist überall durch hölzerne oder steinerne Ruhesitze gesorgt; und so konnte, da man mit Gehen und Ausruhen beliebig abwechselte, Otto seine Gesellschaft auch noch getrost zum Bonifaziusfels in der Nähe des Schlosses führen, zum steinernen Blumenkorb, der auf dem vorhin erwähnten Felskegel prangt, zum Denkmal, das der Herzogin Charlotte Amalie von Sachsen-Meiningen geweiht wurde, deren Marmorbüste am Fusse des Felsen über einer Steinbank steht, und zum Hohlenstein, einer isolirten Felsenmasse mit eingehauenen Stufen zum Gipfel, der ein Häuschen trägt, um von dem günstig gelegenen Hochpunkte die Aussicht zu geniessen, und der zugleich eine hohe gewölbte Halle zeigt, die sich zu einer Felsenspalte verengt. In letzterer tönt bisweilen eine doppelte Äolsharfe wehmüthigen Klang in das Thal hinab. Vom Gipfel des Hohlenstein bezeichnete Otto die Lage des nur zwei Stunden entfernten Dorfes Möhra, wo Luther’s Eltern wohnten. Endlich, nur wenige Schritte vom Hohlenstein ostwärts, neben malerisch auf die Bergwand hingestreuten kolossalen Felsgruppen, öffnet sich die nächstvorliegende wie eine Pforte, und überraschend tritt plötzlich wieder Liebenstein mit der Ruine und mit dem grünen und blauen Hintergrunde der Thüringer-Waldberge vor den Blick, und bildet besonders in günstiger Abendbeleuchtung ein so überaus anmuthiges Landschaftbild, dass Worte nicht vermögen, dessen vollen Reiz anzudeuten. Diese Felsenpforte hat man das Morgenthor genannt. –

Erfreut, befriedigt und beglückt, am Arm der Liebe und neben theilnehmenden Herzen all das Schöne, das hier Natur und Kunst im innig schwesterlichen Bunde vereinigt darboten, geistig in sich aufnehmen zu können, schritten die Reisenden dem Altensteine langsam wieder zu. Auf dem Wege dahin fragte Frau Arenstein Otto: „Kennt man nicht auch Sagen von dieser Gegend? bei unsrem frühern Zusammentreffen hier war weder der Ort, noch die Gesellschaft geeignet, solche Frage an Sie zu richten, denn nicht Jedermann vermag sich für die Sagenpoesie zu interessiren.“

Solcher Meinung gern beipflichtend und dabei bemerkend, dass jenes Interesse auch durchaus nicht überall erwartet, noch weniger in Anspruch genommen werden dürfe und könne, erwiederte der Gefragte: „Die Gegend hat viele und mannichfaltige Sagen, viele davon mit geschichtlichem Anklang. Aus ältester Zeit klingt die Anwesenheit des Bonifazius auch hier durch; er soll von jenem Felsen den Heiden gepredigt haben, der noch den Namen des Bekehrers trägt. In der Nähe des Dorfes Steinbach haftet am Namen des Landgrafenackers die Erinnerung an Ludwig den Eisernen, der ihn mit an den Pflug gespannten Edelleuten dort umpflügte. Die bekannte Geschlechtssage derer von Hund wird auch von den Hunden von Wenkheim auf Altenstein erzählt, dass nämlich eine Gräfin, die acht Kinder auf einmal geboren, sieben davon habe wollen ersäufen lassen; dass der Graf der Wärterin begegnet und gefragt habe, was sie trage, worauf diese erwiedert: junge Hunde. Diese Kinder nun liess der Graf heimlich erziehen und stellte sie als erwachsene Jünglinge der Mutter vor daher der Name des Geschlechtes. Von Luther’s geschichtlicher Anwesenheit und Gefangennehmung in der Nähe des Altenstein haftet noch an einer schönen alten Buche tiefer im Walde, und einer Quelle daneben traditionelle Kunde; noch weiter droben zeigen die Umwohner einen Stein, den Luthersfuss, darin der Reformator die Spur seines Fusses der Gegend zum Andenken gelassen haben soll. Sollte ich Ihnen Alles mittheilen, was rein Oertliches als Sage, die noch im Volksmunde fortlebt, mir aus der Nähe von Hexen, Venetianern, Croaten, verwünschten Jungfrauen, Wilddieben und dergleichen bekannt wurde, ich würde länger reden können, als Ihre Geduld erlaubte.“

Was Otto heute verschwieg, erzählte er am folgenden Tage, als er von Liebenstein aus mit den Verbündeten eine Parthie nach der Luthersbuche machte, wo denn auch das verwirklicht wurde, was er mit Wagner und Lenz verabredet. Je mehr die Scheidestunde den Freunden nahe rückte, die bei dem neuen Verhältniss um so schmerzlicher zu werden drohte, um so mehr suchte man sich gegenseitig zu erfreuen, und genoss als Gunst eines gütigen Geschickes die freudigen Momente, welche die Gegenwart noch darbot.

Ausserdem ward verabredet, dass, sobald alles Nöthige in den gegenseitigen Familien geordnet sei, Frau Arenstein die jungen Bräute, ihre Töchter, in die südliche Heimath der Freunde und zum Traualtare dort begleiten sollte, da eine abermalige Reise nach dem Norden nicht in den Verhältnissen der Freunde lag, deren äussere Stellung weniger unabhängig war, als die der künftigen würdigen Schwiegermutter. Diese aber hatte durch die derartige Verabredung ebenfalls wichtige Gründe, mit den Töchtern der eignen Heimath zuzueilen, so dass nur noch ein Tag des diesmaligen gemeinschaftlichen Beisammenseins übrig blieb, nach welchem man sich trennen wollte und musste.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Thüringen