Waren, 25. August.

Als ich mich heute früh anzog, wurden draußen Krebse, Barsche und Hechte aufgerufen. Nette kleine Bürgermädchen gingen hutlos mit ihren Mappen vorüber, ein gebrechlich alter Kutscher mit schlotternder Livree fuhr in einem Jagdwagen die Töchter seiner Herrschaft zur Schule. Um halb neun saß ich in meiner ,,Formosa“, fuhr an den ansprechenden Uferhäusern vorüber, kam in den Fleesensee. Wälder, Wiesen mit Einzelbäumen, grasende Kühe und weidende Pferde, eine helle, sonnendunstige Luft. Wo lag der Eingang zum nächstfolgenden See? Da glitt aus dem Schilf ein Kahn, wies mir den Weg, und bald war ich im Kölpiner See. Der Gasthofsbesitzer in Malchow hatte mich beim Abschied gewarnt, auf diesem See solle ich nur ja nicht segeln, er sei gefährlich, und mit voller Überzeugung hatte ich geantwortet: ,,Daran denke ich auch nicht.“ Nun erstreckte sich der See sanft und still, während hinter mir ein Lüftchen wehte. Obwohl ich am Leben hänge, kann man auch Vorsicht übertreiben, so setzte ich schleunigst das Segel und schwebte beglückt dahin. Ein flußartiger Kanal mit Stegen, Aalreusen und Netzen, ich lief in das Schilf ein, aß im Baumschatten zu Mittag, von Libellen umspielt, angesichts einer alten Balkenbrücke, eines bewaldeten, ansteigenden Ufers. Dann lag vor mir das Nordende der großen Müritz, und mit dem günstigsten Wind segelte ich auf das ferne, aber doch erkennbare Waren. Die kleinen Wellen umrauschten mich freundlich heiter, nicht bedrohlich laut wie an dem böigen Plauer See; ich genoß mit allen Zügen die bisher schönste Segelfahrt meines Daseins. Sonnige Luft mit kühngeschwungenen Wolkengebilden, Waldlufer und Vorsprung, immer deutlicher werdend der verwitterte breite Kirchturm unter rothbraunen Dächern. Erst als ich die Mole umfuhr, legte ich das Segel, landete und begab mich nach einem, wie ich gestern hörte, von Ruderern bevorzugten Gasthaus. Der Sohn des Wirtes verschloß meine Sachen in einem Schuppen, von meinem Fenster sah ich auf einen alten, verblasst backsteinernen Speicher mit blaugestrichnen Türen, an ihm vorbei auf den unberührten Teil des Städtchens, auf seinen mächtigen Turm.

Nun zog ich aus, um mich nach Dampfergelegenheiten zu erkundigen. Denn sowohl, das Seglerhandbuch wie Erfahrene in Berlin und Mecklenburg hatten vom Segeln auf der Müritz in einem offenen Ruderboot entschieden abgeraten. Heute hatte ich bei besonders günstigem Wind ur das kleinere Ende überquert, die lange, beschwerliche Strecke stand nun bevor und bedurfte eines anderen Windes. Ich trieb mich am Hafen umher. Der regelmäßige Dampfer, der mir die „Formosa“ ins Schlepptau nehmen sollte, hatte seine Fahrten eingestellt, möglicherweise würde aber morgen ein Dampfer nach Berlin fahren.


Auf diesem Dampfer war niemand an Bord. In verschiedenen Kontoren suchte iuch nach dem Kapitän, immer war er eben fortgegangen, es ließ sich nichts feststelle.

Nun besah ich mir das Städchen; am Ufer erhoben sich Terrassengärten, Steinmauern, Stockrosen und Reseden.

Unten im Garten ließ ich mir Abendbrot geben, besprach mit den Wirtsleuten die Müritzfahrt und entnahm ihren Worten, daß ich es mit der „Formosa“ schon wagen könnte. Vor dem Schlafengehen ging ich an den See; über der alten Kirche stand der Vollmond, alles Hässliche, Nüchterne war ausgelöscht, edel umrissen erhoben sich die Gebäude über der Baumdunkelheit, in der glatt gläsernen Tiefe spiegelte sich das Bild. Über mir brannte die Wega in der Leier, und feierlich erstreckte sich mein Lieblingssternbild, das im Schwan liegende Nördliche Kreuz.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Deutschland