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Mit verhaltenem Atem betritt man Friedrichs Turmbau, sein Arbeits-Zimmer mit dem Blick auf Park und See und der so bezeichnenden Decke. Minerva mit aufgeschlagenem Buch, das die zwei Namen ausweist: Horaz und Voltaire. Hier steht sein Stuhl, sein Schreibpult, und diesem gegenüber hing Voltaires Bild. Hier hatte er diesem geschrieben, hoffte, ihn hier begrüßen zu dürfen, ihn auf das Deckengemälde, auf das Bildnis zu weisen. Als das ersehnte Zusammenleben sich verwirklichte, kam es ja zum kläglichen Bruch. Und doch waren diese zwei erlesenen Geister sich so notwendig, daß sie sich noch immer eingehend schrieben, über zweiundvierzig Jahre hat sich ihr Briefwechsel erstreckt. Georg Brandes, gewiß ein Unbestochener, legt dar, was beide durch den Verkehr gewannen. Voltaire, der, wie Goethe von ihm sagt: ,,aus eine glänzende Weise die Breite der Welt ausfüllt“, vielleicht am meisten. ,,Voltaires philo-sophische Kühnheit stieg, Friedrichs kräftige und rücksichtslose Gedanken hatten die Wirkung, ihm Mut einzuflößen.“ In diesem Raum hat Friedrich mit Winterfeld den Ersten Schlesischen Feldzug ausgearbeitet, hier seinen Anti-Macchiavell geschrieben. Die Symbole an der Wand dieses seit zwei Jahrtausenden größten gekrönten Feldherrn weisen auf die Wissenschaften, Gewerbe und Künste.

Die Rheinsberger Jahre sind nicht seine wichtigsten, aber seine schönsten Jahre gewesen. Ihnen ist sogar ein bißchen Eheglück zuteil geworden. Elisabeth von Braunschweig war damals hübsch, anmutig, liebenswürdig und jung, sie hatte aschblondes, gepudertes Haar, war verschwenderisch mit Perlen und Diamanten geschmückt. Allerdings entschuldigen die späteren Schilderungen der Königin sein Verhalten, sie wurde eine kleinliche, stumpfsinnige Frau. Friedrich war durch seine lebhaften, geistig angeregten Schwestern sehr verwöhnt, für ihn und für uns war es ein Unglück, daß ihm eine ähnliche Frau nicht zuteil wurde. In diesem festlich heiteren Saal hat er ,,in einem selodongrünen seidenen Kleid mit silbernen Brandebourgs und Quasten besetzt, mit Leichtigkeit und Grazie getanzt. In jenem Musikzimmer ,,rührten und griffen den Kronprinzen“, wie Bielefeld schreibt, ,,gewisse Akkorde wunderbar die Seele“; Graun und Benda gaben hier ihr Bestes. Bielefeld schreibt: ,,Die königliche Tafel, der Götterwein, eine himmlische Musik, köstliche Spaniergänge, Zauber der Künste und Wissenschaften, angenehme Unterhaltung, alles vereinigt sich, um das Leben zu verschönern. Das größte Glück war dem jungen Friedrich wohl der ungezwungene Freundesverkehr. So mit dem sächsischen Gesandten von Suhm, gleich nach der Thronbesteigung rief er ihn zu sich, er starb auf dem Wege. ,,Ich hätte lieber Millionen verloren“, schrieb Friedrich, ,,man findet keinen wieder mit so viel Geist, Aufrichtigkeit und Gefühl. Da war der ,,geistreiche“ Jordan mit seinem ,,nie versagenden Witz“, der ,,ernste, tüchtige, wenn auch fast finstere“ Knobelsdorff. Kaiserling ,,betäubend wie Nordwind im Rosenballett, gutes Herz, häßlich, Weltmann, mit Geschmack und Kenntnis“. Dazu die reizende Frau des Hofmarschalls von Walden, das schöne Fräulein von Schack, die mit Recht sich auf ihre Hände und Füße viel einbilden durfte.


Kronprinz Friedrich ist uns hier die liebste Erinnerung, sein Nachfolger, Prinz Heinrich, ist jedoch weit enger mit Rheinsberg verknüpft. Anderswo wäre dieser hochinteressante Prinz Vordergrundsmensch, daß der Große hier wie immer und allezeit den Nachgeborenen beschattete, war eben Prinz Heinrichs Schicksal. Womöglich war das gesellige Leben zu seiner Zeit hier noch angeregter, denn die Prinzessin war eine fesselnde und überaus gewandte Frau (gern denken wir sie uns in ihrem reizenden, mit Blumen ausgemalten Zimmer). Graf Lehndorff spricht von ihrem „ganz besonderen Zauber ... ein königlicher Anstand, ein leichter Gesprächston, der bestechend wirkt. Außerdem besitzt sie in hohem Grad die Kunst, in allen Lagen ihren Gleichmut zu bewahren, nicht so leicht ergründet man, was sie denkt . . . Keine Frau auf der ganzen Welt besitzt so viel Lebensklugheit.“ Als er sich einmal über sie geärgert hatte, nannte er sie allerdings „die schlauste Frau, sie verbirgt ihren Hochmut und ihre - Eitelkeit hinter dem höflichsten und verbindlichsten Wesen“. Später sagt er dann wieder, daß man bei ihr sich „immer wohl fühle“, ein schwerwiegendes Lob für die Herrin eines gastfreien Hauses. Im gefährlichen Alter verstrickte sie sich in einen Liebesroman, war nahe am Schiffbruch. Doch benahm sich Prinz Heinrich „mit der Milde eines Augustus“, und die Sache wurde vertuscht.

Von anziehenden Hofdamen wurde sie umgeben, Frau von Grappendorf war „sehr hübsch, außerordentlich lebendig ... ihr Leben genießend, doch ihre Ehre wahrend, ... die schönste Seele in dem hübschesten Körper“.
Das Fräulein von Forçade, Forçadchen genannt, „fast noch ein Kind“, gab in den phantastischen Festen die Königin der Insel, die Göttin des Glücks und dergleichen Rollen, sie verliebte sich in den bezaubernden Leutnant von Schwerin. Fräulein von Morien sang, komponierte, mimte Priesterinnen und Statuen, umschlang die Ehrengäste mit Girlanden, huldigte ihnen an weihrauchduftenden Altären. Mit Harmlosigkeit und Phantasie wurden die umständlichsten Feste ersonnen, ein Götterfest auf dem Olymp, ein Autodafé zu Goa, ein Ritterkampf um eine Prinzessin, immer neue Einfälle wurden erdacht und ausgeführt. Sämtliche Herren und Damen spielten Theater, in diesen Räumen lernte man schon zu Kronprinz Friedrichs Zeiten auf das gewissenhafteste, lange Perioden und sorgfältige Proben wurden abgehalten. Heutzutage gibt man, selbst auf dem Lande, sich kaum die Mühe, den kürzesten Einakter auswendig zu lernen. Immer durften sich die Gäste frei ergehen, sich ihren Beschäftigungen und Neigungen widmen, der Hausherr war von bestrickender Liebenswürdigleit, glänzend im Gespräch, es war ein elegantes Hofleben, dabei geistig angeregt, voller Interessen. Manches war etwas heikel, allzu schwärmerisch liebte Prinz Heinrich schöngewachsene junge Männer, schmerzlich berührt die nicht unberechtigte Erbitterung gegen den regierenden Bruder, in alle Ecken des Rheinsherger Lebens darf nicht hineingeleuchtet werden, als Geselligkeit war sie jedoch mit ihrer Heiterkeit und ihrem Geist schwer zu überbieten, eine Stätte vornehm farbiger Lebenskultur.

Ich bewog den Kastellan, mir das alte Theater zu zeigen. Friedrich hat es erbaut, die jetzige klassizistische Ausschmückung erhielt es erst unter dem Prinzen Heinrich. Bis vor kurzem war noch der Souffleurkasten, waren noch die Lampen, die Versenkungen vorhanden, als man neulich einige schadhafte Bretter erneuerte, ,,räumte man hier auf“!

Manches im Garten ist neu und alltäglich, manches noch beglückend gut. So die Terrasse vor Prinz Heinrichs Gemächern, Rabatten mit Petunien, Zinnien, Astern und Phlox, mit Dahlien und Verbenen. In diesem Garten hat Prinz August von Preußen das schöne siebzehnjährige Hoffräulein Sophie von Pannwitz mit seiner Liebe geängstigt und beglückt. Täglich erhielt sie von ihm einen Brief. Nach ihrer Verheiratung besuchte sie als Gräfin Voß diese Stätten, ist ,,im geliebten Garten voll unbeschreiblich süßer Erinnerungen“ umhergestreift. Hier ist jene Brücke, auf der einem Brief von Friedrich zufolge „heitere Mahlzeiten“ eingenommen wurden, es kommen steinerne Sphinxe, Buchhecken, das Naturtheater, gute alte Bänke, merkwürdige Anschriften, Basen, ein waldartiger Park, ein Säulentempel. Bis zu der Dunkelheit wandelte ich unter den Bäumen, jener Gestalten und jener Zeiten gedenkend.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Deutschland