Erbkrug Schweriner Fähre, 17. August 1915. Steinmole, Wiligrader Wald, Heidenfriedhöfe, Schweriner Schloß, Fritz Reuter.

Heute früh meldete mir die Jungfer Regen, so schlimm war es nicht, eher verdichteter Nebel, und auch dieser hörte auf. Ich wurde von Allen hinuntergeleitet, sah noch lange die Gruppe auf der Steinmole vom dunkeln Waldhintergrund eingerahmt stehen. In dem Heckloch hatte ich einen Buchenzweig aus dem Wiligrader Wald; uralte Quellen rauschen in seinem Schatten, die Granitblöcke der Heidenfriedhöfe aus sagenhaftester Vorzeit liegen dort grasumgeben.

Ein perlgrauer Dunst, legendenhaft wirkte das ferne Schweriner Schloß, mit seinen Türmen erhob sich der blasse Umriß über die noch blässere Flut. Diese Beleuchtung stand ihm, fast glaubte man den einstigen uralten, überaus malerischen Bau statt der Zutaten des neunzehnten Jahrhunderts zu sehen. Ich hielt auf eine langgestreckte Insel, wanderte am Ufer entlang. Gewaltige verknorpelte, verwehte Ulmen, Eichen und Kiefern, schwärme von Wildenten zogen vorüber.
Dann weiter, auf mein heutiges Nachtquartier zu. Tiefe Wälder umrahmten den See, auch Dörfer mit Uferwiesen, mit grauen Strohdächern, die sich zwischen den Obstbäumen versteckten. Am Ende des Sees, dort, wo die Stör hinausfließt, lag inmitten großer Bäume der Erbkrug, die Schweriner Fähre. Aus dem Nebeldunst war ein feiner Regen geworden, da war das Einkehren erfreulich. Ich erhielt ein Zimmer mit Sofa, Lehnstuhl, patriotischen Büsten und Nippsachen. Die Wirtsfrau brachte mir Kaffee und Kuchen in mecklenburgischer Fülle, ich sah auf vollbehangene Birnbäume, auf die Fachwerkscheune mit braungelbem Strohdach und las Fritz Reuter. Vor recht langer Zeit hatte ich ihn in Berlin kennengelernt, hier wirkte er stärker. So auch damals Don Quichotte in einem abgelegenen kastilischen Städtchen, auf den Zug wartend, während die Mauleseltreiber nebenan eine Garküche umstanden, der Geistliche auf einem Rößchen vorbeitrabte. Bei Fritz Reuter sind manche Farben verblaßt, nur wenige von uns sind heute ,,gut“ genug, um die Gemütsstellen so recht zu genießen, seine Ironie erscheint uns zu harmlos und selbstverständlich. Aber seine Komik, sein Humor ist jung und saftig, wird es bleiben. Mit Entzücken lachte ich und freute mich und bewunderte, während der mecklenburgische Tonfall in das Zimmer drang und gelbköpfige Linings und Minings und Fritzings, saubere stramme Kinder, in der offenen Scheune spielten und lärmten.
Nachher zum Abendbrot setzte sich die Wirtin zu mir, sprach menschlich und verständig über den Krieg. draußen stand das soeben Eingekochte, sie hatte schon viel Saft und Fruchtmus den Lazaretten geschickt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen durch Deutschland