Königsberg

Als wir kaum noch ein Viertelstündchen über die nun spiegelglatten von der Abendsonne schön vergoldeten Fluten des Haffs hingeglitten waren, gewahrten wir schon die Tonnen, die das Fahrwasser zur sichern Einfahrt in den Pregel hier bezeichnen, und alsbald glänzte uns auch am Horizont das stattliche Königsberg mit seinem ehrwürdigen Schlosse und seinen zahlreichen, wenn auch nicht eben bedeutenden Türmen entgegen. Wir fuhren links an Holstein, einem der beliebtesten und belebtesten Vergnügungsorte, vorbei. Die zahlreichen anwesenden Gäste hatten sich hier hart am Ufer aufgestellt, und als unser Dampfschiff, die Schwalbe, eleganten Fluges vorbeischoss, ward es mit Hurrahruf und Hüteschwenken begrüßt und wir verfehlten nicht, dies jubelnd zu erwidern. Von Holstein nach Königsberg führt zur Linken des Pregels eine schöne fast immer von Spaziergängern, Reitern und Equipagen belebte Chaussee, und zur Rechten ziehen sich große üppige Wiesen bis unter die Wälle des Forts Friedrichsburg. Ein Teil dieser fruchtbaren Niederungen wird der nasse Garten genannt. Ist das Leben auf dem Pregel vor Königsberg auch nicht entfernt mit dem auf der Themse und Elbe vor London und Hamburg zu vergleichen, so gewährt es doch ein höchst interessantes Bild und entfaltet die ganze Eigentümlichkeit des bunten, lauten, rührigen und jodelnden Treibens einer Seestadt. Besonders originell und auffallend erscheinen dem Fremden die schwimmenden polnischen Kolonien, die, von Juden bemannt, mit ihren oft 200 Fuß langen Fahrzeugen oder Flößen, Wittianen genannt, hier zahlreich aneinander gedrängt liegen und durch ihren Handel mit Getreide, Holz, Flachs etc. nicht wenig zum lebendigen Verkehr beitragen. Königsberg selbst gewährt aus der Ferne, von der Wasserseite, wie überhaupt von allen Seiten gesehen, nur eine gewöhnliche turmreiche Stadtansicht. Die Umgebungen sind flach aber fruchtbar, farbenreich, und wenn man sie von Höhenpunkten überblickt, dem Auge wohltuend, weil sie vielfach durch Wasser belebt sind. Außer dem Schlosse, das uns hier seine westliche Fronte mit dem Moskowitersaale zukehrt‚ erheben sich noch sieben Türme aus der großen Häusermasse, die aber weder durch besonders edle noch durch großartige Formen das Auge zu fesseln vermögen. Dagegen fühlt sich bei der Anschauung Königsbergs der Geist mächtig angeregt! Was hat diese Stadt zu allen Zeiten geleistet und gelitten! Welche große Beispiele zur Nachahmung hat sie der Welt gegeben, und welche große und tüchtige Männer hat sie geboren und herangebildet! Männer wie Kant, Herder, Hamann, Dinter, J. Werner u. A. haben hier gelebt und gelehrt, und Männer wie Bessel, Burdach, Herbart‚ Jacobi, Rosenkranz, Vogt u. A. leben und lehren noch jetzt hier zum Heile der im Lichte fortschreitenden Menschheit. In diesen engen, unköniglichen Straßen Königsbergs war es; wo Friedrich Wilhelm III. zur Zeit des unglücklichen Krieges, im schlichten Überrocke vom Schicksal schwergebeugt einherging, und durch leutseliges Wesen sich Aller Herzen gewann. Hier war es, wo Fichte reden durfte, freier wie in Berlin, frei, wie in Preußen Keiner vor ihm und nach ihm geredet hat. Hier war es, wo Männer und Patrioten, wie Stein, W. v. Humboldt, Niebuhr, Schön, Nicolovius, Stägmann u. A., im Stillen das Werk der Vaterlandsbefreiung vorbereiteten, und hier war es endlich auch, wo zu allen Zeiten die Rechte des Volks überwacht und mutig vertreten wurden *). Fasset alles zusammen! Königsberg ist an Geist und Gesinnung ein unschätzbares Juwel im nordischen Städtekranz. Königsberg ist die Stadt, die ihre Schwestern fragen darf: wer unter Euch hat in der Zeit der Schmach und Gefahr Schmerzen wie ich erlitten und Opfer wie ich gebracht? Königsberg ist die patriotischste der Städte und die ehrwürdigste der Mütter im Norden, denn sie hat den Tugendbund und durch diesen die Unabhängigkeit des Vaterlandes geboren.

*) Schon bei der Huldigung Friedrich Wilhelms I. am 10. September 1714 äußerten die Stände zu Königsberg: „dass man ja dem all mächtigen Gotte seine Verheißungen vorhalten dürfe, ohne seine Allmacht zu beeinträchtigen, ebenso sollte es auch des Königs Majestät nicht ungnädig deuten, wenn sie ihn an die von seinen Vorfahren bewilligten Privilegien und Verheißungen erinnerten.


Weniger tröstlich aber ist ein Blick auf den jetzigen materiellen Zustand Königsbergs. Durch seine isolierte vom Mittelpunkte Preußens und Deutschlands fast abgesperrt zu nennende Lage ohnehin schon sehr im Nachteil, ist nun auch sein einst so blühender Handel mit Polen, Curland und den übrigen russischen Provinzen durch die Grenzsperre Russlands völlig vernichtet. Wenn sonst die Universität eine der blühendsten war und von den reichen Söhnen Curlands und Polens besucht ward, die Leben und Geld hierher brachten, so studieren hier jetzt fast durchgängig nur die Söhne der nach und nach mittellos gewordenen Provinz, oft nicht 400 an der Zahl. Auch das literarische Leben Königsbergs ist, abgesehen von den tüchtigen wissenschaftlichen Bestrebungen seiner Gelehrten, höchst unbedeutend. Die große an Wissen und Talenten so reiche Stadt hat außer ihrer kleinen, löschpapiernen, wohlbeprivilegierten Zeitung kein Journal, kein Organ, das dem übrigen Deutschland über das isolierte Leben und Treiben Königsbergs Nachricht geben könnte. Versuche, die mit dem „Luftballon“, „den Ostseeblättern“ etc. gemacht wurden, scheiterten nicht an dem bekannten regen Sinn der Königsberger für Öffentlichkeit, sondern an der materiellen Mittellosigkeit der Stadt und Provinz.

Königsberg hat wenig von der Pracht und geräumigen Regelmäßigkeit neuerer großen Städte. Nur wenige Plätze, wie z. B. der Königsgarten beim Theater und etwa die sogenannte Vorstadt, eine große stattliche Straße, möchten damit zu vergleichen sein. Enge Straßen und hohe Giebelhäuser sind auch hier wie in allen älteren Ostseestädten vorherrschend, aber die Stadt ist, wenige Straßen, wie die charakteristische Kneiphöfische Landgasse oder den ächthanseatischen Löbenicht, ausgenommen, weit entfernt, das originelle Gepräge Danzigs oder Lübecks zu erreichen. Unser Landungsplatz am Pregelquai führte uns gleich so ziemlich in den lebendigsten Teil der Stadt, in die Nähe der Börse, wo Königsberg dem Fremden, zumal dem Binnenländer, unstreitig am meisten imponiert. Eine Dampfschifffahrt hat, vor allen übrigen Arten zu reisen, den Vorzug, dass man, weder ermüdet noch bestäubt, weder hungrig noch durstig, sogleich aufgelegt ist zum Schlendern und zum Beschauen. Wir suchten jetzt nur einen Ort, unsere Ränzel abzulegen, um dann sogleich unsere Promenade zu beginnen. Jedoch ein solcher Ort war nicht so rasch zu finden. Alles war besetzt, man forderte unverschämter Weise für ein Nachtlager einen Louisd’or, denn übermorgen sollte des Königs Einzug sein, und ohne den glücklichen Zufall, der einen Freund in meine Arme führte, hätten wir wohl sämtlich unter Gottes freiem Himmel kampieren können.

„Mein Gott! “ rief unser Elbinger Freund aus, „ich kenne Königsberg nicht wieder! Die Menschheit hier hat sich mindestens verzehnfacht, und zum Überfluss ziehen auch noch die Wälder in die Stadt, die engen Straßen noch enger zu machen. Kinder, ich ‚fürchte, hier wird’s viel Gedränge, wenig zu essen und am Ende eine ungeheure Zeche geben.“ Wir begannen nun unsere Promenade und gingen über die grüne Brücke in den sogenannten Kneiphof, ein Stadtteil, der zwischen zwei Pregelarmen eine Insel bildet und außer manchen altertümlichen Häusern den Dom, die Universität, den Junkerhof und das Kneiphöfische Rathaus umschließt. In beiden letztern Gebäuden befinden sich sehenswerte Säle im Roccoccostil. Wir hielten uns aber für jetzt hier nicht weiter auf, sondern suchten über das schlechte Pflaster eiligst hinweg das Schloss zu erreichen, um von dessen fast 300 Fuß hohem Turme zunächst eine Übersicht über Stadt und Umgegend zu gewinnen. „Königsberg,“ nahm unser Elbinger Freund wieder das Wort, „ist wie Rom auf sieben Hügeln erbaut und auf dem höchsten derselben liegt, wie billig, das Schloss. Die Stadt ward, wie Sie wissen, im Jahr 1255 durch Ottokar König von Böhmen im Walde Twangste gegründet und im Jahr 1257 ward auch von ihm der Grund zu diesem konfusen kolossalen Gebäude gelegt, welches nach jeder Seite hin dem Beschauer ein anderes Gesicht zeigt und die Bauart von fünf Jahrhunderten repräsentiert. Die Nordseite, besonders jene Hälfte, worin sich die Zimmer des geheimen Archivs befinden, ist die merkwürdigste, indem sie fast noch unverändert so erhalten ist, wie sie vom deutschen Orden erbaut wurde. Eine genaue Erzählung, wer dann später dies Stück und jenes Ende angebaut habe, erlassen Sie mir gütigst, oder wenn es Sie interessiert, so schlagen Sie gefälligst Dr. Fabers höchst gründliche Geschichte und Beschreibung von Königsberg nach. Ich meines Teils fühle mich nur gedrungen, Sie noch auf den westlichen Flügel aufmerksam zu machen, der, was die originelle Verwendung seiner großen Räumlichkeiten betrifft, wohl schwerlich seines Gleichen haben möchte. Die unterirdischen Gewölbe nämlich dienen zu einem Weinkeller, auf diesem ruht die Schlosskirche, und hoch über den Gewölben derselben befindet sich ein Tanz- und Ball-Lokal, der Moskowitersaal. Dort, im südlichen Flügel, befindet sich die Wohnung des Ober-Präsidenten v. Schön, eines Mannes, der die höchste Verehrung des ganzen Landes besitzt und im höchsten Maße verdient. Die anderen Teile enthalten außer den Geschäfts-Lokalen der Regierung und des Konsistoriums die königlichen Gemächer, die aber, aufrichtig gesagt, kaum die Mühe des Beschauens lohnen, und daher füglich unberücksichtigt bleiben. Ich möchte bei Beschauung des Schlosses am liebsten wieder meiner alten Neigung zur Gründlichkeit folgen und zuerst in die Tiefen des Blutgerichts hinabsteigen. Aber, das ist gefährlich! Denn das Blutgericht ist ungeachtet seines schauerlichen Namens nichts Anderes, als eine gar trauliche Kabinettsbibliothek der edelsten Blutstropfen, die der Weinstock jemals vergossen, und Kenner, wie wir, laufen Gefahr, sich so darin zu vertiefen, dass sie sich nicht wieder ans Tageslicht sicht der zu unsern Füssen gelagerten Stadt, die, in Laub und Blumen fast eingehüllt, ein Bild des regsten Lebens bot, war lohnend und überraschend. Die Schlosskirche hat wenig Merkwürdiges; man sieht hier die Wappen der 1701 vom König Friedrich I. kreierten ersten Ritter des schwarzen Adler-Ordens aufgehängt. Der Moskowitersaal wurde der nahen Huldigung wegen neu hergestellt und sah fürchterlich zerstört aus. Es ist ein ungeheurer Kaum von 150 Schritt Länge und 33 Schritt Breite. Die Höhe ist verhältnismäßig sehr niedrig und beträgt kaum 19 bis 20 Fuß. Nun stiegen wir, weil’s Abend werden wollte, ins Blutgericht hinab. Welch’ Leben, welch’ Gewühl war hier! Man sah nur heitre selige Gesichter! Schon in der Vorhalle trafen wir Freunde, die die Sorgen des Lebens auf Champagner-Propfen an die Decke schnellten. Ein Fass war der Tisch, und Fässchen dienten als Stühle. Wir aber forschten nach tiefster Spur und stiegen ins eigentliche Verlies hinab, das, von der Treppe überschaut, einen höchst eigentümlichen Eindruck macht. Ältere Leute scheuen die Temperatur hier als feucht und kalt, und so sind denn die langen Tische meist nur von der frohen, das Romantische liebenden Jugend besetzt. Mächtige Fässer decken den Hintergrund und die vom Gewölbe herabhängende Tag und Nacht brennende Lampe gibt der immer belebten Szene eine wahrhaft Rembrandt’sche Beleuchtung. Wer aber malt unsere Freude und unser Erstaunen, als wir die Leidensgefährten, die wir noch gefangen glaubten, hier in traulicher Runde beisammen fanden? König Friedrich Wilhelms IV. Amnestie hatte sie alle dem Leben wieder gegeben, und beim edlen Rheinwein feierten sie nun hier das Fest ihrer Auferstehung, mit Jubel und Gesang. Der Kreis erweiterte sich, Gitarren wurden herbeigeholt, Solo-‚ Quartett- und Chorgesang wechselten mit einander, hallten herrlich wieder in dem hohen Gewölbe und die Freude erreichte den Gipfel. Da schlug einer der Freunde eine Wasserfahrt beim Mondenschein auf dem herrlichen Schlossteich vor, die mit stürmischem Beifall angenommen wurde. Just als es 9 Uhr schlug und von der Galerie des Schlossturms nach guter alter Sitte die Melodie eines frommen Liedes geblasen wurde, ordneten wir unsern Zug im Schlosshofe. Voran zog unser Elbinger Freund, ihm folgten die Gitarristen, diesen die Sänger und den würdigen Beschluss des Zuges machten die Männer, die die Weinkörbe trugen. Unser Elbinger Freund war in seiner rosigsten Laune. Er fingierte höchst täuschend den Gang eines Trunkenen und sang dazu folgendes Liedchen, das er uns später noch so oft vorsingen musste, bis wir es Alle auswendig wussten, und Julius Sincerus es als Frachtgut für sein Danziger Dampfboot benutzen konnte.

Grad’ aus dem Wirtshaus nun komm‘ ich heraus,
Straße, wie wunderlich siehst Du mir aus!?
Rechter Hand, linker Hand, beides vertauscht,
Straße, ich merk’ es wohl‚ Du bist berauscht!

Und welch‘ ein schief Gesicht, Mond, machst denn Du?!
Ein Auge hast Du auf, eins hast Du zu:
Du wirst betrunken sein, das seh’ ich hell,
Schäme Dich, schäme Dich, alter Gesell!

Und die Laternen erst, was muss ich sehn?!
Können ja alle nicht grade mehr stehn;
Wackeln und fackeln die Kreuz und die Quer,
Scheinen betrunken mir allesamt schwer!

Alles im Sturme rings, Großes und Klein,
Wagt’ ich darunter mich nüchtern allein?
Das scheint bedenklich mir, ein Wagestück,
Da geh’ ich lieber ins Wirtshaus zurück.

Wir waren durch den östlichen Flügel des Schlosses an der Hauptwache und der Statue Friedrichs I. vorbei in die Französische Straße gezogen, von wo wir durch das Haus eines Freundes auf den Schlossteich gelangten. Was wäre Königsberg ohne seinen Schlossteich? Dieses stille grüne Gewässer, das auf höchst anmutige Weise von hohen ehrwürdigen Linden und Kastanien, freundlichen Gärten, Altanen und Lauben eingeschlossen ist, weckt und nährt zum guten und besten Teil die zarten und poetischen Gefühle der Bewohner Königsbergs. Hier liegt eine kleine warme Gemütswelt mitten in der großen kalten Region des Verstandes. Hier erhält an schönen Sommerabenden der Nordbewohner eine leise Ahnung von dem Leben im Süden. Hier schwärmen die Verliebten; hier schwimmen Schwäne; hier scheint der Mond am schönsten; hier jagen Königsbergs Lyriker nach Bildern und Gedanken.

Unsere Fahrt war eine der schönsten und begünstigsten, die wohl jemals auf dem Schlossteich gemacht wurden. Die Nacht herrlich, klar und warm, wie selten. Unser Sängerchor, namentlich unser Männerquartett, meisterhaft und fast leidenschaftlich zum Singen aufgelegt. Der Schlossteich belebte sich immer mehr; eine Gondel nach der andern stieß vom Ufer, eine kleine Flottille bildete sich förmlich und der Strahl des Mondes beleuchtete manche liebliche Frauengestalt‚ die mit kleinen weißen Händen unsern Sängern Beifall klatschte. Da erscholl von einer unübertrefflichen Tenorstimme folgendes Liedchen:

Eh’ Gott das Weib gebildet, der ganzen Schöpfung Preis,
Da waren alle Rosen wie Lilien licht und weiß,
Doch, als des Weibes Busen die Rosen überbot,
Da schämten sich die Rosen und wurden rosenrot.

Da schuf er ihre Wangen der Morgenröte gleich,
Da wurden viele Rosen vor Ärger wieder bleich‚
D‘rum ist an weißen Rosen, wo sie auch immer stehn,
Von ihrer frühern Röte noch jetzt die Spur zu sehn.

Dieses Lied machte den Beschluss der unvergesslichen Fahrt, und seelenvergnügt zogen wir nun in unsere Quartiere. Am andern Morgen in aller Frühe umkreisten wir Königsberg auf seinen herrlichen Wallpromenaden, und schlenderten unter schönen Alleen von Linden, Quitten, Pappeln und Buchen fröhlich dahin. An der Sternwarte, der Werkstätte des großen Bessel, die auf dem höchsten Punkte des Walles liegt, überraschte uns eine herrliche Aussicht. Wir überschauten hier den belebten Pregel in allen seinen Windungen bis zum Haff. Da zum morgenden Einzuge des Königspaares nun schon alles festlich bereitet war, so zogen wir vor, unsere Promenade durch die Stadt diesmal am Brandenburger Tore zu beginnen und so den mit Blumen und Girlanden aller Art geschmückten Weg bis zum Schlosse zu verfolgen. Dieses Königsberger Brandenburger Tor war dem berühmten Berliner durch allerlei Dekorationen täuschend ähnlich gemacht und gewährte, zumal in der Ferne, einen überraschenden Anblick. Über den sogenannten Haberberg‚ eine Straße, die aus lauter militärischen Gebäuden besteht, gelangten wir nun an der Haberberger Kirche vorbei in die breiteste und stattlichste Straße Königsbergs‚ in die Vorstadt. Sie hat sehr schöne Häuser aufzuweisen und ist sehr belebt, hauptsächlich ist sie der Mittelpunkt des Verkehrs der Juden, deren recht hübsche Synagoge sich auch hier befindet. In der Nähe der Haberberger Kirche wurden wir auf eine Pumpe aufmerksam gemacht, die die abenteuerlich bunte Figur des Schusters Hans von Sagan trägt, welcher, der Sage nach, im Jahr 1370 die schon weichenden Ordensritter durch sein kühnes Ergreifen der Fahne zum Siege führte. Durch das grüne Tor, dessen hübschen Turm wir schon immer vor Augen gehabt, traten wir nun in die Kneiphöfische Langgasse, die noch am meisten ihre originelle Eigentümlichkeit bewahrt hat. Die hier durchgängig an allen Häusern befindlichen, mit Gittern und Bildhauerarbeiten verzierten balkonartigen Vorsprünge heißen hier Wolmen, die bei schönem Wetter, zumal im Sommer, förmlich das Familienzimmer bilden und zum Kaffeetrinken, Lustwandeln, Plaudern und Bekritteln der Vorübergehenden benutzt werden. Diese Straße, auf so italienische Weise meist von Damen, und oft von schönen, belebt, gewährt dem Fremden ein überraschendes Bild. Wir gelangen jetzt auf den mit Bäumen und Blumenbeeten geschmückten altstädtischen Kirchenplatz, dessen Hintergrund eine Reihe nicht bedeutender Giebelhäuser bildet, über welche das Schloss imponierend hervorragt, und wenden uns dann nach dem Löbenicht. Diese Straße zeichnet sich durch ihre 6-7 Stock hohen Giebelhäuser und durch ihr düsteres fast beklemmendes Äußere aus. Rasselnde schwere Brauerwagen und ein süßer Malzgeruch kündigen sie als den Sitz der einst ihres Bieres wegen sehr berühmten Löbenicht’schen Brauer an.

Wer Königsberg genau besehen will, wie dies unsere Absicht war, der wird finden, dass die Ausdehnung der Stadt nicht geringe und das Sehenswerte darin nicht auf einen engen Raum zusammen gedrängt ist. Wir wollen deshalb auch den Leser nicht mehr mit Aufzählung der vielen Straßen und Gassen ermüden, sondern uns möglichst kurz auf die Sehenswürdigkeiten selbst beschränken. Wir begaben uns jetzt nach den zahlreichen großen Speichern am Pregel und gelangten über die Insel Venedig (auch Klapperwiese genannt) in den Philosophengang, der ein Lieblingsspaziergang Kants war, und von Hippel, als Königsberger Stadtpräsident, angelegt worden ist. Später verfehlten wir auch nicht, in der Prinzessinnenstraße im Vorbeigehen das einstöckige gelbe Häuschen zu betreten, welches über der Haustür die Inschrift trägt:

Immanuel Kant
wohnte und lehrte hier von 1785 bis 12. Februar 1804.

Jetzt wohnt ein Zahnarzt in dem Hause und hart daneben ist eine Badeanstalt, die uns gute Dienste tat. Sind in einer Stadt auch keine an sich bedeutende und merkwürdige Gebäude vorhanden, so ist es doch üblich und auch wohl nicht mehr als Schuldigkeit, dass der Fremde diejenigen, die nun einmal die bedeutendsten und merkwürdigsten im Orte sind, gehörig in Augenschein nehme. So besahen wir denn auch den Dom, der im Jahr 1333 im einfachen gotischen Stile ohne alle Arabesken-Verzierung zu bauen angefangen worden ist. Man sieht dem Gebäude an, dass es später an Sinn und Mitteln fehlte, das Werk so solide zu vollenden, als es begonnen war. Von den beiden Türmen, die den Dom schmücken sollten, ist nur der eine im Bau begonnen und später gewaltsam zugespitzt und vollendet worden, so dass die Höhe des Turmes durchaus in keinem Verhältnis zu der beträchtlichen Länge und Breite des Domes steht. Das Innere dagegen imponiert sehr. Die Gewölbe sind kühn und hoch, und eine schöne Pfeilerperspektive, die bis zum Altar geht, bietet sich den durch das etwas niedrige Portal Eintretenden überraschend dar. Eine höchst malerische Beleuchtung erhält das Gebäude durch die bunten Glasscheiben. Unten den vielen Holzskulpturen sind manche wertvoll und näherer Betrachtung würdig. Schade nur, dass die Kirche, wie die meisten protestantischen in Deutschland, mit Familiengrabmälern und prunkenden Inschriften überladen ist.

Wenn man auf dem Domplatze steht, gewahrt man rechts vom Dom eine Pappel-Allee und links eine Mauer mit zwei halb verwitterten Steinportalen, über welche hohe, prächtig gewölbte Linden hervorragen. Hier ist der Eingang zur Albertina, zur Universität. Es sind alte baufällige Gebäude, in denen sich die Hörsäle befinden, und über kurz oder lang möchten wohl Neubauten durchaus notwendig werden. Hart an den Dom schließt sich die Stoa Kantiana, ein gewölbter, nach vorne offener Gang, in welchem Immanuel Kant begraben liegt. Wer nun noch Zeit und Lust zu wissenschaftlichen Anschauungen und Vergleichungen hat, der versäume nicht das zoologische Museum, den botanischen Garten und die Bibliothek näher in Augenschein zu nehmen. Um das erstere hat sich besonders der jetzt in Petersburg lebende Naturforscher von Baer, um die letztere Rosenkranz verdient gemacht. Als ein Kuriosum der Bibliothek ist die silberne Bibliothek bemerkenswert, eine Menge alter theologischer Bücher, welche Herzog Albrecht in prächtig gearbeitete mit Silber beschlagene Deckel binden lies. Im Stadt-Museum befinden sich, außer vielen Marterbildern der ältern italienischen und niederländischen Schule, mehrere treffliche Werke neuerer Meister. Zuerst muss genannt werden: die betende Römerin von Maes, dann Genrebilder von Pistorius, Köhler, Sonderland, Bürkel u. A.‚ Architekturgemälde von Quaglio u. A. , wie auch Landschaften und Viehstücke von Kaiser, Hess, Simmler u. A. Man ist mit Erbauung eines neuen Museums beschäftigt, und die Bemühungen des Kunst-Vereins, um den sich August Hagen besondere Verdienste erwirbt, verdienen alle Anerkennung. Kein Kunstfreund aber versäume die Kunst-Handlung von Voigt & Fernitz in der Junkerstraße zu besuchen, denn sie ist eine der brillantesten Kunsthallen in ganz Deutschland und umfasst ein sehr vollständiges sehenswertes Lager. Schließlich sei nun noch des am Königsgarten gelegenen Theaters gedacht. Es ist mit seiner langgestreckten fensterlosen Fronte ein kurioses Gebäude, das man eher für einen Reitstall, der Licht von oben erhält, als für ein Theater halten könnte, welches Licht und Aufklärung nach unten verbreiten soll. Die Anordnung des Innern ist dagegen stattlich und fast prächtig zu nennen. Eine seltsame Einrichtung aber ist, dass die königliche Loge den höchsten Zivil- und Militär-Beamten freien Zutritt gewährt und dass der Staat hierfür nicht etwa der Direktion, sondern den Aktionären eine Entschädigung zahlt. Wir besuchten das Theater selten, sondern brachten unsere Abende, wenn wir nicht in Privat-Zirkeln waren, entweder im Café national am Paradeplatz, oder im Café Siegel in der französischen Straße zu, allwo wir zu jeder Zeit gute wohlunterrichtete Gesellschaft, zahlreiche Journale und gute Bewirtung fanden.

So weit von Königsberg. Schade, dass Plan und Raum dieses Werks nicht gestatten, von der Huldigung, von jenen Tagen des höchsten Glanzes und der freudigsten Hingebung und Hoffnung, ausführlich zu reden! Der nicht genug zu lobenden Gastlichkeit und Zuvorkommenheit der Königsberger hatten wir es zu danken, dass wir als Fremde aus weiterer Ferne besonders berücksichtigt wurden, zu allen Festlichkeiten bereitwilligst Zutritt erhielten, und dadurch Gelegenheit fanden, ausgezeichnete und merkwürdige Männer, wie Schön, Humboldt, Dunin, Hatten, Brünneck, Wegnern, Bessel, Jacobi, Auerswald u. A. häufig zu sehen und zum Teil näher kennen zu lernen. Als etwas grausenhaft Romantischen aber muss ich hier noch jener von den Zeitungen nicht besprochenen Unterbrechung des Huldigungs-Aktes gedenken. Ein wahnsinniges Weib in einer weißen Haube schrie nämlich plötzlich aus einem vergitterten Fenster des Erdgeschosses im Schlosse, just als der Kanzler v. Wegnern die Stände zum Schwur aufrief und die lautloseste Stille herrschte: „Schwöret nicht, schwöret nicht, schwöret nicht den Königen der Erde, sondern nur dem Herrn der Könige und der Dreieinigkeit!“ Die Störung ward rasch unterdrückt, das Fenster zugeschlagen, und das Weib, wie man sagt, eine Muckerin, entfernt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen an der Ostsee