Insel Rügen

Ich hatte mich wie ein Kind darauf gefreut, mich hier auf diesen glücklichen, so heiß geliebten Rügenschen Fluren, wo auf siebzehn deutschen Quadratmeilen bis heute noch keine Kanone, keine Druckpresse und kein Zensor existiert, so recht in Lied und Lust herumzutummeln. Ich wollte alle prosaischen Größen und Zahlen des Lebens bei Seite werfen und nur einzig und allein jener schönen Tage gedenken, wo ich mit der ersten Liebe im Herzen und dem ersten Ränzelchen auf dem Rücken durch dies liebliche Eiland pilgerte. Es hatten sich zu einem recht hübschen Liederkranze alle die schönen, Erinnerungen vielfältiger Reisen, die ich als Knabe, Jüngling und Mann durch Rügen gemacht, gestaltet, und nun tritt mir plötzlich die Prosa des Lebens in der Gestalt des sonst so freundlichen Verlegers entgegen und spricht: Halt! nicht mehr als 8 Bogen oder 16 Formen! Der Verleger gebeut. Der Schriftsteller muss sich in die eisernen 16 Formen fügen und mit zitternder Hand der schlanken immergrünenden Tanne seiner schönsten Erinnerungen die Krone abbrechen. Fiat!

Denkt die Lust Euch, sieben Jungen
Wandern in das Rügenland,
Sind dem Klassenstaub entsprungen,
Stürzen jubelnd an den Strand.


„Heda, Fährleut’, nicht so träge!
Kommandiert das wilde Heer,
„Rührt Euch Kerls, sonst setzt es Schläge,
„Hebt die Beine nicht so schwer!“

Doch die Alten-Fähr’schen Leute
Bleiben stets, wie ehedem,
Werden nie des Zeitgeists Beute,
Bleiben grob und sehr bequem.

Diese Leute von der Alten Fähre haben drei Jahrhunderte gebraucht, um einzusehen, welche enorme Vorteile ein Segelboot vor einem Ruderboote gewährt. Gewöhnlich wird Rügen schon von Swinemünde aus mit dem Dampfboot besucht. Die Reisenden landen bei Putbus, sehen sich hier um, machen am andern Morgen die Tour nach Stubbenkammer, kehren am dritten Tage nach Swinemünde zurück und glauben Rügen gesehen zu haben. Dem ist aber nicht so. Wer freilich seinen Maßstab für das Schöne und Romantische vom Rhein und aus der Schweiz mitbringt und für die Eigentümlichkeit und Einfachheit eines Völkchens, wie das auf Mönchgut und Hiddensee keinen Sinn hat, der freilich würde nicht gut tun, sich mit uns auf die Wanderschaft zu begeben, die wir jetzt von der Altenfähre aus beginnen wollen.

Wer Glück mitbringt, der stolpert hier über Bernstein,
Sonst aber möcht’ das Suchen sehr überflüssig sein.

Mancher ist schon mit der Idee nach Rügen gewandert, dass hier alle Türschwellen und Pferdekrippen von Bernstein seien, dieses aber ist ein Irrtum. Wir gehen drei bis vier Meilen tapfer ins Land hinein auf den Marktflecken Gingst zu und merken eigentlich keinen Unterschied zwischen Pommern und Rügen. Unsere Füße treten abwechselnd auf Sand und Lehm‚ und unsere Blicke ruhen abwechselnd auf Grün und Blau, auf Saaten und Wellen, nirgends ist ein Berg, eine Ruine oder auch nur ein verwünschtes Schloss, höchstens nur ein verwachsenes Hünengrab zu sehen, und Tausende haben hier schon aus gerufen: „Na! das hätt’ ich mir denn doch schöner gedacht!“ In Gingst, wo gewöhnlich Nachtquartier gemacht wird, ist auch nichts mehr als eine alte Kirche und ein Dutzend leerer Storchennester zu sehen, und die Romantik lässt sich nicht eher bei den Haaren herbeiziehen, als bis wir entweder von Schaprode aus einen kühnen Stich durch die See nach der Insel Hiddensee machen, wo die Menschen noch halb im Naturzustande, in Höhlen und Schwalbennestern leben, und sich fast nur von geräucherten Fischen nähren, oder bis wir über die weizenreiche Halbinsel Wittow hinweg Altenkirchen, die Ruhestätte Kosegartens, und von hier aus das Vorgebirge Arkona, die nördlichste Spitze unseres deutschen Vaterlandes, erreichen.

Und nun stehn wir auf Arkona, Wandrer‚ küsse diesen Strand!
Und du küssest dann die Stirne deinem alten Vaterland! etc.

Das Vorgebirge Arkona erhebt sich an einigen Stellen sehr schroff und steil etwa 200 Fuß über die Meeresfläche. In früheren Zeiten strandeten hier viele Schiffe, leider zu Nutz und Frommen der Einwohner, denn es erschien nicht als Raub, sich mit dem Hab und Gut der Verunglückten zu bereichern. Noch vor wenig Jahren hieß es im Kirchengebet auf Hiddensee und Wittow: Gott segne den Strand! Durch die Preuß. Regierung ist nun hier ein schöner Leuchtturm mit großen Kosten erbauet, und auch die Stelle im Kirchengebet abgeschafft worden. Dennoch passiert hin und wieder Unglück, und der hier angestellte Leuchtturmwärter Schilling ist schon von verschiedenen Regierungen, für edle aufopfernde Rettungen aus Gefahr, mit Orden belohnt worden.

Nun, Freund Schilling, edler Ritter,
Sprich‚ was meinst du zu dem Rat:
Dass dein Weib uns, wie’s Gewitter,
Frisch ein halb Dutz Enten brat’?
Schilling sprach: „es sei darum,
„Entenbraten ist nicht dumm!“

Ferner dann, Herr Ritter, haben
Wir den noch viel heißern Wunsch:
Recht gemütlich uns zu laben
An recht heißem Seemannspunsch.
Schilling sprach: „es sei darum,
„Seemannspunsch ist auch nicht dumm.“

Und nun setz’ dich, edler Ritter,
Mit dem Dänenorden her,
Und erzähl‘, wie Sturmgewitter
Bis zum Grund durchwühlt das Meer.
Schilling sprach: „es sei darum,
„Solch Gewühl ist auch nicht dumm.“

„Gott der Herr ließ mir’s gelingen,“ -
Sprach er – „im verwich’nen Jahr,
„Dass ich durft’ dem Tod’ entringen
„Eine dän’sche Seemannsschar.
„Seht: dass die nicht kamen um,
„Solch’ Gefühl ist auch nicht dumm!“

Mit Schilling lässt es sich beim Glase Punsch schon ein Stündchen plaudern, und an Enten und anderen Geflügel zum Braten ist auch selten Mangel, denn sein Posten bringt ihm auch eine kleine Revenue dadurch, dass sich fast jede Nacht, durch das blendende Licht gelockt, eine Menge Geflügel an den ungeheuer dicken Spiegelgläsern des Leuchtturms die Schädel einrennt und von ihm am andern Morgen tot am Boden gefunden wird. Zu historischen Rückblicken haben wir leider wenig Raum und Zeit mehr. Hier stand der Tempel Swantevits, der im Jahr 1168 von den Dänen zerstört wurde. Hier war einer der Hauptkampfplätze, auf welchem das Christentum, leider durch Feuer und Schwert, statt durch Lehre und Liebe, erst im 12ten Jahrhundert den Sieg über das Heidentum davontrug, wie solches sehr schön und ausführlich in Fr. Furchaus Arkona nachzulesen ist. Wer nicht schwindlig ist, mag, wenn er sich an der herrlich weiten Aussicht über das Meer satt gesehen hat, noch das nun verlassene Adlernest in der Felskluft am Burgwall betrachten, in welches eine kecke Hand zwei runde weiße Feuersteine so geschickt geworfen hat, dass man sie für zwei Adlereier zu halten versucht ist. Wenden wir uns nun rechts den Strand entlang, der Schabe und Jasmund zu, so gelangen wir zunächst in das kleine, allerliebst gelegene Fischerdörfchen Vitte, von dem gleichfalls eine Abbildung diesem Werke beiliegt. Hier hielt unter Gottes freiem Himmel der Dichter Kosegarten seine berühmten Uferpredigten; ein Gebrauch, der noch heutiges Tages, zur Zeit des Heringsfanges, stattfindet, indem die armen Fischer, die für das ganze Jahr auf den Erwerb dieser kurzen Zeit angewiesen sind, dann nicht gut eine Meile Weges zur Kirche gehen können, sondern bei der Hand sein müssen, wenn die Heringszüge sich nahen.

Hier dient dann Gottes Himmel zum Gottgeweihten Dach,
Hier ist das Meer die Orgel, so ruft die Herzen wach.

Höchst komischer Weise soll es aber einmal passiert sein, dass inmitten einer solchen Uferpredigt sich ein großer Heringszug an der Küste verspüren ließ, und die guten Fischer in größter Unruhe dem Pastor allerlei Zeichen gaben, die Predigt doch so rasch als möglich zu schließen, und worauf er dann mit größter Salbung mit den Worten geschlossen: „Nun, so erfülle denn der Herr Eure Herzen mit Heringen und Eure Netze mit Gnaden. Amen! “ —

Die Schabe, die wir nun passieren müssen, um von Wittow nach der Halbinsel Jasmund zu gelangen, erinnert lebhaft an die frische Nahrung bei Danzig, nur, dass sich hier eher ein Ende absehen lässt. Auf Jasmund angelangt, passieren wir das Schloss Spyker, welches außer dem, dass es vom schwedischen General Wrangel 1650 erbaut wurde, nichts sonderlich Merkwürdiges hat. In dem nahegelegenen Bobbin war früher, im Besitz des alten würdigen, freundlichen Pastors Francke, eine sehr hübsche Sammlung rügischer Altertümer, die hauptsächlichste Ausbeute aller in den hiesigen Hünengräbern stattgefundenen Nachgrabungen. Leider ist sie dem Vaterlande nicht erhalten worden, sondern ein reicher Engländer hat sie, wie man sagt, für eine Handvoll „Lausegold“ mitgenommen. Einige Entschädigung bietet uns hierfür freilich der Gastwirt Schepeler in Sagard, der mit der Eigenschaft eines äußerst fleißigen Sammlers und Konservators auch die wünschenswerteste Beredsamkeit und Lehrfähigkeit für jeden Altertumsbegierigen verbindet. Wir müssen aber für jetzt eilen, nach Stubbenkammer zu kommen, und haben nur noch just so viel Zeit den Totenfeldern bei Quoltitz, dieser fast unübersehbaren Masse von heidnischen Gräbern, einige Aufmerksamkeit zu schenken. Ganz Rügen ist zwar mit solchen Heiden- und Heldengräbern fast wie übersät, meist aber erheben sie sich nur einzeln in der Gestalt einer Glocke, was ein Zeichen ist, dass hier nur die Asche einer Leiche in einer Urne beigesetzt wurde. Anders ist es aber mit den großen Begräbnissstätten, wie hier bei Quoltitz, bei Krakow, bei Ralswiek, Lancken u. s. w. Hier ruhen Tausende bei einander unter ungeheueren Felsblöcken, die, Gott weiß durch welche ungeheuere Hebekraft, hier über- und nebeneinander gewälzt wurden. Hier zu sprengen und nachzugraben möchte wohl eine kostspielige, aber sicher reichlich lohnende Arbeit sein, für die aber leider hier noch wenig Sinn vorhanden ist.

Wir nahen uns jetzt dem herrlichen mächtigen Buchenforst, der die Stubbenitz genannt ist. Rufen wir uns die alten tausendjährigen Sagen vom Herthadienst, der hier mit seinen grausigen Opfern stattgefunden haben soll, mit den Worten des Tacitus recht lebhaft ins Gedächtnis, dann gehört wahrlich nur wenig Phantasie und durchaus kein wie heute den Buchenforst durchsausender Abendwind dazu, um uns recht feierlich, ja schauerlich zu stimmen. Tacitus sagt: „Auf einer Insel des Ozeans gibt es einen heiligen keuschen Hain, und es ist nur den Priestern gestattet, den darin stehenden heiligen Wagen zu berühren, welcher mit einem Gewande bedeckt ist. Wenn dieser Priester die Gegenwart der Göttin im Heiligtume wahrnimmt und darauf ihrem von Kühen gezogenen Wagen nachfolgt, dann gibt es frohe Tage und Feste an den Orten, die ihrer Gegenwart geweiht sind. Kein Krieg wird geführt, keine Waffe erhoben, alle Eisenwehr ist verwahrt; nur dann sind Friede und Ruhe bekannt und geliebt, bis eben der Priester die Göttin, satt vom Umgange mit Sterblichen, dem Tempel wiedergibt; dann werden Wagen und Gewänder, ja die Gottheit selbst, wenn man dies glauben will, in einem verborgenen See abgewaschen und derselbe See verschlingt die Sklaven (Sklavinnen), welche diesen Dienst verrichtet haben.“

Treten wir nun zunächst zu dieser von Tacitus beschriebenen Stelle, zu der sogenannten Herthaburg und dem Herthasee. Die Herthaburg, ein halbringförmiger, etwa 100 Fuß hoher, außen und innen dicht mit Buchen bestandener Erdwall, war, was man auch von der Herthasage halten mag, unstreitig eine alte Tempelwehr und ist unverkennbar ein Werk von Menschenhand. Man kann sich beim Anblick dieser schauerlichen und doch schönen Schlucht inmitten dieser Opferruine, in der Nähe dieses ewig ruhigen, schwarzen und unermesslich tiefen, so zirkelrund und zierlich von Buchen eingefassten Sees kaum des Gedankens erwehren: dass hier der Ort sei, wo einst, gleichviel wie und wann, im Dienste des Aberglaubens von Priesterhand Verbrechen und Betrug aller Art verübt wurden.

Düster, still und schaurig bist du, Herthasee,
Stimmst mich ernst und traurig, wenn ich zu dir geh‘.

Ruhe, wie im Grabe, teilst du ringsum mit,
Selbst der keckste Knabe naht mit leisem Schritt.

Selbst geschwätz’ge Frauen ehren deine Ruh,
Flüstern, wie mit Grauen, leise, leis’ sich zu.

Hoch von düstern Bäumen engumschlossen rund,
Zeigst nur Himmelsräumen du den schwarzen Grund.

Ew’ge Totenstille nimmer von dir wich,
Weder Frosch noch Grille wagt zu regen sich.

Keine Fische tanzen auf der glatten Flut,
Keine Wasserpflanzen strahlen Farbenglut.

Alles schwarzumdüstert, alles schmerzverstumm!
Selbst kein Rohrhalm flüstert und kein Käfer summt.

Keine Welle spület an des Ufers Rand,
Und kein Lufthauch kühlet mir der Wangen Brand.

See! du machst mich grauen, See, du bist ein Grab!
Ja, die schönsten Frauen schlangst du einst hinab!

Drum, weil du verschlungen solche Poesie,
Drum ist dir verklungen jede Melodie!

So muss man der schauerlichen Empfindungen hier in der Tat durch eine etwas gewaltsame Wendung Herr zu werden suchen. Es ist Abend geworden und wir ersteigen den höchsten Punkt der Herthaburg, um hier von einer hübschen Ruhebank aus die Sonne bei Arkona ins Meer sinken zu sehen. Ach! wie oft ist hier zugleich mit der Sonne ins Meer eine Träne der Rührung aus schönen Augen zur Erde gesunken! Wie oft ist, Dank dir, o Gott! mir einzelnem Sterblichen schon diese schönste Anschauung deiner Schöpfung zu Teil geworden! Doch‚ es wird kalt, eilen wir zum Schweizerhäuschen zu gelangen, um morgen früh von der Höhe des Königsstuhles, vom Gipfel der Rügenschen Schönheiten, das herrliche Schauspiel eines Sonnenaufgangs zu genießen. Herr Behrendt, der Wirt, nimmt seine Gäste freundlich auf und weiß sie nach guter Bewirtung noch sehr angenehm zu überraschen. Nach eingenommenem Abendessen ersuchte er uns, ob wir nicht noch ein bisschen auf den Königsstuhl gehen wollten? „Mein Gott, was sollen wir da?“ war unsere Antwort. „Es steht ja weder Mond noch Stern am Himmel, und wir riskieren Hals und Beine zu brechen.“ „Das hat nichts zu sagen, meine Herren,“ erwiderte er, „folgen Sie mir nur,“ und somit schritt er mit einer Laterne voraus. Auf dem Königsstuhle angelangt, sahen wir eigentlich nichts, als die stockfinstere Nacht und den Herrn Behrendt mit seiner Laterne. „Sehen Sie gefälligst dort hinüber, meine Herren, und gedulden Sie sich nur noch einen Augenblick!“ Damit klatschte er in die Hände und uns gerade gegenüber, jenseits einer mächtigen tiefen Schlucht, ergoss sich von der halbsenkrechten Kreidewand plötzlich ein ungeheuerer Feuerstrom, der die Schlucht, den Wald, die weißen Kreidewände, den Meeresstrand, unsere nächste Umgebung, kurzum Alles, in eine so wunderbar schöne überraschende Beleuchtung setzte, dass es rein unmöglich ist, durch Worte den Eindruck zu schildern, welchen dieses Zauberstück auf uns machte. Es war, als ob ein Lavastrom des Vesuvs sich plötzlich nach Stubbenkammer verirrt habe. Ein lautes Bravo schallte weithin durch die Nacht, und wir begaben uns nun auf die andere Höhe, jenseits der Schlucht, um hier den natürlichen Grund dieser zauberähnlichen Erscheinung zu erforschen. Herr Behrendt hatte durch einen seiner Knechte am Abhange der Schlucht ein großes Quantum Holz zu Kohlen brennen und dann plötzlich die ganze Glut die halbsenkrechte Kreidewand hinabgleiten lassen. Rein Fremder, der Stubbenkammer besucht, möge sich dies überaus schöne Schauspiel entgehen lassen.

Am andern Morgen ward uns nach erquickendem Schlafe der schönste klarste Sonnenaufgang zu Teil, der hier, der Seenebel wegen, sehr zu den Seltenheiten gehört. O, lieber Leser! hier wär’s nun wohl an der Zeit zu zeigen, ob ich’s auch wohl verstände: einen Sonnenaufgang gehörig mit O! und Ach! zu schildern. Ich will aufrichtig sein und ehrlich bekennen, dass ich das nicht verstehe, und dass ich der Ansicht bin, dass Alles, was Menschen in dieser Hinsicht bisher geliefert haben, Pfuschwerk ist und jämmerlich zu Schanden wird, sobald der liebe Herrgott nur mit einer seiner goldenen und silbernen Lettern am Himmel erscheint. Sieh, lieber Leser, du stehst hier neben mir auf dem Königsstuhl, auf der 500 Fuß hohen steilen Kreidewand. Vor uns liegt das tiefblaue unendliche Meer, an dessen scheinbarem Rande unser Herrgott sein Schöpferauge aufschlägt und die Welt mit Licht erfüllt. Du und ich, und alles Gewürm der Erde, ist zu schwach, diesen Lichtglanz zu ertragen und dem Herrn fest ins Auge zu sehen, und wir sollten uns anmaßen wollen, diesen Sonnenaufgang, dies Erwachen des Herrn, gleich einem Bühnenschauspiel, mit elendem‚ abgenutztem Wortkram zu beschreiben? Nein! kommet, schauet, betet an und gehet schweigend von dannen! — Möge hier ein kleines Gedicht seinen Platz finden, das ich als Knabe beim ersten Besuche Rügens auf dem Königsstuhle niederschrieb.

Wenn du hier bist der Königsstuhl, bin ich der König jetzt,
Denn, wer nicht blind ist, wird ja sehn, dass ich mich drauf gesetzt.
Und wer nicht blind ist, wird auch sehn: dass alle Majestät
Dir, großer Gott im Himmelsthron, nicht an die Ferse geht.

Der Du in Deiner hohlen Hand das Meer, die Schöpfung trägst,
Und mit dem König einst den Wurm als sein Ernährer pflegst;
O Herr, vor Deiner Majestät fühlt sich mein Lied so schwach,
Für Deine Größe hab‘ ich nichts, nichts als ein leises: Ach!

Nachdem wir zum Strand hinab gestiegen und von hier die imposante Massenhaftigkeit und kühne Formbildung der mit grünen Buchen gekrönten Kreidefelsen bewundert haben, verlassen wir Stubbenkammer und haben nun die Wahl, falls Wind und Wetter günstig sind, zu Wasser die Fahrt an den malerischen Wischower Klinken vorbei nach Saßnitz oder zu Lande über das herrliche Hoch-Selow durch die Prora und über den Schanzenberg nach der Granitz und nach Putbus, dem lieblichsten aller Seebäder, zu gelangen.

Wer durch die Prora wandert, steig’ links den Berg hinan,
Wo seinem Blick sich bietet, was Niemand malen kann.
Dann schreit’ er breiten Weges nach Rügens Fürstenpark,
Und ist’ kein Eldorado, so ist’s doch auch kein Quark.
Bedenkt: vor 30 Jahren war alles Hirschrevier,
Jetzt jagt schon in Palästen der König Pharo hier.
Doch wissen dies die Hirsche dem Fürsten herzlich Dank,
Sie stehn jetzt an der Krippe,*) die Jäger an der Bank.
Es schlug seit tausend Jahren das Meer hier Wellen schon,
Doch warm darin zu baden, das ward erst später Ton.
Jetzt strömt in Marmorwannen des Meeres salz’ge Flut,
Und manchem gelben Leibe tat der Kontrast schon gut.
Sonst standen hohe Eichen, wo Pavillons jetzt stehn,
Jetzt könnt Ihr, wenn Ihr Kenner, auch ins Theater gehn. —
Doch, Freunde, Scherz bei Seite, mein Putbus ist ein Ort,
Der seines Gleichen suchet, das glaubet mir aufs Wort.
Ich habe Deutschlands Bäder nun allesamt geschaut,
Und preis‘ vor den Gepries’nen das Ungepries’ne laut.
Ich preis’ es dem Zufried’nen mit sich und mit der Welt,
Auch dem, der um des Klanges durchs Fenster wirft sein Geld.
Sie finden beide Wege für ihres Herzens Bub,
Doch nur der Erst’ gewinnet, der Zweite der setzt zu.
Schaut: rechts die weißen Häuser und links das frische Grün,
Mir lacht das Herz im Leibe, darf ich durch Putbus ziehn.
Hier lässt sich Wohlstand schauen und Prellerei ist fern,
Das zeugt für brave Bürger und für den braven Herrn.

*) Im fürstlichen Tiergarten.

Putbus macht einen außerordentlich freundlichen Eindruck. Nehmen wir unser Absteigequartier im Hotel de Bellevue, bei Herrn Kagelmacher, so haben wir, zum Fenster hinausschauend, ein Panorama vor uns, das schon oft mit dem Meerbusen von Sorrent verglichen worden ist, und, in der Tat, die Aussicht hier über den Rügenschen Bodden, mit der lieblichen Insel Vilm und den pittoresken Ufern Mönchguts ist ergreifend schön, jedoch sehr schwer in ein Bild zu bringen, weshalb wir auch davon abstehen mussten, durch diese Ansicht unser Werk zu bereichern. Putbus ist unbedingt der lieblichste Erholungs-Badeort, der in ganz Norddeutschland zu finden ist. Unser Gasthof liegt am Zirkus, einem hübschen, mit englischen Gartenanlagen gezierten Platze. Das größte der ihn umgebenden Gebäude ist das Königliche Pädagogium, das sehr besucht und als eine vorzügliche Bildungsanstalt für junge Leute gepriesen wird. Auch das Schauspielhaus und das große Logierhaus sind bemerkenswert, doch ist im Ganzen die Bauart mehr oberflächlich elegant, als wirklich schön und solide. Erstens fehlt es hier an gutem Baumaterial, und zweitens sieht man fast allen Gebäuden an, dass sie mit einer gewissen, billigen, Schöpferhast ins Leben gerufen wurden. Die Krone des Ganzen ist aber der herrliche Park, einer der schönsten in Deutschland, und hier gibt sich der edle Geschmack des Fürsten höchst überraschend kund. Alles ist hier hübsch und sinnig angelegt, und das Meer begünstigt alle Schöpfungen und Pflanzungen auf das erfreulichste. Saftiger und frischer, als hier, ist der hierher verpflanzte englische Rasen auch in seiner Heimat nicht zu schauen. Das imposante Schloss des Fürsten Putbus hat eine reizende Lage und haben wir es des hübschen Vordergrundes wegen vorgezogen, auf unserm Bilde eine hintere Ansicht von demselben zu geben. Das Innere des Schlosses ist höchst elegant und bedauern wir wegen Mangels an Raum keine ausführlichere Beschreibung der darin sehenswerten Kunstschätze, Bilder und Kuriositäten geben zu können. Die übrigen im Park malerisch zerstreuten Gewächs- und Treibhäuser, Pferdeställe, die Reitbahn, der große Speisesalon und der Pavillon, in welchem Fortuna ihr Unwesen am Roulett und Pharotische treibt, sind hübsche, leichte, ihrem Zweck entsprechende Gebäude. Schade, dass Putbus, ungeachtet seiner großen Anmut, von Jahr zu Jahr weniger als Badeort besucht wird. Vielleicht würde der Ort sehr rasch in Aufnahme kommen, wenn der Preussische Hof ihn hin und wieder mit seinem Besuche beehren würde, was schon lange vergeblich der Wunsch seiner Bewohner war. Putbus ist reich an den herrlichsten lohnenden Ausflügen zu Lande und zu Wasser. Der Vilm, die Granitz mit ihrem herrlichen neuen Jagdschlosse, der Rugard bei Bergen und das durch seine charaktervollen Bewohner so merkwürdige Mönchgut bieten Partien dar, eine immer schöner als die andere. Glücklich der Mann, der jährlich nur 4 Wochen in Putbus und seiner Umgebung zubringen dürfte! Wir machen zu Segelboot rasch einen Abstecher nach Mönchgut.

Die ländlich hübsche Weidenallee, die uns nach dem eleganten, im antiken Styl erbauten Badehause führt, führt uns zugleich nach dem Hafen von Lauterbach, wo eine kräftige Mönchguter Lotsengestalt im segelfertigen Boot bereits auf uns wartet. Der Wind ist günstig, die Luft klar und die Aussicht nach allen Seiten hin entzückend. Wir landen und haben nun als reizende Aussichtspunkte das Thiessower Höft, die Höhe bei Groß-Zicker und das Vorgebirge Peerd zu besuchen. Hier zeigt sich das buntzerfetzte Inselland Rügen in seinen abenteuerlichsten Umrissen, hier sind der Erdzungen, Buchten und Haken so viele, dass das Auge Mühe hat den Zusammenhang herauszufinden. Mehr aber noch, als dies eigentümlich schöne Naturbild, verdient das hier lebende Völkchen die Aufmerksamkeit des Fremden. Groß, kräftig, breitschulterig, dunkelhaarig und von charakteristischer Gesichtsbildung haben die Mönchguter sich Sprache, Sitten, Kleidung und Gebräuche Jahrhunderte durch unverändert bewahrt und es kommt fast nicht vor, dass ein Mönchguter sein Grab anderswo als auf Mönnichgaud oder in der weiten See findet. Sie sind nur Lotsen und Fischer. Ackerbau, Weberei und alle übrige Handtierung ist Sache der Weiber. Gibt’s nichts zu lotsen und zu fischen, gibt’s keinen Seehund zu jagen, so liegt der Mönchguter auf dem Bauche, schaut in die See und raucht seine Pfeife. Den Soldatenrock hasst er wie die Hölle, und er verstümmelt sich freventlich, um nur nicht Soldat zu werden. Er heiratet nur eine Mönnichgauderin, und die Weiber haben sich hier sehr weise in diesem Punkte emanzipiert. Sie haben nämlich das Recht, so bald sie ein Erbe (d. h. im Allgemeinen Geld) besitzen, sich ihren Mann selbst zu wählen. Dies heißt Freijagd oder: „na Enem utstellen“ (nach Einem ausstellen). Solch ein heiratslustiges Mädchen pflegte früher ihre Schürze vor die Türe zu hängen. Auf dieses Zeichen zogen dann die jungen Bursche der Reihe nach vorüber und das Mädchen stand lauschend hinter der Türe. War der, den sie still im Herzen trug, dabei, so sprang sie hervor und zog ihn in ihr Haus; war er nicht dabei, so ging sie, wie noch heut’ so manches gute Mädchen, in ihre Kammer und weinte.

Mädel! wirst zwanzig alt! Mädel ’s ist Zeit!
Peter kehrt nicht so bald, dass er dich freit!
Häng’ deine Schürz’ vor’s Haus, such dir’n Andern aus,
Mädel ’s ist Zeit!

Mädel hängt Schürz’ vor’s Haus, Mutter’s so will,
Hochzeit mit Tanz und Schmaus, Mädel bleibt still,
Hochzeitstag übers Jahr legt man sie auf die Bahr,
Mutters so will!

Die Kleidung der Mönchguter ist bei beiden Geschlechtern fast durchgängig schwarz und stets rot gefüttert. Die Männer tragen einen breitkrempigen Hut, eine weite Jacke von selbstgewebtem Zeuge, dazu gewöhnlich zwei paar Beinkleider und über diese noch eine weite leinene Fischerhose, die wie ein Schurz um die Beine flattert. Die Kleidung der Weiber ist höchst abenteuerlich und mit Worten schwer zu versinnlichen. Auf dem Kopfe tragen sie, fast wie die Tyrolerinnen im Inntal, eine hohe kegelförmige Mütze, zu der 2 Ellen Rasch und ein Pfund Wolle nötig ist. Ehefrauen und Jungfrauen unterscheiden sich durch Bänder an der Mütze. Das Kleid ist stets schwarz, .und nur der seltsame Busenlatz erhält je nach den verschiedenen Feierlichkeiten eine Verzierung von Rot, Gold oder Silber. Auffallend sind bei diesem hochstämmigen, naturkräftig hochgesinnten Völkchen die außerordentlich niedrigen Wohnstuben, Dünsen genannt. Oft können die riesigen Bewohner kaum aufrecht darin stehen und hieraus und aus dem Leben in den meist sehr niedrigen Schiffsräumen ist hauptsächlich der gebückte Gang der Mönchguter zu erklären. Über Sellin und durch den schon erwähnten herrlichen Granitzer Forst, in dem Kieküber ein besonders lohnender Punkt, treten wir nun zu Lande die Reise nach Bergen oder eigentlich nach dem Rugard an. Denn Bergen ist ein Städtchen, ländlich und offen wie Tausend andere, aber der Rugard ist der Hochaltar von Rügen, ist der Punkt, von dem man nach gemachter Rundreise durch das Inselland alle die tausend Halbinseln, Landengen und Buchten nochmals überschaut und in Gedanken durchschweift. Aber, lieber Leser, denke Dir keinen Rigi, keinen Brocken! Eine breite Allee führt Dich von Bergen unmerklich und durchaus nicht ermüdend den Berg, der eigentlich nur ein Burgwall ist, hinauf und Du stehst hoch genug, um zu Deinen Füßen das ganze buntzerrissene Land, das Du durchpilgert, die breite See, den pommerschen Sund mit den Städten Stralsund, Greifswald, Wolgast und die Inseln Usedom, Ruden und Oie malerisch und oft in der herrlichsten Beleuchtung liegen zu sehen. Hier stand, der Sage zufolge, einst das alle Residenzschloss der Fürsten von Rügen. Hier warf sich der Dichter Kosegarten oft begeistert nieder und dichtete jene schwungreichen, wenn auch oft bombastischen und hyperbolischen Oden, durch die er das fernere Deutschland zuerst auf die Schönheiten Rügens aufmerksam machte. Hier ist auch Ernst Moritz Arndt als munterer Knabe umhergesprungen, denn er ist auf Rügen zu Schoritz geboren, und hat hier jene kräftige, ans Herz greifende Sprache gelernt, in der er später seine Lieder zum Heile des großen gesamten Vaterlandes sang. Neben dem Rugard ladet noch eine gar lieblich mit Laubwaldung bestandene Höhe, der sogenannte Raddas, zum Spaziergange ein, und wir kehren über denselben in die Stadt zu Herrn Hasper am Markte zurück, um etwas zu essen, denn zu sehen gibt es in Bergen, außer einigen recht hübschen neugierig freundlichen Gesichtern, rein gar nichts. Eilen wir also auf dem geradesten Wege Stralsund zu gewinnen, von wo morgen früh uns ein Dampfschiff nach Doberan und Rostock bringen wird. Das Städtchen Garz, die vormals alte Fürstenburg Carenza, lassen wir links liegen, weil

Wenn durch Garz Ihr reisen wollt,
Garz am Tor Euch bittet:
Dass in Garz Ihr nicht so tollt,
Garz Euch sonst verschüttet.

Garz ist Rügens ält’ste Stadt,
Garz vor Alter zittert.
Garz auch einst ein Pflaster hatt’,
Garz! jetzt ist’s verwittert!!

Garz war ehmals Fürstenburg,
Garz hieß sonst Carenza,
Garz fiel später gänzlich durch,
Garz, ohn’ Influenza.

Garz, du hast kein hübsch Gesicht,
Garz, so finstre Augen,
Garz, drum kannst du zum Gedicht
Gar und ganz nicht taugen.

Wir sind wieder auf der Alten Fähre. Stralsund liegt im Glanz der Abendsonne vor uns, und zwingt uns nochmals zur Anerkennung seiner schönen majestätischen Lage. So verlassen wir das gastlichste und vielleicht auch glücklichste Ländchen der Welt. Auf Rügen geht selten ein Mensch hungrig zu Bette. Wer kein Brot hat, geht zu seinem Pastor und der muss geben, weil er hat, und weil ihm Jeder mathematisch beweisen kann, dass seine Speisekammer immer gut gefüllt ist. Und wenn — was auch passiert — ein Greifswalder Student kein Geld hat, und nur halbwegs Boston spielen, auch zur Not ein Lied singen und einen Walzer tanzen kann, so marschiert er zum ersten besten Pächter, fahrt mit diesem zur Partie zu dem und dem Nachbar, lebt drei, vier, auch sechs und acht Wochen so, bis sein Wirt ihn vierspännig wieder in die Musenstadt fahren lässt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen an der Ostsee