Die frische Nehrung
Nach frohen Stunden, die wir in Pillau in Gesellschaft edler Männer und Frauen verlebt, erfolgte die Trennung. Die meisten der Freunde kehrten nach Königsberg zurück, unser Elbinger Freund ging zu Schiff nach Elbing und der Maler und ich fassten den kühnen Entschluss, den nächsten Weg über die frische Nehrung nach dem stattlichen Danzig einzuschlagen. Öder und trostloser als diese frische Nehrung gibt es wohl keinen Landstrich auf Gottes weiter Erde. Diese Düne, auf welcher oft meilenweit keine Ziege ihr Leben fristen könnte, macht auf den denkenden Menschen einen erschütternden Eindruck. Kein Baum, kein Strauch, kein Schatten, kein Wirtshaus ringsum zu schauen. Nichts hörbar, als das ewige Klagestöhnen der Wogen; nichts sichtbar, als See und Sand; und der Sand so bodenlos, dass der Wanderer, um nicht stecken zu bleiben, sich an den Saum des Meeres flüchten muss, und hier nun weder eines Menschen Spur vor sich findet, noch hinter sich zurück lässt, denn das Meer, das ewig bewegliche und gierige, leckt ihm die liebe Menschenspur unter der Fußsohle weg. Fällt nun noch gar der Schatten des Wanderers ins Meer, so sieht er auch diesen nicht und es kann sich wohl ereignen, dass ihn Gefühle a la Peter Schlemihl beschleichen. Zum Glück für uns hatte der Bernsteinpächter allhier, ein kolossaler alter Mann, der sich Herr Lieutenant nennen ließ, ein Fahrwerk, dessen wir uns für den Preis von sieben Thalern bis Bodenwinkel bedienen durften, allwo wieder Gras- und Menschenwuchs zu gedeihen beginnt. Während angespannt wurde, besahen wir uns die bedeutenden Bernsteinvorräte des Herrn Lieutenants, die hier nach Verschiedenheit des Wertes teils in Schubladen, teils in großen Kornsäcken aufbewahrt wurden. Scherzweise fragte ich den Herrn Lieutenant, ob ich die größeren Bernsteinstücke, die ich heute am Strande finden würde, zum Andenken behalten dürfe? Der alle Mann warf einen schlauen Blick durchs Fenster, und als er sah, dass der Wind landabwärts stand, gab er lächelnd seine Einwilligung. Auf einem mit drei Pferden bespannten Leiterwagen ging’s nun fort, und unser Rosselenker fuhr den Wagen gleich so keck und schief in die See hinein, dass zu unserer Rechten Ross und Rad kaum zur Hälfte zu sehen war, während zu unserer Linken beide kaum vom Wasser berührt wurden. Anfangs sahen‘ wir uns kurios einander an. Indessen anders lässt sich hier mit Fuhrwerk gar nicht durchkommen. Das ewige Stampfen der Rosse im Wasser, das dadurch verursachte Spritzen, das Mahlen der Räder und das monotone Geräusch der dicht hinter uns sich zischend ausstreckenden Meereswellen, dies Alles führt eine Art von Betäubung und Schlafsucht herbei, die gewöhnlich nur durch ein lebhaftes Gespräch bemeistert werden kann. Wir sollten jedoch noch anderweitige Unterhaltung finden. Der Wind war nämlich unbemerkt nordöstlich geworden und vermöge meines scharfen Auges gewahrte ich auf dem sonst spiegelglatten Strandsaum, oft hunderte von Schritten vorweg, kleine bräunlich schimmernde Anhöhen, die ich stets für Bernstein, unser Rosselenker aber immer lächelnd für sogenannte Flottborke hielt, bis ich vom Wagen gesprungen war und ihm den köstlichen Bernstein unter die Nase gehalten hatte. Als ich nun aber immer öfter vom Wagen sprang und die vermeintliche Flottborke zu immer größeren Bernsteinstücken wurde, da übermannte den getreuen Knecht doch die Liebe für das Wohl seines Herrn, und mit den Worten: „Ne! bei dieser Fuhre tut der Herr Lieutenant kein gut Geschäft machen,“ sprang er mit vom Wagen, suchte früher zum Ziele zu kommen und da ihm dies nie gelang, gab er sich nicht eher zufrieden, als bis ich ihm den ganzen Fund bis auf ein Stück, das sich trefflich zur Zigarrenspitze eignete, eingehändigt und ihn seiner braven Gesinnung wegen verdientermaßen belobt hatte. Als aber diese köstliche Unterhaltung vorbei war, seufzten wir abwechselnd über den qualvoll öden Strand. Hier und in der Mark müsste der Mensch am leichtesten Philologie studieren und nebenbei melancholisch werden können. Traurige Schiffstrümmer und hin und wieder ein Rudel kleiner schnellfüßiger Strandläufer waren die einzige Staffage der immer trostloser sich ausdehnenden, hier und dort zur Befestigung mühsam mit Strandhaber bepflanzten Sanddünen. Und dennoch haben talentvolle Maler, wie Friedrich u. A.‚ auch solche Gegenden zu ergreifenden Bildern zu benutzen gewusst. Wir hatten wölfischen Hunger bekommen und freuten uns kindisch, als wir eine Hütte sahen. Unser Kutscher belehrte uns aber schmerzlich, dass das nur ein menschenleeres, nunmehr überflüssiges Grenzhaus zwischen Ost- und Westpreußen sei und erbot sich, sein Butterbrot zur vorläufigen Beschwichtigung des Hungers mit uns zu teilen. Darauf wieder ein Haus und wieder kein Wirtshaus, keine Menschenwohnung, sondern nur eine leere Wachbude und endlich, endlich nur ein armer barmherziger Krug, in welchem nur noch ein Bund geräucherter Flundern und ein kleiner Rest Brot vorrätig war. Über das versandete Dorf Schmergrube hinweg und durch einen hier außerordentlich wohltuenden duftigen Kiefernwald hindurch, erreichten wir mit einem recht herzlichen „Gott sei Dank!“ Bodenwinkel, wo wir bei braven, vielgewiegten Seeleuten, die sichtlich im Wohlstande lebten, ein gutes Abendbrot und treffliches Nachtlager fanden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen an der Ostsee