Danzig

Wie Königsberg in intellektueller Hinsicht die erste und achtbarste der preußischen Ostseestädte ist, so steht das alte stattliche Danzig in historischer und architektonischer, in malerischer und romantischer Bedeutung durchaus voran, und was seinen Handel betrifft, so ist Danzig noch jetzt der erste Getreide-Markt der Welt, namentlich hinsichtlich seiner Weizen-Ausfuhr, und im Allgemeinen hat ihm erst in ganz neuester Zeit das mächtig aufblühende Stettin den Rang der ersten preußischen See- und Handelsstadt streitig gemacht. Als Festung ist Danzig die bedeutendste der Ostsee und überhaupt eine der größten und wichtigsten Europas. Unter allen Städten Norddeutschlands, selbst Kassel und Dresden nur teilweise ausgenommen, hat Danzig die schönste Lage und Umgebung; es hat unter allen deutschen Städten, mit Ausnahme Nürnbergs und einiger rheinischer Städte, das originellste, am schärfsten ausgeprägte Gesicht und in keiner Stadt vergegenwärtigen uns die Gebäude so verständlich die Geschichte und den Geschmack ihrer Zeit, wie dies Danzig tut, denn seine Straßen sind nur Lapidarzeilen, die das Aufblühen und den Verfall der Hansa kurz und bündig berichten. Dies Alles mit der höchst interessanten schnellwechselnden Geschichte Danzigs zusammengefasst, bietet des Stoffes so ungeheuer viel, dass ich fast verzagen und das aushelfende Beispiel Gustav Schwabs befolgen möchte, indem er in der Wanderung durch Schwaben sagt: „von Stuttgart erwarte der Leser hier keine ausführliche Beschreibung. Für dieses Bedürfnis haben gelehrte und populäre Werke zur Genüge gesorgt; aus ihnen auch nur das Allerwesentlichste auf einige Seiten zusammendrängen zu wollen, wäre ein vergebliches Unterfangen.“ Diese Worte finden auf Danzig buchstäbliche Anwendung. Wer sich genau über diese Stadt belehren will, nehme die gelehrten Werke von Gralath, Curicke, Ranisch, Duisburg und die populären Schriften von Johann Hasentödter (die Danziger Reimchronik), von Löschin‚ H. Döring und A. Schopenhauer zur Hand. Ich meines Teils kann und darf mich durch sie von dem mir selbst vorgezeichneten Wege nicht ableiten lassen, wenn ich überhaupt die schwere Aufgabe lösen soll, auf 7—8 Druckbogen ein Bild der Ostseelande von Königsberg bis Kiel zu entwerfen.

Danzig liegt imponierend und anmutig zugleich mit seinen hohen lichtgrünen Wällen, nicht, wie gewöhnlich geschrieben steht‚ an der Weichsel, sondern an der Mottlau und Radaune. Erstere fließt mitten durch die Stadt, teilt sich in der Stadt in zwei gleich wasserreiche Arme, die sich noch in der Stadt wieder vereinen, dadurch die Speicherinsel bilden und so zugleich der Stadt das malerischste Ansehen durch das regeste Seeleben und den bunten Mastenwald verleihen, der hier überall über und durch die pittoresken Häusergruppen der Stadt hervorragt. Im Westen schließen beträchtliche Höhen die Stadt ein, die, wie der Bischofs- und Hagelsberg, den bedeutendsten Teil der Festung ausmachen, und im Norden, Osten und Süden ist Danzig von üppigen Wiesen und fruchtbaren Niederungen umgeben. Den schönsten Überblick über die Stadt hat man, entfernter, von den sogenannten „drei Schweinsköpfen“, näher, von einer Höhe nordwestlich vom Bischofsberge‚ von wo unsere Ansicht von Danzig aufgenommen ist. Die Ausdehnung der Stadt ist sehr bedeutend und schwierig in ein Bild, geschweige denn in einen handgroßen Stahlstich zu bringen. Es ist daher rein unmöglich, dass das Bild auch nur entfernt die Schönheit der Lage Danzigs ahnen lassen kann. Der Blick über die turmreiche Stadt und die hinter ihr glänzend strömende Weichsel hinweg in die unendliche, von Schiffen und Dampfbooten belebte See hinaus, ist über alle Beschreibung schön. Und wer vermöchte vollends ein Bild von dem terrestrischen Phänomen des furchtbaren See-Dünen-Durchbruchs zu geben, den die Weichsel bei erschwertem Eisgange, in der Nacht vom 31. Januar zum 1. Februar 1840, bei Neufähr bewerkstelligt hat und bei dessen Regulierung und Eingrenzung wir noch jetzt unzählige Menschen beschäftigt fanden? Nirgends fühlt sich die menschliche Kraft und Kunst ohnmächtiger, als vor der Majestät der empörten Elemente.

Danzig liegt paradiesisch in einem Garten. Die Stadt ist mit ihrer reizenden Umgebung lange nicht so berühmt, als sie es verdient, und lohnt weit besser als das Samland und fast so gut als die Insel Rügen eine weite Reise aus dem flachen Pommern oder der sandigen Mark. Findet sich hier auch keine so groteskromantische Partie wie Stubbenkammer, so ist hier dagegen gar viel Schönes und Unerwartetes, was Rügen nicht hat, und Danzig selbst hat noch von jeher die Reisenden aller Nationen höchst angenehm angesprochen. Danzigs Umgebung vereinigt Reize und Naturschönheiten, wie man sie sonst nirgends in Deutschland vereinigt findet. Es verschmilzt hier das Großartige der Meeresanschauung und des Seelebens auf eine überaus wohltuende Weise mit belebten Strömen, bewaldeten Höhen, lieblichen Tälern, Landseen und Dorfschaften, in welchen stilles, romantisches Fischer- und Landleben mit Hammerwerken und lautem rührigen Fabriktreiben wechselt, so dass man, je nachdem man auf einem der Höhenpunkte das Auge weidet, bald im Samlande, bald auf Rügen, bald in Thüringen, bald im Harze oder in den Ausgangstälern des Schwarzwaldes zu sein glaubt. Am besten überzeugt man sich von der Wahrheit dieser Behauptung auf dem hohen Carlsberge bei Oliva, wenn man auf der einen Seite das unendliche Meer, auf der andern das überaus romantische Freudental und Schwabental vor sich liegen hat, aus welchen das helle Glockengeläut der Herden, vereinigt mit dem dumpfen Getöse der Hammer- und Mühlenwerke, melodisch herauftönt. Wer dies zu schauen und zu hören, und dabei engherzige undeutsche Gesinnungen zu hegen vermag, der gehe auf die frische Nehrung, weine eine Träne über sich, und warte dort, fern von aller menschlichen Gesellschaft, ab, bis sie zu Bernstein wird geworden sein. Alexander von Humboldt hat irgendwo Danzig das zweite Neapel genannt. Jedenfalls kann der kühne Ausspruch dieser Autorität die Einladung zum Besuche Danzigs nur verstärken.


Bevor wir uns nun zur Beschauung der Stadt anschicken, werfen wir einen Blick auf die Geschichte Danzigs. Der Name Danzig, lateinisch Gedanum, polnisch Gdansk, kommt schon im 10ten Jahrhundert urkundlich, der Sage nach freilich schon vor Christi Geburt, vor. Der heilige Adalbert soll schon 997 hier in Gidania, als in einem bedeutenden Orte, viele Heiden getauft haben. Im Jahr 1209 ward die Stadt von Waldemar II. von Dänemark erobert; 1223 wurden jedoch die Dänen wieder von den Pommern unter Svantepolk III. vertrieben, und etwa ums Jahr 1245 trat Danzig in den Hansabund, in welchem es als dritte Stadt eine bedeutende Rolle spielte. An Brandenburg 1271 einmal verpfändet, fiel sie 1275 wieder an Pommern zurück, geriet 1309 unter die Herrschaft des deutschen Ordens, und nun begann eine bewegte Zeit. Die Stadt nahm tapfer Teil an den Fehden des Ordens, brachte große Opfer, welche aber von Seiten des Ordens mit Undank, mit Verrat und Mord gelohnt wurden. Heinrich Reuss von Planen hatte als Komtur der Stadt Danzig sich schmähliche Bedrückungen erlaubt, denen die Bürgermeister der Stadt, Conrad Letzkau und Arnold Hecht an der Spitze, sich mutig widersetzten. Da ließ sie der Komtur am Palmsonntage 1411 zum Mittagsmahle laden und schändlich ermorden. Drauf hatte Danzig von 1416 bis 1426 der Drangsale viele zu bestehen. Volksaufruhr, Überschwemmungen, furchtbare Kälte, alles versengende Hitze, Hungersnot und eine daraus entstehende, über 50.000 Opfer verschlingende Pest folgten nach einander. Des Bündnisses mit dem deutschen Orden überdrüssig, welches der Stadt 1431 neue Verheerungen in ihrem Gebiet durch den Polenkönig Jagello, und 1433 eine Hussitenbelagerung unter Czepsko zugezogen hatte, sagte sich Danzig 1454 vom Orden los, und begab sich, mit Vorbehalt seiner Privilegien und fast vollständig republikanischer Verfassung, unter den Schutz Polens, auf dessen Thron damals Casimir III. saß. Nunmehr mächtig emporblühend, hatte es wieder mit neuen Bürgerunruhen unter Martin Kogge und Gregor Matern zu kämpfen und manche Angriffe des Ordens, der sich der Stadt wieder bemeistern wollte, zurückzuschlagen. Dann begannen 1526 die Reformationshändel, die erst 1556 für die Protestanten günstig endeten. Unter Polens Schutz aber blieb Danzig, unzähliger Streitigkeiten und Belagerungen ungeachtet (namentlich unter Stephan Bathory, den es als König nicht anerkennen wollte), 340 Jahre lang in freiester Verfassung. In die Kriege Polens gegen Schweden mitverflochten, hatte Danzig abermals 1626 unter Gustav Adolph und 1703 und 1704 unter Karl XII. harte Belagerungen, Brandschatzungen, Plünderungen und Verheerungen seines Gebiets und zwischendurch wieder viele innere Unruhen, wie z. B. die Strauch’schen Religionshändel, zu bestehen. Als dann die Stadt 1734 den verfolgten Stanislaus Lecszinsky in Schutz nahm, musste sie sich nach ruhmvollster Gegenwehr, durch Hunger gezwungen und halb eingeäschert, den Russen ergeben. Der Handel Danzigs aber, der zur See hauptsächlich in der Mitte des 16ten, zu Lande, d. h. zu Strom hauptsächlich in der Mitte des 17ten Jahrhunderts seinen höchsten Glanzpunkt erreicht hatte, sank hauptsächlich im siebenjährigen Kriege und erhielt den Todesstoß 1772 bei der ersten Teilung Polens. Die Stadt verlor Vorstädte und Hafen, und somit ihren ganzen Wohlstand an Preußen, und Friedrich der Große wusste nun der Zölle und Chikanen so viele, dass der Stadt nach der zweiten Teilung Polens 1793 nichts anderes übrig blieb, als sich völlig dem Preußischen Szepter zu unterwerfen. Dies geschah den 4. April 1793, aber nicht ohne langes blutiges Widerstreben der Bevölkerung, der die alte, wenn auch etwas bocksbeutelige republikanische Verfassung teuer geworden war, und nicht ohne Vorbehalt einiger wesentlicher Privilegien. Als romantisch ist der Aufstand bemerkenswert, den der Gymnasiast Bartholdy am Grünendonnerstage des Jahres 1797 gegen die Preußische Regierung nicht ohne Eclat und Pistolenschüsse versuchte. Danzigs Handel nahm unter Preußens Szepter für kurze Zeit bis zum Jahr 1806 und 1807 einen glänzenden Aufschwung; dann aber begannen für die oft geprüfte Stadt die fürchterlichsten Drangsale durch französische Blockaden, durch Einäscherung der Vorstädte und fruchtlose Gegenwehr. Die Stadt musste sich am 27. Mai 1807 dem Marschall Lefévre ergeben, und welche empörenden Bedrückungen sie von nun an sieben Jahre lang unter Rapps Gouvernement zu dulden hatte, ist weltbekannt, und keine Feder ist im Stande, die hier verübten Gräuel treu genug vors Auge zu führen. Erst am 2. Januar 1814 schlug für Danzig die Erlösungsstunde und es gewann nun Zeit über die Zerrüttung seines Wohlstandes, seines Handels und über seine Kriegsschuldenlast, die fast 40 Millionen Gulden betrug, traurige Betrachtungen anzustellen.

Wandern wir nun durch eines der schönen Tore in die Stadt und wählen wir zu unserm Eintritt das schönste, das hohe Tor, welches mit Löwen und Wappen prächtig geschmückt unter vielen Inschriften auch die Worte trägt:

Justitia et pietas regno-
rum omnium fundamentum‚

von welchen scherzweise behauptet wird, dass der gemeine Mann, der hier leider sehr der Unmäßigkeit ergeben ist, nur die zweite Zeile zu lesen wisse und sie dahin übersetze: dass Rum die Hauptsache im Leben sei. Alle Bemühungen der hier wie in Königsberg üppig wuchernden fromm scheinenden Gesellschaften haben hiergegen bis jetzt wenig gefruchtet. Begeben wir uns dann zunächst in den besten Gasthof, ins Englische Haus in der Brodbänkengasse, wo wir neben guter Bewirtung eine an sich merkwürdige Bauart und Hauseinrichtung, und daneben kunstreiche Täfelungen, teils gute, teils kuriose Gemälde, Wandschränke und Raritäten aller Art finden. Von hier haben wir nur noch wenige Schritte bis zu der sich längs der Mottlau hinziehenden langen Brücke und wir stehen im Mittel- und Glanzpunkte Danzigs und seines Volkslebens. Hier gleiten Flöße, Boote und Segel aller Art auf und ab; hier werden Schiffe, unter jodelnden Gesängen in allen Sprachen, gelöscht und befrachtet; und auf den Schiffen und der Speicherinsel gibt sich das Treiben aller seefahrenden Nationen in seiner ganzen eigentümlichen Kraft und Rohheit kund. Hier ist, was besonders bemerkenswert, die enge Wasserstraße, durch welche England fast zwei Drittel seines ungeheuren Weizen-Bedarfs bezieht, und für Getreide, Holz und Wolle musste es in den letzten Jahren fast all sein gemünztes Gold nach dem Kontinent, und zunächst nach den Ostseehäfen schicken. Wer von Danzigs Getreide-Ausfuhr sich einen übersichtlichen Begriff verschaffen will, der muss im Frühjahr die Weizenhaufen sehen, die vor der Stadt längs der Weichsel unter Gottes freiem Himmel aufgeschüttet liegen, wenn zur Speicherung weder Zeit noch Raum vorhanden ist. Es sind natürlich sichere Leute zu Wächtern bestellt, die bei Regenwetter geteerte Segel über das Getreide breiten müssen.— Das Volksleben ist aber besonders rege und interessant am Krantor und Höckertor, wo zu alldem Gewühl, Gejodel und Gekreisch der teerigen Rotjacken noch die großartigen Zungenschlachten der Weiber kommen. Berlin ist, wie in manchem, so auch im Schimpfen groß; hier aber wird es übertroffen. Hier sollten Schriftsteller wie Glasbrenner, Lenz und Lyser ihre Studien machen. Hier gibt es Stoff zu Genre- und Guckkastenbildern. Hier sind blaue Nasen, heisere Stimmen, haarige Fäuste und symmetrischgeflickte Hosen, wie sie Berlin seit dem Tode seines letzten Eckenstehers nicht mehr aufweisen kann. Wer aber Maler ist, oder sonst Schlägereien mit und ohne obligate Messerstiche liebt, der muss an die Schiffswerft am Kielgraben gehen; schöner findet er sie nur auf dem Hamburger Berge. Hier sind auch wie dort Boutiquen, deren Inneres dem Pinsel wie der Feder widerstrebt. Und doch muss man den Matrosen in diesen Boutiquen sehen. Er steigt oder taumelt nach halbjähriger beschwerlicher Reise ans Land. In den Taschen seiner teerigen Jacke oder in ein Taschentuch gebunden trägt er den ungeheueren Schatz seines ersparten Monatsgeldes, oft 70 bis 80 Thaler. Schon jetzt lauern auf ihn die rotgetünchten Töchter der Lust. Aber sie kirren vergebens. Seine Begierde ist groß, doch seine Eitelkeit ist noch größer. Er will fäschen erscheinen. Sein erster Gang ist zum Tuchhändler oder Trödler. Er kleidet sich fein vom Scheitel bis zur Sohle. In der hübschen blauen Jacke mit blanken Knöpfen, und entsprechenden Beinkleidern, mit dem schief aufs Ohr gedrückten blanken Hut, der baumelnden Uhrkette und dem leicht um den Hals geworfenen seidenen Tüchlein geht er nun, wohin? in die Boutiqen. Hier ist er selig, wird er angebetet. Jeder kann trinken was er will, er bezahlt Alles und wirft zum Beweise dessen eine Handvoll Geld ungezählt auf den Tisch. Er ist ein Gott, — so lang er Geld hat. Ist der Beutel aber leer und steht er nach des Wirts Behauptung schon an der Tafel, so wird sein Grog immer dünner, sein Mädchen immer kälter, sein Wirt immer gröber; er fängt Händel mit ihm an, zieht sein Messer, wird überwältigt, und auf die Straße geworfen. Nun taumelt er wieder zum Trödler, verkauft Kleider und Uhr, wenn ihm letztere nicht inzwischen gestohlen oder vom Boutiquen-Wirt zurück behalten ist für ein Spottgeld; erlustiret sich noch einmal, das heißt: er tanzt, er säuft, er spielt, fängt Schlägerei an, wird wieder hinausgeworfen und geht dann in der alten bequemen Teerjacke wieder wohlgemut an Bord, isst heute Grütze‚ morgen Erbsen, alle drei Tage gesalzenes Fleisch, und liest gewissenhaft jeden Morgen und Abend ein Kapitel aus der Bibel, oder lernt einen der Gesänge auswendig, die seine alte Mutter daheim ihm mit einem wollenen Faden gezeichnet hat. Entarteter als der Danziger Matrose und Lazzaroni kann der Mensch, zumal der deutsch redende, schwerlich gedacht werden, und wehe dem Fremden, der am Hafen oder an der Mole spazierend, sich durch die Pechfaust eines solchen Kerls verdutzen lässt, wenn er ein ungebührliches Begehren stellt. Die Frechheit und Raufsucht dieser Menschen kennt gar keine Grenzen.

Nach der Runde durch die Speicherinsel gehen wir über die grüne Brücke durch das grüne Tor und gelangen auf den höchst imposanten langen Markt, der den Glanzpunkt der architektonischen Merkwürdigkeit Danzigs bildet. Gleich rechts zeichnet sich unter hohen Giebelhäusern durch eine schöne gotische, mit Statuen reichverzierte Fassade und drei mächtig hohe und breite Bogenfenster der berühmte Artushof aus. Die herrliche, besonders im Innern sehenswerte Marienkirche ragt mit ihren einfachen Türmen über den Artushof aus dem Hintergrunde hervor, und das rechtstädtische Rathaus vollendet mit seinem zwar sehr bunten, doch auch edel und schön geformten reichvergoldeten Turme die malerische Ansicht dieses, auch mit einem kunstreichen Neptunbrunnen geschmückten, originellen Marktplatzes. Diese Ansicht war aber schon so oft von tüchtigen Künstlern gezeichnet, vervielfältigt und sogar schon sehr künstlich in Kork geschnitten worden, dass wir es vorzogen, etwas Neues zu liefern und die schwierige Zeichnung der Langgasse, mit dem Rathausturme in seiner ganzen Schönheit im Hintergrunde, zu unternehmen, welche das beiliegende Bild darstellt. Diese Langgasse, die vornehmste und frequenteste Straße der ganzen Stadt, vergegenwärtigt uns am treuesten und schönsten den bunten Charakter Danzigs. Hier, wie fast überall, hohe, schmale, oft nur ein Fenster breite Häuser, die alle komplett wie Glasschränke aussehen, in denen oft recht hübsche lebendige, schäkrige Wesen zu schauen sind. Hier, wie fast überall, enge Passage, meist unter grünen Bäumen, die teils die Straße, teils die oft prächtigen, mit Sphinxen und Löwen verzierten, nach Laune und Willkür oft weit vorspringenden, Beischläge beschatten, auf welchen vielleicht schon oft ein reicher Handelsherr lustwandelnd sein Morgenpfeifchen rauchte, während im Gewühle des Markttages vor seiner Tür die Wagen aneinander fuhren, und Menschen und Vieh beschädigten. Die Regierung hat diesen Übelstand erkannt und durch den berühmten Schinkel in Erwägung ziehen lassen. Den alten Häusern können und dürfen die Beischläge nicht genommen werden, indessen bei allen Neubauten müssen sie unterbleiben. Breite Straßen, eigentliche Märkte und freie Plätze sind außer dem Langenmarkt und Kohlmarkt, an welchem das Theater liegt, gar nicht vorhanden. Die sogenannten Märkte führen ihre Namen nach dem, was auf ihnen feil geboten wird, ebenso sind fast alle Straßen nach den Handel- und Gewerbetreibenden genannt, die früher fast ausschließlich darin wohnten und zum Teil zur großen Bequemlichkeit der Käufer noch jetzt dort beisammen anzutreffen sind. Das Innere des historisch höchst interessanten Artushofes, der früher nur zu sang- und klangreichen Trinkgelagen benutzt wurde und jetzt zu einer prosaischen Kornbörse herabgesunken ist, liefert nach meiner Ansicht einen Beleg mehr für die Prahlsucht und Geschmacklosigkeit der reichen Handelsherrn der Vorzeit, so oft es sich um Kunstsachen handelte. Sie kauften nicht was schön, sondern was selten und teuer war. Barockeres Zeug von Bildern und Skulpturen steht nirgends als hier im Artushofe beisammen, und dies gerade macht die Aufsuchung dessen, was wahren Kunstwert hat, interessant. Aufs Einzelne können wir uns leider hier nicht einlassen. Manches‚ was hier aufbewahrt wird, verdient nur deshalb Berücksichtigung, weil es von Danziger Meistern herrührt. Ölbilder, wie Diana im Bade von Actäon überrascht, dem zur Strafe dafür bereits ein veritables Hirschgeweih von 24 Enden aus dem Kopf gewachsen ist, hängen hier hart neben Christus- und Madonnenbildern. Wer diese Behauptungen bewährt und sich zugleich überrascht sehen will, der sehe das jüngste Gericht von Anton Möller (1603) und umarme nachher, ohne etwas übel zu nehmen, den ungeheuern Kachelofen, der rechts in der Ecke des Saales steht, während die dicke weiße Marmorstatue Augusts III. gegenüber die linke einnimmt. Der Bau des Artushofes soll 1370 begonnen und 1379 vollendet worden sein. Der Saal ist hoch und schön, eine von vier Granitsäulen getragene herrliche kühle Trink- und Jubelhalle, wie die Alten sich denn überhaupt auf dergleichen meisterhaft verstanden, und kann ich nicht umhin, beim Anblicke der Schenktische hier an die Rinne des steinernen Schenktisches im großen Remter zu Marienburg zu erinnern, die den beim Schenken überfließenden- Wein wieder in den Keller zurückleiten musste. Man denke, wie die Alten gepichelt haben müssen, dass es sich solcher kostspieligen Anstalten verlohnen konnte. Wer sich nun auch überzeugen will, dass die Danziger bis heute noch als ehr- und freiheitsliebende Bürger, die ihrer Väter wert, den Wein zu schätzen wissen, der tue wie wir, und steige, wenn er den krebsroten Livreen des Artushofes ein Trinkgeld gegeben hat, links in den Ratskeller hinab, der an Höhe und Ausdehnung der Gewölbe sich zwar lange nicht mit dem Stralsunder, Bremer und Lübecker Ratskeller messen kann, dessen geistiger Gehalt aber, der hier, wie überall, den Ausschlag gibt, vortreffliche Weine umfasst.

In unsrer guten Väter Hallen
Lass Jedermann sich's Wohlgefallen!

lauten hier die Begrüßungsworte über dem Flaschenkeller‚ aus welchem ein muskulöser Lübecker jedem Durstigen reichlich und mit beiden Händen spendet. Ich liebe diese Lübecker. In allen größeren Weinlagern an der Ostsee findet man fast nur die markigen Söhne dieser ältesten Hansestadt, die das Amt des Küpers und Ganymedes verwalten, und es ist, als ob die Bordeauxweine, die man hier am besten und meisten trinkt, nur aus einer so kunstverständigen Lübecker Hand gedeihlich fließen und munden wollten. Und weil wir nun einmal vom Weine reden, so muss ich noch einer äußerst behaglichen Weinstube, der sogenannten Wolfsschlucht erwähnen, die sich dicht neben dem höchst sehenswerten alten Zeughause in der Joppengasse befindet. In dieser Schlucht nun, wo so leicht hinein und so schwer herauszufinden ist, wollen wir den Leser beim guten Wein und fidelen Wirt seinem Schicksal überlassen. Hier mag er durch das große Fenster in den käfigartigen Hof schauen und den Adler mit dem Fuchs bedeutungsvolle Blicke wechseln sehen; hier mag er die Tapeten und die kunstreiche Täfelung betrachten, große Krebse essen und nebenbei nachdenken, ob es klüger sei, Dr. Gotthilf Löschins zwanzig Bogen starke Beschreibung von Danzig bei Samuel Gerhard in der Langgasse zu kaufen, oder abzuwarten, ob Gott nicht sonst noch hilft und vielleicht einen Freund sendet, der Geduld genug besitzt, mit ihm alle Straßen und Gebäude Danzigs zu durchlaufen und ihm ihre Höhe und Breite, ihr Alter und ihre Erbauer genau anzugeben. Uns fehlt nicht die Geduld und nicht der gute Wille, sondern nur der Raum hierzu. Die Beschauung der St. Marienkirche mit ihren Gemälden, Kunstwerken und Kuriositäten kann nicht genug empfohlen werden. Das Gewölbe ist herrlich. Leider aber ist das ganze Innere des schönen Gebäudes durch allerlei Chöre und Ankleckse an den Pfeilern, sowie durch Tausende von klapprigen Kirchenstühlen verunziert. Im Kirchenstuhl des hochweisen Rats befindet sich sogar ein komfortabler Kachelofen, als Beweis, dass der Magistrat von Danzig sein Prädikat nicht mit Unrecht führt. Wer’s glauben mag, dem sei erzählt, dass in diesem Kirchenstuhl einst Peter der Große, im Incognito eines vornehmen Herrn, an der Seite des regierenden Bürgermeisters die Predigt anhörte. Als der Klingelbeutel sich aus der Ferne vernehmen lässt, greift der Bürgermeister in die Tasche und legt einen Ducaten vor sich hin. Peter langt zwei hervor. Der Bürgermeister, eifersüchtig, drei. Peter sechse. So steigern sie sich bis ans Ende ihrer Barschaft. Da naht sich der Klingelbeutel natürlich zuerst Sr. Magnifizenz, dem regierenden Bürgermeister von Danzig. Er wirft den ganzen Goldhaufen hinein. Peter aber opfert mit spitzen Fingern einen Ducaten und steckt alles Übrige wieder in die Tasche.— Gläubigen Gemütes aber wird man, wenn das junge Mädchen, die hier die Führerin macht, das zu Stein gewordene Brot zeigt, oder uns bei den Bildern und Schnitzwerken die Namen van Eyck und Michael Angelo genannt werden. Im Hause des Glaubens gilt kein Widerspruch. Sehenswert sind auch noch die Catharinen- und Johanniskirche, das schon erwähnte alte Zeughaus, das schöne neue Gymnasium, die Ratsbibliothek und das Schauspielhaus.

Danzigs Bewohner, obgleich ihrer Hauptbedeutung nach Kaufleute, die sonst nicht eben die eifrigsten Freunde der Künste und Wissenschaften zu sein pflegen, haben sich in dieser Beziehung in neuester Zeit vorteilhaft ausgezeichnet. Danzig hat zwei Gymnasien, viele liberal geöffnete zum Teil ausgezeichnete Bibliotheken, mehrere Münz- und Naturalien - Kabinette, Sternwarten; eine Gemälde-Sammlung in der Handels-Akademie, einige kleine hübsche Privatgalerien, sowie auch verschiedene Vereine zur Beförderung der Wissenschaften und Gewerbe. Erst im Jahr 1836 hat sich ein sehr tätiger Kunstverein aufgetan; es existiert eine besondere Gesellschaft zur Unterstützung talentvoller Jünglinge und daneben eine Unzahl von teils sehr bedeutenden Stipendien für unbemittelte Studenten. Freischulen, Hospitäler und Stiftungen aller Art sind in Menge vorhanden und ist dies sehr erklärlich, wenn man bedenkt, dass die Stadt jährlich fast 300.000 Thaler Einkünfte hat, ein Territorium von 15 1/2 Quadrat-Meilen besitzt und somit größer und bedeutender ist, als manches souveräne deutsche Fürsten- oder Herzogtum.

Zum Gebiete der Stadt gehört die Höhe, der äußerst fruchtbare Danziger Werder, der waldige, wildreiche, bessere Teil der frischen Nehrung und die freilich sehr unfruchtbare Halbinsel Hela mit dem gleichnamigen Fischerstädtchen, das durch seinen hohen schönen Leuchtturm bekannt ist. Danzig hat manche tüchtige Talente in die Welt gesetzt und sind bemerkenswert: der Astronom Johann Hevelius, der Arzt Oelhafius, der Geograph Cluver, der Physiker Fahrenheit, der Historiker Uphagen und die Künstler Chodowiecki, Schlüter, Möller und Ranisch. Auch der Stifter der Schlesischen Dichterschule Martin Opitz war in Danzig geboren. Und welch ein gesunder deutscher Sinn sich hier erhalten hat, das ist besonders schön bei der am 25. Juli 1840 stattgefundenen Gutenbergsfeier ans Licht getreten, die vielleicht eine der würdigsten in Deutschland war. Im Verlage des hiesigen sehr tätigen Buchhändlers Gerhard erscheinen drei Tagesblätter, eine still verbreitete religiöse Wochenschrift, eine wenig gelesene politische Zeitung auf sehr schönem Papier und das weit verbreitete Dampfboot, redigiert von Dr. Lasker, eines der besten Provinzialblätter unserer Zeit.

Zur Rundreise durch die heitern herrlichen Umgebungen der Stadt bieten sich dem Fremden viel bequeme und billige Gelegenheiten zu Wasser und zu Lande dar, und wollen wir Jedem so freundliche liebe Begleitung wünschen, als uns zu Teil wurde. Da man das Schönste immer bis zuletzt lassen soll, so machten wir zuerst die Fahrt auf der Schute nach der niedlichen kleinen Festung Weichselmünde, die schon 1379 zuerst als hölzernes Blockhaus gegründet ward und von deren Turm man eine schöne Aussicht über den Ausfluss der Weichsel und das mastenreiche Schifferstädtchen Neufahrwasser hinweg ins Meer genießt. Neufahrwasser bietet wieder interessante, meist nur zu grelle Bilder des Matrosenlebens dar. Von hier ist der Spaziergang nach den sehenswerten Riesenbauten der Steinmolen äußerst lohnend und überraschend. Eine zweite sehr hübsche Partie führt über Alt-Schottland und Ohra, allwo eine sehenswerte Kirche sich befindet, nach dem höchst romantisch gelegenen Dorfe Kahlbude, 2 Meilen von Danzig. Hier sind kleine Wasserfälle, rauschen Mühlen und Hammerwerke, und man glaubt sich plötzlich in den Harz oder nach Thüringen versetzt. Auf dem Rückwege durch die Gemüsegärten ist die Aussicht von den drei Schweinsköpfen sehr zu empfehlen. Ein dritter allerliebster Spaziergang führt über den Stolzenberg durch Schiddelkau nach Ottomin. Die Gegend macht hier durch die Lieblichkeit des von waldigen Hügeln umgebenen Sees, in dem sich eine reizende kleine schattige Insel befindet, den Eindruck eines der großartigsten englischen Parks. Wer aber rüstiger Fußgänger ist, der lasse sich die paar Meilen nicht verdrießen und wandere durch herrliche duftige Waldungen, an lachenden Seen vorüber, nach dem jetzt aufgehobenen Karthäuserkloster Marienparadies. Dies Kloster, schon 1370 von dem pommerellischen Fürsten Mestvin II. gegründet, liegt 640 Fuß hoch über der Meeresfläche und wer sich die Wolken als Alpen im Hintergrund hinzuzudenken vermag, der befindet sich hier wahrhaft in der Schweiz. Wie oft aber werden in der Schweiz Wolken für Alpen und Alpen für Wolken angesehen! Die kundigsten Führer verfallen häufig in diesen Irrtum. Die bei weitem schönste und reichste Tour aber, die der Fremde sich jedoch selten bis zuletzt aufspart, ist die nach Oliva. Durch eine herrliche Doppelallee, von dickbelaubten holländischen Linden, kommen wir zuerst nach Langenfuhr, von wo zwei Wege nach zwei gleich schönen Punkten, nach Königstal und Heiligenbrunn und nach dem Johannisberge führen. In Königstal und Heiligenbrunn wähnen wir uns in eine der lieblichsten Gegenden Frankens oder der Pfalz versetzt, wir vermissen nur die, in der Idee so höchst poetische, Nähe des Weinstocks‚ der in der Ferne und in Massen gesehen, bekanntlich kein sonderlich malerischer Schmuck für die Berge ist. Die Aussicht vom Johannisberge ist entzückend, wird von Vielen für die schönste um Danzig gehalten, und ist jedenfalls die weiteste und mannigfaltigste. Der Blick überstreift hier unzählige Ortschaften, verfolgt in weiter Strecke die dem Meere zuströmende schiffbeladene Weichsel, umfasst die Häfen von Danzig, Weichselmünde und Neufahrwasser und gewährt ein außerordentlich frisches und lebendiges Bild. Um die hiesigen geschmackvollen Anlagen hat sich der im Jahr 1809 verstorbene Kaufmann Labes verdient gemacht. Herrliche Waldpartien bietet das nahgelegene
Jäschkental, und in dem terrassenförmigen Fromm’schen Garten, wie auch in dem mitten im Walde gelegenen Schröderschen Etablissement findet man immer gute Gesellschaft. Von Langenfuhr führt der Weg, fortwährend an freundlichen Häusern vorüber, durch Hoch- und Leg-Striess nach dem Kloster Oliva.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderungen an der Ostsee