Das landwirtschaftliche Fest zu Starnberg

Und nun will ich euch auch wissen lassen, dass ich jetzt noch etwas beschreiben muss, das sich schon im Jahre 1861 zugetragen hat, nämlich das landwirtschaftliche Fest zu Starenberg. Landwirtschaftliche Feste veralten aber nicht so bald und es ist daher noch immer Zeit, jenen Tagen, welche, wenn der Himmel günstiger gewesen, so herrlich hätten werden können, ein geringes und vergängliches Denkmal zu setzen.

Landwirtschaftliche Feste sind im ökonomischen Gebiete, was die feierlichen Sitzungen der Akademie oder die Jahrtage der Universität im geistigen. Wie hier die Gelehrten und Weisen, die Zierden der Nation, in ihres Ruhmes Höhe schwelgen, so werden dort die Runkelrübenbauern und die Schweinezüchter, der Stolz des Landgerichts, mit Ehren überhäuft. Während hier das literarische Fett, so das Volk im letzten Jahn angesetzt und durch merkwürdige Schriften bezeugt hat, ans Licht des Tages tritt, so treten dort die Stiere, die Ochsen, die Kühe nach ihrem Talg- und Fleischgehalt als Festobjekte auf und erregen in ihrem Kreise die gleiche Sensation. Hier setzen die feinen Geister die schönsten Preise aus für die Beantwortung der Frage, wie sich die göttliche Voraussicht mit der menschlichen Freiheit vertrage; dort suchen die dicksten Wirte und andre wohlgenährte Patrioten durch lockende Prämien auf die Erzeugung ausgezeichneten Saatleins oder die Einführung des Ochsengespanns beim Ökonomiebetrieb *) zu wirken. Wie hier die literarischen Rohprodukte ins Auge gefaßt und der wissenschaftlichen Kritik unterzogen werden, so dort hauptsächlich Kartoffel, Raps, Zichorien und andere Erzeugnisse des vaterländischen Bodens. Weil aber die Bauern in der Regel mehr Interesse für derlei materielle Bestrebungen zeigen, als die Städter für die geistigen, so trifft sich's auch, dass jene sich bei landwirtschaftlichen Festen viel zahlreicher einfinden als diese an den Ehrentagen, wo der Cultus des Genius begangen werden soll.


Unsre landwirtschaftlichen Feste sind zwar nur eine sehr verkleinerte Ausgabe der großen olympischen Oktoberwoche zu München, allein sobald eine schöne Lage des Ortes, ein beliebter Bezirksvorstand, ein werktätiger, erfindungsreicher Festausschuss (wie dies alles in Starenberg der Fall war) hinzutritt, so können sie, wenn auch nicht so glanzvoll und so wirkungsreich, doch eben so anregend und heiter werden, als jene berühmten Vorbilder der Hauptstadt. Die Einrichtung ist jetzt etwa zehn Jahre alt und findet allenthalben freundliches Entgegenkommen. Es werden jährlich z. B. im Lande Oberbayern an wechselnden Orten vier oder fünf solcher Feste gefeiert. Ein sehr gediegenes und trefflich ausgestattetes ging im Jahre 1858 auch an den Bewohnern des Landgerichts Wolfratshausen vorüber, und ist dasselbe zierlich und geistreich von Paul Heyse in seiner frischen Idylle „der Walchensee“ geschildert worden.

*) Die Landwirtschaft in Bayern. München, 1860. S. 97.

Wenn ich nun aber von Starenberg [Starnberg] reden soll, so finde ich, dass es zu bekannt ist, um viele Worte darüber zu verlieren. Wir, die wir durch Geburt oder Wahl zu dem einzigen Volk der Münchner gehören, wir können mit entsagender Wehmut sprechen: Es ist noch unser — aber wir wissen nicht, wie lange es noch dauern wird! Wenn man nämlich die Städte und Flecken am Gebirge, vielmehr die Sommerfrischörter betrachtet, so zeigt sich, dass deren schon viele an andere Nationen übergegangen sind. Reichenhall gehört der Welt im Allgemeinen, Tölz und Partenkirchen sind preußisch geworden, andre kleinere Orte sind von andern kleineren Stämmen, den Hannoveranern, Mecklenburgern, Sachsen eingenommen, Tegernsee ist paritätisch, bayerisch, den Münchnern alleinig untertan sind nur noch Starnberg und Miesbach. Da ist die Gesellschaft zwar noch ungemischt, nur aus vaterländischen Bestandteilen zusammengesetzt, aber man weiß schon, was ich davon halte. Neben einem Norddeutschen, zumal wenn er Land und Leute studieren will, können wir einen halben Tag lang sitzen, ehe er uns anredet; der Münchner fragt aber beim ersten Blick schon unwillkürlich: Wie kommen Sie daher? oder: Was gibt's Neues in der Stadt? — auf welch' letztere Frage ich aber die Neuesten Nachrichten anzupreisen pflege, welche in der Regel viel besser unterrichtet sind als ich. Auch haben diese neugierigen Mitbürger sämtlich so bekannte Gesichter und die Lieben, denen wir in der Stadt das ganze Jahr hindurch mit allen Listen auszuweichen streben, die laufen einem hier ganz warm wie eine neugebackene Semmel und freundlich wie ein Gartenhäschen in die Hände, freuen sich ungeheuer uns zu sehen, gehen gleich mit spazieren wohin man will und erörtern mit gereizter Teilnahme, warum, wie im letzten Regierungsblatt zu lesen, der Aktuar Mayer von Schöllkrippen nicht nach Immenstadt, wo doch seine Schwester an den Grenzkontrolleur verheiratet, sondern nach Mitterfels versetzt worden sei, wo er gar niemand kennt.

Nach diesen Morgenunterhaltungen stürzt die hungrige Menge zu Pellet und nimmt beim Mittagessen das Beste ein, was der fruchtbare Landgerichtsbezirk zu bieten hat — Alles recht gut und fleißig gekocht, da aber kein andrer Gasthofbesitzer aufkommen und einen kleinen Wetteifer an den Tag legen kann, so drängt sich, wenn die süße Pflicht der Selbsterhaltung ruft, die ganze gebildete Welt um den gastlichen Herd, und man erinnert sich auch hier wieder an das unvergleichliche München, nämlich an ein Künstlerfest oder sonstiges Spezialvergnügen in der Menterschweige, wo selbst die leeren Krüge ohne Ausdauer und Heldenmut nicht zu gewinnen sind. Die Dichter haben zwar in allen Nöten die Hausmittelchen ihrer Phantasie bereit, und als ich einmal bei Pellet unter den Bäumen saß und wegen langsamer Bedienung grämlich zu werden drohte, vertraute mir ein lieber Freund und bekannter Poet, der neben mir kauerte, im Stillen an, er denke sich so eben in ein Schloß am mittelländischen Meere, wo die Pinien und die Orangen wachsen, in ein Schloß, wenn auch nicht größer als ein Schweizerhäuschen, unten mit einem guten Keller, in der Mitte mit einer angenehmen Frau, oben mit einer herrlichen Aussicht nach den goldenen Wellen, welche sich im feurigen Abendrot an fernen Eilanden brechen — und dieses Bild aus der Ferne, meinte er, ersetze ihm jetzt alles, was ihm in der Nähe abgehe. Nun fühle ich zwar auch zuweilen eine poetische Ader schlagen, aber mir hilft es nichts, wenn ich mich dann als König von Thule in ein Schloß am Meere und beim festlichen Königsmahle denke, während ich in Starnberg drei Viertelstunden lang auf die Suppe warten muss.

Wenn wir unsrer Hypochondrie einen weiteren Lauf lassen wollten, so könnten wir wohl noch mehrere Schattenseiten dieses sonst angenehmen und bequem zu erreichenden Örtchens namhaft machen, aber unser einer als Kind desselben Vaterlandes hat doch eher die Pflicht, für dessen Ehre und Ruhm als für etwas andres zu sorgen. Und freilich (wer wird's leugnen wollen!) es kann schon noch ein schöneres Leben geben als zu Starenberg, aber der höhere Mensch muss doch auch zugestehen, dass in der Frühe, ehe die städtischen Biedermänner mit ihren Schlafmützen an die Fenster trippeln, über dem See und über den blauen Alpen ein erhabener Reiz liegt, der einen mächtigen Eindruck nicht blos bei denen hinterlässt, die dessen zum ersten Male Zeugen sind, sondern auch bei jenen, die an den Gestaden dieser edlen Flut von Jugend auf heimisch waren. Desgleichen sind auch die Abende, wo du vielleicht da oder dort am See unter dem Dach der Linden in die Berge starrst und das Alpenglühen betrachtest oder die spätere Zeit, wo der Mond seine eigenen Spiele mit den glänzenden Wellen treibt, nicht zu vergessen, denn auch diese Stunden lassen ein schönes Gedächtniß zurück. Und überdies muss man sich nicht verheimlichen, dass die ganze Niederlassung eigentlich eine blühende Kolonie ist, dass statt des ehemaligen armen Bauerndörfleins jetzt eine kleine und zierliche Stadt dasteht, welche eine Menge gebildeter und bildungsfähiger Einwohner enthält. Wo so viel für mannigfachen und namentlich nationalökonomischen Fortschritt geschehen ist, da muss sich am Ende selbst das schwermütige, nach Einsamkeit verlangende Herz des Dichters beschwichtigen, wenn er auch in der hohen Pappelallee „mit seiner Tracht unsterblicher Gedanken“ nicht mehr so allein dahinwallen kann, wie weiland vor achtzig Jahren, da Lorenz Westenrieder als erster Tourist die unbekannten Ufer des schönen Wasserbeckens umfuhr; wenn er auch in den kühlen Wellen beim Bade, wo ehemals seine Illusionen keine menschliche Nachbarschaft störte, wo er sich von unsichtbaren Nixen und Elfen umgeben wähnen konnte, plötzlich und in nächster Nähe den nassen, triefenden Kopf eines Theatermaschineriegehilfen, eines Handelsgerichtsdiurnisten oder eines der vornehmsten Hoflakaien auftauchen sieht.

Nun aber genug von solchen Dingen, da wir unser Augenmerk endlich dem Feste zuwenden müssen. Sonntag, den neunten September, des Morgens um fünf Uhr, begann es mit etlichen Aufweckschüssen, lärmend genug, um alle Schläfer ans Fenster zu treiben und sie dort mit Betrübnis ersehen zu lassen, dass die Witterung nicht die rechte geworden. Ein tränenschwerer Himmel, der sich oft ergoss, drückte auf unsere Fröhlichkeit, die sich erst des Abends unter schützendem Dach bei dem Klange deutscher Lieder in voller Blüte entfalten konnte. Ja, an diesem Tage wurde viel Schönes verregnet, auch manche Reden und Toaste, die im Freien erklingen sollten, und andere Spaße, so dass eigentlich nur die Kinder in dem Karussell und die wackern Schützen in dem Schießstand ihr Vergnügen hatten. Die Schönheit des ausgestellten Viehes zu schildern, überlasse ich den Geschichtsschreibern der bayerischen Landwirtschaft, und auch der übrigen Gegenstände, der Blumen und Früchte, zumal der kolossalen Rettiche, will ich nur im Vorbeigehen gedenken. Fröhlicher verlief bei leidlichem Wetter der zweite Tag, welcher ganz und gar dem Seeleben gewidmet war. „Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen!“ Zuerst einmal, wenn wir gleichwohl einen Katalog aufstellen wollen, sind die Männer des Sees zu nennen, die Ichthyophagen [Wissenschaftler der Fischerei] von Ambach, die Renkenfischer von Tutzing, die Hofleute von Berg und von Possenhofen, dann jene, die von Aufkirchens wundertätiger Höhe täglich der herrlichen Rundschau über die blauen Alpen genießen, und die andern, die von Feldafings ragendem Bühel nicht allein in das Gebirge schauen, sondern auch weithin über den funkelnden See. Mit ihnen erschienen die Völker aus dem märchenhaften Tal der Würm, dessen Geheimnisse wir aber jetzt noch nicht enthüllen wollen, und die armen Leute aus dem Bachhauser Filz. Ferner waren die Glücklichen gekommen, die um den heiligen Berg Andechs wohnen dürfen und mit ihnen die Nachbarn, deren Ahnen sich im Schutz des Seefelder Schlosses niedergelassen haben. Von der alten Burg zu Pähl war wenigstens der Kastellan herabgereist, der männiglich bekannte Sepp, Hofrat Hanfstengels landwirtschaftlicher Bruder. Auch die Traubinger hatten sich in stattlichen Haufen eingefunden, diese hervorragende Gemeinde mit ihren guten Sitten und ihrem großen Wollen, so hervorstechend in dem Gau, dass ein angehender Historiker behauptete, sie müßten fast von einem noch edleren Stamme als die übrigen Bojoaren abzuleiten sein, vielleicht von den königlichen Goten oder einem andern halbgöttlichen Urvolke. Von den Pöckingern, Söckingern, Berchtingern, Dreßlingern, Uneringern wollen wir der Kürze halber nur die Namen nennen, aus demselben Grunde auch der Starnberger selbst nur vorübergehend erwähnen, endlich aber gleichwohl noch des schöngezierten und elegant ausgestatteten Kontingents gedenken, welches Münchens bessere und beste Stände an dem Feste teilnehmen ließen — Väter, Mütter, Kinder und deren Wärterinnen in freudig aufgeregter Stimmung — nebenbei auch — last not least — der k. k. österreichische Gesandte zu Pferd.

Für diesen Vormittag war im Programm eine festliche Fahrt nach Possenhofen angesetzt. Wohl an hundert geschmackvoll und kunstreich mit Laub, Blumen und Flaggen gezierte Nachen fanden sich aus allen Dörfern des Sees im Hafen von Starenberg ein, um an dem Zuge teilzunehmen. (Unter den Flaggen zeigten sich manche, die ein tiefes Studium der mittelalterlichen Heraldik verrieten; denn hier ist ja der Sitz des Ritters Karl von Mayer, eines Heraldikers ohne Gleichen, der alle die nötigen Wappen selber angegeben und vorgezeichnet hatte). Den Preis der Schönheit unter den Schiffen erhielt die Schaluppe von Ambach, welche mit allen Emblemen der Fischerei, Netzen, Rudern und Schilfkolben sehr malerisch verkleidet war. Auf ihrem Schnabel ruhte edel hingegossen und reich bekränzt die schöne Fischertochter von dort, mit Mieder und silbernem Geschnür landesüblich aufgeputzt, obwohl sonst einer Amphitrite nicht ganz unähnlich. Auch ein fast lebensgroßer Walisisch erschien und erregte bedeutendes Aufsehen. Gemütlich schlenderte er in dem Hafen hin und her und ließ mitunter hohe Wassergüsse über das Publikum streichen, was allgemeine Heiterkeit erweckte. Ferner sah man auf den ruhigen Flutheu einen ungeheuren Schwan von nie gesehener Größe einherschwimmen, welchen Herr Inspektor von Miller, der Erzgießer, kunstreich geschaffen. Dieses Treiben am Ufer, der heitere, farbenreiche Wirrwarr der Gondeln und der Menschen erinnerte an das Bild, welches Julius Schnorr gemalt, wie der Pabst und der Kaiser in Venedig zusammenkommen.

Endlich setzte sich die Armada in Bewegung, in der Mitte die lange Galeere der Honoratioren und des Festausschusses, zierlichst dekoriert, mit schallender Musik besetzt, auch von vielen Gästen und den Herrn Landgerichtspraktikanten belebt. Es schien ein Tag aus der Zeit des alten kurfürstlichen Bucentauro, wie er vor mehr als hundert Jahren in seiner Pracht dahinftutete und mit seinem Geschütz die Waldgebirge des Ufers wiederhallen machte, umgeben von einem zahlreichen Geschwader anderer Schiffe, begrüßt und bewundert von tausend fröhlichen Menschen. (Auch diese waren jetzt wieder zur Stelle, aber viel freier und gebildeter als damals). Unfern von Possenhofen an einem schattigen Orte ward gelandet, ein Imbiss eingenommen, musiziert, gesungen und eine Stunde den Freuden des Waldlebens geweiht. Des Nachmittags erfolgte ein Segelrennen und nach diesem das von manniglich mit banger Sehnsucht erwartete Fischerstechen. Dieses besteht in folgender Unterhaltung: Zwei Nachen, welche langsam gegen einander rudern, tragen auf dem äußersten Brettchen des Vorderteils je einen Fischer, der eine lange Stange führt und damit fein Gegenüber herabzustechen sucht. Das Ganze ist für. Schwimmer ohne Gefahr, zumal da auch die Spitzen der Stangen durch weiche Knöpfe unschädlich gemacht sind. Es gehört eigentlich zum „Gspiel,“ dass wenigstens einer der beiden Fechter ins Wasser plumpst — ein Vorgang, den natürlich Stadtleute wie Bauern mit dem freudigsten Gelächter begrüßen. Die mit dem buntesten Flitter aufgeputzten Kämpfer kamen indessen den geheimen Wünschen des Publikums nicht gar gern entgegen — vielmehr hielten es die mehreren für anständiger, wenn sie beim Anprall aus dem Gleichgewicht gekommen, in den trockenen Nachen und nicht ins nasse Wasser zu springen. Aber um so größeren Beifall errangen die einzelnen ehrenvollen Ausnahmen, diese wackeren Taucher, die doch allein die Idee des Spiels versinnlichten. Leider bekamen nicht sie, welche doch dem Publikum das meiste Vergnügen gewährt, den ehrenden Preis, sondern vielmehr die bösen Gesellen, welche sie herabgestochen. Auch die Fischerinnung des Sees erhielt am Schluß zur Erinnerung an den heutigen Tag vom Festkomitee eine schöne Fahne geschenkt. Als es Nacht geworden, entzückte uns ein Seemanöver, d. h. ein Feuerwerk, bei dem sich die Schiffe mit Raketen und Leuchtkugeln beschossen, und die vielfarbige magische Beleuchtung des Sees.

Nach dieser kurzen Unterbrechung fiel des andern Tages der Regen wieder in Strömen. Die Festwiese war zum Sumpf geworden, so dass nur noch die Schützen in ihren Wasserstiefeln zu den Schießständen gelangen konnten. Die Volks spiele, die den Nachmittag ausfüllen sollten, waren nicht mehr aufzuführen, und nur die Tanzunterhaltung, die auf den Abend angesetzt war, vermochte diesen Tag noch würdig zu beschließen. Eine traurige Empfindung für das tätige und sinnreiche Festkomitee, an dessen Spitze Herr Assessor von Schab sich allseitige Anerkennung erworben hat, dass die Unbill des Wetters so viel schönes, das mit Mühe und Kosten vorbereitet war, verderben musste.

Obgleich die Bewohner des Landgerichts Starnberg mit denen von Bruck und Dachau sich mehr durch ihre Anhänglichkeit an das königliche Haus als durch die Feinheit ihrer Manieren auszeichnen, so gingen diese Tage, von früh bis in die Nacht, trotz des Gedränges ohne alle Störung vorüber, und die Lieblingsphrase deutscher Festreporter („nicht einen einzigen Betrunkenen haben wir bemerkt“) läßt sich auch hier mit bestem Gewissen anwenden. Was die Gebildeten betrifft, so war es angenehm zu gewahren, dass jene furchtbare Geschwätzigkeit der andern Germanen, welche jetzt allenthalben mit zerstörendem Ungestüm hervorbricht und, wie bei den Juristentagen und andern öffentlichen Versammlungen deutlich zu sehen, in ihrer Unbändigkeit auch die besten Absichten und die nützlichsten Institute zu untergraben droht — angenehm also war die Bemerkung, dass jene maßlose Freude an den eigenen, wenn auch noch so unnützen Worten ihr Kontagium [der bei der Ansteckung durch Krankheitserreger wirksame Stoff] nach Starnberg, wo man mehr für Taten eingenommen ist, noch keineswegs verbreitet hat. Außer den üblichen konstitutionellen Gesundheiten herrschte eine löbliche Ruhe. Rauschende Toaste [Trinksprüche] auf das große deutsche Vaterland wurden wahrscheinlich durch den Blick auf Kurhessen, Hannover, Schleswig-Holstein und unsere täglich wachsende innere Zwietracht schamhaft zurückgedrängt. Doch erscholl am letzten Abend noch Arndts deutsches Lied mit lauter Kraft, und so haben auch wir wenigstens einen Tropfen beigetragen zu jenem Ozean von Gesangeswogen, auf welchem unsere patriotische Empfindung, leider ohne Steuer und Anker, jetzt dahinsegelt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderung im bayrischen Gebirge