Audorf, Falkenstein und der Petersberg

Geschäftige Stadtkinder, die von früh bis spät in der Werkstätte, im Comptoir [Ladentisch], im Bureau hantierten, rechen, schreiben müssen, schwärmen bekanntlich alle für ein „Schweizerhäuschen,“*) vielmehr für ein niedliches Bauernhaus im Alpenstil, voll Ruhe, Frieden und stiller Glückseligkeit. Selbst im Bilde schon betrachten sie voll Sehnsucht das sanfte Dach mit den Drachenköpfen, dessen Schindeln die Felsensteine vor den Stürmen schützen, die weißen Scheiben mit dem schwarzen durchschossenen Mittelpunkt, die an den braunen Wänden hängen, die Gemsenkrückel oder den Steinadler, den Luchskopf, diese friedlichen Trophäen der hochverehrten Jägerei, die Nelken auf dem langen Laubengang, die so lieblich duften, die Bienenstöcke an der Seite, die so behaglich summen, die grünen Läden und die glänzenden Kammerfenster, an denen in warmen Sommernächten die Mädchen sitzen und träumerisch in den Mond gucken. Dass diese rhätischen Bauernhäuser nach Leo von Klenze die Urbilder des tuseanischen Tempels sind, verleiht ihnen für manchen, der sich auf die Schönheiten etruskischer Sprache und Literatur geworfen hat, noch einen besondern Reiz. Sollte man aber glauben, dass jene idyllischen Wohnstätten, die auf den Alpenweiden vielleicht ihr Traumleben schon geführt, ehe noch Romulus sein Rom gegründet — sollte man glauben, dass jetzt auch sie ihrer Wandelung und ihrem allmählichen Untergang entgegengehen?

*) „Schweizerhäuschen“ — ein neu eingeführter Notname für das, was man offiziell ein Haus „im Gebirgsstil“ nennt. Man könnte ebenso gut ein Miesbacherhäuschen, Tirolerhäuschen, Steirerhäuschen sagen, denn dieser Stil ist allen ist allen deutschen Alpenländern gemeinschaftlich und nicht erst von den Schweizern entlehnt.


Diese Frage stellt man sich namentlich zu Audorf, dem anmutigen Örtlein am Inn nicht weit von der Tiroler Grenze, zu Füßen des Auerbergs, auf welchem noch jetzt ein schwarzes Mauertrumm an die ehemals wehrhafte, aber längst zerstörte Grenzfeste erinnert. Vor sechs Jahren ist dieses Dorf zum Teil in Asche gesunken, und da es an Geld und Gut nicht fehlte, so erwarteten die Freunde des Schönen, dass die Häuser, die der Brand vernichtet, in neuer Zierlichkeit, in einem verklärten Alpenstil wieder auferstehen würden. Aber es kam ganz anders — die flachen Dächer wurden aufgegeben und dafür spitze Giebel mit Zementziegeln errichtet, die Vorsprünge der Bedachung zogen sich ins Unscheinbare zurück, die Laube lebt nur als verkümmerte Altane fort, die, wie ein Tränensäckchen, um das verweinte Auge der obern Glastür hängt. So sind die Häuser zum Teil wohl groß und teuer, aber ungeschlacht und geschmacklos geworden. Wer ist daran schuld? Gegen den vorspringenden Wetterschirm soll sich die Obrigkeit ausgesprochen haben; die flachen Schindeldächer sind der Feuersgefahr unterworfen und zahlen höhere Beträge an die Versicherungsanstalt; die langen Laubengänge, welche ehemals, da die Häuser noch meistens aus Holz gebaut wurden, der Zimmermeister umsonst darein zu geben pflegte, gelten jetzt als zu kostspielig und sind an Gasthöfen, sowie an andern Gebäuden, die im Sommer vermietet werden, deswegen nicht beliebt, weil die jeweiligen Einwohner fremde Leute ungern vor ihren Fenstern ans- und abpatrouillieren sehen. Auch sollen sie, sagt man, zu günstige Gelegenheit für Einsteigende, sowohl Liebende als Diebe, gewähren.

In einem andern Dorfe des Gebirges, wo jüngst ebenfalls einige Firste abgebrannt sind, kämpften die Hausväter lange mit einer ästhetischen Obrigkeit, welche das schöne alte Herkommen befürwortete und bestanden auf ganz glatten Wänden mit Ziegeldächern ohne Vorsprung und Galerien, weil dies solider und billiger sei. Traurig, wenn auch diese Poesie erlischt, die uns so untrennbar mit Wald und Alm verwachsen scheint! Aber wie sich der Gesang der Berge in die Städte flüchtet und in ihren Mauern Alpensänger und Quartette aufstehen, wie man sie im Hochlande kaum mehr finden kann, so scheint sich auch der Baustil der Alpen in den Schoß der Bildung retten zu wollen. Unsere Naturfreunde, die sich draußen ein Hüttchen bauen, wählen standhaft die Form der Schweizerhäuschen — die Landleute dagegen greifen nach dem charakterlosen Typus der Stadt!

Übrigens ist Audorf ein hübscher Ort, der in einer sehr schönen Umgebung liegt, so dass sich die Stadtleute schon lange dahin gezogen haben und den Sommer ganz angenehm dort zu verbringen pflegen. Auch einige Gutsbesitzer und Honoratioren sind in der Nähe, welche das Dorf zum Mittelpunkt ihrer Geselligkeit erwählt haben und daselbst im Winter Bälle geben, im ganzen Jahre Theaterstücke aufführen. Liegt mir doch gerade jetzt ein Zettel vor, der mich belehrt, dass am 31. Jänner d. J. von der Gesellschaft Erheiterung Rose und Röschen von Charlotte Birch-Pfeiffer „zum Besten für Schleswig-Holstein“ gegeben wurde. Also, dort auch ein lebendiger Sinn für das deutsche Vaterland und seine Ehre!

Nunmehr aber, nachdem die alten Freunde in Audorf alle besucht sind, geht die Fahrt wieder abwärts nach Fischbach. Dort locken die Trümmer von Falkenstein und die Erinnerung an die alten mächtigen Herren, die einst hier gehaust, wo schon die Römer als au einem der wenigen Aus- und Eingänge des hohen Rhätiens Türme und Kastelle sicherlich nach Bedarf erbaut haben. Davon sind noch einige sehr augenfällig, wie eben der Turm zu Falkenstein und sein Nachbar gegenüber zu Neubeuern; andere sind nur noch in namenlosen Mauertrümmern vorhanden, andere gar in Kirchentürme oder Bauernhäuser verwandelt worden.

Der Aufgang zu dem alten Burgstall ist angenehm, da er durch ein kleines Häufchen freundlicher, reichbeschatteter Häuschen führt, die sich da am Schloßberg nach einander aufgestaffelt haben. Wer allenfalls den alten Turm besteigen will, der wird nur hier „beim Schuster“ den Schlüssel dazu finden.

Das Gebirge erhebt sich übrigens an dieser Stelle in drei sehr sichtbaren Stufen — auf der ersten prangt die mehr erwähnte Beste, auf der zweiten, schon ziemlich hoch, die kleine Matron genannt, steht die alte Kirche von St. Peter, und die dritte ist die große Matron, welche riesenmäßig wie eine abgeschroffte, oben reich belaubte Mauerkrone über die Gegend herrscht.

Gehen wir nun aber näher auf die Ruine zu, so tut sich vorher noch eine finstere Schlucht auf, aus welcher durch das reiche Buschwerk, das den gähnenden Abgrund verkleidet, ein Wasserfall blitzt und heraufrauscht; ein andrer, dessen Autor oder Vater, fällt zur rechten über die Felsenwand der Matron herab.

Das alte, einst prächtige Schloß ist in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ausgebrannt und jetzt nichts weiter übrig, als der Turm und seitwärts davon die Mauern der früheren Burgkapelle. Sonst ist alles mit hohem Gras bewachsen, und wenn man's nicht aus den alten Bildern wüsste, so wäre es sogar schwer zu sagen, wo einst das Wohnhaus der Herrschaft, das eigentliche Schloß gestanden — etiam periere ruinae! Doch ist der ehemalige Garten noch kenntlich, wo die alten verschnittenen und verrenkten Zierbäumchen, schon lange alles Zwanges ledig, jetzt in mächtigen gekrümmten Hochästen wie ungeheure Leuchter gegen Himmel streben.

Der hohe Turm, dessen Erbauung also den Römern zugeschrieben wird, ist mit guten Treppen versehen und daher leicht zu erklimmen. Die Aussicht auf seiner Zinne verlohnt das Aufsteigen reichlich, wird aber hier nicht weiter geschildert, da jene auf dem Petersberg ungefähr dieselbe, aber noch schöner ist.

Der letzte der alten Grafen von Falkenstein, des Namens Siboto (ob der IV., V. oder VI. weiß man nicht genau, da die Genealogen nicht zusammen stimmen), ist am siebenten Weinmonate 1272 von dem Ritter Otto von Brannenburg, seinem Lehensmann, im Bad ermordet worden. Die Güter fielen an die Herzoge von Bayern, welche die Herrschaft Falkenstein nachmals wieder an verschiedene andere Geschlechter verliehen. Einmal, etwa hundert Jahre lang, bis 1645, waren auch die Herren von Hund im Besitz, welche zur Zeit noch in Bayern blühen. Von alten Sagen über die Ruine ist unter dem Landvolk nichts mehr übrig als eine falsche, wenigstens nicht hieher gehörige. Sie erzählen nämlich im Betreff der Burg die uralte Welfensage von den vielen Knäblein, welche die Mutter ins Wasser werfen lassen wollte. Solche Mähr wird auch im Geschlechte der Herren, jetzt Grafen von Hund, als Familiensage überliefert und ist sicherlich mit diesen und eher nicht nach Falkenstein gekommen. Das Volk hat aber die Herren von Hund als Inhaber der Herrschaft schon längst vergessen und erzählt die Geschichte so, als gehöre sie den alten Grafen von Falkenstein an.

Als Landsmann und Verehrer der altbayerischen Literatur trug ich damals auch ein eben erschienenes Büchlein mit mir herum, nämlich die Alten und neuen Geschichten aus Bayern von Hermann Schmid. Oftmals hatte ich es schon herausgezogen, um darin zu lesen und es jedes Mal ganz befriedigt wieder eingeschoben. Als ich nun oben auf dem Turme stand, nahm ich es abermals vor und schlug die Erzählung auf, welche der Verfasser „Falkenstein“ überschrieben hat. Sie war noch unberührt, denn ich hatte sie geflissentlich auf diesen feierlichen Moment gespart. Welch seltenes Glück in unserm Klima, sprach ich zu mir selbst, wenn das Wetter so milde, dass wir auf windstiller Turmspitze ein Dichterwerk lesen können, welches dieselbe alte Ruine, die uns umgibt, und die ganze Gegend belebt und verherrlicht! Nachdem ich dies gesprochen, setzte ich mich zwischen zwei Zinnen hinein und begann zu lesen, während die Hühner im Dörflein unten gackerten und die Meisen in den nächsten Bäumen zirpten und die Fische im fernen Innstrom schweigsam dahinschwammen. Es war diese Stellung zwischen dem schwindligen Mauerwerk zwar nicht die bequemste, aber doch, wie mir dünkte, für mein Vorhaben ungemein geeignet und selbst eine Huldigung für den Dichter. Zunächst schlug ich nun die letzte Seite der Erzählung auf, was ich gewöhnlich tue, da Novellen hinten immer am schönsten sind. „Er starb unvermählt,“ sagt dort der Erzähler, „und mit ihm ging das Geschlecht der Falkensteiner zu Ende.“ Aha, dachte ich mir, er behandelt die Geschichte, wie der letzte Falkensteiner fiel — romantischer Stoff! — Siboto war aber verheiratet und seine Frau hieß Irmengard, wurde auch mit ihm zu Weiern begraben. Nun, wenn sonst alles gelungen, will ich ihm die Frau wohl schenken. „Über Serenens Grabstein“ las ich weiter — — Wer ist diese Serene? Wie kommt dieser moderne Name in die Geschichte der alten Falkensteiner? Was geht hier vor? Welche Ahnung? Doch fangen wir lieber von vorne an. — Dort, am Anfang, fand ich aber, dass an dem Abend, wo die Novelle beginnt, der rötlich goldene Schimmer der untergehenden Sonne auf den Zinnen des Bergschlosses Falkenstein lag, und auf den steinernen Sitzbänken der Je-länger-je-lieber-Laube (Je-länger-je-lieber-Laube klingt etwas schlecht und sollten solche Kakophonien namentlich von altbayerischen Profanschriftstellern sorgfältig vermieden werden, weswegen wir für eine zweite Auflage um die gewöhnliche Jasmin-, oder Geißblattlaube bitten möchten) zwei junge Gestalten saßen. Von diesen war die eine ungemein zierlich; ihr sorgfältig weißgepudertes Haar — Gott, wie wird mir? im dreizehnten Jahrhundert gepuderte Haare? Doch ist diese Gestalt mit dem weißgepuderten Haar noch nicht der rechte, sondern nur der Nabenbuhler desselben. Als Haupthelden stellt uns nämlich der Dichter einen hübschen Jungen namens Willibald vor, vermeintlich eines Bauern Sohn. Er und Serene, das einzige verlassene Töchterlein des verschollenen Grafen Richard von Falkenstein, sie lieben sich. Aber es geht plötzlich ein großes Geheimnis auf, denn Willibald ist nicht derjenige, für welchen er so lange gegolten, sondern heißt eigentlich Engelbert und ist Serenens Bruder. Mit dieser Enthüllung sind alle Freuden aus; er zieht in den spanischen Krieg, kehrt zurück und stirbt, wie wir gelesen, unvermählt im vorigen Jahrhundert, in einem Jahr, welches niemand näher angeben kann; Serene aber entsagt der Welt und geht ins Kloster. „Über ihren Grabstein schreitet, sagt der Dichter, wer das Portal der Kirche auf Frauenchiemsee betritt, doch ist diese Schrift seit der langen Zeit bis zur Unleserlichkeit abgenützt.“ Welche wunderbare Geschichte! Wie? Rief ich, bist du, Siboto der Vierte, Fünfte oder Sechste, bist du denn nicht wie der Monachus Anonymus bei Oesele (Scriptores rerum boicarum) im zweiten Band Seite dreihundertachtunddreißig berichtet, bist du denn nicht schon im dreizehnten Jahrhundert und zwar im Bad erschlagen worden? Bist du nicht der letzte Falkensteiner gewesen? Und Engelbert? Und Serene? Und der unleserliche Grabstein zu Frauenwörth? Welche Rätsel? — Ich war in der seltsamsten Gemütsverfassung, ärgerlich über mich selbst, über verlorene Zeit und Mühe. Was hilft doch all unser Studieren? sagte ich, wir glauben eine Tatsache fest in Händen zu haben, und brauchen nur auf einen Turm steigen und oben bei windstiller Luft eine Novelle zu lesen, und alles quirlt wirre durcheinander, wie die spielenden Mücken an einem schönen Sommerabend. Wie weit ist leider noch hin bis zu einer Verlässigkeit in den vaterländischen Geschichten, wenn die eine Schule den letzten Falkensteiner zu den Zeiten Rudolfs von Habsburg sterben läßt und die andere in den Tagen Maria Theresias. Schwermütig stieg ich wieder die Treppen hinab, doch ungemein neugierig, einen Blick in die geheime Werkstätte des schaffenden Genius zu tun. Ich konnte den Augenblick kaum erwarten, wo ich den Dichter wieder sehen würde, und als ich dann des nächsten Mittwochs bei den „Zwanglosen“ erblickt, fuhr ich ungeduldig auf ihn zu und sagte: Aber Meister Hermann, wisst ihr denn nicht, dass Siboto der Vierte, Fünfte oder Sechste von Falkenstein schon Anno zwölfhundertzweiundsiebzig im Bad erschlagen worden ist? — Nein, erwiderte er, das weiß ich glücklicherweise nicht. — Ja, was Ihr denn für Quellen zu Eurer vortrefflichen Geschichte gehabt? — Ich brauchte keine Quellen, sagte er lächelnd, sondern als ich eines Tages in der Bergruine stand, fühlte ich mich poetisch angeregt — unten auf der Post fragte ich mehrere Honorationen, ob man etwas über die Geschichte des Schlosses wisse — alle aber beteuerten, man wisse gar nichts. So glaubte ich freie Hand zu haben und setzte meine Novelle hinein. — Der Tausend! rief ich, also so kann man auch es auch machen! Und an der ganzen Erzählung ist demnach gar nichts, außer etwa der unleserliche Grabstein zu Frauenchiemsee! — Das ist doch stark! sagte ich kopfschüttelnd, ging einige Schritte zurück und setzte mich auf einen einsamen Stuhl, um mich wieder zu sammeln.

Ober den Burgruinen aber winkte St. Peter, das uralte, vom Tal aus oft mit Liebe betrachtete, gleichwohl bis dahin noch nie besuchte Heiligtum. Es macht allemal einen eigenen Eindruck auf den Reisenden, der vom Flachland auf der Straße oder jetzt auf der Eisenbahn hereinfährt, wenn er so hoch oben über der Welt dicht am blauen Himmel die graue Kirche und daneben den Maibaum und das kleine Priesterhaus erblickt. Wer mag das, denkt der fahrende Beobachter, wer mag das Alles dort hinauf gestellt haben? welcher edle und reiche Büßer, welcher ehrenwerte alte Sünder hat das wohl gegründet? und welcher begeisterte Apostel hat zuerst in jener Halle gepredigt? Wie wenig man aber auf solche Fragen Antwort geben kann, werden wir sogleich erfahren, wenn wir erst den Scheitel erklommen haben.

Der Weg ist etwas steil, doch wechselvoll, obgleich er immer nur an der vordern, zum Teil nackten, zum Teil überwachsenen und waldigen Seite der kleinen Matron hinanführt. Wer rüstig steigt, wird in dreiviertel Stunden nicht mehr weit von der Höhe sein.

Wir erreichten damals diese Stelle, als es schon Abend war. Nur noch eine kurze Weile hatten wir übrig, sie genügte aber, um uns zu überzeugen, dass die Aussicht vom Petersberg ein reiches Lob gar wohl verdiene. Rechts und links stehen hohe Berge, unten breitet sich das grüne Inntal aus, in welchem der Strom, durch hundert Eilande gespalten, manchmal von einem langsam ziehenden Schiffe betupft, großartig dahinflutet. Der schöne Strom ist gleichwohl der böse Geist der Gegend, da er manche Wiese, manches Feld, ja manchen Hof unbarmherzig hinwegreißt, Hunderttausende für Uferbauten nutzlos verschlingt und in den Niederungen für viele Fieber eine unausrottbare Ursache ist. Jetzt wäre das Gewässer um so leichter zu entbehren, als es in Sachen des Güterlebens und Warenverkehrs durch die Eisenbahn vollkommen ersetzt wird. Diese ist, aus der Vogelperspektive betrachtet, mit ihren Häuschen und Bahnhöfen auch eher ein Reiz, als ein Verderbnis der Gegend. Gar niedlich stellen sich da oben zumal die großen Züge dar, wenn die lange Wagenreihe sich so gelenkig durch Wald und Au hindurchschlängelt, immer geführt und geleitet von dem langen weißen Lindwurm, der mit der größten Leichtigkeit und eben so schnell als leicht sich durch die dicksten Forste bohrt. Übrigens — um mit der Aussicht fertig zu werden — links steht Brannenburg, das ansehnliche Schloß, rechts oben über dem Inn, etwas ferner, Neubeuern auf einem waldigen Felsenblock. Es ist, wie schon gemeldet, auch mit einem Römerturm bewaffnet, und sieht ungemein fest und wehrhaft aus. Draußen im Duft der weiten Ebene verschwimmen Rosenheim und Aibling.

Bei den Landschaftern ist diese Brannenburger Gegend zumal wegen ihres herrlichen Baumschlages beliebt. Es ist noch nicht gar lange her, dass mir einer der ersten jenes Fachs gestand, die Landschaft dahier gefalle ihm fast besser, als die Gegend um Meran. Die schönste Stelle ist aber wohl am Römerturm zu Neubeuern. Dort ist das Flachland ganz beseitigt, und du siehst nur das grüne Tal, den glänzenden Strom, die Berge, die sich in den herrlichsten Gestalten weit hinein durcheinander schieben und über einander aufstehen, Alles zusammen ein entzückender Anblick. König Mar stand auch einmal auf dieser Stelle und sagte bewundernd, das sei die schönste Aussicht im bayerischen Gebirge, was die Neubeurer seitdem immer mit Hochgefühl wiederholen.

Also an einem warmen Abend des letzten Juni rastete ich oben im Freien an dem Falltisch des Priesterhauses beim mäßigen Imbiss, doch erhaben wie der weithin schauende Zeus über den Ländern und Städten der Menschen. Der Hausherr saß noch unten bei seinem Gläschen im Keller zu Brannenburg, und meine hohe Einsamkeit erhielt sich unberührt bis es Nacht geworden. Neugierig betrachtete ich auch das Gotteshaus und sein romanisches, auf Widderköpfen ruhendes Portal, welches zwar weniger ansehnlich ist als jenes zu St. Zeno bei Reichenhall, aber doch immer schön genug für solch entlegenes Bergkirchlein. Oben in der äußern Giebelwand ist auch, leicht kennbar an dem Himmelschlüssel, ein halberhabenes Steinbild des heiligen Petrus, des Patrons der Kirche, angebracht. Portal und Steinbild schreiben sich dem zwölften Jahrhundert zu. Von dem Ursprung der Kirche wüssten wir eigentlich nichts, wenn nicht ein Bruder Konrad, ein Sprosse der mächtigen Grafen von Andechs, in ein altes Messbuch einige Zeilen zur Erinnerung hineingeschrieben hätte, besagend, das Gotteshaus auf dem Petersberg habe sein Urahn gestiftet, und ein Bruder Mechtin mit zwei Gesellen sei zur Zeit Herzog Arnulfs vor der Ungarnschlacht auf dem Lechfelde von Wessobrunn, das ganz zerstört gewesen, auf den Berg Matron gekommen und da geblieben, und also habe das Stift seinen Anfang genommen. Von da an hieß es auf lateinisch ein Monasterium, aber es galt immerdar als ein minderes Kloster, brachte es nie dazu, eine Abtei zu werden, sondern wurde in spätern Zeiten jeweils einem Dompropst zu Freising als Zubuße verliehen. Mir will's gleichwohl bedünken, als habe Bruder Konrad lange nicht Alles gewußt, was diese mystische Felsenhöhe einst bedeutete. Da St. Peter in christlichen Tagen seinen Sitz gar gerne dort einnahm, wo früher der Donnergott verehrt worden, so ist leicht möglich, dass hier oben schon die blinden Heiden einst im Gebet gelegen. In ihren Fußtapfen möchten wohl auch die ersten Christen an diesem Ort ein Bethäuslein geweiht haben, lange, ehe Bruder Konrads Urahn seine milde Hand auftat; und wirklich behauptet die Sage noch jetzt, hier sei die älteste Kirche im Gau gestanden; — kurz es ist ein absonderlich und geheimnisvolles Münsterlein, diese alte Peterskirche auf Matron. Jener Duft eines unergründlichen Altertums ist es wohl auch, was ihr von allenthalben so viel Vertrauen und Verehrung zuwendet, dass sie der Liebling und das Schoßkind des bayerischen Inntals genannt werden kann; ja ehemals kamen sogar die Prozessionen ferne aus Tirol herbei und stiegen mit Fahnen und Standarten den steilen Weg hinan. Darum ging auch ein wahrer Schmerzensschrei durch die ganze Gegend, als sie 1804 vernahm, die Kirche und das Priesterhaus sollten geschlossen und dem Verfall preisgegeben werden. Weit oben am Riesenkopf auf den fetten Hochweiden, in der stärkenden Alpenluft stehen aber zwei uralte Heimaten, die Astnerhöfe. Dort lebten die Astnerbauern — damals noch ihrer zwei, während seitdem der eine der Höfe an den Grafen Pallavicini, den damaligen Besitzer von Brannenburg, verkauft und von den Ureinwohnern verlassen worden ist — sehr wohlhabende, angesehene Landleute, die von uralten Tagen her gewohnt waren, nach St. Peter zur heiligen Messe hernieder zu steigen, und diese standen auf und kauften die Kirche und das Priesterhaus, übernahmen auch gegen einen Zuschuss von dreihundert Gulden auf ewige Zeiten die Sorge für die Gebäude und für den geistlichen Herrn, welcher also, um mich mittelalterlich auszudrücken, dadurch ihr Hausund Hofpfaffe geworden ist. Noch führt derselbe auch im Mund der Gegend den altherkömmlichen Titel, der an das Münster gebunden war — er heißt der Probst von Petersberg.

Als es zunachtete, kam er auch heran, der hochwürdige Probst vom Petersberg, ein freundlicher Herr, den ich jüngst in Rosenheim zuerst gesehen hatte, zugleich Tiroler aus dem untersten Inntale und von Jugend an gewohnt, dies Gebirge auf und abzuklettern, so dass ihm das Flachland draußen, wie er selbst behauptet, viel zu eben wäre. Er achtet den Petersberg oder die kleine Matron in dem Maße für nichts, dass er bei gutem Wetter gewöhnlich nach Fischbach oder Brannenburg hinunterschlendert, um dort in ansprechender Gesellschaft den Abendtrunk zu genießen, worauf er dann ohne Rücksicht auf Mondschein oder andere Beleuchtung den Felsenweg wieder fröhlich heraufsteigt. Wir setzten uns damals zusammen in der untern Stube, deren dicke Mauern, niedere Decke und kleine vergitterte Fenster noch an jene Zeiten mahnen, wo man den Komfort in ganz andern Dingen fand als jetzt. Man könnte fast glauben, diese Stube sei eine alte Kasematte aus den herrlichen Zeiten des Mittelalters, wo auch die Klöster sich zu befestigen und gegen Überfälle, namentlich ihrer Schutzherren, sicher zu stellen suchten. Dieses Gemach mit seinem großen Ofen und seinen rauhen Dielen dient als Wohnzimmer für den Probst, als Schulzimmer für die Bauernkinder der nächsten vier Berghöfe, welche der geistliche Herr in den Elementargegenständen zu unterrichten hat, und endlich auch als Zechstube, wovon wir übermorgen noch ein mehreres vernehmen werden. Nach mancherlei Gesprächen gingen wir zur Ruhe und hofften auf einen goldenen Morgen. Hiebei ist zu bemerken, dass die Herberge ganz gut eingerichtet ist — es sind nämlich zwei Gastzimmer vorhanden für Standespersonen und eine große, mit Stroh belegte Stube für den gewöhnlichen Haufen der Wallfahrer, der an den hohen Zeiten den Berg ersteigt, um seine Sünden in reinen Lüften abzuschütteln, vielleicht auch um neue mitzunehmen.

Der andere Morgen belohnte aber leider meine Mühsal nicht, denn dicht vor den Fenstern fand sich ein grauer Nebel hingestellt, so dick, dass man daran, wie die Bauern sagen, einen Stecken hätte anlehnen können. Von dem grünen Tale war gar nichts mehr zu sehen, ja selbst die Gestalt der Kirche wurde hin und wieder unter dem vorüberziehenden Gewölke unsicher und schwankend. Wir waren wie auf einem winzigen Eiland mitten in einem wüsten, nebligen, kimmerischen Ozean.

Um so fleißiger warfen wir uns auf die Betrachtung der Altertümer, welche längst vergangene Jahrhunderte hier zurückgelassen. Wir besahen das Portal und hoch darüber den steinernen Petrus, machten unsre Bemerkungen über das hölzerne, schwarzbraune Täfelwerk der Decke, welches uns, wie die Symboliker wünschen, lebhaft an die rettende Arche erinnerte, die das Vorbild der mystischen Kirche gewesen,*) betrachteten dann das hölzerne Kruzifix in der Sakristei, ungefähr so alt wie das Portal, und stiegen zuletzt in den Kirchenturm mit seinen romanischen Doppelfensterchen hinauf, um auch die Glocke anzuschauen, welche mit der Jahrzahl 1381 dort oben hängt.

*) Siehe Die mittelalterliche Kunst in der Erzdiözese München-Freising von Dr. J. Sighart S. 19

Nachdem wir dem Altertum seine Ehre gegeben, gingen wir zu den jüngeren Einrichtungen der Frömmigkeit über und betrachteten die hölzerne Kanzel, welche außen an die Kirche angebaut ist. Von dort herunter wird am Tage der Apostelfürsten gepredigt, an jenem Tage, wo bei schönem Wetter die Wallfahrer so zahlreich heraufkommen, dass die Kirche sie nicht mehr fassen kann. Dann nimmt die grüne Platte, so weit sie reicht, die bunten Gruppen in den verschiedensten Stellungen auf und sie lauschen dem Wort Gottes im Freien. Für solche Zeiten sind auch jene tragbaren Beichtstühle aufgehoben, welche sonst im Vorhaus der Kirche stehen; denn alsdann werden sie unter die schattigen Bäume gestellt, welche die Lichtung einerseits umsäumen, so dass die Gläubigen im Fächeln und Säuseln der süßen Waldwinde die Bürden der Seele von sich schleudern.

Und nachdem wir diese Merkwürdigkeiten besehen, besprochen, etwas gelesen, gegessen, getrunken, wieder gelesen und geplaudert hatten, verging nnter Nebel und Regen, obwohl nicht unangenehm, der zweite Tag, worauf dann der dritte folgte, welcher eben so anhob, wie der vorige aufgehört hatte. Jeden noch unterschied er sich von dem vorhergehenden zu seinem Vorteil dadurch, dass er der siebente Juni, Herz-Jesu-Fest, und also ein Feiertag, wenigstens ein abgewürdigter, war. Die alte Glocke des Münsterleins und ihre jüngere Schwester, sie schallten auch gegen sieben Uhr schon ganz vernehmlich und laut hinunter in das Tal bis zu den Falkensteinern, den Fischbachern, Flinsbachern und Tegerndorfern, worauf diese nach tausendjährigem Brauch, wie sie schon zu den Zeiten der Agilolfinger und der Karolinger getan, mit ihren Regenschirmen und Gebetbüchern den rauhen Bergpfad heraufkamen und die Kirche in ziemlicher Fülle besetzten. Dann hielt der Herr Probst das Amt und zwei Bergknaben ministrierten dazu. Als der Gottesdienst beendigt war, ging die Mehrzahl wieder ruhig den Felsen hinunter, mit dem Bewußtsein, dem lieben Gott wieder einmal um manche hundert Fuß näher gewesen zu sein, während etwa ein Dutzend Andächtige, Männer und Frauen, nach einem Brauch, der wohl auch nicht von gestern, in die befestigte Zechstube herüberpilgerten und sich im traulichen Halbdunkel zu einem Morgentrunk zusammentaten. Darunter war auch der Astnerbauer, der Kirchenherr, der den höchsten Hof in Bayern bewohnt oder doch unter den höchstwohnenden der reichste ist. Wäre er noch etwas jünger, so könnte er als der eigentliche Knab vom Berge gelten. „Die Sonne strahlt am ersten hier,“ mag er wenigstens an schönen Sommertagen aus seinen tapezierten Zimmern mit Recht in die weiten Almen hinaussingen, wenn er einmal den Uhland gelesen haben wird, was aber heuer kaum mehr der Fall sein dürfte, obschon der Asterhof wegen der Eleganz seiner beiden Gastzimmer und der seinen Betten, die für zartere Bergsteiger bereit gehalten werden, in der Gegend fast berühmt ist. Übrigens zeigte sich der Astnerbauer als ein milder und freundlicher Mann, mit welchem trotz der Höhe, die er einnimmt, ganz angenehm zu verkehren ist. Wir kamen bald auf die Wunder des Gebirges zu sprechen und da ich für das, was in den Büchern steht, oft gerne eine mündliche Bestätigung einhole, so fragte ich nach den sogenannten Donnerlöchern und wie es mit ihnen eigentlich beschaffen sei. Ich dachte dabei zunächst an einen Bericht, den der jetzt verstorbene Benefiziat Seb. Dachauer einst im Oberbayerischen Archiv für Geschichte veröffentlicht hat. Die Donnerlöcher sind nach ihm senkrechte Höhlungen, welche wie Pumpbrunnen oder Märzenkeller tief in den Erdboden hineingehen, und deren Entstehung dem einschlagenden Blitze zugeschrieben wird. Auf der Kogler Alpe unter dem Wendelstein sind zwei solche Löcher schon altbekannt und wegen ihrer Tiefe sehr sorgfältig umhegt. Höher hinauf wußte man noch eine andere bedenkliche Stelle, sie war jedoch ziemlich dicht mit Gesträuch bewachsen und schien daher nicht gefährlich. Vor etwa zwanzig Jahren legte sich aber einmal die Glockenkuh des Koglerbauern versuchsweise in jene Stauden, brach sofort durch die dünne Rasendecke und fiel zu ihrer großen Überraschung in ein tiefes Loch, worauf sie sogleich durch ein mächtiges Gebrülle ihren Empfindungen Luft machte. Die Sennerin stürzte herbei, blickte mit Schaudern zum ersten Male in die Finsternis hinunter und rief mit ängstlichem Schreien die Nachbarinnen von den nächsten Almen zu Hilfe. Mittlerweile kamen aber auch die Rinder von der umliegenden Weide zusammen, schauten erstaunt in die schwarze Tiefe, aus welcher der Schall der Meisterglocke noch immer herauftönte und zeigten fast Lust, der verehrten Führerin in die Unterwelt zu folgen. Von den Almerinnen, welche ebenfalls herbeigeeilt, war die flinkste bald auf dem vier Stunden langen Wege, um dem Koglerbauern im Tale bei Brannenburg die Unglücksbotschaft zu überbringen. Dieser bot sofort seinen Sohn und einige Nachbarn auf und sie stiegen, so schnell sie konnten, mit starken Seilen und einer Leiter die hohe Alm hinan. Als sie diese erreicht hatten, ließen sie den Sohn mit einem Licht am Seile hinab, allein das Licht erlosch nach kurzer Zeit und der Jüngling verlangte wieder heraufgezogen zu werden. Er glaubte gleichwohl entnommen zu haben, dass das Loch sehr tief sei und dass die Kuh, welche unbeschädigt scheine, unten auf Schnee liege. Die Bauern hielten nun keine Rettung mehr für möglich und begannen große Steine hinabzuwerfen, um das Tier zu töten, auf dass mit seinem Leben auch das Geläute der Glocke aufhöre und das andre Vieh nicht mehr in Gefahr verlocke. Aber nach jedem Steinwurf hob die Glocke stärker zu schallen an, so dass die Leute endlich ihr Vorhaben als undurchführbar aufgaben und wieder nach Hause gingen. Am andern Morgen hielten sie gleichwohl noch einen Rath und fassten den Beschluss, die Kuh in der Tiefe zu schlachten, die Haut aber mit dem Fleisch an die Oberwelt zu ziehen. Sonach stiegen sie am dritten Tage abermals gen Alm und brachten längere Seile, längere Leitern und eine Laterne mit. Zwei kräftige Bursche gelangten nun auch mit diesen neuen Mitteln glücklich bis auf den Boden des Schlunds und fanden da das verlorne Tier, welches äußerlich ganz unbeschädigt in einer geräumigen Höhle ans Schnee und Eis stand. Da meinten sie aber doch, es sei eines Versuches wert, ob es nicht lebendig hinaufzubringen sei, und schnürten es vorsichtig in die Stricke ein. Darauf singen oben sieben Männer zu ziehen an und brachten den Liebling der Herde freilich mit größter Mühe wieder an das Licht des Tages. Die Kuh kam unverletzt oben an, schien sehr vergn?gt, wieder ihren gewohnten Beschäftigungen nachgehen zu können und lebte noch lange Zeit in großer Achtung, da sie wegen ihres Wertes jedermann schätzte. Die Tiefe aber wurde gemessen und betrug neun und sechzig Fuß. Diese Geschichte fing ich damals zu erzählen an, der Astnerbauer fiel aber gleich ein und erklärte, dass er sich an den Vorfall ganz gut erinnre und dass an der Wahrhaftigkeit des Berichtes gar nicht zu zweifeln sei. Er teilte darauf noch einige andere Einzelheiten über solche Donnerlöcher mit, welche ich mit großer Aufmerksamkeit entgegennahm und hier gerne niederlegen würde, wenn ich wüsste, dass auch andere Leute daran Geschmack finden.

Was aber den damaligen Morgentrunk auf dem Petersberge betrifft, so ging es auch nicht ohne einige feste Nahrung ab, welche zu fertigen man in der Küche sehr emsig war. Deshalb fehlten die Hände in der Stube und der hochwürdige Probst trippelte voll christlicher Demut selbst in den Keller hinunter und wieder herauf und bewirtete die Gläubigen mit gastlichem Sinn. Unten in den dumpfen Städten wäre vielleicht mancher zu finden, der die Nase über solche Dienstfertigkeit rümpfen möchte, aber hier oben, mehrere tausend Fuß über dem Meere und gegenüber den bescheidenen Betern, die sich wirklich sehr anständig und achtungsvoll zu halten wußten, kam es so natürlich heraus, dass ich mich gerne selber zur Aushilfe erboten hätte, wenn irgend noch ein Bedürfnis gewesen wäre. Damit aber auch das dritte Fach des Propstes an solchem Tag nicht unversehen bleibe, so war, für dieses Mal im obern Zimmer, wo seine Bibliothek, auch die Schule beisammen, vier gesunde Burschen von zehn bis zwölf Jahren, welche einen schriftlichen Aufsatz anzufertigen hatten und zeitweise, wenn unten keine Arbeit war, von Oberaufsichtswegen besucht wurden. Stellenweise übernahm ich selbst das Geschäft, so dass ich an jenem Tage, wenn auch für den Keller, doch für die Schule nicht ganz überflüssig gewesen bin.

Gerne wäre ich mit dem Astnerbauern hinaufgewandert nach seiner hohen Heimat, ja wäre es ein schöner Tag gewesen, so hätte mich der hochwürdige Probst nicht allein nach jenem Hof begleitet, sondern es war schon ausgemacht, dass wir auch den nahegelegenen Riesenkopf ersteigen und uns der Welt einmal von dort aus zeigen sollten, allein es tröpfelte unerschütterlich fort, und als man gegen Mittag alle die Beter ziehen und mit ihren Regenschirmen und Gebetbüchern wieder abwärts trachten sah, ergriff auch mich die Sehnsucht nach dem Tale, und ich ging nach herzlichem Dank für die freundliche Aufnahme mit den letzten Gästen wieder bergab. Auf halbem Wege kamen wir da an einem Felsenblock vorüber, auf den mich die Begleiter nachdrücklich, doch lächelnd aufmerksam machten. Da habe nämlich St. Peter einst gerastet, und man sieht noch heutiges Tages seinen Sitz und die in den Stein gedrückten Vertiefungen der Hände und der Füße.

Endlich als wir wieder in Fischbach waren, kam auf der Eisenbahn der Münchner Zug daher und ich setzte mich ein, fest entschlossen, des unfreundlichen Regens halber heimzufahren, kam auch glücklich bis nach Brannenburg, brachte aber dahin das schönste Wetter mit. Ja, auf einmal, in einer Viertelstunde, hatte sich der Himmel aufgegriffen und abgeklärt, so dass die Sonne mild und warm ins Tal schien. Ich blickte fröhlich rund herum in der grünen Landschaft, schaute auch hinauf nach St. Peter, aber das alte Münsterlein schien mich vorwurfsvoll zu messen, weil ich es zaghaft verlassen und nicht noch eine Stunde länger geblieben. Jetzt, wäre es doch sehr lustig gewesen nach dem Astnerhof hinauf und auf den hohen Riesenkopf!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderung im bayrischen Gebirge