VI. Kapitel. Ausflüge ins Innere des Landes und Abschied von Paraguay.

Die Sonntagsjäger und die Riesenschlange. — Reise nach Itapua. — Die Apfelsinenhügel von Villeta. — Die Stromschnellen im Paraná. — Ein deutsches Zitherkonzert. — In Wildnis und Urwald. — Die Affenjagd. — Durch die Picaden. — Die Trümmer einer Jesuitenniederlassung. — Bei den Indianern. — Ein brennender Kamp. — Die Guyaquis. — Im Sumpf verirrt. — Ein nächtlicher Ritt durch den brennenden Kamp. — „Le quiero mucho.“




Gegen Ende Juni lag das Geschäft im ganzen Lande völlig darnieder. In unserm Laden wurde kaum noch gehandelt, und wenn sich ein Käufer zeigte, machte er durch Nörgeln und unberechtigte Abzüge die Angelegenheiten noch unleidlicher, als sie an und für sich schon waren. Die Aduana lag so zu sagen leer, also hatte der Zufall mir kein gutes halbes Jahr beschieden, um den Handel in Paraguay kennen zu lernen. Um so mehr konnte ich die freie Zeit zu allerlei Ausflügen benutzen.

Am 25. Juni fand ich zum erstenmale Gelegenheit, mit einigen mir bekannten deutschen Herren auf die Jagd, und zwar nach dem Chaco zu gehen. Das erste Tier, welches unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkte, war ein Alligator, der sich in der Sonne wärmte. Zwei gleichzeitig auf ihn abgegebene Ladungen größten Schrots schienen keine nennenswerte Wirkung ausgeübt zu haben; wenigstens eilte das Untier ins Wasser, um zu verschwinden. Wir schossen eine Anzahl recht hübscher grüner Papageien, wie sie in den Tiergärten in Deutschland zu finden sind. Außer diesen erlegten wir alle miteinander nicht mehr als 16 rebhuhnartige Vögel.

Ein großes Stück Fleisch, Brot, sowie recht viel Wein hatten wir mitgenommen; um die Mittagsstunde lagerten wir uns. Wir schnitten uns lange Stöcke, steckten diese mit zugespitzten Enden durch das Fleisch und nachdem dieses über dem offenen Feuer zum Genießen gar geröstet war, wurde das spitze Ende der Hölzer tief in die Erde gebohrt und jeder war beschäftigt, mit seinem Messer sich von dem Fleisch abzuschneiden, beziehentlich zu reißen. Das schmeckte ausgezeichnet, zumal der aus Europa eingeführte Wein verfehlte seine Wirkung nicht.

„Dans tout festin
Cest le bon vin,
Qui nous fait dire
Le mot pour rire.“

Nach der Mahlzeit segelten wir mit einem kleinen Fahrzeug ungefähr eine Stunde flussaufwärts, um, an Ort und Stelle angekommen, wieder ans Land zu steigen. Zu dem Zweck waren wir genötigt, durch meterhohes Gras bis an die Kniee im Wasser zu waten. Plötzlich hörte ich von unserem Vordermann den überlauten Ruf: „Zurück!“ — eine Aufforderung, der ich, wie alle übrigen Herren unserer Gesellschaft, sofort nachkam. Am Boot erklärte der Führer unserer Truppe, hart vor einer 2 ½ m langen Anakonda oder Wasserriesenschlange gestanden zu haben. Damit war ihm und uns allen die Jagdlust für diesmal vergangen, nur schossen meine Gefährten noch einige Vögel vom Boot aus auf der Rückfahrt. Man denke sich meine Überraschung, als ein Franzose, Mons. Philipon, mir am Abend im Polo del Norte eine von ihm am selben Tage erlegte 2,15 m lange armdicke Anakonda zeigte. Mit unvergleichlicher Schalkhaftigkeit und Anmut, ohne jeden Anflug von Gehässigkeit oder Dünkel, konnte Philipen nicht unterlassen, auf seine ohne Beistand gezeigte Kaltblütigkeit und auf den von vielen Deutschen im gleichen Falle bewiesenen Mut hinzuweisen. Ich sagte ihm, dass ich auf alle Fälle die geistvoll hebenswürdige Art, wie er diesen Vergleich vorbrachte, hundertmal höher schätzte, als das Erlegen von zehn Riesenschlangen.

Weyer wurde ungemein heiter, als ich ihm die Ergebnisse unseres Jagdausfluges mitteilte. „Nehmen Sie sich demnächst einen Urlaub von vier Wochen, um in Gemeinschaft mit Schammon, Gustedt und mir einen Ausflug durchs Land zu machen, der Ihnen Anregenderes als diese Sonntagsjägerei bieten wird,“ meinte mein alter Freund. Ich horchte auf und in der nächsten Stunde war der Urlaub erbeten und bewilligt.

In den ersten Tagen des Juli trafen wir Vorbereitungen für die Reise. Die Pferde wurden neu beschlagen; Weyer war freundlich genug, mir eine Lancaster-Büchse und den dazu notwendigen Schießbedarf zu geben. Mundvorrat nahmen wir ebenfalls mit, und am Mittwoch den 5. Juli wurde unsere Fahrt angetreten. Nachdem auch die Reittiere an Bord des Dampfers „Saturno“ geschafft waren, dampften wir bei dem herrlichsten Wetter den Fluss hinunter und langten nachmittags 2 Uhr in Villeta, dem Apfelsinenhafen Paraguays, an.

Am Lande lagen unter gehöriger Bedachung 4 Hügel, jeder aus gezählten 250.000 Apfelsinen bestehend. Um diese 4 Hügel standen ungefähr 40 weibliche Personen zwischen 15 und 30 Jahren, alle nur mit wenig mehr als dem Hemd, einer leichten Jacke und dem Kopftuch bekleidet. Ein langer schmaler Steg führte vom Lande an Bord unserer „Saturno“; kaum hatte unser Schiff Anker geworfen, als die Frauen und Mädchen sich in Bewegung setzten, jede mit einem Korb, den sie alle an einem der Apfelsinenhügel füllten. Auf dem Kopf trugen die Weiber ihre Last an Deck, und nach Verlauf von 5 Stunden war einer der 4 Hügel abgetragen und 250.000 Stück lagen an Bord der „Saturno“. Am nächsten Morgen bald nach Sonnenaufgang landeten wir in Formosa (Argentinien), wo wir vier Reisende eine recht ansehnliche Zuckerfabrik in Augenschein nahmen. Der nächste Platz, den unser Dampfer anlief, hieß Las Palmas. Nach Übernahme von 1.000 Sack Zucker setzten wir die Reise fort, um am 7. Juli in Corrientes anzulangen. Bei dieser Stadt vereinigen sich der sogenannte Alte Paraná und der Rio Paraguay, die zwei Ströme, welche die Süd-, Ost- und Westgrenze des Freistaates Paraguay bilden. Die Straßen von Corrientes machen den verlottertsten Eindruck. Wir suchten einen deutschen Uhrmacher, Hoffmann, auf, der uns zu einem deutschen Apotheker, zugleich Vertreter für eine Brauerei in Buenos Aires, brachte; letzterer Eigenschaft hatte er unsern hohen Besuch zu verdanken. Am Abend desselben Tages gingen wir mit unsern Pferden an Bord der „Posadas“, die am nächsten Morgen den Alten Paraná hinaufdampfte.

Der Fluss bietet nicht nur durch seine felsigen und steinigen Ufer, sondern mehr noch durch sein Bett gleicher Art mancherlei Gefahren für die Schifffahrt. Die ersten Halteplätze boten nichts Bemerkenswertes. Am Nachmittag gelangten wir an eine Stromschnelle. Trotzdem unser Schiff mit vollem Dampf arbeitete, kamen wir nicht von der Stelle. Nach halbstündigem, erfolglosem Kämpfen wurden die Anker geworfen; wir lagen mitten in dem Strudel und Gegurgel des Stromes. Man ließ ein Kanoe hinunter, das mit 4 Leuten bemannt wurde. In demselben Augenblick, in dem diese die Taue fahren Ließen, flogen sie mehr als 200 m zurück, erreichten jedoch durch angestrengtes Rudern das Ufer. An diesem arbeiteten sie sich in die Höhe, um oberhalb der Stromschnelle einen zu diesem Zweck mitgenommenen und mit unserm Schiff durch dicke Taue verbundenen Anker auszuwerfen. Das Kanoe hatten sie an dem Ufer des Flusses mit großer Gefahr ebenfalls bis über die Stromschnelle gezogen. In der Absicht, unser Schiff wieder zu erreichen, bestiegen die 4 Männer das Boot, und mit unglaublicher Geschwindigkeit flog das kleine Fahrzeug durch die Strudel. Es gelang den Leuten nicht, das ihnen zugeworfene Tau rechtzeitig zu ergreifen, an einer unserer Ankerketten schlug das Kanoe um, zerschellte, und die Insassen verschwanden im Wasser. Das alles geschah ungefähr ebenso schnell, wie die Beschreibung sich lesen lässt Aber bald sahen wir einen Kopf, bald den zweiten, den dritten und endlich den vierten auftauchen. Die vier mutigen Männer waren durch den Strom weit fortgerissen. Man ließ ein zweites Boot hinunter, in dem vier andere Leute den ersten nachruderten. Mittlerweile arbeitete der Dampfer sich an dem oberhalb der Stromschnelle angebrachten Anker durch die gefahrvolle Stelle, um endlich auf die acht vorerwähnten Männer zu warten, die nach Verlauf von zwei Stunden völlig erschöpft an Bord kamen. Nachts kann auf dem Alten Paraná keine Schifffahrt stattfinden, somit blieben wir bis zum nächsten Morgen an Ort und Stelle liegen.

Der folgende Tag bot uns Gelegenheit, an beiden Seiten des Stromes wunderbar schöne Ufer zu beobachten. Am Abend langten wir in „Villa de Encarnacion“ oder „Itapua“ an. Die Villa selbst mit ihren 900 Einwohnern bietet nicht mehr als Corrientes. Die Männer waren zum größten Teil im Norden in den Verbales (Maté-Wälder) beschäftigt, die Frauen harrten der Wiederkehr ihrer Ernährer und hatten inzwischen nichts zu beißen. Nach Sonnenuntergang langten wir an und wurden daher im Finstern von zwei Deutschen, den Herren Reverchon und Käferstein, freundlich empfangen. Herr Reverchon stammt aus alter hochangesehener Familie in Deutschland. Sein Urgroßvater spielte während der Jahre 1791 — 92 eine nicht unbedeutende Rolle unter den Jakobinern, um später nach Deutschland auszuwandern. Der Bruder des Herrn Reverchon ist Inhaber eines bekannten Bankhauses in Trier. Unser Freund erzählte mir, er sei Corps-Student gewesen, habe später in der Garde gedient, sich dann in Buenos Aires niedergelassen und im Zeitraum weniger Jahre das sehr beträchtliche Vermögen von mehr als einer halben Million Mark durch unglückliche Unternehmungen verloren. In „Villa de Encarnacion“ wohnte er in einem Rancho, der allerdings recht hübsch mit Kalk verputzt war, speiste mit Zinngabeln, von Blechtellern und lebte auch im übrigen, wie es die allgemeine Sitte der Stadt mit sich bringt, Herr Reverchon konnte 30 Jahre zählen, besaß eine ganz ungewöhnliche Lust und Kraft zur Arbeit und befand sich vollkommen glücklich und zufrieden. Auf alle Fälle fühlte ich mich bei ihm und seiner liebenswürdigen Frau vorzüglich aufgehoben. Herr Käferstein ist Sachse von Geburt, betreibt eine Schnapsfabrik und kauft Häute und andere Landeserzeugnisse in großen Mengen für Häuser in Buenos Aires sowie Montevideo auf. Nachdem wir von Herrn und Frau Reverchon gastlich bewirtet waren, gingen wir hinunter in die Stadt in das einzige dort vorhandene Gasthaus, das, von einem Deutschen geführt, den vielsagenden Namen „Cafe de Paris“ hat. Der dort den Gästen zur Verfügung stehende Raum zeigte weißgekalkte, aberrecht schadhafte Wände. An Hausrat fanden sich drei rohe mit Wachstuch gedeckte Holztische und ebenso aus ungehobeltem Holz zusammengezimmerte Bänke. Wie es unter Deutschen nicht anders sein kann, setzten wir uns zu einem Skat, dem nach und nach eine Anzahl anderer unserer Landsleute aus der Stadt zuschauten. Später nahmen vier Deutsche mit ihren Zithern an dem Tische Platz, und wir hörten ein recht hübsches Konzert mit deutscher Gesangbegleitung. Am nächsten Morgen bot sich uns vom Hügel eine herrliche Aussicht. Die ersten Stunden verbrachten wir mit Besichtigen, beziehentlich Kaufen von Tabak; am Nachmittag sattelten wir unsere Pferde und ritten zu dem Bierbrauer Schmidt, der zugleich der einzige Klempner, Tischler, Maurer und Gärtner der Stadt ist. In seiner Wohnung fanden wir zu allgemeiner Überraschung eine von ihm selbst angelegte Wasserleitung. Alle übrigen Einrichtungen, sowie die Maschinen in seiner Brauerei hatte er gleichfalls selbst verfertigt.

Am folgenden Tage fuhren Weyer und ich nach der an der andern Seite des Flusses, also in Argentinien, gelegenen Stadt Las Posadas. Sie ist, wenn auch nicht bedeutend, so doch 4 mal größer als Villa de Encarnacion. Zwischen diesen beiden Städten bestand ein recht schwunghafter Schmuggelhandel; um ihn gründlich aufzuheben, war 14 Tage zuvor ein hoher Beamter aus Buenos Aires in Posadas angekommen. Leider hielt man schon nach drei Tagen für angezeigt, ihn auf der Plaza am hellen Tage aus einem Fenster eines der umliegenden Häuser zu erschießen. Von den auf der Plaza zur Zeit anwesenden 12 — 15 Polizisten soll sich bei diesem Ereignis keiner gerührt haben.

Mittlerweile hatte ich in Erfahrung gebracht, dass ungefähr 14 Leguas, also 60 km von der Stadt entfernt, bei dem Flecken Trinidad die bedeutenden Überreste einer Jesuiten -Niederlassung aus dem Anfang des vorigen Jahrhunderts liegen und es der Mühe wert sei, sie aufzusuchen. Ich beschloss hinzureiten. Indessen stieß die Ausführung meines Planes auf Schwierigkeiten, weil niemand Lust empfand, mich zu begleiten. Sehen wollte ich die baulichen Reste auf alle Fälle, somit nahm ich einen Führer, in der Absicht, den Ritt auf eigene Gefahr zu unternehmen. Jedoch Weyer erhob Einspruch. Er konnte die Besichtigung der Trümmer nicht als Gegenwert für das Wagnis, mit einem Eingeborenen allein durch eine Wildnis zu reiten, anerkennen und gab erst seine Einwilligung, als Herr Käferstein sich liebenswürdig genug bereit erklärte, mitzureiten. Am andern Tage, früh 7 Uhr, sattelte ich meine Pepita; wir ritten bis gegen 10 Uhr im offenen Camp. Dann kam die erste Picade. Unter einer solchen versteht man den mit der Axt durch den Urwald geschlagenen Weg. Beim Eintritt in den Wald musste ich mein Pferd anhalten, um diesen ganz unvergleichlich großartigen Anblick mit allen Sinnen ungestört in mich aufnehmen zu können. Neu war mir der Leuchterbaum, nach seinem eigentümlichen kandelaberartigen Aussehen so genannt, der außerdem durch seine silberweiß glänzenden Blätter auffällt. Auf diesem Baum und von seinen Blättern allein soll das Faultier leben. Neben dieser durchaus selbständigen Pflanze fiel mir eins der unselbständigen Schlinggewächse, wie Käferstein mir sagte, eine Cipoart, auf. Man sieht zwei Stämme nebeneinander aufsteigen, den einen rund und voll auf festen pfeilerartig ausgebreiteten Wurzeln stehend, den andern an die Form des ersten platt angedrückt, auf ganz dünnen Wurzeln, welche die Last über ihnen nicht tragen könnten, wenn nicht von dem anlehnenden Stamme von Stelle zu Stelle Luftwurzeln ausgingen; diese umfassen wie künstlich angebrachte Klammern den Hauptstamm und sind nicht nur an ihren Enden zu vollständigen Ringen, sondern ebenso mit dem Hauptstamm völlig verwachsen. Der auf solche Weise umschlungene Baum stirbt in dieser Umarmung ab, der Mörder wächst an dem Leichnam üppig fort und breitet an dessen Stelle seine Laubkrone aus, bis er mit dem morsch gewordenen Stamme zugleich fällt und zu Grunde geht.

So überwältigend immerhin der erste Blick in den Urwald sein mag, die Schattenseite dieser nicht zu übertreffenden Naturschönheit zeigte sich sehr bald. Die teils zusammengestürzten, teils umgeschlagenen Bäume lagen quer über der Picade, der Boden war feuchtlehmig, also glatt, sodass wir nur mit größter Vorsicht reiten konnten. Meine Pepita hatte eine seltene Neigung, auf die liegenden Stämme zu treten. Dabei glitt sie regelmäßig aus, geriet hin und wieder mit allen vier Hufen unter den folgenden Stamm, aber schließlich ging alles gut. Nachdem wir ungefähr 7 km auf der Picade zurückgelegt hatten, machten wir halt, um das Frühstück einzunehmen. Bei dieser Gelegenheit eröffnete uns unser Führer, dass ungefähr an der Stelle, an der wir lagerten, in der vorhergehenden Woche zwei Tiger erlegt worden seien. Unter Tiger ist in Amerika selbstverständlich nur der Jaguar zu verstehen. Unwillkürlich griffen Käferstein und ich mit der einen Hand nach dem Revolver, während wir mit der andern die Lancaster-Büchsen zu fassen suchten. Als wir die Überbleibsel unseres Frühstücks eingepackt hatten, setzten wir unsern Weg fort, teilweise über so steinigen Boden, dass wir absteigen und unsere Pferde am Zügel fuhren mussten. Mit einiger Mühe überwanden wir indessen auch diesen Teil des Urwaldes, der schließlich in einen mächtigen Wald wilder Orangenbäume überging. Wenige hundert Meter vor diesem machte der Führer uns aufmerksam auf einen schmalen, augenscheinlich von ungleichzehigen Füßen herrührenden, unsere Picade kreuzenden Pfad. Er war gebildet durch den regelmäßigen Gang eines Tapirs von einem Sumpf, an dem er voraussichtlich tagsüber ruhte, zu seinem vielleicht kilometerweit entfernten Weideplatz, den diese Art Dickhäuter nur nachts aufsuchen sollen. Ganz nett — nur fehlte mir die Hauptsache: der Tapir!

Plötzlich hörten wir einen gellenden Schrei in den Bäumen, und wie wir aufblickten, sahen wir auf einem hohen Gipfel einen mittelgroßen Affen damit beschäftigt, eine Apfelsine zu fressen. Hierauf sprang das Tier in der Art unserer Eichhörnchen von einer Baumkrone in die andere. Wir befestigten unsere Pferde an einzelnen der Bäume, um den Weg des Affen zu verfolgen. Nachdem wir uns vielleicht fünf Minuten durch das Dickicht geschoben hatten, vermehrte sich das Schreien, und wir sahen erst eine, dann mehrere ganze Familien, die zusammen 80 — 100 Köpfe zählen mochten. Unser Führer hatte, ohne dass Käferstein oder ich es hindern konnten, seine Flinte auf eins der Tiere gerichtet, das gut getroffen zur Erde fiel. Schwerlich werde ich jemals vergessen, welchen Eindruck dieser sterbende Affe auf mich machte. Um keinen Preis würde ich mich entschließen, nach dem einmal Erlebten einen Affen zu schießen. Es lag in dem Blick des Tieres etwas wie Vorwurf, wie tiefe Trauer, ohne jede Bosheit oder Zorn.

Ich konnte nicht unterlassen, an das arme Geschöpf heranzutreten und es zu streicheln, was es sich ruhig gefallen ließ. Die Kugel war ihm durch den Leib gedrungen; leise wimmernd verendete der Affe. Die übrige Schar hatte inzwischen das Weite gesucht. Wir gingen zu den Pferden zurück und erreichten bald den Ausgang der Picade, an dem sich uns der Blick auf ein herrliches Rundgemälde bot. Wir selbst standen hoch und hatten wiederum, wie bei Gelegenheit meines ersten Rittes durch die Wildnis, einen weiten Umblick auf Urwald und Camp.

Bald gelangten wir an eine zweite Picade, die sich weniger lang als die erste zeigte. Ich bemerkte, dass von meiner linken Hand das Blut tröpfelte, während die rechte und das Gesicht eine Schramme neben der anderen zeigten. Meine Jacke hatte keine Knöpfe mehr aufzuweisen, und einzelne Knopflöcher waren ausgerissen, so dass sich überhaupt meine ganze Kleidung in trostloser Verfassung befand. Nach der zweiten folgte bald eine dritte und letzte Picade. An ihrem Ende sahen wir Trinidad vor uns liegen. Immerhin hatten wir noch zwei volle Stunden zu reiten, und erst um 4 Uhr nachmittags langten wir an Ort und Stelle an, wo wir Unterkunft bei einem Deutsch-Argentiner fanden. Nach der ersten Begrüßung erbat ich mir die Erlaubnis, gleich nach den Trümmern aufbrechen zu dürfen. In Begleitung Käfersteins machte ich mich auf den Weg; schon von weitem erkannten wir die umfangreichen Mauern. Zur Stelle gekommen, prüfte ich sie und fand sie 1 ½ m dick, bei einer Länge von 28 m. Derartige Reste würden im katholischen Deutschland kaum besonderes Aufsehen erregt haben, dagegen sind die spärlichen Überreste einer vor Jahrhunderten erbauten Kirche, die aller Wahrscheinlichkeit nach gleichzeitig ein Bollwerk gegen Indianerangriffe sein sollte, in der Wildnis denn doch eine zu wunderbare Erscheinung, um nicht besondere Aufmerksamkeit zu verdienen. Am Ostende der nach Süden gelegenen Seite war eine Kuppel, unter der vermutlich der Altar gestanden hat, erhalten geblieben, aber derartig geborsten und zerrissen, dass ein Zusammensturz täglich erfolgen konnte. Die Mauern fand ich zusammengesetzt aus 20 cm langen und 40 cm hohen Quadern, erbaut, als ob sie der Ewigkeit trotzen sollten. Die Entdeckung eines unterirdischen Ganges blieb mir vorbehalten, wenigstens wusste niemand in Trinidad oder Encarnacion von einem derartigen langen Gewölbe. Ich war glücklich genug, ein roh aus Holz geschnitztes, ziemlich wohlerhaltenes Mutter-Gottesbild darin zu finden. Selbstverständlich nahm ich es als mein Eigentum in Anspruch.

Am nächsten Morgen waren Käferstein und ich früh auf den Beinen. Wir schickten einen Jungen, um die Pferde im Camp zu suchen, und vernichteten zwei herrliche Palmen zu keinem weiteren Zweck, als um ihre saftigen Blätter den Tieren zum Fressen zu geben. In Europa würde diese Barbarei einige hundert Mark gekostet haben, hier galten die beiden Palmen nicht mehr als in Deutschland eine Hand voll Ähren auf einer mächtigen Getreidekoppel. Von Trinidad führte uns unser Weg nach einer zweiten Trümmerstätte bei der Ortschaft Jesus durch zwei nicht breite Flüsse, die tief genug waren, um uns zu zwingen, sie auf unsern Pferden zu durchschwimmen. Um Mittag waren wir an Ort und Stelle und setzten unsern Weg gleich fort zu den baulichen Resten, die mitten im Walde versteckt liegen. Die Mauern waren aus demselben Rohstoff zusammengesetzt und von gleicher Stärke wie diejenigen bei Trinidad, nur dass diese letzteren über 30 m lang waren. Die wiederum gegen Osten liegende Kuppel fand ich vorzüglich erhalten und nicht ohne künstlerische Schönheit. Die Ausgänge sowie einige Säulen, gänzlich aus Stein, die ich indessen in dem Bauriss einer Kirche nicht recht unterzubringen wusste, waren ebenfalls, zumal unter Berücksichtigung der Witterungsverhältnisse der heißen Zone, recht gut erhalten.

Käferstein hatte mich am Morgen darauf aufmerksam gemacht, dass wir ½ Legua weiter eine Indianerniederlassung antreffen würden; ich hatte mich aus diesem Grunde in Trinidad mit Kautabak, Streichhölzern und andern zum Tauschhandel geeigneten Dingen gehörig versorgt. Nach einem Ritt von einer ferneren halben Stunde durch den Camp befanden wir uns im Lager. Die Leute unterschieden sich wesentlich von denen, die ich bei Gelegenheit der Karnevalfahrt nach Villa de Concepcion zu beschreiben versuchte. Sie tragen kurzes Haar und sind nahezu schwarz von Farbe. Ihre Kleidung besteht aus einem Zeuglappen, der, mit einem Bindfaden um die Hüften geknotet, lose herunterhängt. Der Älteste, vermutlich der Häuptling, lud mich ein, in seine Hütte zu treten. Darinnen fand ich ein schöngeformtes, ungefähr 16 Jahre zählendes Mädchen, die der Alte mir mit Stolz als seine Tochter vorstellte. Unser Führer und Pferdejunge aus Trinidad, dem die Sprache der Indianer recht geläufig schien, diente als Dolmetscher. Dem jungen schwarzen Mädchen streichelte ich das Gesicht und den Hals, wodurch es keineswegs peinlich berührt erschien, wenigstens schenkte es mir auf diese harmlose Liebkosung hin ihre Ohrringe sowie ein Halsband aus Waldbeeren. Andere Länder, andere Sitten! Dem Alten verehrte ich zwei Schachteln Streichhölzer und eine Rolle Kautabak: die letztere schob er gierig in ihrer ganzen Ausdehnung auf einmal in den Mund, wobei er mich vor Vergnügen fast besorgniserregend angrinste. In einer andern Hütte tauschte ich mir Bogen und Pfeile ein, unter diesen breite, spitze und solche mit Widerhaken, ebenso wusste ich mir Trinkgefässe und Kleinigkeiten aus dem Haushalt zu verschaffen.

Wer sich entschließt, ein Lager dieser Guaranis aufzusuchen, zumal wenn sein Äußeres einiges an Rang und Würde zeigt, sollte sich mit der Keuschheit des Joseph bewaffnen. Nichts ist den Indianern Paraguays lieber als helle oder vielleicht gar weiße Kinder; diesen Naturmenschen ist Eifersucht unbekannt gegenüber dem Vorteil, nach Jahren vielleicht ein helles Mädchen an einen jungen Stammesgenossen als Gattin unter besonders günstigen Bedingungen veräußern zu können. Übrigens: „Relata refero“.

Vor einer der Hütten sah ich drei alte Weiber, die man ohne weiteres auf die Bühne zum Beginn des ersten Aufzuges von Macbeth hätte bringen dürfen; sie würden dem Spielleiter grenzenlosen Beifall eingetragen haben.

Recht befriedigt trat ich meinen Ritt zurück nach Trinidad an. Unterwegs machten wir im Camp Halt, jagten die ungesattelten Pferde ins Gras und machten uns ein Feuer, an dem wir ein Stück Fleisch brieten, das so lange seinen Platz zwischen Pferdedecke und Sattel des Führers gehabt hatte. Mit Sonnenuntergang waren wir zurück in Trinidad. Nach der Abendmahlzeit gingen wir mit unserm freundlichen deutsch-argentinischen Wirt eine halbe Stunde weit, um mich eines landläufigen Ausdrucks zu bedienen, vor die Thore der Stadt, d. h. von einer Stadt könnte man bei diesem schmutzigen Nest von etwa 175 Einwohnern ebensowenig reden wie von Thoren. In einem dort gelegenen Rancho war Ball, eine Festlichkeit, die sich schon von weitem bemerkbar machte durch die Klänge von Guitarren und einer Ziehharmonika. Man empfing uns mit ausgesuchter Freundlichkeit; wir nahmen in der Reihe der Gäste vor dem Rancho Platz. Nach wenigen Minuten erschien der Veranstalter der Festlichkeit mit einem Mädchen an jeder Hand, die Käfersteins und meiner Obhut anvertraut wurden. Wir tanzten, selbstredend unter freiem Himmel, um bald darauf unsere Mädchen dem Nachbar zur Rechten zu überliefern, während von der linken Seite andere Mädchen uns zugeführt wurden; so ging es weiter und weiter im Kreise herum. Maté und Cigarren fehlten natürlich nicht. Rund um uns weideten die Pferde, auf denen die Gäste, darunter manche aus weiter Ferne, zu dieser Vergnügung herbeigeeilt waren. Zur Beleuchtung diente das Licht der Sterne und das märchenhaft schöne Glühfeuer der zu Millionen umherfliegenden Leuchtkäfer!

Der folgende Tag war bestimmt für die Rückreise. Halb verhungert langten wir mit Dunkelwerden in der Villa de Encarnacion an.

Am 22. Juli 8 Uhr morgens ritten wir ab nach Picabó, eine Strecke von 205 km, also eine Entfernung, welche derjenigen von Hamburg bis Magdeburg gleichkommt; aber es war ein Ritt auf ungebahnten Wegen durch Camp und Urwald, unter teilweise recht schwierigen Umständen.

Wir waren unserer vier: Weyer, Käferstein, Reverchon und ich; trotzdem hatten wir uns mit nur einem Pferdejungen genügen lassen. Am ersten Tage ritten wir über San Juan nach El Carmen del Paraná und hielten uns in einer Entfernung von ungefähr 5 km vom rechten Ufer des Alten Paraná. Wir kamen dabei an einer dem Strom zugehörigen Bucht vorüber, die von der Victoria Regia nahezu überwuchert war. Die Unmenge herrlicher, an der Oberfläche olivengrüner Blätter mit kupferroter, stark genervter Unterseite und den aufgebogenen Rändern bildete einen hübschen Anblick, der erhöht wurde durch einige hundert zwischen den Blättern einhersteigende lebhaft purpurfarbene Flamingos. Abends 7 Uhr erreichten wir Carmen und machten vor dem einzigen Gasthause Halt. Die Wirtin, deren Gatte nicht zugegen war, schien uns für fahrendes Gesindel zu halten und schlug unsere Bitte um Beherbergung für die Nacht rundweg ab. Somit blieb uns nichts weiter übrig, als ein Stück Fleisch zu kaufen, uns in der Mitte der Stadt auf einer Art Plaza ein Feuer zu machen, dort das eben gekaufte Fleisch zu rösten und im Freien nahe der Asche unseres Feuers zu übernachten. Nach kurzer Zeit weckte mich Weyer und machte mich auf einen brennenden Camp aufmerksam. In den Monaten Juli und August pflegt man die großen Camps abzubrennen, damit das hohe dürre Gras dem neuen Grün zum Frühjahr Platz mache. Der ganze westliche Gesichtskreis glich einem Flammenmeer. Als wir uns lange genug an diesem Schauspiel ergötzt hatten, suchten wir wieder unsere Sättel und Pferdedecken zusammen, und da die Asche inzwischen kalt geworden war, legten wir uns, so gut die Umstände es gestatteten, unter eine Palme. Zum Unglück kam bald ein kalter Wind auf, der mich völlig hinderte, in meiner an und für sich nichts weniger als beneidenswerten Lage an Schlaf zu denken. Ich stand auf, wickelte mich in meinen Poncho, trank einen mächtigen Schnaps und begab mich auf einen Spaziergang. Nach einigen Stunden legte ich mich zu den andern unter die Palme, machte einen abermaligen Versuch einzuschlafen, aber wieder vergebens; mir blieb somit nichts anderes übrig, als die Nacht mit Rauchen und Umherlaufen zu verbringen. Am nächsten Morgen bald nach 5 Uhr fingen wir die Pferde ein und setzten die Reise fort. Gegen 7 Uhr erreichten wir den Rancho eines Bekannten Käfersteins, der uns mit Kaffee und Brot erquickte. Dann ging es weiter; zu allem Überfluss begann es zu regnen. Die Picadas fanden wir in einem jeglicher Beschreibung spottenden Zustand. Im Camp gelangten wir an einen nach beiden Seiten sich 1 — 1 ½ km ausdehnenden Erdriss von ungefähr 2 — 3 m Breite. Dona Pepita sprang mit einer ganz bewundernswerten Sicherheit über diese nach meiner Schätzung 6 — 8 m tiefe Kluft, auch Reverchon und Käferstein kamen tadellos herüber; Weyer zog indessen vor, die Schlucht zu umreiten, wodurch uns ein nicht unwesentlicher Aufenthalt erwuchs. Kurz vor Sonnenuntergang langten wir in Conge an. Nach einer Nacht mit zwei Stunden Schlaf hatte ich also elf Stunden im Sattel zugebracht!

In Encarnacion hatte man uns von den Guayaquis berichtet und uns vor ihren Gelüsten nach fremden Pferden gewarnt. Die Guayaquis sind ein Volk von schwarzen Zwergen; es ist eine völkerkundlich beachtenswerte Erscheinung, dass mitten unter den gutmütigen und fügsamen Indianern oder Guaranis, wie ich sie an andern Stellen zu beschreiben versuchte, eine Völkerschaft lebt, kaum ¾ so groß wie jene, deren eigenartige Merkmale in Wildheit und Bosheit bestehen. Während die Guaranis seit Jahrhunderten Ackerbau betreiben, also mehr oder weniger sesshaft sind, stehen die Guayaquis bis zum heutigen Tage auf der niedrigsten Kulturstufe. Sie leben wie die Tiere des Waldes ohne jegliche Spur einer Wohnung. Vermutlich sind sie die später von den Guaranis vertriebenen Ureinwohner Paraguays. Zum wenigsten begnügt man sich mit dieser Erklärung auf Grund der unter gleichen Verhältnissen in Afrika mit schwarzen Zwergen und Negern gesammelten Erfahrungen. Ich muss diese Erklärung zum Verständnis des Nachstehenden vorausschicken.

In Conge angekommen, Ließen wir uns durch Käferstein bereden, 1 ½ Leguas auf unsern ermüdeten Pferden weiterzureiten zu einem seiner Freunde, bei dem wir ohne Zweifel für die Nacht gutes Unterkommen gefunden haben würden. Dieser Entschluss wäre uns nahezu verhängnisvoll geworden. Wir ließen den Pferden einige Maiskolben vorwerfen, tranken Maté, setzten uns dann wieder in den Sattel und ritten weiter. Nachdem wir eine Stunde im Camp vorwärts gedrungen waren, verleitete uns ein nach Conge marschirender Peon, den wir nach dem Rancho von Don Luis fragten, unsern Weg in einer andern Richtung fortzusetzen. Es war bald so finster, dass ich nicht meinen fünf Schritt vor mir reitenden Vordermann zu erkennen vermochte. Zur Rechten wussten wir den Urwald und hörten sein Rauschen, vor uns hatten wir Camp. Endlich ging der Mond auf, und wir erkannten, dass, wie wir vermuteten, zur Rechten der Wald, links Sümpfe lagen, die in der Nacht zu durchqueren gewiss nicht ratsam war.

Käferstein behauptete, die Gegend zu kennen, auch nachdem wir gezwungen waren, im rechten Winkel nach Osten gegen die bisherige Richtung von Süden nach Norden abzuschwenken. Immer enger wurde der Camp, immer mehr näherten sich die Sümpfe dem Walde, bis wir schließlich auch vor uns nur noch Sumpf erkannten. Käferstein hatte sich geirrt. Wir wendeten die Pferde, um denselben Weg zurückzureiten, den wir gekommen waren. Als wir um den eben erwähnten Winkel die Richtung gegen Süden wieder einschlagen wollten, bot sich unsern Blicken ein grauenvolles Schauspiel dar. Ich gestehe, dass mich ein Schüttelfrost durchlief. Vor uns brannte der Camp! Der Südwestwind brachte uns das Flammenmeer mit großer Schnelligkeit näher. Hinter und neben uns drohte uns unbedingter Untergang durch Sümpfe, im Urwald Schutz zu finden war ausgeschlossen, somit blieb uns nur ein einziges Mittel: auf den bis zum äußersten erschöpften Pferden durch die rote Glut zu jagen. Weyer, Käferstein, ich und der Junge erkannten unsere Lage sofort. Kein Wort, kein Laut wurde gewechselt. Ohne weiteres gab jeder seinem Pferde die Sporen und suchte möglichst unbeschadet hinter das Flammenmeer zu gelangen. Wir alle kamen durch die Glut, ohne nennenswerten Schaden gelitten zu haben. Ich glaube mich keiner Übertreibung schuldig zu machen, wenn ich behaupte, dass den Pferden kaum die Haare gesengt waren. Bewundernswert erschien mir die Ruhe, mit welcher die Tiere das Feuer aufnahmen. Sie sind eben von früher Jugend an das jährliche Abbrennen der Prairien gewöhnt. Als wir uns in Sicherheit wussten, atmeten wir tief auf, schüttelten uns die Hände und Käferstein rief: „Das waren die Guayaquis!“ Ohne Frage hatte er recht. Das boshafte Pack hatte uns im Finstern in die Falle reiten sehen und erwartete, uns durch Feuer zu vernichten. Die Umstände zur Durchführung dieses Planes waren allerdings die günstigsten. Eine derartige Bosheit hatte ich diesen Zwergen nach der Beschreibung in Villa de Encarnacion doch nicht zugetraut, vielmehr hatte ich angenommen, dass Pferdediebstahl das einzige sei, wodurch sie dem Europäer Übles zuzufügen imstande wären.

Die Frage blieb nunmehr: wohin reiten? Das Stück abgebrannten Camps konnte kaum ¾ Leguas betragen, als wir uns wieder im hohen Grase befanden. Es mochte 7 Uhr abends gewesen sein, also hatten wir 13 Stunden im Sattel gesessen. Mit unsern halbtoten Tieren konnten wir nur schrittweise weiterreiten, aber endlich fing Käferstein an, sich zurecht zu finden, und nach 2 ferneren Stunden erreichten wir, wenn auch nicht den Rancho seines Don Luis, so doch ein allem Anschein nach bewohntes Gebäude. Ich war zuerst vom Pferde und klopfte, erhielt aber keine Antwort. Mittlerweile riefen wir, so laut unsere Stimmen es uns gestatteten: ebenfalls ohne Antwort zu erhalten. Da standen wir in der freilich mondhellen Nacht vor dem Hause eines Menschen, der ebenso gut ein Erzschuft wie ein guter Kerl sein konnte. Vier fremde Leute mit ihren Pferden in seinem Hofe zu sehen, konnte auch ihm unter keinen Umständen besondere Freude bereiten. Auf alle Fälle blieb uns vor der Hand nichts weiter übrig, als die Tiere abzusatteln, wenn sie nicht umkommen sollten. Kaum hatte ich Dona Pepita Freiheit gegeben, als sie sich auf den Rücken legte und wie verendend alle Viere von sich streckte. Das hatte mir gefehlt! Als ich ungefähr 7 Jahre vor diesen letzten Begebenheiten die Cooperschen Lederstrumpf-Erzählungen las, hatte ich nichts sehnlicher gewünscht, als dass mir noch einmal ähnliche Erlebnisse beschieden sein möchten. Ich hatte sie in den letzten Tagen zur Genüge gehabt; ein Augenblick wie der, in dem ich mitten in der Wildnis neben meiner verscheidenden Pepita zu stehen meinte, war vor 7 Jahren beim Lesen vom Prairieleben indessen nicht vorgesehen.

Mittlerweile hatte unser Pferdejunge in nicht allzu weiter Ferne Licht entdeckt. Käferstein und er brachen auf nach dem in Frage stehenden Punkt, Weyer und ich blieben bei den Pferden. Nach nicht viel mehr als einer halben Stunde kehrten beide zurück und brachten gute Nachricht. Tatsächlich und wider alles Erwarten standen wir an Don Luis Rancho, nur war dieser Don Luis ein ganz anderer, als derjenige, den Käferstein von Anfang an im Auge gehabt hatte. Dieser berichtete, der für uns z. Z. allein in Frage kommende Don Luis sei in San Pedro, sein „capataz“ (Aufseher) auf einem Balle, würde aber kaum vor Mitternacht nach Hause kommen. Der Pferdejunge brachte Weyer und mir eine Apfelsine, die wir mit wahrhafter Gier hinunterschlangen. Groß war meine Freude, als nach Verlauf einer Stunde Pepita wieder auf den Beinen stand und sogar anfing zu fressen. Neben dem Rancho fanden wir Ochsenhäute, aus welchen wir uns, so gut es gehen wollte, ein Lager unter freiem Himmel machten. Das Haus war natürlich verschlossen. Ich hatte die erste Wache und schon während dieser erschien der Capataz. Ich ging ihm entgegen und berichtete unsere Erlebnisse, von welchen dasjenige mit den Guayaquis ihn zu erregen schien. Er war eine gutmütige Seele und schloss die Haustür auf. Allgemeine Freude! In der Küche wurde Wasser zum Sieden gebracht, mit 40 Teilen auf l00 mit Cana gemengt und somit ein Getränk gegen die bittere Kälte erzeugt. Eine Bettstelle ohne Matratze und Decken wurde Weyer abgetreten, der sich in ihr auf eine Ochsenhaut legte und mit zwei gleichen Fellen zudeckte. Käferstein und ich schürten das Feuer in der Küche aufs neue und legten uns daran. Trotz der außerordentlich großen Anstrengung des vorigen Tages und der ziemlich schlaflosen letzten Nacht war ich doch dermaßen erregt von dem Erlebten, dass ich keine Müdigkeit empfinden konnte. Ich saß die Nacht am Feuer auf einem niedrigen Bock und beschäftigte mich damit, eine Cigarre nach der andern zu rauchen, bis ich gegen Morgen auf wenige Stunden einnickte.

Erst gegen 9 Uhr ritten wir weiter, um den Pferden so lange wie möglich Ruhe zu gönnen. Übrigens hatten wir den schlimmsten Teil unserer Reise noch nicht zurückgelegt. Dieser bestand in dem 10 km langen Weg durch die Sümpfe zwischen den Flüssen Tebicuari und Pirapo. Den Tebicuari konnten wir ohne Schwierigkeiten durchreiten und dann ging die Patscherei los. Beschreiben lässt solch ein Ritt sich kaum, nur mag man sich vergegenwärtigen, dass es der Anspannung aller Sinne und Nerven bedarf, um Pferd und Reiter vor dem Versinken in eine endlose Tiefe zu bewahren. Ohne Unfall erreichten wir das Ufer des Pirapo. Meiner Ansicht nach konnte der Fluss nicht reißend sein, trotzdem die allgemeine Behauptung dahin ging, dass ein Durchschwimmen mit großer Gefahr verbunden sei.

Ich ließ Weyer und Käferstein in dem zur Überfahrt vorhandenen Canoe fahren, gab meinen Sattel mit hinein, schwang mich auf die blanke Pepita und ritt in das Wasser. Ich kann behaupten, dass das Pferd nicht länger als wenige Minuten den Boden unter den Füssen verlor und kaum mehr als 2 m stromabwärts mitgerissen wurde. Somit hatte ich recht behalten. Auf der andern Seite des Flusses wurde gesattelt, und nach ferneren 3 Stunden erreichten wir den Endpunkt der Wildnis, die letzte Haltestelle der Eisenbahn. Der Schienenweg hört mitten im Camp auf. Es stehen an dieser Stelle das Bahngebäude und zwei schmierige Gasthäuser.

Nach einer ganz herrlich durchschlafenen Nacht reisten wir nach Villa Rica. Wir blieben den nächsten Tag einem „Dia de Plaza“, in der Stadt und folgten der Einladung eines dritten Freiherrn: Baron von Barnekow, der seinen Rancho, ½ Legua von Villa Rica, mit einer der hübschesten jungen Paraguayerinnen, die ich im Lande Gelegenheit hatte, zu sehen, teilte. Während der Tafel saß ich dem schönen, eben erwachsenen Kinde gegenüber. Als der Baron nicht ohne gewisse Genugtuung bemerkte, welchen Eindruck das Mädchen auf den halbfremden Europäer machen musste, fragte er es, ob ich ihm gefalle, worauf es freimütig antwortete: „Le quiero mucho!“ („Ich mag ihn gern leiden.“) Nach dem Essen setzten wir uns ins Freie mit dieser anmutigen Erscheinung, welche die Volkskleidung trug, bestehend aus dem blendend weißen, in diesem Falle mit reichen Spitzen versehenen und weit ausgeschnittenen Hemd, einem goldenen Kamm und dem ebenfalls mit recht kostbaren Spitzen ausgestatteten schneeweißen Unterrock. Vorerst spielte sie auf der spanischen Zither den ersten und dritten Teil der entzückenden Serenade von Rob. Fuchs und später sang sie die folgenden, im Lande wohlbekannten Lieder, die sie selbst und ich begleiteten.

Tengo peineta dorada
En mi pelo trenzado.
Y al rededor de mi hombro
Collares de oro y coral.

Ich trage den goldenen Kamm
In meinem geflochtenen Haar.
Um meine Schulter die Kette
Von Gold und Korallen vom Meer.

En mi manteleta embozada
Me paseo en la calle.
Mostrando mi bonita talle
Con su nobleza natural.

Gehüllt in meine Mantille
So geh’ durch die Straßen ich leicht.
So trage ich meine Taille
Mit natürlichem Adel allein.

Me muestro a todos afable
Desprecio nunca á ninguno.
Pero solo á uno consagro
Mi sincero y puro amor.

Liebenswürdig gegen alle,
Schlecht behandele ich keinen.
Aber einem nur allein.
Ihm gehört mein Herz.

Mi „tipoy“ y mi peineta
Son mi única alhaje.
El único tesoro que adoro
Es mi piscario encantador.

Mein Hemd, das heimatliche.
Mein Kamm, sind all mein Besitz,
Der Schatz, den ich anbete,
Ist mein Geliebter nur.

Si un pretensor
Pida mi festejo.
Y no está mas vacante
Mi corazon,

Wenn da ein Bewerber
Um meine Liebe fleht,
Und besetzt ist gerade
Mein Herz,

Le contesto yo
Tobe catu:
Solo para mi prometido
Che rohayu.

Sage ich ihm stets:
„Nichts da!
Meinem Freund allein
Gehöre ich!“

Meine unter die Verse gesetzte freie Übersetzung ist schlecht oder gar nicht gereimt; aber da ich mich nicht besser zum Dichter eigne, als der Igel zur Zahnbürste passt, dürfte ich zu entschuldigen sein.

Diesem Mädchen war auch der geringste Schulbesuch, sowie jede Art der Erziehung fremd geblieben. Dennoch forderten die Lieblichkeit in jeder ihrer Bewegungen, die ihr angeborene vornehme Erscheinung, die kleinen rosafarbenen Füße eine Bewunderung, wie sie im nördlichen Europa selten in Frage kommen dürfte. —

Unter andern besuchte ich bei diesem meinem letzten Aufenthalt in Villa Rica Herrn Rackwitz aus Hamburg, der recht hübsch, eine Viertelstunde von der Villa entfernt, wohnt, und eine Canafabrik mit recht gutem Erfolge betreibt. Am 24. Juli, 6 ½ Uhr morgens, reisten wir von Villa Rica ab und hatten nachmittags 3 Uhr wohlbehalten die 135 km betragende Entfernung bis Asuncion wie gewöhnlich zurückgelegt. Die Pferde folgten am 26.

Die Stunde, in welcher ich Paraguay lebewohl sagen musste, rückte heran. Während der letzten Tage wurden mir mancherlei Freundlichkeiten erwiesen von einem jungen Deutschen, der ein Jahr früher aus Paraguay in die Heimat gereist war, um sich zu verehelichen. „Er“ und „Sie“ waren ungefähr gleichzeitig mit mir von Europa wieder in Asuncion eingetroffen. Unter dem Sinnspruch:

„Tu n’as rien, je n’ai rien, mettons ces deux riens ensemble et nous en ferons quelque chose“

hatte dieses junge Paar ein für die Verhältnisse in Paraguay mit großem Überfluss ausgestattetes Leben geführt; ich erhielt zum Abschied eine kostbare Reitgerte mit silbernem Knopf. Etwa sechs Monate später bekam ich von meinem väterlichen Handelshause in Hamburg ungefähr die folgende Belehrung: „Halte die Reitgerte in Ehren, sie ist eine der kostbarsten der Welt. Wenigstens haben wir für eine Forderung von 7000 Mark nicht viel andere Deckung zu erwarten als diese Reitgerte.“

Am 3. August ging ich an Bord derselben „San Martin“, die mich im Dezember von Buenos Aires heraufgebracht hatte. Mit aufrichtigem Herzen dankte ich Gramer, Weyer und Alvarez für die mir in reichstem Maße erwiesene Freundschaft und Nachsicht. Alvarez umarmte mich wie ein Vater seinen Sohn.

Man löste die Taue und die „San Martin“ trieb langsam von der Brücke. Ungefähr 30 gute Freunde, darunter zwei Herren aus San Bernardino und ebenso viele aus Villa Rica, die zu meiner Abreise heruntergekommen waren, riefen mir ein „Hip, hip, hurrah für Kunhardt“ nach, 30 Taschentücher und Hüte wurden geschwenkt, bis die „San Martin“ um die Ecke gesteuert wurde — und acht in fortdauernder Anregung der mannigfachsten Art verlebte Monate lagen hinter mir.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Wanderjahre eines jungen Hamburger Kaufmannes.