WILHELMSHÖHE bei Cassel.

Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, Bd.1, Mitteldeutschland
Autor: Dehio, Georg (1850-1932), Erscheinungsjahr: 1914
Themenbereiche
WILHELMSHÖHE bei Cassel.

Ein im 12. Jh. gegr. Nonnenklst. 1527 aufgehoben. Bescheidenes landgräfl. Schloß. Im 17. Jh. vergrößert. A. 18. Jh. unter Landgraf Karl Neubau (Entwurf von de la Fosse 1710) mit großartiger Parkanlage geplant. Nur die letztere wurde unter Karl wirklich begonnen, von seinen Nachfolgern fortgesetzt. Den Schloßbau verwirklichte erst Wilhelm IX. (Abbruch des alten Schlosses Weißenstein 1786-90). Der erste Entwurf von Wailly 1785 wurde abgelehnt; desgl., wegen zu großer Ausdehnung, der unter dem Einfluß Palladios entstandene, künstlerisch sehr bedeutende Entwurf von H. Chr. Jussow 1786. Den Auftrag erhielt Salomon Louis Du Ry (aus der in Cassel, s. dort, in mehreren Generationen tätigen Hugenottenfamilie). Die vorgeschlagenen Lösungen sehr verschiedenartig, übereinstimmend jedoch in der Stilfrage. Der in seiner Jugend bei Blondel in Paris gebildete Künstler hatte sich unumwunden dem Klassizismus englischer Färbung zugekehrt. Der Bau des nördl. Flügels begann 1788, der Mittelbau 1792, die Innenarbeiten 1803 vollendet. — Die Anlage modifiziert mit interessanter Wirkung, zumal in Anpassung an das bewegte Gelände und die ansteigenden Baummassen des Parkes, den traditionellen Hufeisengrundriß in der Weise, daß dessen 3 Flügel in 3 selbständige Gebäude aufgelöst, dann aber durch segmentförmige Zwischenbauten wieder verbunden werden, und zwar so, daß die Achsen der Nebengebäude zu dem Hauptgebäude in stumpfem Winkel anlaufen.
[pg 429]

Nicht befriedigend ist das Höhenverhältnis der Zwischenbauten; sie waren auch ursp. auf das Erdgeschoß beschränkt; die Obergeschosse teils unter Jerôme, teils erst 1829 hinzugefügt. Wie sehr die apsidialen Schlüsse der Hauptbauten und überhaupt der ganze Rhythmus durch sie gestört wird, leuchtet ohne weiteres ein. — Das Schloß von Wilhelmshöhe vertritt zusammen mit dem von Koblenz am bedeutendsten die dem Empire vorangehende Phase des Klassizismus. Der Nuancenunterschied der beiden Gebäude ist bezeichnend für den Unterschied der strengeren, großzügigeren englischen (von den Zeitgenossen oft »römisch« genannten) und der weicheren französischen Richtung. In der inneren Einrichtung drängt sich der französische Geschmack wieder vor, doch schon im Gepräge des eigentlichen Empire. Ein Verzeichnis der Gemälde von 1790 gibt 45 Nummern, zu denen später noch manches hinzukam, vieles wieder beseitigt wurde. Unter den Gegenständen überwiegt die römische Geschichte, auch ein Zyklus aus Tasso war vorhanden. Die Künstler großenteils Deutsche. Die bekanntesten Namen F. H. Tischbein, Hackert und Nahl.

Der Park. Beg. bald nach 1700 unter Landgraf Karl in Erinnerung an die Gärten in Rom und Frascati durch den römischen Architekten Giov. Fr. Guernieri — vielleicht das grandioseste, was irgendwo der Barockstil in der Verbindung von Architektur und Landschaft gewagt hat. Diese Anlage, die, wo nicht ganz, so doch in bedeutenden Teilen, tatsächlich zur Ausführung gekommen war, wich seit 1786 dem noch bestehenden Naturpark im englischen Geschmack. Bei Guernieri war das Hauptmotiv die mit reichem architektonischem Beiwerk ausgebildete Kaskadenfolge, die sich von der Höhe des Habichtswaldes bis zum Schloß Weißenstein hinzog, 3500 Fuß rhein. l., die Mittelbahn 6,5 m br., zweimal durch Absätze mit Rundmotiven und eine breite Querallee mit vielen Becken und Springbrunnen durchbrochen. Davon hat sich nur der oberste Abschnitt erhalten, endend in das phantastisch-kolossalische Oktogon mit dem Herkules (der »kleine Herkules« aus einer älteren Anlage des 17. Jh.). Auch der englische Park wollte auf Mitwirkung der Architektur nicht verzichten. Doch in einem grundsätzlich anderen Sinn, als das Barock. Nicht um architektonische Durchbildung des Geländes und Pflanzenwuchses handelte es sich, sondern um Anlage zerstreuter Einzelarchitekturen, die in der (scheinbar) freien Natur malerische Zentren bilden und durch ihre gegenständliche Bedeutung Stimmung machen sollten. Künstliche Ruinen u. a. wurden beliebt. Im ersten Projekt Du Rys sollte sogar das Schloß selbst einen Ruinenflügel erhalten. [pg 430] Im Charakter einer imaginären Urkunst das »Grab der Vögel«. Römisch die »Sibyllengrotte« und die kleine Nachbildung der Cestiuspyramide. Inzwischen kam aus England die romantische Schwärmerei für die Gotik. So entstand (erster Plan 1790) die Löwenburg, anfangs als Ruine beabsichtigt. Auf Verlangen des Landgrafen ein vollständiges, wohnbares, allerdings im Maßstab der einzelnen Bauteile klein gegriffenes Bergschloß — kulturhistorisch merkwürdig als eine der frühesten Schöpfungen sentimentaler Neugotik in Deutschland. Entwurf von Jussow. Für die dem Schloße näher liegenden Zierbauten kehrte derselbe mit gutem Takt wieder zu klassischen Formen zurück: Säulenhalle und Tempel am Bowlingreen und reizvoller Entwurf (nicht ausgeführt) zum Philosophentale. — Eine chinesische Galerie, eine Moschee und eine Eremitage des Plato sind seither wieder verschwunden. — Unter den Nebengebäuden des Schlosses das wichtigste das Theater von 1808 (jetzt mit starker Veränderung Tennishalle) und das Pflanzenhaus.